Andrej [5]

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„Isabel! Drysden! Yan!"

Müde hob ich den Kopf und begegnete dem Blick der Gräfin, während sie auf mich zu stapfte. Dabei sah sie sich unentwegt um, als könnte das irgendetwas an der Tatsache ändern, dass unsere Weggefährten nirgends zu sehen waren und nicht einfach so aus dem nächsten Gebüsch hervorspringen würden.

Mit einem Ächzen trat sie aus dem dichten Sand in den Schatten der Bäume und ließ sich neben mir auf einer Baumwurzel nieder. Dann versuchte sie den Sand von ihrem feuchten Rockzipfel zu entfernen, gab aber schließlich auf und ließ sich mit dem Rücken gegen den Baumstamm fallen, wobei der zu ächzen begann.

Gemeinsam starrten wir hinaus auf das Meer, dessen sanfte Wogen in mir Wut aufkommen ließen. Dasselbe galt für den weißen Sand, der sich vor uns erstreckte. Seit wir vor gut einer Stunde an diesen Strand gespült worden waren, musste ich immer wieder kleine Sandkörner ausspucken und mein Bart kratzte entsetzlich. Dazu kamen die durchnässte Kleidung und die Müdigkeit, die nach einer ganzen Nacht im Meer tief in meinen Knochen saß. Am liebsten würde ich mich hinlegen, auch wenn dann der Sand in meine Kleidung kriechen würde.

Nach dem wir vom Schiff gespült worden waren, hatten Cara und ich eine ganze Weile ums Überleben gekämpft, während die Wellen uns zu verschlucken versucht hatten. Schließlich hatten wir eine Kiste gefunden, an die wir uns hatten klammern können, doch zu dem Zeitpunkt waren wir bereits viele Seemeilen von der „Wellenbrecher" entfernt gewesen und die anderen nicht mehr zu sehen.

In dem Moment hatte mich das aber recht wenig gestört, denn ich hatte überleben wollen. Also hatte ich mich festgeklammert und zu strampeln begonnen, als im Morgengrauen eine Insel in Sichtweite gekommen war. Die Kiste, die uns gute Dienste geleistet hatte, lag noch immer an der Stelle, an der wir aus dem Meer gekommen waren, denn wir hatten nicht die Kraft gehabt, sie weiter als ein paar Schritte zu ziehen.

Die Sorge um die Matrosen des Schiffes und auch die Angst um die anderen machte die Situation nicht besser, denn nach den ersten erleichterten Minuten war mein Überleben deutlich unbedeutender geworden. Am liebsten wäre ich sofort über die Insel marschiert, in der Hoffnung, sie wohlauf zu entdecken, doch würde ich jetzt loslaufen, dann war es das mit mir.

„Denkst du, dass es ihnen gut geht?", Caras Stimme war leiser als sonst, der Ton eine Mischung aus Sorge und Hoffnung.

„Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Aber wenn wir es geschafft haben, dann dürften sie es auch tun. Bei dem Training, das Drysden Prinzessin Isabel aufgezwungen hat, würde mich nicht einmal wundern, wenn sie es bis zum Festland und Tel'n schaffen würden."

Die Sorge verschwand nicht aus ihrem Blick, doch immerhin konnte sie lächeln. Dann atmete sie tief durch.

„Wir sollten uns ausruhen und hoffen, dass es hier auf der Insel etwas zu essen gibt. Wer weiß, vielleicht gibt es ja auch nette Bewohner."

Bei dem Gedanken verzog ich das Gesicht. Die Inseln vor der Küste Ensomniyas waren für ihre Piraten bekannt. Auf nette Bewohner zu hoffen war also in etwa so klug, wie einem wilden Tier ins Gewissen zu reden, statt wegzurennen. Oder einen Baum hochzuklettern, abhängig davon, welchem man gerade gegenüber stand.

Dennoch lehnte ich mich zurück, wie auch die Gräfin es tat. Lieber wäre es mir gewesen, wenn einer von uns Wache gehalten hätte, doch das konnte und wollte ich nicht von uns verlangen. Außerdem war das Wasser hier recht flach und der Wellengang weiter draußen besonders stark, also ungeeignet für ein großes Piratenschiff.

Trotz meiner Beruhigungen döste ich nur leicht und schreckte immer wieder auf, wenn ich ein Geräusch hörte. Doch meistens handelte es sich lediglich um einen Ast, der im Wind knackte oder ein Tier, das schnell wieder zwischen den Ästen verschwand, wenn es mich bemerkte.

Umso bemerkenswerter war es also, als mich erst ein heftiges Schütteln weckte. Müde blinzelte ich gegen die plötzliche Helligkeit an, die bewies, dass ich nicht lange geschlafen hatte. Dann wandte ich mich schwerfällig Cara zu, die eine Hand über die Augen hielt und aufgeregt auf den Strand deutete.

„Ist das Yan?"

Ich folgte ihrem Blick und tatsächlich: Am Strand, noch immer halb im Wasser, lag eine einsame Person. Doch wer das war, dass konnte ich nicht sagen. Nur, dass diese Person blond war.

„Ich weiß es nicht."

Ohne auf meine Antwort zu achten, erhob Cara sich, dann schüttelte sie die Stiefel von den Füßen, schlüpfte aus den Socken und marschierte los. Mit einem kleinen Kopfschütteln tat ich es ihr gleich, denn meine Stiefel waren noch immer durchnässt und von den Socken wollte ich gar nicht erst anfangen. Damit jetzt durch den Sand zu stapfen wäre wohl einem Eisenklotz am Bein gleichgekommen.

Mit großen Schritten folgte ich ihr durch den warmen Sand, der wider Erwarten mehr wärmte als brannte, direkt auf die Gestalt zu. Dabei bemerkte ich, dass meine Glieder noch immer schwer waren, die Energie jedoch langsam zurückzukehren schien. Dennoch dauerte es eine Weile, bis wir die Person erreichten, während die Sonne erbarmungslos auf uns hinab schien.

Yan, denn niemand sonst trug seine Haare in einem solchen Knoten, auch wenn der etwas aufgelöst war, lag nicht nur noch halb im Wasser, sondern auch mit dem Kopf nach unten. Zusammen mit Cara gelang es mir, den Fürsten zu drehen, der aufgrund der nassen Kleidung doppelt so schwer zu sein schien. Sein Gesicht war voller Sand, doch er schien regelmäßig genug zu atmen.

Besorgt sah strich Cara ihm eine Strähne aus dem Gesicht, die sich wohl gelöst hatte, dann hob sie den Blick.

„Wir sollten ihn weiter aus dem Wasser holen, sonst trocknet er nie. Ich will nicht, dass er sich etwas holt."

Ich nickte, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob wir dazu in der Lage sein würden, ihn zu bewegen. Unter normalen Umständen hätte es sicherlich funktioniert, doch momentan war ich schon froh, dass meine Beine mein eigenes Gewicht trugen.

Entsprechend war es nicht sehr verwunderlich, dass wir Yan mehrfach loslassen mussten, oder selbst hinfielen. Als wir ihn schließlich bis zu unserer Wurzel gezogen hatten, neigte die Sonne sich bereits dem Horizont entgegen und tauchte das Meer in ein dunkles Orange. Ächzend ließ ich mich auf den kühlen Waldboden sinken, dann krempelte ich die Ärmel meines Hemdes in die Höhe, denn mir war warm, obwohl es langsam abkühlte.

Cara neben mir band sich die Haare hoch, woher auch immer sie das Band dafür herzauberte, dann kroch sie wieder auf Yan zu. Mit besorgtem Blick sah sie hinab auf das mit Sand bedeckte Gesicht, dann wischte sie etwas davon mit ihrem Ärmel fort.

„Wir sollten wahrscheinlich seine Schuhe und den Mantel entfernen, damit er es nicht ganz so nass hat", murmelte sie leise, noch immer auf ihn hinabsehend.

Ich erhob mich ein weiteres Mal und streckte meine Arme, in der Hoffnung, etwas Gefühl darin zu wecken.

„Mach das. Ich suche uns etwas trockenes Holz, falls es zu kalt wird. Das bezweifle ich zwar, aber ich will dennoch vorbereitet sein."

Abwesend nickte sie, dann verschwand ich schnell im Wald. Dieser Moment sollte Cara und, falls er aufwachen sollte, Yan gehören. Er war zwar wütend auf sie, aber dennoch war ich mir sicher, dass die beiden einander nicht so sehr hassten, wie sie es gerne behaupteten. Dafür hatten sie sich einfach zu schnell angefreundet und viel zu emotional reagiert.

Entgegen meiner Befürchtungen fand ich recht schnell trockenes Holz, auch wenn ich mir Zeit beim Rückweg ließ. Ich genoss für ein paar Minuten die Einsamkeit, die der Wald mir bot, und die Abwechslung zu dem ewigen Meer und dem Strand, dessen Reflektion mir in den Augen brannte.

Die Bäume hier standen weitaus weniger dicht als im Holzfäller und immer wieder erreichten große Flecken an Sonnenlicht den Waldboden, sodass allerlei Pflanzen blühten. Hier schien selten jemand hinzukommen, denn neben den Spuren von Tieren  fand ich keine Fußabdrücke oder verräterische Rodungen. Wenn es auf dieser Insel Piraten gab, dann waren an einem Abschnitt gelandet, den sie nicht oft nutzten. Den Göttern sei dank.

Als ich schließlich zurückkehrte, saß Cara wieder auf dem Baumstamm und sah auf das Meer hinaus. Yan lag ein paar Schritte entfernt, seine Stiefel ordentlich neben ihm, der Kopf durch einen umgekippten Baumstamm erhöht. Leise, um Cara nicht zu stören, legte ich den Holzstapel ab, dann setzte auch ich mich.

„Ist er aufgewacht?"

Stumm schüttelte die junge Gräfin den Kopf, dann zog sie die Beine an. Zum ersten Mal seit ich sie kennengelernt hatte, wirkte sie verloren. Und schmerzlich jung, wie eine Frau, die ihren platz in der Welt nicht kannte. In diesem Augenblick erinnerte sie mich an das eine Mädchen, das ich geliebt hatte.

Tiefe Traurigkeit überkam mich und ich wandte mich ab. Ich wollte nicht an etwas denken, dass ich nicht mehr ändern konnte. Es lag in der Vergangenheit und ich hatte meine Entscheidung nie bereut, auch wenn es noch immer schmerzte, an all die Möglichkeiten zu denken. Vielleicht hätte ich den Laden ihres Vaters übernommen, irgendwann, wenn er sich zur Ruhe gesetzt hätte. Oder wir hätten ein Gasthaus eröffnen können, wie sie es sich gewünscht hatte.

„Wir sollten die anderen morgen suchen gehen."

Ich runzelte die Stirn und sah zu Cara, die entschlossen nickte, beinah, als würde sie sich selbst ermutigen wollen. Ein kleines Schmunzeln legte sich auf meine Lippen. Da war sie wieder, die Frau, die alles bezwingen konnte. Das gefiel mir schon besser. Dennoch machte ich mir auch Sorgen. Was würde sie tun, wenn wir die anderen nicht fanden? Was, wenn sie woanders gestrandet waren oder noch immer da draußen auf offener See waren? Hier in der Gegend gab es viele kleine Inseln, es würde mich nicht wundern, wenn sie dort ebenso nach uns suchten.

Doch ich sagte nichts, denn würde ich dies machen, dann war es real. So konnten wir uns beide an die Illusion klammern, dass sie nicht weit weg auf uns warteten, vermutlich gesund und munter und mit einem Plan.

„Natürlich nur, wenn Yan bis dato aufgewacht ist. Ich schleppe ihn sicherlich nicht über die gesamte Insel und allein zurücklassen können wir ihn auch nicht."

Bei dem Gedanken, einen bewusstlosen Yan durch die Gegend zu tragen, musste ich das Gesicht verziehen. Nein danke, darauf konnte ich verzichten.

„Klingt gut."

Mit einem Lächeln, das dieses Mal weitaus hoffnungsvoller aussah, blickte sie zu mir. Die Stille, die sich dann über uns legte, war überraschend angenehm, während die letzten Strahlen der untergehenden Sonne den Sand vor uns langsam immer dunkler färbten, bis aus dem orange ein tiefes Rot geworden war.

Erst ein leises Knurren durchdrang die Stille. Ich fuhr auf und sah mich um, auf der Suche nach dem Tier. Doch Caras leises Lachen entspannte mich.

„Das war mein Magen."

Erleichtert ließ ich mich wieder auf die Wurzel fallen, nur um dann ebenso zu lachen. Doch bald wurde ich wieder ernst, denn jetzt wo sie es bemerkte, erkannte auch ich das Ziehen in meinem Magen als Hunger an. Kein Wunder, wir hatten seit einem Tag nichts mehr gegessen. Warum wir nicht schon viel früher darauf aufmerksam geworden waren, war mir ein Rätsel, denn Schwimmen kostete unglaublich viel Kraft. Also stand ich wieder auf und sah prüfend in den Wald hinein.

„Warte hier, ich besorge uns etwas zu essen."

Damit stapfte ich los, dieses Mal aber den Strand entlang. Zu meiner Erleichterung hatte meine Erinnerung mich nicht betrogen und ich fand einen Baum mit Kokosnüssen. Ich griff nach einem flachen Stein, dann machte ich mich daran, ihn hinauf zu werfen, denn dort hinaufzuklettern kam für mich nicht in Frage. Weder war ich so leicht wie Yan, noch konnte ich so gut klettern wie Drysden. Am Ende würde ich mir nur den Hals brechen.

Es dauerte eine Weile, doch schließlich hielt ich drei Stück in Händen. Dann wandte ich mich einem anderen Baum zu, der recht reife Feigen trug. Es dauerte nicht lange, bis ich einige davon geerntet hatte, die essbar waren, dann trat ich den kurzen Rückweg an. Ich ließ meine Beute auf eine trockene Stelle fallen, dann ließ ich mich wieder neben Cara sinken, die die Zeit genutzt hatte, um einen unserer trockenen Mäntel über Yan auszubreiten, da es doch langsam kälter wurde.

Ein zweiter Mantel lag über ihren Schultern, doch sie hob ihn an und nach ein paar Momenten hatten wir uns so arrangiert, dass wir beide ohne große Probleme darunter passten. Dann machten wir uns über das Essen her. Das Wasser der Kokosnuss war erfrischend in meiner von dem Sand ganz kratzigen Kehle und die Feigen schmeckten besser denn je. Doch viel konnte ich nicht essen, denn schon bald rebellierte mein Magen.

Cara schien es genauso zu gehen, denn sie aß auch nicht viel, bevor sie sich zurücklehnte und zufrieden seufzte. Ich tat es ihr gleich und starrte ein weiteres Mal hinaus auf das Meer.

„Ich hätte nie gewusst, wonach ich suchen muss. Wahrscheinlich wäre ich direkt an den Büschen vorbeigelaufen."

Ein beißendes Lachen stieg in mir auf, bis ich mir die Tränen aus den Augen wischen musste und Cara sich an den Mantel klammerte, damit der nicht von ihrer Schulter gerissen wurde.

„Bäumen, sie wachsen an Bäumen", erklärte ich schließlich, noch immer lachend und ein wenig hustend.

Cara stieg ebenfalls ein, dann schüttelte sie den Kopf.

„Bei den Göttern, natürlich! Corn, mein Bruder, hat Feigenbäume in seinen Gärten stehen."

Wieder musste ich lachen, dicht gefolgt von einem Gähnen. Cara sah das als Zeichen, ihren Kopf schwer auf meine Schulter fallen zu lassen, sodass ihre Haare mein Gesicht kitzelten. Unglücklich versuchte ich sie abzuschütteln, doch die junge Gräfin war überraschend stark und drückte ihren Kopf nur noch schwerer hinab.

Schließlich gab ich auf und legte meinen Kopf auf ihrem ab. Dabei erst merkte ich, wie die Müdigkeit in meinen Knochen hing und mir blieb kaum Zeit, ihr leises „Gute Nacht" zu erwidern, da fielen meine Augen auch schon zu.

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Ein Tipp an alle, die Abitur machen wollen: Wählt nicht Geschichte oder Spanisch im Abi. Selbst Mathe ist da noch eine bessere Wahl, sogar im LK. Ich muss für diese zwei Fächer mehr lernen als für meine LKs. Warum nur habe ich nicht Geo im Abi gewählt?

Over and Out, 
DasLebenLesen

04/01/2021

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