Kapitel 77

Wo sollte sie den Trank brauen?

Diese Frage beschäftigte Avessa den ganzen folgenden Tag, sodass sie zum ersten Mal kaum bei dem zuhörte, was die Professoren erzählten.

„Was ist denn los mit dir?", fragte Hermine sie nach der Stunde Verteidigung gegen die Dunklen Künste und Avessa konnte auch seitens Professor Lupins Irritation verspüren. Sie hob eine Schulter und packte ihre Sachen, sah sich dann prüfend um. Konnte sie ausgerechnet Hermine, den Ausbund an Regeln einhalten, von ihrem Vorhaben erzählen?

Da alle anderen bereits den Raum verlassen hatten, auch Professor Lupin, wie Avessa erleichtert feststellte, seufzte sie. „Ich möchte gern einen Trank brauen. Außerhalb von Zaubertränke und...ich weiß nicht, wo. Ich kann ja nicht einfach abends in die Labore und hoffen, dass mich über Stunden keiner entdeckt.

Hermines Augenbrauen schnellten in die Höhe. „Was? Du? Aber das ist nicht erlaubt!" Avessa verzog die Mundwinkel. Mist. Dann aber reckte sie ihr Kinn. „Es ist auch nicht explizit verboten", sagte sie hochmütig und mit einem leisen Fauchen in der Stimme. Ihre Freundin hob abwehrend die Hand und schulterte ihre wie immer viel zu volle Tasche.

„Ich war nur erstaunt, da ich dich nicht für eine Regelbrecherin gehalten habe. Fred und George färben anscheinend ab." Sie schmunzelte. „Versuch es mal in der Toilette der Maulenden Myrte. Da kommt nie jemand freiwillig rein. Und schon gar nicht Professor Snape..." Sie zwinkerte ihr zu und bevor Avessa noch etwas sagen konnte, waren die buschigen Haare schon aus der Tür verschwunden. Als sie kurze Zeit später folgte, war keine Spur mehr von Hermine zu sehen.

Wer, zum Grindeloh, war die Maulende Myrte?!

Das Mittagessen, welches nun anstand, ließ Avessa ausfallen, da sie die Zeit lieber nutzen wollte, einen geeigneten Raum zu finden. Gerade, wenn wirklich alle beschäftigt waren, war die Chance, entdeckt zu werden, besonders niedrig. So hastete sie in den Gryffindorturm und holte Buch und Zutaten, die sie vorsichtshalber nicht den ganzen Tag mit sich rumgeschleppt hatte.

Um den größtmöglichen Abstand zu Professor Snape einzuhalten, blieb sie vorerst im siebten Stock und suchte dort nach einem geeigneten Brauplatz. Doch schien es keinen Raum zu geben, der nicht entweder zu einsichtig oder zu auffällig wäre, nichts, wo man wirklich sicher sein konnte.

An einem großen Wandteppich blieb sie stehen und lugte dahinter. Oft schon war ihr aufgefallen, dass es hinter Vorhängen oder Teppichen Durchgänge gab, doch hier fand sie auch nach einigem Tasten nichts. Sie seufzte. Sie brauchte unbedingt einen Raum, in dem sie unentdeckt brauen konnte!

Entnervt tippelte sie von einem Bein auf das andere, unsicher, wohin sie sich nun wenden sollte, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Erschrocken wirbelte sie herum und ihre Augen weiteten sich überrascht, als sich auf der zuvor völlig kahlen Wand, eine Tür bildete.

Sie war aus robustem dunklen Holz mit mehreren eisernen Scharnieren und wirkte dadurch sehr wehrhaft. Avessa blickte sich verstohlen um und streckte dann mit klopfendem Herzen die Hand nach der Tür aus. Kaum hatte sie sie geöffnet, wehte ihr der Duft nach Feuer, verbrannten Harzen und Kräutern entgegen, den sie in den Laboren so sehr liebte.

Sie lächelte und schlüpfte in den Raum, sah sich aus strahlenden Augen um. Was auch immer das für ein Raum war – er war perfekt! Ein Kessel stand bereits über einem kleinen Feuer und wartete nur darauf, dass sie ihn füllte. Schnell schloss sie die Tür hinter sich und beschloss, genau das nun zu tun. Wer wusste schon, wie lange dieser Raum noch existierte. Denn sie war fest davon überzeugt, dass die Tür bis vor zwei Minuten noch nicht da gewesen war.

Sie legte das Buch auf einen dafür vorgesehenen Ständer und schlug die Seite des gewünschten Tranks auf. Ihre Augen fuhren erneut die Herstellung entlang und sie lächelte, bevor sie sich alle Hilfsmittel an den großen sauberen Steintisch zog, der den Kessel umgab.

Dann begann sie mit dem Zubereiten der Zutaten...

Nach zwei Stunden stiegen fein silbrige Dämpfe auf, wie im Buch beschrieben. Avessa ließ ihn noch etwas sieden und betrachtete ihn derweil, an ihrer Unterlippe nagend. Sie war gut, das wusste sie... Aber traute sie ihren eigenen Fähigkeiten so sehr, dass sie den Trank trinken würde? Ohne ihn testen zu lassen? Aber wo sollte sie ihn testen? Wer sollte ihn prüfen? Sie konnte kaum Professor Snape fragen, ob er ihn bewerten würde.

Ein nervöses Kichern entkam ihr bei dem Gedanken, wie sie ihn darum bitten würde. Aber Moment – warum sollte sie ihm den Trank geben? Wenn die fünfte Klasse gerade an sowas arbeitete...vielleicht...konnte sie den Trank Fred oder George oder auch Lee geben und die würden es dann anstelle ihres eigenen Trankes abgeben...

Sie füllte den Trank in verschiedene Phiolen, die der Raum hatte erscheinen lassen, als sie sich nach ihnen umgesehen hatte. Es waren fünf kleine Fläschchen. Fünf Mal angstfrei. Du wirst nie lernen, mit deiner Angst umzugehen, wenn du ihr auf diese Weise ausweichst. Zumal es sicher nicht gesund ist, den Trank regelmäßig zu nehmen.

Ihre Augenbraue zuckte. Sie hatte ja gar nicht vor, ihn regelmäßig zu nehmen. So ein Trank hielt sich einige Monate, wenn nicht Jahre! Schnell verstaute sie die Fläschchen in ihrer Tasche und erschrak, als sie das Buch zu Zauberkunst darin sah. Zauberkunst. Der Unterricht, den sie gerade verpasst hatte! Ihr wurde eiskalt. Sie hatte noch nie Unterricht verpasst! Wie sollte sie das Professor Flittwick erklären?

Dieser Raum hatte sie so sehr überrascht mit seiner schieren Existenz und der perfekten Umgebung...alles war schon wie für sie vorbereitet gewesen. Da hatte sie nicht anders gekonnt! Nun aber sollte sie sich beeilen. Ein Tempuszauber sagte ihr, dass sie es gerade so zu Pflege Magischer Geschöpfe schaffen konnte. Wenn sie nur schon beim Schlossportal wäre...

Eine Tür bildete sich an der Stirnseite des Raumes und Avessa ging neugierig auf sie zu. Mit einem kurzen Blick versicherte sie sich, nichts in dem Raum zurückgelassen zu haben, dann öffnete sie vorsichtig die Tür und trat hindurch, als sie niemanden spüren konnte.

Erstaunlicherweise war sie nicht im siebten Stock, sondern in der Eingangshalle, rechts vom Schlossportal. Ihr entkam ein kurzes Lachen und sie wandte sich verblüfft um, doch war hinter ihr nur die glatte Schlossmauer zu sehen. Kein Hinweis darauf, dass dort eben noch eine Tür gewesen war. Ein Grinsen legte sich auf ihre Lippen, bevor sie die letzten Stufen hinab und aus dem Schloss hastete, nicht noch einen Unterricht zu verpassen.


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