𝟚𝟛. 𝔻𝕖𝕣 ℝ𝕒𝕦𝕞 𝕕𝕖𝕣 𝕊𝕔𝕙𝕝ü𝕤𝕤𝕖𝕝

Die Tage wurden immer kälter. Da ich in der Schule so oft fror, zog ich mir mittlerweile zwei Pullover an. Trotzdem zitterte ich manchmal vor Kälte und musste meine Jacke anziehen.

Am Donnerstag nach der Englisch-Klausur, über die wir uns in der Pause mit Klassenkameraden aufgeregt hatten, bat Levi mich um ein Treffen.

»Nach der Schule?«, fragte ich.

»Ja, direkt danach.«

»Und was ist mit Maike?«, fragte ich.

»Ich habe Toni schon gefragt. Er nimmt sie mit.«

»Und Jules?« Als ich ihren Namen aussprach, färbten sich Levis Wangen rot. Er und July mieden einander und hatten noch nicht über den Kuss geredet, obwohl ich beide dazu ermutigt hatte.

»Die hat doch Sportausfall. Sie muss früher den Bus nehmen.«

»Ach so.

Nach der Schule trafen wir uns bei den Mopeds. Ich fuhr Levi hinterher, der mich zu seinem Haus führte. Dort stiegen wir von unseren Mopeds ab. Levi antwortete auf eine Nachricht, dann öffnete er eine Tür und sprang die Stufen hinab. Ich folgte ihm, wobei ich auf das Geräusch der steinernen Stufen achtete.

Levi machte eine weitere Tür auf und ließ mich zuerst rein.

»Ich war noch nie in deinem Keller. Das sieht ja -«

Die Tür schlug hinter mir zu.

»Levi?«, fragte ich. Als er nicht antwortete, rief ich seinen Namen.

»Schrei doch nicht so«, sagte eine Stimme hinter mir, woraufhin ich kreischte.

»Du benimmst dich gerade so wie July, wenn sie eine Spinne gesehen hat.«

Ich drehte mich zu Toni.

»Erschrecke mich das nächste Mal bitte nicht so«, sagte ich.

»Du bist einfach schreckhaft wie July.«

»Sie erschreckt sich nur vor Spinnen.«

»Sie hat Angst vor Spinnen und kreischt dann herum.«

»Weißt du, wo es einen Lichtschalter gibt?«, fragte ich.

»Eleganter Themenwechsel. Wirklich bewundernswert«, meinte Toni sarkastisch. »Du willst vermeiden, über das Thema zu sprechen, weil du nicht zugeben willst, dass du auch Angst vor Spinnen hast.«

»Das stimmt nicht. Ich habe keine Angst vor Spinnen«, sagte ich und meinte es auch wirklich so. Ich schrie nur immer mit Jules mit.

Ungeduldig tastete ich nach dem Lichtschalter und traf auf etwas Warmes.

»Das ist mein Gesicht, dass du gerade betatschst, Lustig«, sagte Toni vollkommen ernst.

Als ich mich wie erstarrt nicht rührte, schubste er mich zurück und ich prallte gegen die Wand. Dabei berührte mein Rücken den Lichtschalter.

Ich stolperte sofort zur Tür und rüttelte am Griff, doch sie ließ sich nicht öffnen.

»Ach verdammt«, stieß ich aus.

»Was hast du erwartet? Das ist ein Escape-Room. Da ist die Tür unter normalen Umständen abgeschlossen.«

»Was? Escape-Room?« Ich wirbelte herum und nahm den Raum in Anschein. Er war schlicht eingerichtet. Gegenüber der Tür stand ein Schreibtisch, auf dem sich ein Computer befand. An den Wänden gab es ein paar Regale und in der Ecke lud ein Sitzsack ein, sich dort fallen zu lassen.

»Ja. Hier ist ein Zettel.«

Toni wedelte mit besagtem Zettel in der Luft umher.

»Was steht drauf?«, fragte ich.

»Ich bin gerade dabei, ihn zu lesen, du Lustig«, fuhr Toni mich an.

»Dann lies schneller«, entgegnete ich.

»Sagst gerade du. Im Unterricht liest du Texte doch immer so langsam.«

»Wir sind hier aber nicht im Unterricht«, sagte ich. »Also, was steht drauf?«

»Du bist die Ungeduld in Person. Lies selbst.«

Ich schnappte mir den Zettel und las mir das Geschriebene durch.

Den Schlüssel, den ihr sucht, werdet ihr später finden,

Wenn ihr einen anderen Schlüssel verwendet.

Gebt ein den Namen des Mädchens in dem Land mit den vielen Spindeln,

Und schreibt dahinter die Zahl des Mondes eures Geburtstages, bevor ihr sendet.

Schaut euch um und versucht, das Herz des falschen Hundes zu gewinnen.

Wenn ihr dies meistert, wird er euch einen anderen Schlüssel überlassen.

Nutzt ihn, sobald ihr seid drinnen

Und umarmt die Person, die ihr nicht anders könnt, als zu hassen.

So erlangt ihr den Schlüssel der Freiheit.

»Na toll. Rätsel. Ich liebe ja Rätsel so sehr«, sagte ich tonlos.

»Ist doch ganz einfach«, sagte Toni und riss mir den Zettel aus der Hand. »Gebt ein. Das ist wahrscheinlich ein Passwort für«, Toni drehte sich, schaute sich im Raum um und entdeckte dabei den Computer, auf den er anschließend zeigte, »den Computer. Den Namen des Mädchens in dem Land mit den vielen Spindeln. Was könnte das sein?«

»Ist doch klar«, warf ich ein. »Dornröschen und eine Sechs dahinter, weil -«

»Wir im Juni geboren sind. Ich weiß.«

Ich drängte mich an Toni vorbei und setzte mich auf einen alten Stuhl, den ich zuvor nicht bemerkt hatte. Das Polster hatte an einigen Stellen Löcher. Der Stuhl sah zwar nicht stabil aus, trotzdem ließ sich Toni auf der rechten Lehne nieder und winkelte ein Bein an, welches er mit den Händen festhielt. Seinen Kopf legte er auf seinem Knie ab.

Ich schaltete den Computer an und tippte das Passwort ein.

»Wir sind drin!«, rief ich, als der Computer startete und sich die Programme zeigten. »Und jetzt?«, fragte ich.

»Schaut euch um und versucht, das Herz des falschen Hundes zu gewinnen«, zitierte Toni.

»Welcher Hund?«, fragte ich und blickte mich um.

»Wir sollen einen falschen Hund suchen.« Toni suchte mit seinen Augen nun ebenfalls den Raum ab. »Und gefunden.«

Er visierte den Sitzsack an, hinter dem ein Ohr hervorschaute, also stand ich auf und holte das Kuscheltier.

»Hier.« Ich warf es Toni zu, der das Tier geschickt mit einer Hand fing.

»Und jetzt sollen wir versuchen, sein Herz zu gewinnen«, murmelte ich.

»Und wie?«, fragte Toni.

»Gib ihm einen Kuss«, schlug ich vor.

»Haha, wie witzig«, meinte Toni sarkastisch.

»Willst du hier raus oder nicht?«, fragte ich.

»Küss du ihn doch.«

»Du hast ihn gerade in der Hand, also kannst du ihn auch um den Finger wickeln. Los, mach.«

Toni brummte etwas, was ich nicht verstand und holte das Kuscheltier zu sich. Die beiden hielten ein paar Zentimeter Abstand, doch Toni versuchte nicht, diesen zu brechen.

»Na mach schon«, sagte ich.

»Ungeduldig wie immer.«

Toni senkte sehr, sehr langsam seinen Kopf, um mich zu provozieren. Indes holte ich mein Handy raus, um im richtigen Moment ein Foto zu schießen. Dann berührten seine Lippen erst die Schnauze, dann das Maul des Hundes.

»Und?«, fragte ich erwartungsvoll.

»Nichts. Was hast du erwartet?«

»Es muss doch irgendetwas passieren. So steht es doch im Rätsel. Er muss uns einen anderen Schlüssel hinterlassen.«

»Schau mal beim Sitzsack.«

Ich bückte mich und untersuchte alles in der Nähe des Sitzsacks, doch ich fand keinen Schlüssel und auch nichts, das ähnlich aussah.

»Öffne mal Google«, sagte ich. »Vielleicht müssen wir da etwas eingeben wie Herz oder so.«

Wir versuchten es einige Male, doch wir fanden nichts, das uns weiterhelfen könnte, aus diesem Raum zu gelangen.

»Nur sinnloses Zeugs. Wie kleide ich einen Teddybären? Wo werden in diesem einen Film die Diamanten versteckt? Kann ich Teddybären adoptieren?«, las ich vor. »Wir werden ewig hier festhängen.« Ich seufzte.

»Warte mal. Film und Diamanten? Was hat das mit Teddybären zu tun?«

»Teddybären und Diamanten!« Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirn. »Natürlich. Wir müssen ihn aufschlitzen, um an den zweiten Schlüssel zu kommen!«

»Was meinst du mit aufschlitzen?«, fragte Toni etwas ängstlich.

»Wir zerfetzen deinen Liebhaber. Wir zerreißen ihn, zerstören ihn, zerrupfen, zerfleddern, zerpflücken ihn. Gibt es hier ein Messer oder eine Schere?«, fragte ich.

»Das kannst du nicht tun! Das ist mein lieber kleiner Hundigundidundi.«

»Dein Hundigundidundi ist mir egal. Wir wollen doch beide hier raus, oder nicht?«

»Ich bin mir nicht mehr so sicher.« Toni warf einen bedauernden Blick auf Hundigundidundi.

»Gib her.«

Ich griff nach Hundigundidundi, doch Toni zog ihn rechtzeitig weg.

»Nein!«

»Du hängst ja echt an Hundigundidundi. Dein neuer bester Freund.«

»Er ist mein Ein und Alles!«, rief Toni theatralisch. Wir sahen uns an und brachen beide in Lachen aus.

»Ich zerrupfe den Hund aber nicht. Das kannst du machen.«

»Na dann gib her.« Ich wedelte mit meiner Hand. Eine Aufforderung an ihn, mir den Hund zu überreichen.

»Ach, ich weiß nicht.«

Toni behielt das Kuscheltier in seiner Hand, als ich es am Kopf umfasste. Mit einem Mal zogen wir beide daran, bis wir ein schreckliches Geräusch hörten. Ich blickte zu dem Kuscheltier. Ich hielt den Kopf, Toni den Körper in der Hand.

»Na ja, jetzt ist es schon passiert. Weniger Arbeit für mich.«

Ich griff mit meiner Hand durch das Loch in den Innenbereich des Hundes, welches mit Füllwatte gestopft war und ertastete etwas Glattes, was ich herauszog.

»Ein Stick«, stellte ich begeistert fest. »Den müssen wir ausprobieren.«

Ich steckte den USB-Stick sofort in den Computer. Ein Fenster öffnete sich.

Ich klickte auf das einzige Dokument, das auf dem Stick gespeichert war. Dieses offenbarte einen Link, den ich kopierte und in eine Suchmaschine einfügte.

Gespannt warteten wir, während der Computer lud, bis sich eine Seite öffnete.

»Ein Timer?«, fragte Toni verwirrt, während er die vier Zahlen auf dem Bildschirm anschaute. Der Timer war auf zwei Minuten eingestellt. »Wozu?«, fragte er.

»Kein Plan.« Ich griff zum Zettel, als würde dort die Lösung für alles draufstehen. »Wir sollen uns umarmen. Das ist die letzte Aufgabe.«

»Zwei Minuten lang. Ich verstehe.«

Wir standen auf. Toni machte den Timer an und wir traten einen Schritt aufeinander zu.

»Ähm.« Ich wollte etwas sagen, um die unangenehme Situation aufzulockern, doch mir fiel nichts ein, weshalb ich den Idioten kurzerhand in meine Arme schloss.

Ich atmete einen herrlichen Geruch ein. Toni roch ein wenig nach Schweiß gemischt mit einem frischen Duft. Diese Kombination mochte ich aus irgendeinem Grund.

Tonis warmer Körper schmiegte sich an meinen und wärmte mich. Die Kälte war durch meinen Pullover und durch meine Jacke gekrochen, ohne dass ich etwas gemerkt hatte. Unwillkürlich drückte ich mich an die Wärmequelle.

Tonis Haare kitzelten meine Wangen.

Ich sollte einfach an nichts denken. An gar nichts. Weder an Tonis kitzelnde Haare noch an seinen interessanten Geruch oder seinen wärmenden Körper oder an dieses eine Lied, das ich zurzeit sehr gerne hörte. Wenn ich nur wüsste, wie es hieß. Ich hatte es irgendwo aufgeschnappt und kannte nur die Melodie. Tonis Kopf bewegte sich leicht und seine Haare strichen über meine Wangen. Ich wollte nicht, dass dieser friedliche Moment jemals endete. Wir stritten nicht. Es war ganz ruhig und schön.

»Verdammt!« Ich bekam Toni einfach nicht aus meinem Kopf.

»Was ist los?«, brummte Toni.

»Nichts.« Du bist los, dachte ich.

Als Toni leicht über meinen Rücken strich, fuhr ein Schauder über meinen Rücken.

»Hast du den Timer auch angestellt?«, fragte ich mit brüchiger Stimme.

»Ist dir das etwa unangenehm?«, fragte er. »Ich kann noch näherkommen, wenn ich will.«

Toni rückte provozierend noch näher zu mir. Was der konnte, konnte ich doch erst recht.

»Pah«, murmelte ich und drängte mich enger an ihn.

Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht. Wir drückten so fest gegeneinander, dass ich befürchtete, dass wir in eine Richtung umkippen könnten.

Mein Atem beruhigte sich. Ich fühlte mich wohl. Alles war still und ich war zufrieden. Ich könnte noch länger so verharren.

Der Wecker erschreckte uns beide. Wir zuckten zusammen und sprangen auseinander. Dann starrten wir uns für ein paar Sekunden an.

Ich wandte meinen Blick zuerst ab, da ich es nicht länger aushielt, Toni in seine blaugrauen Augen zu schauen und erkannte, dass sich ein Fenster auf dem Computer geöffnet hatte.

»Der Schlüssel liegt in der ersten Schublade«, las ich laut vor.

»Wir hätten vielleicht zuerst das Zimmer durchsuchen sollen«, meinte Toni, zog die Schublade auf und nahm einen kleinen, schlichten Schlüssel in die Hand.

Er schloss die Tür auf und offenbarte so den Weg in die Freiheit. Dann schlüpfte er durch die Tür und ließ mich allein im Raum. Mir liefen Schauder den Rücken hinunter.

Ich stand ein paar Minuten reglos da.

»Mic?«, holte mich eine Stimme aus meinen Gedanken.

»Was ist denn, Juju?«

»Was ist mit dir, Michi? Du warst gerade komplett weg.«

»Nur in Gedanken«, murmelte ich, dann drängte ich mich an ihr vorbei und stieg die Treppe nach oben.

Vergiss es, Mic. Vergiss ihn.

»Warte mal, du hier?«, fragte ich und drehte mich noch im Laufen um.

»Natürlich, es war ja meine Idee. Na ja, Maike hat auch viel dazu beigetragen.«

»Maike wie meine Schwester Maike?«

»Ja, deine Schwester. Sie ist auch da.«

»Und was habt ihr hier gemacht?«, fragte ich und stolperte über eine Stufe.

»Euch zugeschaut. Es war sehr amüsant.«

»Na danke«, sagte ich grimmig.

July schenkte mir ein gespielt unschuldiges Lächeln.

»Wie läuft es eigentlich mit Levi? Habt ihr mal miteinander geredet?«, fragte ich.

»Wir -« July zögerte. »Ich glaube, wir tun beide so, als wäre nichts passiert.«

Ich seufzte. »Vielleicht verpasst ihr beide gerade eine Chance«, murmelte ich.

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