𝐂𝐚𝐫𝐦𝐮𝐞𝐥 • what if...

CARLA

Was wäre, wenn ich Tag für Tag weitere sieben Stunden gewartet hätte?

Ich stehe wieder in Samuels Wohnzimmer. Die Tür zu seinem Schlafzimmer ist geschlossen, mein Koffer steht gepackt neben mir. Ich habe eine Nachricht aufgenommen, weil ich es nicht übers Herz bringe, Samuel diese Worte ins Gesicht zu sagen. Dann würde ich es niemals schaffen zu gehen. Aber ich sende es nicht. Ich zögere. Wieder.

,,Du Idiot. Warum kannst du mich nicht einfach gehen lassen?", werfe ich ihm fluchend vor, sehe von der Haustür zu seinem Zimmer und wieder zurück. Meine Beine setzen sich in Bewegung, doch ich kann nicht. Ich kann nicht gehen.

Ein Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken. Wer besucht Samuel so früh? Es ist kaum neun Uhr.

Ich öffne die Tür und sehe in das überraschte Gesicht Rebekas. Die Brünette steht in einem bunten Jogginganzug und einer markanten, neonpinken Sonnenbrille vor mir, die sie sich ins Haar geschoben hat. ,,Marquesita", begrüßt sie mich. ,,Ich dachte dein hübscher Hintern studiert in London."
Sie sieht an mir vorbei auf den Koffer, der abfahrtbereit im Gang steht. ,,Oh..."

Ich sage nichts, aber das ist nicht nötig. Rebe versteht es auch ohne meine Hilfe. ,,Du haust ab", stellt sie fest und scheint den Raum nach Samuel abzusuchen. ,,... heimlich."

Ich nehme meine Handtasche und den Koffer. ,,Es ist besser so. Ich werde nie in das Flugzeug steigen, wenn er es bemerkt."

Mit diesen Worten will ich mich an Rebe vorbeidrücken, was sie nicht zulässt. Ihre Hand stützt sich am Türrahmen und ihr Körper blockiert den Weg. ,,Vielleicht verstehe ich nie das warum, aber Samuel ist besessen von dir - und du von ihm, wenn du es nötig hast, heimlich zu verschwinden. Wovor hast du Angst? Liegt es an Polo?"

,,Kein Wort über Polo", warne ich und meine es ernst. Sein Tod wird mich für immer verfolgen.

Rebeka rollt mit den Augen, aber sie folgt meiner Anweisung und wechselt das Thema. ,,Mach es nur kaputt, wenn dir bewusst ist, WAS du zerstörst Carla. In zwei Wochen wird Samuel wieder anderen Mädchen im Club Beachtung schenken, in drei Monaten verliebt er sich wieder. In drei Jahren hat er eine neue Freundin und du wirst nichts weiter als ein Schatten seiner Vergangenheit sein. Wenn du heute gehst, wird es nicht mehr werden wie früher. Ist es das wert etwas zu zerstören, dass euch beiden aus unerklärlichen Gründen guttut."

Ich weiß, dass sie Recht hat. Gehe ich heute ist es für immer. Ein Zurück gibt es nicht.

•••

Ich bleibe.

Samuel beginnt ein neues Schuljahr auf der Las Encinas, ich treffe mich regelmäßig mit Valerio, um das Geschäft zu verwalten. Nebenher studiere ich in Madrid.

Sechs Monate nach seinem Tod ziehe ich in das Haus, das unsere Eltern Polo und mir schenkten. Ein paar Erinnerungen behalte ich, vieles schicke ich an Polos Mütter zurück. Anfangs fiel es mir schwer dort zu wohnen, aber mit der Zeit wird es leichter.

Omar lebt bei Samuel und obwohl obwohl dort viel Zeit verbringe, bin ich nicht die Art von Person, die abhängig von Samuels Wohnung sein will. Ich stehe lieber auf eigenen Beinen.

Nachdem ich alles für die Uni erledigt habe, entspanne ich mich im Pool, dessen Wasser in der Sonne glitzert. Entspannt lasse ich mich im Wasser treiben.

Die Klingel reißt mich aus meiner Entspannungsphase. Leicht genervt stehe ich auf und wickle ein Handtuch um mich. An der Tür wartet Samuel. Überrascht sehe ich ihn an. ,,Ich dachte du bist in der Schule."

Samuel sieht an mir herab. ,,Hier gefällt es mir besser", sagt er und streicht mit dem Finger sanft über meine Hüfte, die vom Handtuch bedeckt wurde. ,,Benjamin hat Sicherheitskameras installieren lassen. Er weiß sicher schon, dass ich schwänze."

,,Kameras?", frage ich verwundert. Die Las Encinas hat sich verändert. Spielerisch legte ich die Arme um ihn. ,,Das heißt ich schleiche mich nicht mehr heimlich in die Schule, um dich zu besuchen?"

,,Versuchs doch mit dem Hintereingang", schlug Samuel vor und lächelt schwach.

Gespielt entrüstet sehe ich ihn an. ,,Eine Marquesa nimmt nicht den Hintereingang."

Samuel verbindet unsere Lippen miteinander und beginnt, mich zu küssen. Es scheint ihm egal zu sein, dass ich immer noch tropfnass bin. Doch als er Anstalten machte, mein Handtuch wegzunehmen schüttele ich den Kopf und drücke ihn sanft, aber bestimmt von mir. ,,Die Überraschung gibt es erst am Pool", flüstere ich mit einem Augenzwinkern.

,,Am Pool oder im Pool?", will er wissen.

Ich zucke nur mit den Schultern und entferne mich von ihm. Ich vergewissere mich nicht ob er mir folgt, weiß aber am Klang der Schritte, dass er dicht hinter mir sein muss. Am Pool setze ich mich auf einen der Liegestühle und sehe ihn abwartend an. ,,Zuerst du", fordere ich ihn auf.

Samuel grinst und entledigt sich seiner Kleidung, abgesehen von seiner Boxershort. Die Klamotten legt er auf einen der Liegestühle und lässt sich ins angenehm kühle Wasser gleiten. Ich kann mich an seinem Anblick kaum sattsehen.

Unaufgefordert stehe ich auf und lasse das Handtuch fallen, um ihm meinen brandneuen, goldschwarzen Bikini zu präsentieren. Ich mache eine übertriebe Show daraus und stieg schmunzelnd neben ihm ins Wasser. ,,Ich habe dich vermisst", gestehe ich und lehne mich an ihn.

,,Wir haben uns erst gestern Abend gesehen", erinnert er mich, als ob ich das nicht selbst wüsste.

Ich lege einen Finger auf seine Lippen und streiche über seinen nackten Oberkörper. ,,Ich habe uns heute Abend einen Tisch reserviert. Das Restaurant habe ich als Kind geliebt", sage ich.

Wie erwartet zieht Samuel eine Augenbraue hoch. ,,Du weißt genau, dass ich dagegen bin ein Vermögen für Essen auszugeben."

,,Ich lade dich ein", unterbreche ich ihn. Ich weiß, dass er mein Luxusleben insgeheim mochte. Sonst würde er sich nicht ständig Freundinnen suchen, die Geld wie Sand am Meer besitzen. Marina, Rebeka, ich. Diese neue aus der Schule steht auf ihn, Ari, aber ich habe meinen Standpunkt bereits klar gemacht. Jetzt hasst sie mich.

,,Ich zahle..."

,,Du zahlst heute nichts", wiederhole ich und nenne den Anlass für meine gute Tat. ,,Heute vor sechs Monaten bist du an den Flughafen gekommen und hast mich dazu gebracht, nicht in das Flugzeug zu steigen. Mich vom größten Fehler meines Lebens abzuhalten ist mehr wert als jedes Essen, das du heute bestellen kannst."

,,Nehmen wir an ich akzeptiere, dass du für mich bezahlst -", beginnt er. ,,Darf ich heute noch mehr von dir verlangen?"

Er kommt wieder näher und legt seine Hände an meine Taille, um mich an sich zu ziehen. ,,Du kannst nichts von mir verlangen, weil ich nach wie vor die Kontrolle habe", drehe ich die Sache um und drücke Samuel an den Rand des Pools, um ihn zu küssen.




•••


Ich wachte aus meinem Tagtraum auf, als der Professor die Vorlesung schließt und die Studierenden um mich herum ihre Taschen packten. Ich schaltete mein Tablet aus, ließ es in die Tasche gleiten und stand auf, ohne die anderen zu beachten.

Bein Hinausgehen fragte ich mich, ob es wirklich so gekommen wäre, wenn ich nicht nach London geflogen wäre.

Ich suchte den Chat mit Samuel und hörte die letzte Sprachnachricht an, die er mir kurz nach meinem Verschwinden schickte: ,,Ich vermisse dich."

Ich vermisse dich auch.

Und am allermeisten machte ich mir Gedanken darüber, ob er noch leben würde, wäre ich noch bei ihm.

Vielleicht nicht, aber dann hätte ich mehr Zeit mit ihm gehabt.

Polo war im Wissen gestorben, dass ich ihn liebte.

Samuel starb ohne zu wissen, ob ich je zu ihm zurückgekehrt wäre.

Bei Polo gab es nichts ungeklärtes, was ich hinterher bereute.

Bei Samuel bereute ich alles.










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