[31] NESTORS NEUIGKEITEN
»DIESE HACKBÄLLCHENSOSSE WAR auch nicht besser als Ketchup«, beklagte Sophie das vergangene Mittagsmahl, als sie und ihre Schwester unter Ginkgobäumen und Magnolien spazierten. »Vor allem ohne Hackbällchen.«
»Die Compies mussten auch was essen.«
»Als ob sie nicht schon genug bei Dvořák geplündert hätten. Wie viel passt denn in ein so kleines Tier rein?«, widersprach Sophie und deutete kopfnickend auf die Compsognathus-Brüder. »Schau, sie jagen schon die nächsten Häppchen. Feinste Urzeit-Insekten. Alles besser, als diese Fertiggerichte.«
»Ach, so schlecht war das gar nicht und morgen ist Mama zuhause. Dann gibt es bestimmt was Frischgekochtes«, rechtfertigte sich Celine für ihre bescheidenen Kochkünste.
»Ich glaube nicht. Hast du vergessen, dass wir einen Ausflug machen wollen? Morgen soll schönes Wetter werden und da ist wieder einmal ein Besuch im Bürgerpark fällig.«
»Jetzt, wo du es erwähnst«, erinnerte sich Celine und kniff die Augen zusammen. »Eigentlich freue ich mich auf solche Spaziergänge, vor allem an schönen Herbsttagen, aber mit Hinz und Kunz im Schlepptau wird das mit Sicherheit sehr anstrengend.«
»Das hatte ich fast vergessen. Die haben wir ja diesmal an der Backe.«
»Wo sind wir hier eigentlich gelandet?«, wunderte sich Celine über die unbekannte Umgebung.
»Keine Ahnung. Warum zur Hölle landen wir jeden Abend an einer anderen Stelle, obwohl wir immer vom selben Ort aufbrechen?«
Sie waren inmitten eines dichten Waldes. Die schwülwarme Luft war erfüllt mir herumschwirrenden Insekten, die von Magnolienblüte zu Magnolienblüte schwebten. Auch am Boden war einiges los und durch die Luft hallten zahllose Rufe unterschiedlichster Art. In dieser Welt schien es so viel mehr Leben zu geben, als in der Menschenwelt.
»Hey, da seid ihr ja!«, drang eine Stimme in die Köpfe der Mädchen und die Farnwedel vor ihnen teilten sich.
Nahezu lautlos kam ein mehr als vier Meter langes grün-braun gemustertes Reptil aus dem Urwald.
»Al! Schön, dich wiederzusehen«, begrüßte Celine ihren Freund. »Wie stehen die Dinge?«
»Hermes wartet dort hinten auf euch«, der Allosaurier zeigte mit der Schnauze auf einen Hügel, der hinter den Bäumen zu erkennen und auf dem eine filigrane Silhouette zu sehen war. »Scotty wollte auch noch kommen.«
»Das ist schön!«, freute sich Sophie über diese Nachricht. »Ich habe ihn seit meinem ersten Tag hier nicht mehr gesehen.«
»Hat wahrscheinlich Nestarrest von seiner Mami gekriegt«, kicherte Al und ging den Mädchen voraus.
Als sie die Spitze des Hügels erreicht hatten, drehte sich Hermes zu ihnen um. Der schlanke Körper des Ornithocheirus simus war mit einer Art fluffigem, grau-schwarz gemusterten, federähnlichem Fell bedeckt, das im gleißenden Sonnenlicht glänzte. Der lange, mit zahlreichen spitzen Zähnen bewehrte Schnabel war gelblich-braun gefärbt, wobei der charakteristische Kamm am unteren Ende des Schnabels orange leuchtete. Die großen mit einer Flughaut bespannten Flügel hatte er an seinen Körper gefaltet und kam mit seinen unerwartet langen Beinen am Boden schneller und leichter voran, als es Pterosauriern in der Medienlandschaft zugestanden wurde. Besonders auffällig waren seine himmelblauen Augen, die weise und wach auf die Mädchen schauten.
»Konntet ihr etwas über das fehlende Opalstück herausfinden?«, fragte der Flugsaurier und gab dabei fauchende Laute von sich.
»Allerdings«, begann Celine zu sprechen. »Ein Mitarbeiter des Juweliers hat unsere Anhänger angefertigt und wir vermuten, dass er das übriggebliebene Stück für sich behalten hat.«
»Denkst du, dass er etwas über die Bedeutung des Steins herausgefunden haben könnte? Warum sonst sollte er ein Teil davon unterschlagen?«, fragte Sophie den Ornithocheirus.
»Ich weiß nicht, welche Möglichkeiten ihr Menschen habt, aber dieser Opal war Jahrmillionen unversehrt. Niemand von uns kann sagen, ob und wie der Wirbelknochen erkennbar ist.«
»Für jemanden, der sich mit Fossilien auskennt, ist es keine Kunst«, gestand Sophie.
Anschließend berichteten die Mädchen Hermes alles, was sie am vergangenen Tag herausgefunden hatten und von ihren Plänen, diesen Dvořák und vor allem Vincent Schubert unter Beobachtung halten zu wollen.
»Das wird auch nötig sein.« Der Ornithocheirus nickte mit dem Kopf und ließ den Blick über das seichte Tal unterhalb des Hügels schweifen. »Es tut mir leid, dass ihr diese zusätzliche Bürde tragen müsst. Ihr kämpft an zwei Fronten. Das haben wir nicht kommen sehen. Doch das Gleichgewicht zwischen unseren Welten ist ebenso wichtig, wie der Kampf gegen Discordia.«
»Dessen sind wir uns bewusst«, pflichtete Sophie dem Flugsaurier bei. »Auf dem Nachhauseweg haben wir gesehen, dass -«
»Hermes! Ein Glück, dass ich dich treffe!« Eine unbekannte Stimme unterbrach die Vierzehnjährige am Weitersprechen.
Ein hektisches Rascheln drang aus dem Koniferen-Wald unterhalb des Hügels. Kurze Zeit später tauchte ein sonderbarer Kopf draus hervor, der auf einem langen schlanken Hals saß. Das Tier hatte zwei große Kämme, die sich links und rechte über seinem Schädel zogen. Die Schnauze war sehr viel weniger massig als bei einem Allosaurus und ein Teil des Oberkiefers war hakenförmig nach vorne geknickt. Das gesamte Tier war um einiges größer als Al, doch sein Körperbau war leichter.
»Ich werd verrückt. Ein Dilophosaurus!«, freute sich Celine über den unerwarteten Besucher.
»Nestor. Angenehm«, stellte sich der Theropode vor und schaute die Mädchen neugierig von oben bis unten an. »Sind sie das?«, richtete er seine Frage an Hermes. Dieser nickte stumm.
»Was führt dich zu uns, Nestor?«, fragte der Flieger schließlich und kam ein Stück auf den mehr als sechs Meter langen Fleischfresser zu.
Dieser sträubte seine daunenartigen Federn. »Ich habe mit einem jungen Stegoceras gesprochen und kann nicht glauben, was er mir erzählt hat.«
»Ich kann mir denken, was jetzt kommt«, sprach Sophie zu sich selbst.
»Er meinte, dass er und seine beiden Brüder in ein grelles Licht gewogen wurden. Dann fanden sie sich an einem Ort wieder, an dem es seltsame hals- und schwanzlose Saurier gab, die sich mit lautem Brummen schnell auf ebenen grauen Pfaden bewegten. Sie haben riesige Augen, die dennoch nichts zu sehen scheinen und stinken grauenvoll. Er hat einen dieser Sonderlinge angegriffen, als er vor ihm anhielt. Doch er wehrte sich nicht. Stattdessen krachte ein Artgenosse von hinten genau in ihn hinein und es gab einen fürchterlichen Lärm. Er klang sehr glaubwürdig, ist völlig aufgelöst deswegen. War das eine von Discordias Teufeleien?«
»Nein, damit hat Discordia nicht zu tun«, murmelte Hermes kaum hörbar und warf den Mädchen einen vielsagenden Blick zu.
»Das wollte ich gerade erzählen«, setzte Sophie dort an, wo sie zuvor durch Nestor unterbrochen wurde. »Wir wurden Zeuginnen dieses Vorfalls. Die anderen Menschen haben aber nichts gesehen. Bitte sag uns, dass das nichts damit zu tun hat, dass der Opal geteilt wurde.«
»Ich fürchte doch«, grübelte Hermes. »Das Gleichgewicht ist noch nicht vollständig wiederhergestellt. Wie wir es befürchtet hatten.«
Hermes erklärte weiter, dass durch die Anwesenheit der Schwestern in beiden Welten verhindert würde, dass andere Menschen die Dinosaurier sehen könnten, so wie es früher bei vereinzelten Verschiebungen des Gleichgewichts der Fall gewesen war. Dennoch schien es durch die Zerteilung des Opals dazu gekommen zu sein, dass Dinosaurier zwischen beiden Welten hin und her wandeln konnten.
»Und das kann übel ausgehen, wie wir gesehen haben«, sagte Celine und biss sich auf die Unterlippe. »Auch wenn sie nicht gesehen werden können, so sind sie dennoch in der Lage Schaden anzurichten und Menschenleben zu gefährden. Ich hoffe, dass es nicht zu oft zu solchen Welten-Wanderungen kommt.«
»Die Hoffnung muss ich gleich wieder zerstören, fürchte ich«, mischte sich Nestor wieder in das Gespräch ein. »Das Thema macht bereits die Runde unter den Herbivoren. Die wittern eine Chance, ihre Gelege vor Discordia zu schützen.«
»Sie wollen in unserer Welt brüten?«, zählte Sophie eins und eins zusammen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das auf die Dauer gut geht.«
»Das ist auch mitnichten das, was wir uns als Lösung vorgestellt haben«, stimmte Hermes ihr zu. »Es gibt für uns nur zwei Möglichkeiten. Discordia schließt Frieden mit uns und gibt ihre Pläne, dieses Land für ihresgleichen zu erobern auf und lässt uns in Ruhe oder sie verlässt diese Gefilde auf nimmer Wiedersehen. Eine Flucht käme einer Kapitulation gleich.«
Celine nickte. »Dann haben wir wirklich eine ganze Menge Arbeit vor uns. Tagsüber suchen wir das Opalstück und halten Dvořák davon ab, etwas über die Dino-Welt herauszufinden und in der Nacht helfen wir euch im Kampf gegen Discordia.«
»So ist es«, bestätigte Hermes.
»Wir unterstützen euch selbstverständlich mit all unseren Kräften«, versprach Al und stupste Celine mit seiner Schnauze an, die daraufhin ein wenig verlegen wurde.
»Wir sind euch sehr dankbar dafür. Aber es gibt Dinge, mit denen müssen wir selbst fertig werden. Hinz und Kunz zum Beispiel. Die können wir nicht dauerhaft an uns binden, fürchte ich.«
»Das müsst ihr nicht«, rief Hermes und schmunzelte, soweit man dies bei einem Pterosaurier erkennen konnte. »Sie sind ein Gegenstück zu eurer Präsenz in unserer Welt. Es reicht, wenn sie in eurer Welt sind. Ihr müsst sie nicht rund um die Uhr bewachen.«
»Müssen wir nicht?!«, quiekte Sophie. »Und warum haben wir uns dann die letzten Tage mit denen abgemüht?«
»Verzeiht bitte, das muss ein Missverständnis gewesen sein«, gestand Hermes. »Poseidon hatte sicher nicht bedacht, dass ihr in eurem Alltag keine quirligen Dinosaurier hüten könnt. Lasst sie ruhig herumstromern und sich ihre Nahrung suchen.«
»Das ist die beste Nachricht des Tages.« Celine atmete erleichtert auf.
»Dann können wir die Hackbällchen beim nächsten Mal wieder selbst essen«, ergänzte Sophie mit einem schiefen Grinsen. »Aber was ist, wenn sie wieder bei jemandem eindringen und für Wuling sorgen?«
»Sie werden lernen, sich in eurer Welt zurechtzufinden und in der Natur das zu finden, was sie auch hier fressen.«
»Aber sie wissen jetzt, wo Dvořáks Vorräte sind. Sie sind schon einmal dorthin zurückgekehrt und haben alles durcheinandergebracht«, warf Sophie den nächsten Einwand in den Raum. »Ich habe Angst, dass sie dann jeden Tag dort Unsinn machen. Dvořák hat die Bissspuren gesehen. Wer weiß, wann er auf die Idee kommt, dass etwas Übernatürliches in Gange ist.«
»Ich werde ein Auge auf die beiden haben. Vielleicht auch zwei, so oft ich sie entbehren kann«, erklang die Stimme von Ace, dem Deinonychus hinter den Schwestern.
»Wie willst du das machen, wenn du hier bist?«, wunderte sich Sophie.
»Ich habe etwas herausgefunden, das unser Problem verschärft.«
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