> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟭𝟱
Wie bereits vermutete, habe ich mein wöchentliches Skypetreffen mit Fiona abgesagt. Ich sagte ihr, dass ich mich nicht gut fühle und mich ausruhen müsse. Wie meine beste Freundin nun einmal ist, hat sie mir sofort gute Besserung gewünscht undgedroht, wenn ich mich nicht sofort ins Bett lege, meine Mom anzurufen, damit sie dafür soft. Da ich sie nicht auch noch mit hineinziehen wollte, habe ich das sofort getan. Auch, wenn sie es nicht kontrollieren kann, fühle ich mich weniger schuldig, wenn ich auch wirklich das tue, was ich versprochen habe.
Es ist nicht so, als hätte ich meine beste Freundin angelogen, aber die ganze Wahrheit habe ich ihr auch nicht gedacht. Ich weiß ehrlich nicht, wann ich angefangen habe, nur Halbwahrheiten von mir zu geben
Blakes Worte liegen mir immer noch schwer im Magen. Dass er mich mit Mädchen vergleicht, die sich an den Geheimnissen und dem Leiden anderer ergötzen und diese dann zu ihrem Vorteil nutzen, setzt mir mehr zu als gedacht.
Ich spiele Keyboard, ordne meine Schulsachen, versuche ein Buch zu lesen und eine Serie auf Netflix zu gucken – nichts funktioniert. Keins dieser Dinge kann mich von Blakes Wortes ablenken. Außerdem hält er seit Tagen seine Vorhänge zugezogen, was mir ebenfalls einen Stich versetzt. Er schottet sich ab. Was für ein großes Geheimnis kann er haben, dass er mir deswegen aus dem Weg geht?
Selbst in der Nacht kriege ich kaum ein Auge zu und wälze mich nur hin und her. Als ich endlich einschlafe, ist es wahrscheinlich schon weit nach Mitternacht. Irgendwann werde ich wach und wundere mich, dass mein Wecker noch nicht geklingelt hat. Noch halb im Schlaf greife ich nach meinem Handy und erstarre. 6:57 Uhr. Verdammt! In 13 Minuten kommt mein Bus.
Sofort bin ich hellwach und schlage meine Bettdecke weg. Ich springe so schnell auf, dass ich fast das Gleichgewicht verliere und hinfalle. Ich reiße meine Klamotten vom Stuhl, auf den ich jeden Abend mein Outfit für den nächsten Tag lege und renne ins Badezimmer.
Da meine Eltern bereits auf dem Weg zu ihrer Arbeit sind, kann ich direkt ins Badezimmer. So schnell wie noch nie ziehe ich mich an, putze mir die Zähne, bürste mir die Haare und setze mir meine Kontaktlinsen ein. Letzteres fällt mir heute ziemlich schwer, weil ich so in Eile bin, dass mir meine rechte Kontaktlinse fast in den Abfluss fällt. Doch ich schaffe es noch, sie aufzufangen und ruhig einzusetzen. Auf jegliche Art von Makeup muss ich heute verzichten, sonst schaffe ich es nicht mehr pünktlich zum Bus und muss den ganzen Weg laufen oder mit dem Fahrrad fahren.
Ich laufe aus dem Badezimmer zurück in mein Zimmer und schnappe mir meine Jacke und meinen Rucksack und renne nach unten. Schnell schlüpfe ich in meine Turnschuhe und packe schnell noch etwas Geld für Essen ein, weil ich keine Zeit mehr habe, mir etwas zu machen. Ich fliege förmlich aus der Tür und falle fast über die letzte Treppenstufe, doch ich schaffe es, mich rechtzeitig am Geländer festzuhalten. Unversehrt auf dem Boden angekommen, rücke ich meinen Rucksack zurecht und renne in die Richtung meiner Haltestelle, als ein Bus an mir vorbeifährt. Bestürzt bleibe ich stehen und sehe meinem Schulbus hinterher. Scheiße! Scheiße! Scheiße!
Schnell hole ich mein Handy raus und gucke auf die Uhr. 7:11 Uhr. Verdammt! Diese eine Minute wird mir die erste Stunde kosten. Und das alles nur wegen Blake Parker! Nein, ich sollte nicht an ihn denken. Es ist sowieso zu spät- wenn ich mir jetzt mein Rad schnappe und so schnell ich kann in die Pedale trete, könnte ich-
„Avery?" Blakes Stimme holt mich aus meinen Gedanken. Ich erschrecke mich so sehr, dass ich mir fast das Handy aus der Hand fällt. Mit einem distanzierten Gesichtsausdruck betrachtet er mich. „War das gerade dein Bus?", fragt er und deutet mit einem Finger in die Richtung, in die mein Bus vor wenigen Sekunden gefahren ist. Na super. Jetzt hat Blake auch noch mitbekommen, wie ich wie eine Gestrandete vor seiner Einfahrt stehe und mein Ticket zur Schule verpasst habe. „Ja", antworte ich peinlich berührt.
Blakes Gesichtsausdruck nach zu urteilen, sieht er aus, als würde er über etwas nachdenken. Keine Ahnung, was ihm gerade durch den Kopf geht, aber dafür habe ich sowieso keine Zeit. Ich drehe mich um und will gerade in unsere Garage gehen, um mein Rad zu holen, als er erneut meinen Namen ruft. „Wenn du willst, kannst du mit mir fahren." Vorgestern konnte er es nur mit Mühe aushalten, im gleichen Raum mit mir zu sein und jetzt bietet er mir an, mit ihm im Auto mitzufahren. Dieser Sinneswandel macht mich skeptisch. Was ist passiert, dass er so nett zu mir ist?
Wahrscheinlich hat er nur Mitleid mit mir.
„Ich meine es ernst. Wir haben den gleichen Weg und mir macht es nichts aus. Ist ja schließlich keim Umweg oder so", fügt er schulterzuckend hinzu, doch ich kann ihm ansehen, dass ihm das eigentlich gar nicht passt. Nicht, dass ich befürchte, dass er mich unterwegs irgendwo aussetzt, aber ich fühle mich dabei trotzdem nicht gerade unwohl.
„Steig schon ein, Avery. Meine Mom wäre sauer auf mich, wenn ich die Tochter ihrer neuen besten Freundin stehen lassen würde."
Ah ja. Das ist also seine Motivation. Sowas zu hören ist zwar alles andere als schön, aber das verdränge ich. Seufzend setzte ich mich in Bewegung zur Beifahrerseite seines Autos. Entweder komme ich zu spät oder ich nehme das nette Angebot eines Nachbars an, der mit helfen kann. Natürlich entscheide ich mich da für die zweite Möglichkeit. Ich möchte nämlich nicht aus noch Nachsitzen müssen. Außerdem ist es nur eine Autofahrt und die kann ich ertragen.
„Geht doch", sagt er und steigt als erstes in das schwarze Cabrio ein. Ich folge ihm und muss meine Überraschung über sein Auto verstecken. Dieses Auto sieht ziemlich teuer aus. Sowohl von innen, mit seiner etwas abgenutzten schwarzen Ledergarnitur, als auch von außen. Sein Zweisitzer ist fast makellos, bis auf wenige Gebrauchsspüren, die darauf hinweisen, dass dieses Auto schon etwas älter ist.
Obwohl ich neugierig bin, stelle ich ihm keine Fragen zu seinem Wagen. Blake wirkt nämlich nicht so, als würde er Konversation mit mir betreiben wollen, also starre ich nur aus dem Fenster.
Im Auto herrscht eine angespannte Stimmung und die Fahrt zieht sich wie Kaugummi. Ich wünschte, wir würden endlich mal ankommen. Selbst die Busfahrt in diesem stickigen Bus dauert nicht annähernd so lang wie diese Autofahrt.
Blake scheint es ebenfalls zu still zu sein, denn er schaltet das Radio an. Mein Blick folgt seiner Bewegung und ich bemerke, dass sein Auto kein modernes Radio mit USB-Anschluss hat, sondern noch eins mit CD-Öffnung. Irgendwie überrascht mich das. Ich hatte ihn immer so eingeschätzt, dass er Wert auf neue Sachen legt, damit er mit den anderen mithalten kann. Diese oberflächlichen Gedanken werden mir augenblicklich peinlich und ich schäme mich dafür.
Blake drückt einige Knöpfe und schon strömt Musik aus den Lautsprechern. Sie ist nicht so laut, dass sie ein Gespräch übertönen könnte, aber auch nicht so leise, dass man den Text nicht versteht.
Ich schaue weiter der vorbeiziehenden Stadt zu und lausche der Musik. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor und ich versuche mich zu erinnern, bis es klick macht.
„Ist das All Time Low?", frage ich Blake und schaue ihn von der Seite an.
Sein Griff um das Lenkrad verstärkt sich und er wirkt viel angespannter, als er sowieso schon ist, seit wir in dieses Auto gestiegen sind. Keine Ahnung, warum er so reagiert, obwohl ich ihm nur eine ganz normale Frage gestellt habe. Ich weiß, dass er noch sauer auf mich ist, aber dass er gleich so reagiert, wenn ich ihn etwas frage, finde ich, ehrlich gesagt, übertrieben.
„Ja." Das ist alles, was er sagt. Sein Blick ist nach wie vor starr nach vorne gerichtet.
Eigentlich sollte ich sein Verhalten als Zeichen deuten, ihn in Ruhe zu lassen und nicht weiter zu fragen, aber ich kann es nicht lassen. „Ist das deine Lieblingsband?"
An einer roten Ampel hält Blake an. Das Heben und Senken seiner Brust ist deutlich zu erkennen. Es ist, als müsste er sich gerade zusammenreißen. „Woher kennst du sie?", fragt er und blickt zur zu mir, bevor er wieder losfährt, da die Ampel wieder auf grün gesprungen ist. In seinem flüchtigen Blick habe ich zum ersten Mal keine Anspannung gesehen, sondern aufrichtiges Interesse, was ich mehr verwundert als seine Frage.
„Ich kenne die schon etwas länger. Keine Ahnung, ich bin vor ein paar Jahren über ihre Songs gestolpert und fand sie gut", antworte ich ehrlicherweise. Klar, wahrscheinlich würde man denken, ich würde One Direction, Shawn Mendes und ähnliches hören, aber das stimmt nicht. Okay, ich mag die Musik von 1D, aber mal ehrlich, wer nicht? Sowas wie All Time Low, The Fray und Simple Plan ist da schon eher die Musik, die ich bevorzuge.
Blake wirft mir einen kurzen erstaunten Blick zu. „Und du?", gebe ich die Frage zurück.
„Das war die Lieblingsband meines Dads", antwortet er nach einem kurzen Moment der Stille in einem Tonfall, der mir deutlich macht, dass er nicht länger darüber reden möchte. Und damit ist unser Gespräch auch schon beendet.
Zum Glück sind es bis zur Schule nur noch wenige Straßen und dann bin ich endlich wieder aus diesem Auto raus. Blake parkt in einer freien Parklücke und zieht den Schlüssel raus.
„Danke nochmal fürs mitnehmen", sage ich, bevor ich die Tür aufstoße und aussteige.
„Kein Ding", gibt er zurück und steigt ebenfalls aus.
„Na dann... wir sehen uns", verabschiede ich mich endgültig von ihm und gehe auf den Eingang der Schule zu, wo Brianna bereits steht.
Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht mich an, als wäre ich ein Geist.
„Hey", begrüße ich sie mit einem Lächeln. Jedoch scheint sie mich gar nicht richtig wahrzunehmen.
„Du saßt im Auto von Blake Paker", sagte sie, als hätte ich ihr gerade das unglaublichste Gerücht überhaupt erzählt.
Ich kann ein Augenrollen nicht unterdrücken. „Meine Güte. Du musst seinen Namen nicht immer so aussprechen, als wäre er ein Star." Obwohl ich auch immer wieder tue. „Bri!" Mit einer Hand winke ich vor ihrem Gesicht herum und sie kommt wieder zu sich."
„Sorry, Avery, aber du verstehst nicht, was das bedeutet", sagt sie mit einem ernsten Gesichtsausdruck.
„Doch, das tue ich. Ich habe meinen Bus verpasst und Blake war so nett, mich mitzunehmen."
„Okay, aber das meine ich nicht. Eigentlich lässt er niemanden bei sich im Auto mitfahren. Selbst Conor saß nur ein paar Mal in diesem Wagen."
Jetzt wird's lächerlich. Es ist doch nur ein Auto und kein millionenschweres Juwel, das keinen Kratzer haben darf. Ich weiß nicht, warum Brianna manchmal so ein Drama machen muss.
„Hör zu, Ave. Ich will damit nichts sagen, aber..."
„Das sag nichts. Es war nur eine Ausnahme. Unsere Eltern sind gut befreundet und wir sind Nachbarn. Jetzt lass uns reingehen", unterbreche ich meine Freundin und gehe durch die Tür ins Schulgebäude.
Da wird man einmal von einem Mitschüler mitgenommen und schon wird dieses Thema wie Hollywoods neuster Tratsch behandelt. Anscheinend ist es egal, ans welcher Schule Blake ist, er ist immer die Nummer eins.
Obwohl ich die Reaktion von Brianna anfangs übertrieben fand, merke ich im Laufe des Schultages, wie mir meine Mitschüler verstohlene Blicke zuwerfen. Immer, wenn ich mich zu ihnen drehe, wenden sie sich schnell wieder ab und tun so, als wäre nichts. Bri meint, es sei wegen meines „Auftrittes" heute Morgen. Fast hätte ich gelacht, wenn Maeve und Mackenzie – Blakes persönlicher Fanclub – in der Pause nicht auf mich zugekommen wären und gefragt hätten, wie es dazu kam, dass ich mit Blake Parker in einem Auto saß.
„Ich habe meinen Bus verpasst und er, als mein Nachbar, war so nett, mich mitzunehmen", ist meine Antwort, die ich auch schon Brianna gegeben hatte. Die beiden werfen sich einen Blick zu und wenden sich wieder an mich. „Ach so. Na das ist aber nett von ihm", sagt Maeve daraufhin mit einem falschen Lächeln und die beiden gehen weiter.
Verwirrt schauen Bri und ich uns an, ehe wir uns wieder unserem Mittagessen widmen.
Das war wahrscheinlich der seltsamste Tag, den ich jemals hatte. Das nächte Mal, wenn ich den Bus verpassen sollte, fahre ich mit dem Fahrrad zur Schule. Auch, wenn Blake mir nochmal eine Mitfahrgelegenheit anbieten sollte. Lieber würde ich zu spät kommen und nicht beachtet werden, als aus Blakes Wagen zu steigen und den ganzen Tag ohne Grund angestarrt zu werden.
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