weihnachtswünsche

Larissas Sicht

Wenn es schneit, ist plötzlich jeder wieder ein Kind. Eltern und Großeltern machen Schneeballschlachten und Schneeengel, bauen Schneemänner und gehen Rodeln. Jeder hat ein breites Lächeln im Gesicht; jeder lacht; jeder ist glücklich.

Das hatte ich schon immer am Schnee geliebt. Wenn hunderttausend winzige Sterne den Boden verdeckten, wurde die Welt in ein weißes Wunderland verwandelt. Ein Paradis, in dem Augen ihren Glanz wiederfanden und Lippen ihr Lächeln wiederbekamen.

Ich saß auf einer Bank, einpackt in einer dicken Winterjacke, und sah den kleinen Kindern zu, wie sie mit ihren Eltern oder Großeltern im Schnee spielten. Wie sie lachten. Wie sie glücklich waren.

Doch ich selbst fühlte mich einsam. Ich hatte dieses Jahr keinen mit dem ich diese wunderschöne Zeit des Jahres verbringen konnte. Keinen, mit dem ich einen Schneemann bauen oder gemeinsam einen Hang runterrodeln konnte.

Meine Eltern und zwei kleinen Schwestern waren am 21. Dezember auf eine warme Insel geflogen. Ich hatte mich entschieden hier zu bleiben, da ich bis zum 23. arbeiten musste. Beziehungsweise war ich die Einzige in der kleinen Firma, die keine Kinder hatte und deshalb auch die Einzige, die in den paar Tagen vor Weihnachten ins Büro gehen konnte.

Unmotiviert schleppte ich nach meiner kurzen Mittagspause meine Füße ins Büro. Ich musste noch irgendeinen Papierkram erledigen, auf den ich mich auf jeden Fall nicht freute. Immer wieder starrte ich sehnsüchtig aus dem Fenster, mit dem Wunsch, dass ich jemanden hätte, mit dem ich draußen im Schnee mein inneres Kind wiederentdecken konnte.

Ellas Sicht

Lachend warf ich einen Schneeball auf meinen Papa zu. Er traf ihn mitten im Gesicht, was mein Lachen nur erhellte. Papa flog gespielt nach hinten um und ließ seine Zunge raushängen, als wäre er tot. Meine kleine Schwester Emma rannte zu ihm. Ich sah die Angst in ihren jungen Augen – naja, so jung nicht, sie war vier, das ist nur zwei Jahre jünger als ich. Trotzdem wusste sie nicht, dass ein Schneeball niemanden umbringen konnte.

Jedenfalls hoffte ich das.

Sonst wäre es nämlich echt blöd. Ich hätte dann gar keine Eltern mehr.

Papa erschrak Emma, in dem er plötzlich aufsprang, und brachte uns beide zum Lachen. Auf einmal kamen beide von ihnen mit Schneebällen auf mich zu, und ich begann, vor ihnen wegzurennen.

„Du kannst nicht immer von uns davonlaufen, Ella!" rief Papa mir hinterher, doch ich stoppte nicht.

Es dauerte nicht lange, bis Emma mich einholte. Papa war noch weit hinten, anscheinend konnte er nicht schnell rennen.

Meine Schwester schoss mich ab, und ich ließ mich zu Boden fallen. Immer noch lachend machte ich einen Schneeengel. Papa und Emma gesellten sich zu mir und kurze Zeit später hatten wir drei unterschiedlich große Engel im Schnee geformt.

„Na gut, wir sollten uns auf den Weg nach Hause machen, immerhin haben wir noch viel zu tun", meinte Papa. Er hatte Recht. Wir mussten noch unsere Weihnachtswünsche ans Christkind schicken.

Ich fragte mich jedes Jahr erneut, wie es funktionierte, dass wir unsere Wünsche erst am 22. Dezember aufgaben, und das Christkind sie trotzdem alle zu Heiligabend lieferte. Beziehungsweise fast alle. Letztes Jahr war das einzige Jahr gewesen, dass etwas von meiner Wunschliste fehlte. Ich hatte mir eine neue Mama gewünscht, doch der Wunsch war nicht erfüllt worden.

Larissas Sicht

Am folgenden Tag genoss ich es ein weiteres Mal, den Kindern, Eltern und Großeltern im verschneiten Park zuzuschauen. Ich bewunderte, wie bloß ein Wetterereignis Menschen so glücklich machen konnte.

Auf einmal traf mich ein Schneeball von hinten. Erschrocken drehte ich mich um und sah ein kleines Mädchen mit einem niedlichen, aber etwas ängstlichen Lächeln. Ihr Vater – vermutete ich zumindest – kam auf mich zu und entschuldigte sich für seine Tochter.

„Kein Problem", sagte ich freundlich. „Ich bin schließlich die Person, die sich auf eine Bank inmitten einer Schneeballschlacht gesetzt hat."

„Auf jeden Fall ein gefährlicher Platz", lachte der Vater. Seine haselnussbraunen Augen glänzten dabei, und sein ganzes Gesicht erhellte.

„Das stimmt", gab ich ihm recht. „Ich heiße übrigens Larissa." Ich reichte ihm die Hand und er schüttelte sie.

„Schön dich kennenzulernen, ich bin Eric," stellte er sich vor. Ich musterte ihn und schätzte, dass er höchstens fünf Jahre älter war als ich. Er hatte dunkelblonde Haare, die er offensichtlich an seine zwei Töchter, die nun neben ihm standen, vererbt hatte.

„Und wer seid ihr denn für hübsche Mädels?", fragte ich sie.

„Ich bin Ella, und das ist Emma," antwortete die ältere von den beiden. Emma winkte mir schüchtern zu.

„Ella und Emma, das sind ja schöne Namen!", meinte ich und zauberte den beiden Mädchen ein Lächeln ins Gesicht.

„Larissa, magst du mit uns eine Schneeballschlacht machen?" fragte Ella.

„Ich bin mir sicher, dass Larissa andere Sachen zu-," begann Eric, doch ich schnitt ihm mitten im Satz ab.

„Ich würde liebend gerne mit euch spielen," teilte ich ihnen mit, worauf Ella und Emma begeistert „Mädchen gegen Jungs" riefen.

Eric begann sich zu beschweren, dass das nicht fair sei, aber wir Mädchen fingen bereits an, ihn mit Schneebällen abzuschießen. Er versteckte sich darauf hinter der Bank, auf der ich gerade noch mein Butterbrot mit Schinken und Käse aufgegessen hatte.

Immer wieder steckte er den Kopf hoch und warf zwei Schneebälle in unsere Richtung, ehe er sich wieder in Sicherheit brachte.

Nach einer Weile wurde es Ella und Emma zu langweilig, und sie rannten auf die andere Seite der Bank. Ich folgte ihnen. Wir bombardierten ihren Vater mit Schneebällen ab, bis er seine Hände ihn die Höhe hielt und „Ich ergebe mich" rief.

Ellas Sicht

Als ich lachend mit Larissa abklatschte, konnte ich nicht anders, als daran zu denken, dass sie perfekt für meinen Vater wäre. Beide von ihnen mochten es offensichtlich, Spaß zu haben, und sie waren in einem ähnlichen Alter.

Zu viert setzten wir uns auf die Bank, während Papa und Larissa ein Gespräch begannen. Sie sprachen über die Arbeit, so wie alle Erwachsenen. Die beiden schienen sich prächtig zu verstehen, und ich fragte mich, ob mein Weihnachtswunsch vielleicht dieses Jahr erfüllt werden würde.

„Seitdem Ella und Emmas Mutter gestorben ist, habe ich mich mehr um sie kümmern müssen, weshalb ich mich selbstständig gemacht habe," erklärte Papa, und ich versuchte nur den zweiten Teil des Satzes zu hören. „Ich arbeite von zu Hause, was zwar manchmal langweilig ist, aber das ermöglicht es mir, so viel Zeit wie möglich mit meinen kleinen Schätzen zu verbringen."

„Mein Beileid zu eurem Verlust," sagte Larissa und ich erkannte denselben Ton, den alle anderen Personen auch trugen, wenn sie unsere Geschichte hörten. Einerseits war da Mitleid, aber andererseits auch Unsicherheit, als ob sie nicht wüssten, was sie sagen sollten.

Ich wechselte sofort das Thema: „Papa, kann Larissa mit uns Weihnachten verbringen?"

„Larissa will es doch bestimmt mit ihrer eigenen Familie verbringen," meinte Papa.

„Ich möchte keine Umstände bereiten," fügte Larissa hinzu, und deutete somit an, dass sie keine Pläne hatte.

„Das heißt du verbringst es nicht mit deiner Familie?", vergewisserte ich mich.

„Nein, meine Eltern und meine Schwestern sind im Urlaub, aber ich musste bis heute arbeiten," gab sie zu.

„Dann kann Larissa ja doch zu uns kommen, oder Papa?"

„Von mir aus sehr gerne," entschied mein Vater, bevor er sich an Larissa wandte, „Aber natürlich nur, wenn du das möchtest. Schließlich sind wir praktisch Fremde."

„Bitte Larissa," sagte ich im Chor mit Emma.

„Es wäre mir eine Ehre."

Larissas Sicht

Am folgenden Tag klingelte ich an der Tür der Hausnummer 7 in der Eichenstraße. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und die zwei Mädchen begrüßten mich herzlich.

"Hallo ihr zwei," antwortete ich. "Frohe Weihnachten!"

"Frohe Weihnachten!", wiederholten die beiden, als sie mich in die Tür hineinbaten. Emma nahm mir meinen Mantel ab, was mein Herz erwärmte.

"Komm mit, wir sind im Wohnzimmer," meinte Ella, nahm meine Hand, und zog mich durch den Flur.

Wir betraten einen gemütlichen Raum mit einem Kachelofen, einem Sofa, einem Fernseher, und einem schönen Christbaum. Dahinter befand sich ein riesiges Bücherregal, das ich mir später unbedingt genauer ansehen musste.

"Frohe Weihnachten!" begrüßte ich Eric, welcher am Sofa saß, und er wiederholte meine Worte.

Ich bedankte mich für die Einladung.

Nachdem wir einigen Smalltalk ausgetauscht hatten, gingen wir in die Kindermette. Ich war schon lange in keiner Kindermette mehr gewesen, und musste zugeben, dass sie mir gefiel. Die Kinder konnten mit kleinen Rasseln spielen, was süß war. Zudem war die Mette nicht so lang.

Danach schlenderten wir zurück zu dem Haus der Familie. Es hatte begonnen zu schneien, und das Weihnachtsgefühl überkam mich.

Ella und Emma steckten ihre Zungen raus, um die fallenden Schneeflocken aufzufangen. Ich tat es ihnen gleich, und fühlte mich wieder wie ein Kind.

Sie lachten und ihr Vater stieg auch ein, was sie nur noch glücklicher machte.

"Schnee schmeckt gut!", stellte Emma fest, was mich und Eric zum Lachen brachte. Jeder hatte die Worte mindestens einmal als Kind gesagt.

Als wir in ihrem Zuhause ankamen, war uns allen eiskalt. Ich bot ihnen an, eine heiße Schokolade zu machen. Die Mädchen waren begeistert von der Idee, also machte ich mich an die Arbeit.

„Ella und Emma lieben dich," ertönte Erics Stimme von der Tür zur Küche. 

„Sie sind wirklich tolle Kinder. Du hast sie unglaublich gut erzogen."

„Danke." Eric blieb neben mir stehen und fragte, ob er irgendwie helfen konnte. Ich meinte, dass ich alles unter Kontrolle hatte.

Nach ein paar Momenten Stille, während ich die Milch im Topf umrührte, fing ich ein Gespräch an: „Was machst du denn gerne in deiner Freizeit?"

„Puh, ich hatte schon lange keine Freizeit mehr", lachte Eric. „Aber wenn Emma und Ella mal bei ihren Großeltern sind, spiele ich gerne mit Freunden Volleyball."

„Ich liebe Volleyball! Ich bin zwar nicht besonders gut darin, aber es macht Spaß."

„Vielleicht willst du ja mal mitspielen?", fragte er.

Ich meinte, dass das vermutlich nicht die beste Idee wäre, da ich wie erwähnt nicht besonders gut war.

„Das ist kein Problem, es geht um nichts außer Spaß", versicherte er mir.

„Na dann sehr gerne."

Ich drehte den Herd aus, und gab jeweils einen Löffel Kakao in vier Tassen.

„Und du? Was machst du so in deiner Freizeit?", wollte Eric wissen.

„Ich backe und lese gerne." Das waren vermutlich alle meine Hobbys, abgesehen vom Skifahren und kitschige Filme schauen. Letzteres zählte nicht wirklich als Hobby, und ich kam nicht besonders oft in die Berge.

„Was denn für Bücher?", fragte er, während ich die Milch in die Tassen leerte. Sein Ton wirkte so, als ob er sich wirklich dafür interessierte.

„Entweder historische Romane oder kitschige Liebesromane", sagte ich, komplett ehrlich. „Im Ernst, ich bin eines von den Mädchen, die Freudentränen heult, wenn die zwei Hauptcharaktere zusammenkommen."

Darauf lachte Eric. „Irgendwie kann ich mir das sogar vorstellen," neckte er mich, als ob wir uns schon jahrelang kannten. Ich gab ihm spielerisch mit dem Ellenbogen einen Stoß, bevor wir jeweils zwei Tassen aufhoben und ins Wohnzimmer trugen.

Ellas Sicht

Larissa und Papa stellten vier Tassen heiße Schokolade auf den Wohnzimmertisch. Sofort griffen Ella und ich aufgeregt zu.

Die zwei Erwachsenen begannen, sich über unser großes Bücherregal zu unterhalten. Larissa stand auf und nahm ein Buch davon heraus.

„Der Junge im gestreiften Pyjama," las sie den Titel laut vor. „Ich liebe dieses Buch. Es ist so traurig, aber so ..."

„Kraftvoll," beendete Papa ihren Satz.

„Genau," lächelte Larissa, ehe sie ein weiteres Buch in die Hand nahm. Papa und sie redeten über viele der Bücher im Regal. Sie tauschten sich über die Charaktere aus, über plötzliche Wendungen, die sie mitgerissen hatten, und viel mehr.

Nach einer Weile wurde mir und Emma langweilig, und wir fragten ungeduldig, ob wir die Geschenke nun endlich öffnen könnten.

„Gute Idee," entschied Papa. Zu viert setzten wir uns vor den Christbaum, und ich holte das Geschenk für Larissa hervor.

„Frohe Weihnachten!", wünschten Emma und ich ihr, als wir ihr das Geschenk überreichten. Larissa öffnete es, und ihr Gesicht erhellte sofort.

„Wir haben das Bild gestern gemalt", erklärte ich. „Gefällt es dir?"

„Es ist wunderschön, danke." Dann nahm sie die kleine schwarze Box in die Hand, und öffnete sie. Darin war ein Armband, welches wir gestern noch für sie ausgesucht hatten. Es war silbern und hatte eine Schneeflocke als Anhänger. „Das ist so schön, vielen Dank," bedankte Larissa sich und gab uns allen eine Umarmung.

„Ich habe natürlich auch was für euch," teilte sie uns mit, und nahm eine Geschenktasche von unter dem Christbaum hervor. Daraus holte sie drei wunderschön verpackte Geschenke, mit Glitzer und allem. Sie gab mir, Emma und Papa eins.

Gespannt, was drinnen sein könnte, riss ich das Geschenkpapier runter, obwohl es mir etwas leid war um die Arbeit, die Larissa ins Verpacken gesteckt hatte. Meine Augen erhellten, als ich genau das Stifteset sah, das leider keinen Platz auf meiner Wunschliste gehabt hatte.

„Danke, danke, danke!", jubelte ich und umarmte Larissa. „Das habe ich mir schon so lange gewünscht!"

„Freut mich, dass es dir gefällt", meinte sie mit einem warmen Lächeln.

Emma war ebenso begeistert, als sie ihr Bastelset sah. „Danke, Larissa," sagte sie mit einem Lächeln so breit, dass man denken würde, ihr Gesicht wäre zu klein für es.

Papa bekam ein Buch geschenkt, und er fragte, woher Larissa gewusst hatte, dass es auf seiner Leseliste gestanden war.

„Glück," zuckte sie mit den Schultern. Schon langsam wunderte ich mich, ob Larissa ein Engel war. Oder zumindest eins von den Helfern des Christkinds.

Nachdem wir alle Geschenke geöffnet hatten, und wir zu Abend gegessen hatten, spielten wir ein paar Runden Activity. Danach legte uns Papa ins Bett. Ich versuchte einzuschlafen, doch ich war viel zu aufgeregt dafür.

Zehn Minuten später ging ich wieder nach unten, doch stoppte kurz bevor ich das Wohnzimmer betrat.

Papa und Larissa lachten gerade gemeinsam über irgendetwas, worüber sie vor ein paar Sekunden geredet hatten. Sie schienen sich unglaublich gut zu verstehen, und ich hatte das Gefühl, dass mein Vater endlich jemanden gefunden hatte, und mein letzter Weihnachtswunsch erfüllt worden war.

Vielen Dank, dass ihr diese Kurzgeschichte gelesen habt. Ich habe sie für den Adventskalender von sternenwaerts geschrieben. Schaut unbedingt dort vorbei.

Ich hoffe, euch hat die Geschichte gefallen. Teilt mir gerne eure Meinung in den Kommentaren mit. Konstruktive Kritik ist natürlich wie immer gerne gesehen.

Ich hoffe, ihr habt eine wunderschöne Weihnachtszeit.

Hab euch lieb ❤️💋

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