Cara [9]
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Während die Wälder des Schlosses am Tag nur so vor Leben sprühten, war die Lichtung um den schäumenden Fluss herum ausgestorben. Ich war mir nicht sicher, ob es an der feuchten Luft oder dem rutschigen Gras lag, aber die Fae mieden diesen Ort. Ehrlich gesagt fand ich das recht schade, denn so musste ich allein auf einem der Steine nahe dem Ufer sitzen, statt mich unterhalten zu können.
Dennoch blieb ich heute etwas länger. Die letzten Tage war ich für ein paar Minuten hierhergekommen, doch die Einsamkeit des Ortes hatte mich immer wieder schnell vertrieben. Meistens war ich danach zu Isabel und Idan'shin zurückgekehrt, die auf einer Terrasse in der Sonne Hof gehalten hatten.
Eigentlich war mein Plan auch gewesen, dorthin aufzubrechen, als plötzlich ein Fae mit hellem Haar neben mir aufgetaucht war und mich davon unterrichtet hatte, dass die anderen beiden in einer wichtigen Besprechung saßen und nicht gestört werden wollten.
Ohne die Vormittage mit ihnen wusste ich plötzlich nicht mehr so ganz, was ich tun sollte. Also hatte ich beschlossen, hier zu sitzen und mich etwas im Nichtstun zu üben. Ich war mir sicher, dass nicht mehr als eine halbe Stunde vergangen sein konnte, dennoch fühlte ich mich, als hätte ich eine kleine Ewigkeit hier verbracht. Wie Leute es schafften, den ganzen Tag lang nichts zu tun, war mir ein Rätsel.
Ein leises Rascheln riss mich schließlich aus meinen Gedanken. Neugierig drehte ich mich herum, nur um Drysden zu sehen, der langsam über das feuchte Gras auf mich zu lief. Dann ließ er sich mit einem kleinen Seufzen neben mich auf den Felsen sinken, die langen Beine ordentlich im Schneidersitz unter sich gekreuzt.
Für ein paar Sekunden betrachtete ich ihn von der Seite. Erst da wurde mir so richtig klar, dass ich ihn in den letzten Tagen kaum zu Gesicht bekommen hatte. Es fühlte sich eigenartig an, nicht plötzlich jede Sekunde mit ihm zu verbringen.
„Was machst du hier, so ganz allein?"
Als er die Frage stellte, zuckte ich mit den Schultern. Dann griff ich nach den Grashalmen, die ich zuvor geflochten hatte. Mit einem kleinen Ruck zog ich sie aus der Erde und strich mit den Fingern darüber.
„Isabel und die Königin haben mich ausgesperrt. Da dachte ich mir, ich versuche herauszufinden, wie das so ist, wenn man nichts zu tun hat."
„Und wie läuft das so für dich?"
Ich verdrehte die Augen und warf ihm einen kleinen Seitenblick zu. Er schmunzelte, doch sein Blick sagte mir, dass er nicht ganz bei der Sache war. In letzter Zeit war das öfter so. Ich sagte etwas, ob nun beim Essen oder wenn wir uns zufällig begegneten und er antwortete mit diesem verlorenen Blick in den Augen.
„Großartig. Ich liebe es, Zeit mit mir selbst zu verbringen."
Kurz blitzten seine Augen belustigt auf, dann wurde er wieder ernst.
„Warum haben die anderen beiden dich ausgesperrt?"
Ich zuckte mit den Achseln und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht übertreibe ich auch einfach nur."
Eine kleine Falte erschien auf seiner Stirn, dann legte er den Kopf nachdenklich schief.
„Du weißt mal etwas nicht? Sicher, dass alles bei dir in Ordnung ist?"
Der Kommentar ließ mich schmunzeln. Drysden hatte schon recht. Normalerweise wusste ich alles über jeden, noch lange bevor die Nachricht öffentlich wurde. Entsprechend seltsam war es, an einem fremden Ort zu sein, vollkommen ohne ein Netzwerk. Selbst als ich als junge Frau auf den Hof meines mittlerweile verstorbenen Mannes gezogen war, hatte ich mich nicht so verloren gefühlt.
„Und was hast du so in den letzten Tagen angestellt?", wollte ich schließlich wissen, in der Hoffnung, mich etwas von meinen eigenen Gedanken abzulenken.
„Ich habe mich ein wenig umgesehen."
Nun war es an mir, ihn nachdenklich von der Seite zu runzeln. Die Art und Weise, wie er es sagte, ließ mich vermuten, dass da noch etwas anderes war. Am liebsten hätte ich etwas nachgeharkt, doch ich wusste auch, dass Drysden ein sehr zurückgezogener Mensch war. Wenn er etwas nicht von sich aus erzählte, dann erzählte er es überhaupt nicht, egal, wie sehr man nachfragte. Es gab fast nichts, was frustrierender war.
Ein leises Zwitschern riss mich aus meinen Gedanken. Mir war gar nicht aufgefallen, wie ruhig es war. Doch nun, wo der schillernde Vogel an uns vorbeisauste, bemerkte ich erst, dass über das Toben des Flusses kein Tier zu vernehmen war. Gedankenverloren blickte ich dem Tier hinterher, bis er zwischen den Ästen eines Baumes aus meinem Blickfeld verschwand.
„Es gibt hier wunderschöne Tiere, nicht wahr?"
Als ich ein paar Sekunden lang keine Antwort bekam, wandte ich den Blick von den dichten Blättern ab und sah mich nach Drysden um. Er starrte an mir vorbei auf die Stelle, an der der Vogel verschwunden war. Doch sein Blick war keinesfalls entspannt, sondern viel eher nachdenklich.
„Was ist?"
Drysden schüttelte den Kopf, dann erhob er sich und streckte eine Hand aus. Neugierig ergriff ich sie und ließ mich hinaufziehen.
„Komm mit."
Der Tonfall, in dem er die Worte murmelte, weckte meine Neugier. Drysden hatte irgendetwas bemerkt. Und was auch immer das war, es musste wichtig sein. Mit schnellen Schritten lief Drysden voran und ich beeilte mich, mit ihm mitzuhalten. Dabei dankte ich stumm meiner Entscheidung, eine weite Hose angezogen zu haben. In einem Kleid wäre ich nie so schnell hinterhergekommen.
„Ich möchte ja nicht nerven, aber was genau tun wir?", fragte ich schließlich nach, als wir einen großen Baum umrundeten.
Ohne langsamer zu werden drehte Drysden sich herum.
„Wann hast du diese bunten Vögel zum ersten Mal bemerkt?"
Ich stutzte, während er sich wieder herumdrehte.
„Vor ein paar Tagen, schätze ich."
„Aber noch nicht von Anfang an, nicht wahr?"
Mit gerunzelter Stirn trat ich über eine besonders hohe Wurzel, dann nickte ich. Erst nach ein paar Sekunden Stille bemerkte ich, dass er mich nicht sehen konnte.
„Das stimmt. Aber warum ist das so wichtig?"
„Erkläre ich dir gleich."
Am liebsten hätte ich mich vor ihm aufgebaut und ihn gestoppt, um hier und jetzt eine Erklärung zu verlangen, doch bei dem Tempo, dass Drysden anschlug, hätte ich schon einen Sprint hinlegen müssen. Also verdrehte ich nur die Augen über das kryptische Verhalten und konzentrierte mich darauf, nicht zu fallen.
Eine gefühlte Ewigkeit später hielt Drysden an. Mit gerunzelter Stirn trat ich neben ihn und besah den Baum, vor dem wir standen. Mit der elegant geschwungenen Tür und den schiefen Fenstern sah er aus wie jedes andere Baumhaus auch.
„Und was wollen wir hier?"
„Das ist eines der Studierzimmer. Maila hat es mir gezeigt."
Studierzimmer? Das war keine gute Erklärung. Dennoch folgte ich Drysden die steile Treppe hinauf, bis wir in einem kreisrunden Raum voller schiefer Regale standen. Drysden stürzte sich förmlich auf ein Regal im hinteren Teil des Raumes, während ich etwas verloren an der Treppe stand.
„Was suchen wir?" fragte ich schließlich nach, als Drysden eine ganze Reihe von Büchern aus dem Regal gezogen und sofort wieder zurückgeschoben hatte.
„Ein Buch. Über Vögel."
Für ein paar Sekunden starrte ich auf seinen breiten Rücken, dann schüttelte ich den Kopf und trat ebenfalls an ein Regal heran. Vorsichtig zog ich Buch nach Buch heraus, in der Hoffnung, etwas zu finden, was Drysden helfen würde. Der Mann hatte es aber auch mit Büchern.
Stumm arbeiteten wir uns durch die Regale. Schnell spürte ich Frustration in mir aufsteigen. Keines der Werke behandelte Vögel oder war in einer Sprache geschrieben, die ich verstehen konnte. Genervt schob ich ein weiteres Buch zurück an seinen Platz. Dann wandte ich mich um, um endlich mehr Informationen aus Drysden herauszubekommen.
Doch da fiel mir etwas ins Auge. In einem Regal, etwas im Schatten gelegen, schien etwas zu schillern. Nicht sicher, was das war, trat ich an das Regal heran. Als ich davorstand, erkannte ich, dass es sich um einen Buchrücken handelte, der bei richtigem Lichteinfall wie einer der Vögel zu glänzen schien. Vorsichtig griff ich danach und zog es aus dem Regal. Dann schlug ich das Buch auf.
Die ersten paar Seiten waren wieder in der Sprache der Fae verfasst. Entmutigt wollte ich das Buch schließen, da fiel mein Blick auf die Illustration eines Vogels mit buntem Federkleid. Und die Beschriftung darunter war nicht nur einsprachig.
„Sonnenfink", murmelt ich leise, dann blätterte ich weiter.
Die ersten paar Seiten waren relativ bedeutungslos. Links standen Sätze, die ich nicht lesen konnte, doch ich ging davon aus, dass die Beschreibungen auf der rechten Seite die Übersetzung waren. Ungeduldig blätterte ich um, vorbei an Größe, Paarungsverhalten und Gewicht. Auf der nächsten Seite hielt ich dann inne und überflog den Inhalt.
„Der Sonnenfink gilt als Überbringer von Nachrichten. Im Fae-Reich wird er besonders häufig zur Kommunikation zwischen dem Rat und der Königin genutzt. Die Informationen, die diese Vögel mithilfe ihres Zwitscherns übermitteln, sind in der Regel streng geheim. Nur etwa ein Dutzend Fae sind dazu in der Lage, sie zu verstehen und zu interpretieren.
Besonders häufig überbringen sie Nachrichten zu Streitigkeiten zwischen den einzelnen Clans. Ihre Häufigkeit tritt dabei selten auf. Sieht man in einer Zeitspanne von einer Woche mehr als fünf dieser Tiere, sollte man sich Sorgen machen. Eine solche Häufigkeit weist meistens auf ein clanübergreifendes Problem hin. Das wohl prominenteste Beispiel in der jüngsten Geschichte ist..."
Ich stockte und hob den Kopf, um Drysden anzusehen, der, während ich vorgelesen hatte, näher an mich herangetreten war. Sein Gesichtsausdruck spiegelte die Emotionen wider, die auch ich verspürte. Aufregung und Sorge.
„Krieg", vervollständigte ich schließlich den Satz, dann klappte ich das Buch zu und beeilte mich, es wieder an seinen Platz zu schieben.
„Du glaubst doch nicht, dass...", begann ich, dann brach ich ab.
Drysden presste die Lippen zusammen.
„Wie oft hast du diesen Vogel schon gesehen?"
„Einmal eben auf der Lichtung. Dann saß vor zwei Tagen einer an meinem Fenster, als ich aufgewacht bin. Einmal abends, als ich spazieren war. Und neulich, als ich mich mit Issi getroffen habe."
Vier Mal hatte ich diesen Vogel gesehen. Und das in weniger als einer Woche.
„Und du?", wollte ich wissen, plötzlich ein wenig außer Atem.
„Einmal beim Abendessen, einmal mit Maila, einmal bei einem Spaziergang. Drei Mal in den letzten Tagen."
Stumm sahen wir einander an.
„Warum wollten Isabel und Idan'shin dich nicht dabeihaben?", fragte Drysden schließlich in die Stille hinein, die uns plötzlich umgab.
Ich blinzelte ihn an, dann machte ich auf dem Absatz kehrt.
„Finden wir es heraus."
Gemeinsam eilten wir die Treppe hinab, dann überließ ich Drysden die Führung. Ich hatte keine Ahnung, wo wir hinmussten, um mit Issi zu sprechen. Doch Drysden schien sich bestens auszukennen, denn schon bald erhaschte ich einen Blick auf den breiten Baum, in dem Idan'shin zumeist Hof hielt.
Mit schnellen Schritten umrundeten wir den gewaltigen Stamm, dann griff ich nach Drysdens Arm und verlangsamte meine Schritte.
„Wenn wir zu Issi wollen, sollten wir vielleicht nicht einfach hineinstürmen."
Kurz warf er mir einen fast ungeduldigen Blick zu, dann verlangsamte auch er seine Schritte. Zufrieden hielt ich mit ihm Schritt, bis es aussah, als würden wir einen Spaziergang machen. Ich wollte ungern, dass die Fae dachten, wir würden ihnen nachspionieren oder uns in ihre Angelegenheiten einmischen. Und zwei Menschen, die mit grimmiger Miene durch die Gegend zogen, wirkten nicht gerade freundlich und unbedrohlich.
Als die ersten Fae in Sicht kamen, die in der Nähe des Eingangs werkelten, setzte ich mein bestes Lächeln auf und winkte einem Gärtner zu, den ich in den letzten Tagen schon öfter gesehen hatte. Der Fae hob kurz die Hand, dann widmete er sich wieder der Pflanze vor sich. Ohne aufgehalten zu werden, spazierten wir die breite Treppe hinauf. Dann betraten wir das schattige Innere des Baumhauses.
Ein kleiner Schauder überlief mich, als die Temperatur so drastisch sank. Dann ein Weiterer, als mein Blick auf einen bunten Flecken fiel, der durch die Eingangshalle sauste. Das Zwitschern und die bunten Federn waren unverkennbar. Der fünfte Sonnenfink in einer Woche.
Ich wechselte einen vielsagenden Blick mit Drysden, dann machten wir uns daran, die Treppe hinaufzusteigen. Mit jedem Schritt schien mein Magen ein wenig mehr zu rebellieren, doch ich zwang mich dazu, mit Drysden Schritt zu halten. Wir mussten Issi Bescheid sagen, dass etwas nicht stimmte, falls sie es nicht schon selbst wusste. Ich hoffte nur, dass es nichts zu Ernstes war, vielleicht sogar ein falscher Alarm. Die Fae hatten es nicht verdient, wieder in etwas hineingezogen zu werden, womit sie nichts zu tun hatten. Und wir verdienten es nicht, in einen unendlichen Machtkampf zwischen Clans, die wir nicht einmal kannten, hineingezogen zu werden.
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Nach bestimmt einem Monat habe ich es auch mal wieder geschafft, ein Kapitel hochzuladen.
Ich hoffe, es sagt euch zu.
Over and Out,
DasLebenLesen
18/10/2021
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