Chapter One
Kai
23.09.2020, England
Es war ein überwältigendes Gefühl. In meinem ersten Spiel in England, mein erstes Pokalspiel, schoss ich direkt drei Tore. Wir hatten mit sechs Toren vor Barnsley gewonnen und jetzt feierten wir ausgiebig in der Kabine. Mit Mason und Timo neben mir, meinen Arm um die Schultern des letzteren gelegt und einem Bier in meiner freien Hand, wippten wir zur Musik hin und her und sangen schiefe Töne mit. Mein Körper war noch immer voll auf Adrenalin, ich spürte keine Müdigkeit oder gar Erschöpfung in meinem Körper und könnte noch locker die halbe Nacht so weiter tanzen.
„Never mind, I'll find someone like you.", sagt Mason neben mir zu Someone like you mit. Wie wir von unverständlichen, englischen Rap plötzlich auf Artisten wie Adele, Katy Perry und Rihanna gekommen waren, wusste ich nicht und konnte es mir auch nicht erklären. Aber ich fand es nicht schlimm, sondern eher witzig, auch wenn dieses Lied Erinnerungen in mir Hochrief, die ich momentan wirklich nicht gebrauchen konnte.
Die Erinnerungen an Julian drängten sich bei diesem Lied in den Vordergrund und machten mir wieder klar, was für ein Arschloch ich war. Während ich wieder deutlich spüren konnte, wie mein Herz sich zusammenzog und ich eine unangenehme Gänsehaut bekam, als ich an seine blauen Augen denken musste. Ich konnte mir nicht mal ausmalen, wie sehr ich ihn höchstwahrscheinlich verletzte und fühlte mich wirklich wie das letzte Arschloch, und dies war ich wahrscheinlich auch.
Bei unserem emotionalen Abschied in Leverkusen hatte ich ihm versprochen, dass alles so bleiben würde wie es damals war. Das alles so werden würde, wie es noch in Deutschland war, aber mir war schon, als ich in England gelandet war, bewusst gewesen, dass alles anders werden würde.
Vielleicht lag es an den Gefühlen, die ich für meinen eigentlich besten Freund hegte. Vielleicht lag es daran, dass ich das Gefühl hatte, dass ich ihn mit jedem Kilometer der uns weiter trennte immer mehr verloren hatte. Und höchstwahrscheinlich lag es auch an dem immer weniger werdenden Kontakt zu ihm, welcher zu einhundert Prozent wegen mir langsam aber sicher immer weiter abbrach. Ich ignorierte seine Anrufe, antwortete, wenn überhaupt, nur kurzgebunden auf seine Nachrichten und ich wollte mir nichtmal ausmalen, wie sehr ich meinen blonden Engel in Deutschland damit verletzte. Noch viel zu gut konnte ich mich an seine glasigen, blauen Augen erinnern und an seine gebrochene Stimme erinnern, als es Zeit war Abschied zu nehmen. Das Julian extra für mich aus Dortmund gekommen war, obwohl wir uns am Tag zuvor schon über Face Time verabschiedet hatten, und mich somit am Flughafen ziemlich überrascht hatte, machte mein schlechtes Gewissen nur noch schlimmer und bedrückender.
Ich hatte ihn immer mit der Ausrede vertröstet, dass ich keine Zeit hatte und das stimmte manchmal auch, aber oftmals hatte ich keine Lust meine Gefühle immer wieder zu verletzten. Auch wenn es egoistisch klang, so wollte ich hier nicht in Trauer versinken und da würde es mir nicht helfen, wenn ich die sanfte Stimme von Jule am Telefon hörte und mir wieder klar wurde, dass uns hunderte Kilometer trennten. Und das Julian auch darunter litt, war mir zwar bewusst aber es wäre besser für uns beide. Und vielleicht würden auch meine Gefühle mit der Zeit weniger werden.
„Es war klasse Kai!", rief Timo mir über die Lautstärke zu und verfestigte kurzzeitig seinen Arm um meinen Schultern. Mit einem breiten Grinsen schielte ich kurz zu meinem Landsmann hinüber und nickte wild. „Ja, ich hätte nicht gedacht, dass es so klasse läuft.", wanderte mein Blick noch kurz zu ihm, bevor meine Aufmerksamkeit wieder auf dem Spektakel vor mir lag. Ich beobachtete wie Reece und James im Zentrum der Kabine herumhüpften und sich lautstark lachend freuten.
Irgendwann, es müsste schon früher Morgen sein, ließ ich mich auf die Bank fallen und spürte nun doch ganz deutlich die Erschöpfung in meinen Knochen und die Müdigkeit in meinem Körper aufkommen. Es war stickig in der Kabine, roch nach Schweiß und Alkohol und ich wünschte mir so langsam mein warmes Bett her.
„Na komm, Kai. Ich fahr uns nach Hause.", stieß Timo mich von der Seite an und erhielt sofort meine Aufmerksamkeit. Genau in diesem Moment war ich froh, dass er mein Nachbar war. Aber wenn er manchmal früh morgens vor meiner Tür stand, mich nach Zutaten für Pancakes fragte, weil er unbedingt welche machen wollte, er aber keine bei sich hatte, dann hasste ich es. Es gab nichts schlimmeres, als das Timo einen wach klingelte.
„Danke.", keuchte ich, als ich zwanzig Minuten später neben ihm im Auto saß und mich an die Fensterscheibe lehnte. Es hatte lange gedauert, bis wir aus der Kabine raus waren, bis wir jeden Verabschiedet hatten und bis wir endlich am Parkplatz waren, dauerte es auch noch. Zum ersten Mal schaute ich heute auf mein Handy und wurde von unzähligen Nachrichten überrascht. Mein Handy hörte kaum auf zu vibrieren und ich schielte kurz entschuldigend zu Timo, welcher mich allerdings nur schmunzelnd ansah. „Entschuldige.", lachte ich leicht peinlich berührt, während ich meinen Eltern gerade auf ihre Nachrichten antwortete. „Ach kein Ding, hat Jule schon was geschrieben?", fragte er und traf genau auf einen wunden Punkt. Nickend musste ich schlucken und ging tatsächlich als Nächstes auf den Chat von mir und Julian.
„Du warst klasse heute. Ich bin stolz auf dich, Harvy."
Mein Herz erwärmte sich, als ich die Nachricht von meinem besten Freund laß. Zu wissen, dass Julian stolz auf mich war, war das schönste Gefühl überhaupt. Und auch, dass er fand, dass ich klasse gespielt hatte, machte mich unglaublich stolz und fröhlich. Jeder könnte mir sagen, dass ich klasse gespielt hatte, sogar Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi könnten höchstpersönlich von mir stehen, mir sagen, dass ich ein klasse spiel gemacht hatte, aber es würde mir nicht so viel bedeuten, wie es von Jule zu wissen.
Die Meinung den gebürtigen Bremers war mir schon damals in Leverkusen unglaublich wichtig gewesen und wenn ich wusste, dass Julian nicht zufrieden oder gar enttäuscht von mir war, dann war mein Tag sowas von im Eimer. Ich hätte stundenlang darüber gegrübelt, was ich nächstes Mal besser machen müsste, damit er wieder stolz auf mich war und ich ihn zufrieden stellen konnte.
Ich ließ meinen besten Freund auf gelesen, wusste nicht genau was ich ihm antworten sollte. Ein simples ‚danke Jule' hätte höchstwahrscheinlich gereicht, aber ich wollte mir jetzt nicht den Kopf über meine mögliche Antwort zerbrechen. Das würde ich nachher mit Sicherheit zu genügen tun und ich würde jetzt sowieso auf keine klare und durchdachte Antwort kommen.
„Und?", fragte Timo, grinste zu mir hinüber, während er das Auto um die Kurve fuhr. Tonlos seufzte ich kurz, wollte ihm nicht davon erzählen, dass der Kontakt mit Jule immer so selten war, dass man es nicht mal mehr wirklich Kontakt nennen konnte. „Er hat geschrieben, dass er stolz auf mich ist.", erklärte ich ihm und sah im Augenwinkel , wie Timo mit seinem blonden Schopf nickte.
Während der restlichen Autofahrt herrschte eine etwas unangenehme Stimmung und ich hatte wirklich keinen blassen Schimmer was ich sagen sollte. Deswegen war ich auch wirklich froh darüber, dass er das Auto vor seinem Haus hielt und mich ansah. „Wir haben unser Ziel erreicht. Vielen Dank, dass Sie sich für die Timo-Werner Airline entschieden haben.", verstellte mein Landsmann seine Stimme ganz leicht und brachte mich so zum Lachen. „Idiot.", lachte ich noch, als ich mit meiner Tasche aus dem Auto stieg. „Aber trotzdem Danke.", fügte ich noch hinzu, bevor ich meine Hand hob und ihm kurz zum Abschied winkte. Auf Timos Antwort wartete ich nicht, lief durch den kühlen Nachtwind schnell zu meinem Haus und holte leicht bibbernd den Schlüssel hervor.
Meine Gedanken kreisten unaufhaltsam über Jule und auch als ich unter Decken in meinen gemütlichen Doppelbett lag, war mein einziger Gedanke ein blonder Engel in Deutschland. Seine Nachricht beschäftigte mich noch immer und auch meine nicht geschriebene Antwort machte mich fertig. Ich wollte Jule nicht so behandeln, wollte ihn nicht ignorieren, schließlich konnte er nichts für meine unerwiderten Gefühle. Er konnte nichts dafür, dass ich Sachen für ihn empfand, die er einfach nicht erwidern konnte; das war verständlich. Aber ich konnte auch nicht verhindern, dass ich mich in ihn verliebte, immerhin war er einfach Perfekt. Er hatte einen wunderschönen Charakter, er hatte eine herausragende Art und ich verfluchte mich manchmal, weil mir schon damals hätte klar sein müssen, dass meine Gefühle unaufhaltsam kommen würden.
Wieder öffnete ich den Chat von mir und Jule. Wieder laß ich seine Nachricht, immer und immer wieder und spürte ein Kribbeln in meinem Körper hochkommen. Je öfter ich die Nachricht laß, desto intensiver wurde dieses Kribbeln. Ohne Groß darüber nachzudenken tippte ich meine Gedanken in mein Handy ein, schickte die Nachricht an Jule und ließ mein Handy auf den Nachttisch sinken. Mein Herz klopfte schnell und meine Finger zitterten leicht. Meine Augen schloss ich, wollte jetzt einfach nur noch schlafen und nicht mehr darüber nachdenken, dass ich mir mit dieser Nachricht selbst keinen Gefallen getan hatte. Und auch wenn meine Worte der Wahrheit entsprachen, so musste ich den Kontakt weiterhin vermeiden. Ansonsten würden mich meine Gefühle irgendwann womöglich komplett zerstören.
„Danke Jule, dass bedeutet mir viel. Ich vermisse dich."
[1525 Wörter]
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