Drysden [10]
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„Es ist einfach unfair, dass du zwei Schwerter gleichzeitig schwingst."
Mit einem kleinen Lachen ließ ich das Übungsschwert in meiner Hand sinken. Dann klemmte ich es mir vorsichtig unter den Arm und streckte Cara eine Hand entgegen. Mit einem unglücklichen Kopfschütteln ließ sie sich aufhelfen, dann tauschten wir Plätze mit Andrej und Isabel, die am Rand der Übungsfläche darauf gewartet hatten, selbst an der Reihe zu sein.
Erleichtert ließ ich mich an einer schattigen Stelle auf den Boden sinken. In den letzten Stunden, in denen wir verschiedene Haltungen und Formationen mit Nyan geübt und uns immer wieder miteinander gemessen hatten, war die Sonne hoch über die Wipfel der Bäume gestiegen, bis sie unbarmherzig auf uns herunterbrannte. Ich war mir sicher, dass ich in den nächsten Tagen einen ständigen hellroten Teint mit mir herumschleppen würde.
„Ich dachte wirklich, ich könnte kämpfen. Aber so langsam bezweifle ich das."
Mit einem Lächeln nahm ich Cara den Wasserschlauch ab, den Nyan vor Stunden hervorgezaubert hatte und nahm dann einen großen Schluck.
„Ich habe viel zu wenig praktische Kampferfahrung", fuhr sie fort. „Was natürlich gut ist, schließlich ist Ensomniya ein friedliches Land, aber andererseits bedeutet das auch, dass ich mich hier gerade so richtig fertig machen lasse."
Mit einem Kopfschütteln legte ich den Wasserschlauch ab.
„Du schlägst dich sehr gut, Cara. Glaub mir. Ich habe schon trainierte Soldaten gesehen, die nach zwei Minuten geschlagen am Boden lagen. Du hast mindestens drei Minuten durchgehalten."
Der Schlag gegen meine Schulter, der folgte, ließ mich vor Cara zurückzucken.
„Ich habe sicherlich länger durchgehalten. Mindestens fünf Minuten."
„Frag doch Nyan. Ich bin mir sicher, dass er dir auf die Sekunde genau sagen kann, wie lange du durchgehalten hast."
„Und in die Nähe dieses Idioten von einem Berater gehen? Nein danke. Was denkst du, worüber reden die beiden?"
Gleichzeitig drehten wir die Köpfe, um einen Blick auf Nyan und Baylor zu werfen, die ein gutes Stück entfernt standen. Baylor hatte sich vor einer guten Stunde zu Nyan gesellt und es geschafft, offensichtlich über uns zu reden, ohne unsere Anwesenheit in irgendeiner Art anzuerkennen.
Gerade schüttelte er den Kopf, sodass die kleinen Steine in seinen langen Haaren nur so klimperten, während Nyan die Augen verdrehte. Dann deutete er in unsere Richtung. Wieder ein Kopfschütteln von Baylor, dann drehte er sich demonstrativ dem Übungsfeld zu, auf dem Isabel und Andrej harte Schläge austauschten.
Gerade wollte ich mich auch zurückdrehen, da fing ich Nyans Blick auf. Ich erwartete, dass er das Gesicht verzog oder sonst irgendwie anzeigte, dass er wütend war, weil wir offensichtlich versucht hatten, herauszufinden, worüber die beiden sprachen. Doch stattdessen verdrehte er die Augen und warf Baylor einen genervten Blick zu.
Cara neben mir gluckste leise, dann schien sie sich fast zu verschlucken, als Baylor uns plötzlich einen so düsteren Blick zuwarf, als hätten wir persönlich versucht, ihn umzubringen.
„Ich glaube wirklich, dass ich dem im Kampf nicht den Rücken zudrehen werde."
Mit einer kleinen Grimasse nickte ich, auch wenn ich mir sicher war, dass Baylor uns nicht hinterrücks erstechen würde. Es gab sehr viel schlimmere Methoden, die er anwenden würde, um uns aus dem Weg zu räumen. Aber das würde ich bestimmt nicht mit Cara teilen. In dem Versuch, mich von dem Gedanken, bei lebendigem Leib zu verbrennen, abzulenken, richtete ich meinen Blick auf Isabel und Andrej.
Man konnte beiden ansehen, dass sie ausgeglichene Stärken und Schwächen hatten. Andrej war groß und verflucht stark, aber manchmal zu langsam. Zudem musste er sich anstrengen, um mit seinem kürzeren Schwert an Isabel zu gelangen. Sie hingegen war schnell und vor allem leicht unterwegs und hatte eine große Reichweite. Wenn Andrej aber hart genug zuschlug, konnte man sehen, wie ihre Arme vor Anstrengung zitterten und sie sich anstrengen musste, das Schwert nicht sinken zu lassen. Beiden rann der Schweiß über den Körper, dennoch gaben sie nicht auf.
„Denkst du, dass wir morgen noch hier sitzen?", wollte Cara schließlich wissen.
Ich zuckte bloß mit den Schultern.
„Das hängt ganz davon ab, ob sie endlich anfangen, mitzudenken."
„Tun sie das denn nicht?"
Ich schüttelte den Kopf, dann streckte ich meine Arme nach hinten, bis ich mich bequem zurücklehnen konnte.
„Auf der einen Seite ja, auf der anderen nein. Sie analysieren beide die Defensive und Offensive des anderen, das stimmt. Aber sie schaffen es nicht, daran vorbeizukommen. Das liegt daran, dass sie beide in bestimmte Muster verfallen, aus denen sie sich nicht lösen. Wer auch immer zuerst dieses Muster erkennt und durchbricht, der wird auch diesen Kampf gewinnen."
Langsam, um mich an die anderen Lichtverhältnisse zu gewöhnen, drehte ich meinen Kopf zu Cara, die nachdenklich wirkte. Dann nickte sie vorsichtig.
„So wie du zu Beginn."
Jetzt war es an mir, sie fragend anzusehen.
„Wie meinst du das?"
Mit einem Seufzen ließ sie sich sinken, bis sie neben mir liegen konnte, dann blinzelte sie zu mir auf.
„Du hast bei jedem von uns mit demselben Rhythmus begonnen. Abwehr und Angriff, immer dasselbe. Und dann hast du zugeschlagen und der Kampf war entschieden. Denk drüber nach. Ich weiß, dass ich keine schlechte Kämpferin bin, aber ich mache mir nichts vor: Wenn du von Anfang an so gekämpft hättest, wie du es zum Schluss getan hast, dann hätte ich auch nach zwei Minuten am Boden gelegen."
Langsam ließ ich mich ebenfalls auf den Rücken gleiten, bis wir nebeneinander lagen.
„Ich schätze, dass ich immer noch mehr an der Lehrerposition hänge, als ich erwartet hätte. Aber das ist gut zu wissen. Danke Cara."
Wieder stieß etwas gegen meine Schulter, doch dieses Mal war es keine Hand, sondern Caras Kopf. Mit einem leisen Seufzen schloss sie die Augen.
„Ich habe aber kein Problem damit, wenn du das im Übungskampf weiter machst. Dann kann ich nämlich so tun, als hätte ich dich durchschaut."
Das brachte mich zum Lachen.
„Was denn? Ich weiß, dass ich dich nicht im Kampf besiegen kann. Ist halt so."
Wieder seufzte sie, dann drückte sie ihren Kopf fester auf meine Schulter.
„Und jetzt halte bitte still. Ich will meine Augen ein wenig ausruhen. Sag Bescheid, wenn Andrej und Isabel fertig sind."
Ich verdrehte die Augen, hielt aber dennoch still. Cara sollte jede Chance nutzen, die sie bekam, um sich auszuruhen. Vermutlich sollte ich das auch, aber es fiel mir schwer, mich bei den ganzen Geräuschen zu entspannen. Ich hatte einen großen Teil meines Lebens umgeben von Kampfgeräuschen verbracht. Selbst in einer ruhigen Haltung war mein Körper in Alarmbereitschaft, immer bereit, aufzuspringen und sich dem nächsten Gegner zu stellen.
Also lauschte ich den Geräuschen um mich herum. Der Platz hatte sich zwischenzeitlich mit Fae gefüllt, sodass nun aus jeder Richtung der dumpfe Klang von hölzernen Waffen, die gegeneinanderschlugen, erklang. Hier und dort drangen Stimmen bis an mein Ohr vor, manche ruhig, andere laut und aufgeregt.
Ich hatte noch nie zuvor so viele Fae auf einmal gesehen, nicht einmal auf dem Markt direkt vor Idan'shins gewaltigem Baum im Herzen des Palastes. Es sollte mich beunruhigen, inmitten dieses Volkes, das uns sicherlich nicht traute, zu leben. Doch dieser Ort war normalerweise ruhig und friedlich. Kaum ein Fae trug eine Waffe bei sich, wie es Gang und Gebe am Schloss in Ensomniya war. Niemand hier wirkte überarbeitet oder müde oder verzweifelt.
Ein lauter Fluch riss mich aus meinen Gedanken und ich hob vorsichtig den Kopf, bis ich auf die Übungsfläche vor mir blicken konnte. Andrej hatte es geschafft, Isabel an den Rand der Fläche zu treiben. Dadurch wurde ihr Bewegungsfreiraum stark eingeschränkt. Dennoch ließ ich schon nach wenigen Augenblicken den Kopf wieder sinken.
Andrej ging viel zu zaghaft mit Isabel um und auch ihr konnte man ansehen, dass es ihr Unbehagen bereitete, gegen Andrej zu kämpfen. Keiner von beiden würde es wagen, den finalen Schlag auszuführen. Darauf zu warten, dass es doch einer tat, wäre, als würde man von einem Stein erwarten, plötzlich zu fliegen. Unmöglich. Also schloss ich stattdessen die Augen, um die Wärme um mich herum etwas zu genießen.
„Das reicht", ertönte es plötzlich.
Mit einer kleinen Grimasse schob ich Cara von meiner Schulter herunter, dann richtete ich mich ächzend auf und streckte mich. Ich musste doch eingeschlafen sein, denn die Sonne war ein gutes Stück hinter die Baumkronen gewandert, sodass der ganze Platz in rotes Licht getaucht lag. Mit einer kleinen Grimasse erhob ich mich, dann streckte ich Cara zum zweiten Mal an diesem Tag eine Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen.
Ich schnappte mir die Übungsschwerter und den Wasserschlauch und machte mich auf den Weg zu Isabel und Andrej, die in der Mitte der Übungsfläche saßen. Als ich näherkam, machte ich aus, wie kaputt beide aussahen. Andrejs Bart klebte unangenehm an seinem Hals, das Gesicht dahinter fast genauso rot wie seine Haare. Isabels Zopf hatte sich beinah aufgelöst und das Hemd, das sie trug, klebte an ihrer Haut.
Dankend nahm sie den Wasserschlauch an, den ich ihr reichte, dann gab sie ihn weiter an Andrej, der gierig daraus trank. Cara gesellte sich in der Zwischenzeit zu uns, dann schüttelte sie den Kopf.
„Habt ihr die ganze Zeit gekämpft?"
Wortlos nickte Isabel, dann ließ sie sich zurückfallen, bis sie auf dem Rücken lag und alle Gliedmaßen von sich strecken konnte.
„Immerhin habt ihr Ausdauer bewiesen."
Nyan hatte sich leise auf uns zu bewegt, bis er an unserem kleinen Kreis stand.
„Dennoch hoffe ich, dass ihr das nicht im richtigen Kampf macht. Niemand kann es sich leisten, einen einzigen Gegner zu bekämpfen. Besonders, da es dort niemanden gibt, der den Kampf beendet."
„Ich glaube, ich habe selten einen so frustrierenden Kampf gesehen."
Zu meiner Überraschung stand Baylor noch immer am Rand der Übungsfläche, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, das Gesicht zu einer abweisenden Grimasse verzogen. Wie ein so gutaussehender Mann es schaffte, so unattraktiv zu wirken, war mir unbegreiflich.
„Ihr hattet beide gute Chancen, die ihr nicht verwertet habt. Dazu habt ihr viel zu schnell eure Offensive aufgegeben. Das einzig positive war wohl, dass der Kampf nicht schon nach fünf Minuten vorbei war."
Gerne hätte ich geglaubt, dass er das nur sagte, um die beiden aufzumuntern. Doch der harte Blick, den er mir zuwarf, hätte genauso gut auf eine Beleidigung folgen können. Es war wirklich bewundernswert, wie er es schaffte, alles gegen mich zu verwenden, selbst meine hart erarbeiteten Fähigkeiten. Mir war bewusst, dass er mich nicht lobpreisen oder in irgendeiner anderen Art ermutigen würde, aber so ein persönlicher Feldzug erschien mir doch etwas übertrieben.
„Baylor."
Nyans Stimme klang genervt, während er den Kopf schüttelte. Doch darauf achtete der Berater kaum. Stattdessen schien er mich nachdenklich zu mustern.
„Ich verstehe auch nicht, wie du schlafen konntest. Diese Kämpfe haben dich wohl kaum so ausgelaugt."
Seine Stimme hatte einen herausfordernden Ton angenommen, während er den Kopf schief legte.
„Es ist spät", presste Nyan da heraus.
„Zu spät für einen letzten Kampf?"
Ich spannte mich an, als ich endlich verstand, worauf Baylor hinauswollte. Dann tauschte ich einen Blick mit Andrej aus, der plötzlich sehr viel blasser um die Nasenspitze herum wirkte.
„Du kannst das nicht ernst meinen."
Nyan klang hart, während er zwischen uns trat. Doch davon ließ der andere Fae sich nicht beeindrucken.
„Du willst, dass sie etwas lernen, nicht wahr? Wie aber kann er das, wenn er nur gegen Menschen antritt, die er mit Leichtigkeit besiegen kann."
Sorge erfüllte mich, als ich sah, wie nachdenklich Nyan wirkte. Dann wandte er sich mir langsam zu.
„Fühlst du dich erholt?"
Am liebsten hätte ich den Kopf geschüttelt, weil ich wirklich nichts anderes wollte, als etwas zu essen und mich auszuruhen, aber mir war auch klar, dass Baylor es dann immer weiter versuchen würde. Also nickte ich, auch wenn ich mir sicher war, dass das ein unfairer Kampf sein würde. Weder war ich so schnell und stark wie ein Fae, noch hatte ich so viel Erfahrung im Kampf wie er.
„Dann könnt ihr meinetwegen kämpfen. Aber keine Magie, Baylor. Das meine ich ernst."
Mit einer so zufriedenen Miene, wie ich sie noch kein einziges Mal auf seinem Gesicht gesehen hatte, nickte er. Dann überquerte er mit großen Schritten den Platz, um sich eine der Übungswaffen zu holen.
„Du musst das nicht tun, Drysden."
Mit einer kleinen Grimasse nickte ich Nyan zu, der mich aus besorgten Augen musterte. In den letzten Stunden war er uns gegenüber wirklich aufgetaut.
„Wenn ich nicht wirklich glauben würde, dass du hiervon profitieren wirst, dann hätte ich nie zugestimmt."
„Ich weiß, Nyan. Keine Sorge."
Mit einem letzten langen Blick sah er mich an, dann bedeutete er den anderen, ihm an den Rand zu folgen. Seufzend erhoben Andrej und Isabel sich, dann trotteten sie los.
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass er es auf dich abgesehen hat. Nur warum?"
Ich schüttelte bei Caras Worten den Kopf, auch wenn ich sehr genau wusste, was sein Problem war.
„Ich habe keine Ahnung."
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Here we go again.
Over and Out,
DasLebenLesen
10/01/2022
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