12 | Gedanken
| Lorenzo
Es war nun also so weit.
Ich saß jetzt mit Lucy, die sich während der ganzen Fahrt unruhig und nervös gezeigt hatte, vor unserer Villa, im Auto.
Sie wackelte die ganz Zeit mit ihrem Bein, richtete ihre Blicke, die ganze Fahrt über, aus dem Fenster und redete auch nur, selten mal mit mir. Aber mehr als meine Hand auf ihren Oberschenkel zu legen und mit mehreren Sprüchen, Versuchen sie zu beruhigen, konnte ich nicht mehr machen.
So parkte ich mit Alessandro vor der Villa und Luciana schien mir immer noch in Gedanken zu sein. So machte ich als Erstes das Auto aus und schnallte mich ab, bevor ich mich dann auch schon ein wenig zu ihr drehte und mich schließlich zu ihr leicht rüber lehnte.
Ich strich ihr eine Strähne, die leicht vor ihrem Gesicht hing, hinter ihr Ohr und konnte es nicht lassen, sie eine Weile so zu betrachten. Ein schlechtes Gefühl machte sich blitzartig in meinem Magen breit.
Sie sah so aus, als hätte ich sie hier her entführt. So voller Sorgen, voller Bedenken und Angst vor dem, was jetzt auf sie die nächsten Tage, zukommt.
Und wer könnte es ihr schon verübeln? Ich war der Grund, weshalb sie umziehen musste. Meinetwegen, verlor sie von einem Tag auf den anderen ihren Job, ihre Wohnung, ihren Rückzugsort und ein Stück ihres selbstständigen Lebens.
Doch ich konnte nichts dafür, richtig? Oder doch?
Hätte ich mir mehr Gedanken, vorher machen müssen?
Hätte sie ihren ersten Kuss mit mir, nicht in einem öffentlichen Strand gehabt.
Sie war introvertiert.
Und wo schleppte ich sie hin?
Zu einem vollen Strand, am Samstagabend.
Sie hatte jedes Recht dazu, mich zu hassen. Wäre ich sie, würde ich wahrscheinlich das Gleiche empfinden.
Und jetzt schleppte ich sie auch noch zu meiner Familie, um ihr diese vorzustellen. Ich musste ihr Zeit lassen. Sonst würde sie sich noch früher oder später vor mir verschließen.
Mich hassen.
Mich nie wieder sehen wollen.
Mich nie wieder, mit ihrem süßen Lächeln anlächeln.
Ich meinte erst noch zu ihr, dass ich jeden umbringen würde, der sie auch nur ein Hauch von Unwohlsein fühlen lassen würde. Doch jetzt war ich der, der sie unwohl fühlen lassen hat?
So war auch ich jetzt also mittlerweile in Gedanken, mit meinem Blick, natürlich noch bei ihr. Aber ich hatte es, wie auch immer, hinbekommen wieder im Hier Und Jetzt, zu sein.
Doch die Schuldgefühle, die ich hatte, sollten so schnell dann doch nicht wieder weggehen.
Auch Alessandro und Filippo waren mittlerweile schon in der Villa. Sie wollten uns wohl nicht stören. Sie mussten gemerkt haben, dass wir noch Zeit brauchten und dass ich vor allem mit ihr, alles ganz langsam machen wollte. Richtig machen wollte. Ihr Zeit lassen will.
Doch nachdem ich mich dann kurz gesammelt habe, entschied ich mich dafür, sie aus ihren Gedanken zu holen. Immerhin wäre unsere Beziehung nun mal, niemals für immer privat geblieben.
„Bellissima, wir sind jetzt da", flüsterte ich ihr jetzt also nun entgegen. Ich wusste, dass sie mich verstanden haben musste.
Und ihre Körpersprache verriet mir mal wieder, das ich recht hatte. Denn langsam hebt sie ihren Kopf inzwischen also von der Fensterscheibe und realisierte dann auch schon mit ihren eigenen Augen, dass wir vor meinem zu Hause stehen.
„Heilige scheiße", murmelte sie also mit großen Augen und schaute sich die Villa, von außen genau an.
Als sie diese Worte dann auch schon ausgesprochen hatte, musste ich automatisch anfangen zu grinsen. Von einer Wohnung zu einer Villa. Klar war es für sie, also ein riesen Unterschied.
„Es sieht so schön aus“ sprach sie nun ihre Gedanken weiter aus, während meine Blicke weiterhin auf ihr lagen.
„Ja, ja, da hast du recht“ stimmte ich ihr zu, doch ich meinte etwas ganz anderes. Ich meinte sie.
Ich meinte ihre Falte, die zwischen ihren Augenbrauen entstand, wenn sie über etwas nachdachte.
Ich meinte ihre Freundlichkeit.
Ich meinte einfach alles, an ihr.
Ich schätze alles an ihr wert. Und auch jede einzelne Sekunde die, sie an meiner Seite verbrachte.
Sie sah sie mir endlich wieder in die Augen. Und eine Weile sah ich einfach nur in ihre Augen.
Wir sprachen nicht miteinander. Wir berührten uns nicht. Wir saßen einfach nur da und lauschten unserem Atem.
Ich schaute in ihre Augen, wie sie in meine. Wir beruhigten uns damit gegenseitig, ohne auch nur ein Wort miteinander reden zu müssen. Ich war gerade dabei, mich in ihren wunderschönen braunen Augen zu verlieren, als ich mich doch dazu entschlossen habe, die Stille zwischen uns zu brechen.
„Sag, nur ein Wort, wenn dir etwas zu viel sein sollte und wir gehen“, versicherte ich ihr. Mein Blick fest. Ernst.
Und sie nickte. Zwar zögerlich Aber sie nickte.
So stiegen wir dann auch schon beide aus dem Auto aus und liefen nebeneinander zu der Haustür.
„Bist du bereit?“, fragte ich sie ruhig, bevor ich die Klinke der Haustür herunter drücken würde.
„Ich lerne nur deine Eltern kennen, ich bin nicht deine Freundin und habe keine andere Möglichkeit, also ja.“ machte sie plötzlich deutlich, woraufhin ich ein Stechen in meinem Herzen verspürte.
Sie war nicht meine Freundin.
Sie war nicht meine Verlobte.
Sie war nicht meine Frau.
Sie war nicht meins.
„Da hast du wohl recht“ war das einzige, was ich irgendwie herauspressen konnte. Sie hatte ja auch recht mit dem, was sie sagte.
Vielleicht war es mein Karma, in dem sie mir sagte, dass sie nicht meins sei. Ich habe es sicherlich verdient, dass sie es mir so deutlich machte.
Doch der Abend an ihren Geburtstag. Unser Kuss. Ihr Anruf.
Alles das ließ mich daran festhalten, dass sie vielleicht gerade nur sauer und vielleicht auch verletzt ist, dass wir nun mal kein Paar sind und ich ihr schon so vieles angetan hatte. Denn wenn sie mich hassen würde, würde sie so vieles nicht mitgemacht haben.
So machte ich die Tür auf und ließ sie vorgehen. Natürlich war ich bei jedem Schritt hinter ihr. Auch wenn sie mich gerade hasste, sollte sie sich sicher fühlen.
„Mamma, papà, sono a casa e ho portato qualcuno che vorrei presentarvi“
(„Mama, Papa, ich bin zu Hause und habe jemanden mitgebracht, den ich euch vorstellen möchte“) rief ich jetzt inzwischen also in die Villa hinein und führte Luciana in unseren Besprechungsraum, der klassisch wie in diesen Mafia-Filmen aussah.
Wir hatten dort nämlich gemütliche schwarze Sessel an einer langen braunen Tischtafel. Ein paar Pflanzen standen im Raum und auch ein paar Bilder hingen an der Wand, doch an sich war der Raum relativ kühl.
So liefen wir also in diesen großen Raum hinein und ich sah im Augenwinkel, wie sie mit ihren Blicken das ganze Haus erkundete. Doch wir beide sahen zur selben Stelle, als wir in dem Raum standen. Alessandro und Filippo saßen nämlich schon gemeinsam am Tisch.
So setzten Lucy und ich uns den beiden gegenüber und gerade als wir darauf warteten, dass meine Eltern jeden Moment hier hereinkommen, fragte mich Alessandro mit seinen Blicken, ob alles okay ist, ich nickte. Er sollte sich keine Gedanken machen.
„Und … es wohnen also nur du, dein Bruder und deine Eltern hier in der Villa?“, fragte sie mich aus dem Nichts und somit war auch die unangenehme Stille in dem Raum verschwunden.
Es war gut, dass sie ein Gespräch mit mir anfing, oder?
Zumindest verspürte ich eine Erleichterung, als ich ihre Stimme in meine Ohren schallen hörte.
„Genau nur wir vier“ setzte ich sie in Kenntnis, sie nickte und schaute sich weiter in den Raum um. Unruhig. Nervös. Besorgt.
„Habt ihr eigentlich eine Reinigungskraft oder Koch oder so etwas?“, fragte sie nun also anscheinend interessiert weiter und auch diese Frage beantwortete ich ihr vernünftig. Ruhig. In einem neutralen Ton. Auch wenn in mir viel zu viele Fragen waren. Zu viel Chaos.
„Nein, wir teilen uns alle Hausarbeiten und finden sowas tatsächlich selbst für uns sonst ein wenig zu abgehoben und faul wenn wir, andere für solche Pflichten bezahlen würden. Wir sind nicht so altmodisch“ erklärte ich ihr jetzt also und sie nickte wieder.
Sie war so zurückhaltend. Doch ich war der Letzte, der in der Situation etwas dagegen machen könnte oder es ansprechen würde.
So war nun also die Stille wieder eingekehrt. Die vor uns waren am Handy und somit redete wirklich keiner. Lucy mied meine Blicke und ich schaute deshalb stur, einfach nur zur Tür.
So hatte ich mir das Vorstellen von einer Person, die mir wirklich wichtig ist, nicht vorgestellt.
Ich weiß wirklich nicht, wie lange wir hier zusammen saßen, ohne dass wer redete, doch als meine Eltern hereinkamen, wurde es ernst.
Ich legte meine Hand, ob sie wollte oder nicht, wieder auf ihren Oberschenkel, um ihr klarzumachen, dass ich für sie da bin und begrüßte dann auch schon meine Eltern und stellte Luciana im gleichen Atemzug, bereits vor.
„Es freut mich, sie kennenzulernen“ versuchte sie jetzt also so ruhig wie möglich zu sagen als meine Eltern vor dem Tisch standen.
„Schätzchen, du brauchst uns nicht zu siezen, du bist die Freundin meines Sohnes und damit Familie“ ertönte daraufhin die freundliche Stimme meiner Mutter. Sie war natürlich so elegant wie immer in einem schwarzen Kleid vor uns und hatte lockige Haare.
Mein Vater stand lediglich an seinem Handy. Er hatte ein weißes Hemd und eine schwarze Hose an. Er war damit so schlicht gekleidet wie immer. Aber war es ihm so egal, wer Luciana war?
So ließ mich das Gefühl nicht mehr los und ich musste ihn darauf ansprechen.
„Warum bist du am Handy?“, fragte ich ihn jetzt nun also ohne über die Auswirkungen nachzudenken. Immerhin war es nicht respektlos gemeint, aber dass er am Handy war, während ich ihn jemand vorstellte, das fand ich wiederum respektlos.
„Geschäfte“ sprach seine tiefe Stimme zu mir. Er war genauso ernst und fest mit seiner Stimme, wie ich. Und ich kannte das ja auch schon von ihm, seitdem ich klein war.
Außerdem, von irgendwem musste ich das ja auch haben. Doch das, was mich am meisten störte, war, dass er seine Gleichgültigkeit, gegenüber Luciana, so deutlich machte.
„Die Geschäfte kannst du einmal Zen Minuten später machen, denn ich will dir jemanden vor-“ sprach ich gerade mit derselben Lautstärke mit ihm, wie er mit mir. Und eigentlich hätte ich jetzt damit gerechnet, dass er mich unterbricht, um mir zu sagen, dass ich aufpassen soll, wie ich rede, doch auf seine Antwort war ich nicht gefasst.
„Das, was deine Mutter nämlich nicht verstanden hat, ist, dass sie eine Freundin ist, sie ist nicht deine Freundin oder die Freundin von jemand anderes, sie ist nicht Gebot Nummer eins. Sie ist nicht wichtig“ wendete er seinen Blick von seinem Telefon nun kurz zu mir und ich konnte nicht fassen, was er sagt. Doch gerade als er wieder auf sein Handy schaute, als ich dazu etwas sagen wollte, hörte ich Lucys Stimme leise fragen.
„Gebot eins?“
„Ja Gebot eins“ sprach ich ihre Frage, jetzt laut aus und erklärte daraufhin.
„Nur auf Empfehlung eines anderen Mitglieds kann man der Cosa Nostra beitreten. Und unser Treueschwur geht 'Ich schwöre der Cosa Nostra meine absolute Treue. Sollte ich sie verraten, soll ich verbrennen' doch in jeder guten Mafia, gibt es nun mal auch Gebote, die zu befolgen sind“ wiederholte ich den Treueschwur und nachdem ich mein Vater einmal Hass erfüllt angeschaut hatte, schaute ich wieder in ihre liebevollen, unschuldigen Augen.
„Die Zehn Gebote.
1. Der Mafioso ist seiner Ehefrau treu.
2. Er darf sich in keine Beziehungen mit Frauen anderer Mafiamitglieder einlassen.
3. Er betrinkt sich nicht und besucht keine Lokale oder Clubs.
4. Kontakte zu Polizisten sind strengstens verboten.
5. Der gute Mafioso muss in jedem Moment der Cosa Nostra zur Verfügung stehen, auch wenn die Ehefrau kurz vor der Entbindung steht.
6. Termine müssen strikt eingehalten werden.
7. Der gute Mafioso ist gegenüber den anderen Mitgliedern der Cosa Nostra stets zur Wahrheit verpflichtet.
8. Es ist streng verboten, sich Geld anderer Mafiosi oder anderer Clans anzueignen.
9. Wer einen Polizisten als Familienangehörigen hat, darf nicht in die Cosa Nostra aufgenommen werden.
10. Auch wer sich nicht an "moralische Werte" hält, kann der Organisation nicht beitreten.“ erklärte ich ihr jetzt nun also die Zehn Gebote, der jeder Mafioso in der Costa Nostra zu befolgen hatte.
Ich sah ihr zwar an, dass sie die Gebote verstanden hatte, doch die Aussage meines Vaters nicht. Es machte, für sie, noch nicht alles wirklich einen Sinn.
„Solange du nicht meine Frau bist, heißt das, dass du ihm egal bist“ faste ich jetzt inzwischen selber kalt zusammen und schaute, nachdem ich den Satz ausgesprochen hatte, ungläubig zu meinem Vater.
Doch das einzige was ich jetzt nicht wollte. Waren meine Gefühle zu zeigen. Ich konnte das vielleicht mittlerweile bei meiner Mutter, meinem Bruder und Lucy. Doch alle anderen, einschließlich mein Vater, würden diese Seite niemals von mir sehen.
Den so war die persönliche mafia Regel von meinem Vater.
Keine gefühle. Keine Schwäche. Nur Fakten.
Vielleicht war mein Vater doch altmodischer, als ich dachte. Und vielleicht wurde mir auch jetzt erst richtig bewusst, das seine Erziehung nicht die beste war, weil er jemanden mit reingezogen hatte, der mir wichtiger war als mein eigenes Leben.
Luciana.
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