-Kapitel 12-

**Celine's POV**

Wir alberten noch einige Zeit herum. Bis sein Gesichtsausdruck wieder einen ernsten Schein annahm. Ich wusste, dass er nicht einfach vergessen konnte, was da soeben passiert war.

Ich konnte es mir ja nicht einmal selbst erklären. Die Funktionen meines Körpers waren wie abgeschalten. Ich versuchte mit meinen Blicken ihn deutlich zu machen, dass ich genauso unschlüssig und verloren war wie er es auch zusein schien.

Doch die Sorge wollte einfach nicht aus seinen unschuldigen Augen verschwinden. Er atmete schwer aus und senkte seinen Kopf.

"Du kannst mir alles erzählen, weißt du. Ich werde wie ein Grab schweigen."

Dachte er etwa ich würde ihn anlügen? Auch wenn wir uns erst seit einer sehr kurzen Zeit kannten, hatte ich das Gefühl ich könnte ihm alles erzählen und ich glaubte jedes einzelne Wort, welches seinen Lippen entglitt.

Es gab jedoch nichts, was ich ihm in diesem Moment vermitteln könnte. Ich verspürte ein mulmiges Gefühl in meiner Brust und musste deshalb erst einmal tief einatmen. Das Schweigen setze sich immer weiter fort.

Nur die leisen Geräusche der Maschinen durchdrangen das gelbe Zimmer, sodass es beinahe einen schaurigen Eindruck erhielt.

"Warte. Du solltest doch in der Schule sein"

, brach ich die Stille und wandte mich meinem Gegenüber zu.

"Denkst du ich lass dich hier allein? Dein Vater ist nicht zu erreichen."

Das verwunderte mich nicht wirklich. Dad war nie zu erreichen. Würde ich im Sterbebett liegen, würde er es erst nach seiner äußerst wichtigen Geschäftsreise erfahren.

Er war nach Mutters verschwinden sowieso nie für mich da gewesen. Dass er sich überhaupt noch blicken ließ, grenzt an ein Wunder.

"Du solltest trotzdem nicht die Schule vernachlässigen. Gerade als neuer Schüler. Ich komm schon klar."

Und so meinte ich das auch. Er hatte schließlich nicht die Pflicht auf mich aufzupassen. Wenn man es genau nimmt, dann sind wir eigentlich nur Mitschüler, die sich eines Abends über den Weg gelaufen sind.

Mein Ziel, keine engere Verbindung zu Menschen aufzubauen, wollte ich bis auf weiteres fortsetzen. Auch wenn es sich nicht gerade als leicht herausstelle. Konnte er nicht wieder das Arschloch sein, dass ich kennengelernt hatte?

Die Person, welche mich nicht einmal angesehen hatte und nur an mir vorbei gelaufen ist. Fremde. Das wollte ich in diesem Moment. Die Einsicht tat weh, aber sie war wahrscheinlich der einzig richtige Weg.

"Die Paar Stunden werden schon nicht meine Schulleistung beeinträchtigen. Zuhause erwartet mich sowieso nur- ach niemand."

Er steckte seine Hände in seinen Pulli und setze ein kleines Lächeln auf, auf welches ich sofort auch lachen musste. Was macht dieser Typ nur mit mir?

"Du kannst wirklich sehr gut Klavier spielen"

, wisperte ich in den Raum. Die Melodie kam mir wieder in den Sinn und ich konnte mich an jeden einzelnen Ton erinnern. Als hätte ich eine Schallplatte im meinem Kopf, die immer wieder abgespielt wird.

"Danke, das einzige was ich in meinem Leben wahrscheinlich richtig gemacht habe"

, sagte er in einem spielerischen Ton, welcher jedoch bis zum Ende hin immer verzweifelter wurde.

"Das glaub ich nicht und auch wenn es so ist. Ich kenne niemanden der so ein Talent zum Klavierspielen hat. Das ist echt umglaublich. Ich konnte sogar mich in mein altes Apartment hineinträumen."

Er rückte seinen Stuhl etwas näher an die Krankenhausliege und nahm eine bequeme Position an.

„Jetzt musst du mir aber noch mehr Details erzählen."

Aufgeregt wie ein kleines Kind, welches die Geschichten seiner Mutter anhören wollte, starrte er mich an und wartete meine Antwort ab.

"Wie soll ich das erklären. Wenn ich Musik höre kommen aus irgendeinem Grund kleine Bruchstücke aus der Vergangenheit mir wieder in den Sinn...Dinge, an die ich mich nicht erinnern konnte. Das klassische Klavierspiel. Es erinnert mich an meine Mutter und mit Mutter verbinde ich meisten meinen Aufenthalt in Australien. Schon komisch, dass mir Australien vorkommt als wäre ich nie dort gewesen."

Meine sanfte Stimme verschmolz in einem leisen Flüstern. Das passierte oft wenn ich während des Redens nachdachte. Wahrscheinlich eine Angewohnheit, die ich mir über die Jahre angeeignet hatte.

„Wie man nur so ein wundervolles Land vergessen kann. Erzähl mir mehr."

Ich setzte mich auf sodass ich nun direkt vor ihm saß.

„Ich weiß nicht. Es ist als wenn meine Erinnerungen die Vergangenheit einholen und mir Szenen zeigen, welche passiert sind. Es ist jedoch so surreal. Ich erkenne die Orte meistens wieder und ich weiß wo ich mich befinde, ohne dass es mir tatsächlich bewusst ist. Du musst mich wirklich für verrückt halten."

Ich zog meine Knie an mich und umschlang sie. Das ich so etwas intimes und persönliches überhaupt mit ihm teilte, verwunderte mich sehr.

Ich sollte ihn wirklich nachhause schicken. Doch wollte ich das wirklich? Wollte ich alleine in diesem trostlosen Zimmer sein?

"Du bist nicht verrückt. Hast du schon mal versucht herauszufinden warum du diese Art Flashbacks bekommst?"

Verwundert hob ich meinen Kopf. Was meinte er mit 'herausfinden'? Wie sollte ich das denn anstellen?

"Ich..nein sollte ich das denn?"

, bekam ich nur heraus, weil ich unschlüssig war wie genau ich antworten sollte. Er musste mich definitiv für verrückt halten.

„Kann es sein, dass dein...Anfall vielleicht davon ausgelöst wurde? Ich bin kein Psychologe aber ich hatte echt Angst um dich vorhin. Es sah so aus als würdest du keine Luft mehr mehr bekommen."

Mir lief ein Schauer über den Rücken als ich die Intensität seiner Worte auffasste.

Was genau hatte er gesehen?

Was genau hatte diese Schmerzen in meiner Lunge verursacht?

Hatte er recht mit seiner Vermutung?

Aber wie konnten einfache, unbedeutende Erinnerungen nur der Auslöser solcher Schmerzen sein?

Je mehr ich nachdachte, desto kranker kam ich mir vor. Ich hatte eine gewisse Angst vor mir selbst. Wird es zu erneuten Schmerzeanfällen kommen?

Ohne dass ich es sofort realisierte, füllten sich meine schmalen Augen mit Wasser. Wieder eine Aktion, welche nicht Teil meiner eigenen Kontrolle war. Wie einige Stunden zuvor reichte Chan mir seine sanften, großen Hände und umgriff mit Leichtigkeit meine winzige Hand.

Ich musste zugeben, dass mir diese Geste wirklich half mich wieder zu beruhigen. Auf eine gewisse Weise, spendete sie mir Trost und ich fühlte mich geborgen auch wenn er nur meine Hände hielt. Noch immer schluchzend antworte ich ihn so weit wie es mir möglich war.

"I-ich weiß es nicht..I-ich weiß..gar nichts. Wieso kann ich mich nicht erinnern!"

, schrie ich mit all meiner Kraft aus der Kehle, sodass ich meine eigene Stimme kaum wieder erkannte. Die kurze Ruhe, die ich Chan zu verdanken hatte, löste sich und ich fing nur noch stärker an zu weinen.

Es war mir peinlich mich so vor einem Klassenkameraden zu offenbaren. Mir war jedoch in diesem Moment alles zu viel. Mir war mein Leben zu viel.

Kurz vor dem totalen Zusammenbruch, umschlang er meinen ganzen Körper. Er hielt mich fest und ich wusste, dass er mich auch nicht loslassen würde. Meine Tränen tränken seinen Pullover mit salzigen Wasser.

Er malte langsam mit seinem Finger kleine Kreise auf meinen Rücken. Mit der anderen Hand hielt er sachte meinen Kopf. Mein Zittern verschwand nach einiger Zeit, in der er mich auf dieser Weise hielt.

Ich schloss meine Augen und vergrub mein Gesicht in seiner Schulter. Wieso war er eigentlich so nett zu so einer nutzlosen Person, welcher er nicht einmal wirklich kannte. Würde er das hier für jedes Mädchen tun?

"Hey ist ja gut. Wir sorgen schon dafür, dass deine Erinnerungen wieder kommen"

, flüsterte er in mein Ohr und strich mir vorsichtig über den Rücken. Ich richtete mich auf, um ihn in seine braunen Augen zu schauen. Wieder hatte ich die Ehre sein lachendes Gesicht zu betrachten.

"Wir?"

, fragte ich ihn leise. Als Antwort bekam ich nur das Zucken seiner Mundwinkel nach oben. Letztendlich hatte ich ihn doch mit in mein kaputtes Leben hineingezogen. Ein Leben, welches ich alleine leben wollte.

**Sorah's POV**

*Vergangenheit (September 2013)*

Ich ließ wie so viele Male meine langen Finger über den alten Flügel gleiten. Ich setze zur einer meiner eigenen Stücke ein. Immer wieder der selbe Abschnitt, bis mir die genau Reihenfolge der Noten gefiel.

Ich verbrachte Stunden in diesem kleinen Musikzimmer. Vielleicht sogar auch Tage. Lauter loser Blätter meiner Fehlversuche, waren überall auf den Boden zerstreut, sodass man kaum noch den türkisgrünen Fliesenboden sehen konnte.

Jeder neue Versuch ließ mich nur noch mehr verzweifeln. Meine Finger schmerzten fürchterlich. Nachdem ich aber weiter auf den Schmerz bestanden haben, wurden meine Finger mit der Zeit Taub und trotzdem hatten sie die Funktion die Tasten richtig zu betätigen.

Dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu den grausamen Sachen, welche ich die letzen Monate zu spüren bekommen hatte. Schmerzen, welche mit nichts verglichen werden konnte.

Die gigantische Tür öffnete sich mit einem Knarren. Das Störgeräusch drang tief in mein Ohr, sodass sich sofort eine starke Migräne bildete. Wutverzerrt richtete ich mich zur Tür.

"RAUS HIER!"

, schrie ich das kleine Mädchen an, welches mich mit einem schockierten Gesichtsausdruck musterte. Kurz bevor sich die Tür wieder endgültig schloss, konnte ich eindeutig Tränen in den Augen meiner Tochter sehen.

Ohne weiter auf meine Gefühle einzugehen, wand ich mich dem Klavier wieder zu. Jedes der Töne spielte ich falsch und vertauschte die Noten.

Meine Sicht verschwamm, meine Finger zitterten unkontrolliert. Ich konnte dieses verdammte Stück einfach nicht beenden. Vielleicht will es auch einfach nicht beendet werden.

Mein Perfektionismus ließ mich nicht ruhen, weshalb ich es immer wieder versuchte und immer wieder scheiterte. Das letzte mal als ich etwas gegessen hatte, war mindestens zwei Tage her. Ich war hier in meinen eigenen vier Wänden. Abgeschottet von der Außenwelt.

Nur ein Ort für mich und diesen alten Flügen. Ich schloss meine Augen, da meine Sicht seit einigen Stunden auch den Geist aufgegeben hatte.

Ich hörte mich nicht mehr spielen. Ich hörte nicht die richtigen und auch nicht die falschen Noten. Ich wusste, dass ich auf den Tasten rumklämperte, jedoch gelang kein einziger Ton in meinen Gehörgang.

Ich wurde immer träger, bis ich letztendlich in das Land der Träume gezogen wurde.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top