ᴋᴀᴘɪᴛᴇʟ 37 - ᴀᴜɢᴇ ᴜᴍ ᴀᴜɢᴇ
Zu spät hatten sie das große Ganze erkannt. Blind und unbedacht waren sie in die Falle gestolpert und nun trugen sie die Konsequenzen.
Jaxon saß auf dem umgefallenen Baumstamm und starrte auf den See. Der Mond spiegelte sich auf dessen Oberfläche wider und schien ihn zu verhöhnen.
Ruhig, sanft und gleichgültig lagen die Elemente vor ihm, während es in seinem Inneren tobte. Immer wieder ging er die Geschehnisse durch und fragte sich, wie ihnen diese Details entgehen konnten.
Als Nora auf die Tafel blickte, fiel ihr es wie Schuppen von den Augen. Die Gesichter ihrer Familie hingen vor ihr. Chronologisch nach dem Alter und in Kategorien geordnet.
Mafia. MC. Unwichtig.
Unter ihrem eigenen Bild und Jaxon prangten die Worte »zu unbedeutend«.
Unter den Bildern ihrer Kinder »Druckmittel«.
Doch was ihr die Augen öffnete, war das Bild von Collin Shield. Er war das eigentliche Ziel. Es war also kein Zufall. Kein falscher Verdacht, dass es sich um eine beschissene Mafiaangelegenheit drehte.
Dreizehn Jahre war es nun her, dass Jaxon, Finn und Nora dieser den Rücken gekehrt hatten. Zum Schutz für Liam und Freya. Zähneknirschend hatte er dabei zugesehen, wie sie ihre Sommerferien trotzdem bei ihrem Großvater verbrachten. Wie er sie ausbildete und wie sie dennoch zu einem Teil davon wurden. Doch jetzt gerade hoffte er, dass ihnen es helfen würde.
Jaxon seufzte und strich sich durch seinen langen Bart. Seit fünf Stunden waren seine Kinder spurlos verschwunden. Als Nora die Falle entdeckte, war es bereits zu spät. Tom schaffte es noch Liam zu warnen, doch ehe er selbst auf der Party ankam, fehlte von den Zwillingen jede Spur. Ihre Inears fanden sie in einen der Vorgärten neben Susis Haus.
Seit Stunden drehten sie jeden Stein nach den beiden um. Erfolglos. Die Verzweiflung darüber lag Jaxon im Gesicht. Er wusste nichts über seinen Gegner und konnte so keinerlei Einschätzung von sich geben, was ihnen bevorstand. Der Einzige, der mit Antworten dienen konnte, hüllte sich am Telefon in eisiges Schweigen.
Schwere Schritte näherten sich und Jaxon atmete tief ein.
»Vater«, knurrte er.
Ein breitschultriger Mann trat neben den Baumstamm und richtete seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf den See.
Collin Shield ließ seinen Blick für einige Herzschläge schweifen, bevor er sich neben seinen Sohn setzte. Sie waren sich, wie aus dem Gesicht geschnitten, nur das Alter gab den bedeutenden Unterschied.
Jaxon musterte ihn aus dem Augenwinkel heraus. Tiefe Sorgenfalten lagen in dessen Gesicht. Seine langen grauen Haare hatte er wüst als Dutt auf seinen Kopf zusammengebunden. Die grauen Haare schimmerten im Mondlicht, ebenso wie sein grauer Drei-Tage-Bart. Er war alt geworden und sah übernächtigt aus. Das zeigte auch sein schwarzes Shirt, welches er verkehrt herumtrug, die einfachen weiten, schwarzen Jeans und die Chucks, welche er nicht einmal zugebunden hatte.
Collin spiegelte als das wider, was man nicht von dem King der irischen Mafia erwartete.
Jaxon hatte seinen Vater sofort angerufen und dieser war aus dem Bett direkt in sein Privatflugzeug gestiegen. Was wohl auch das chaotische Aussehen erklärte.
»Ich nehme an, du hast alles Nötige bereits in die Wege geleitet«, murmelte Jaxon.
Collin atmete tief ein und sah ihn mit seinen eisblauen Augen an. Diesem durchfuhr sofort ein Ziehen im Magen, als er die Verzweiflung in den müden Augen seines Vaters sah.
»Was? Was ist los Collin?«
Dieser räusperte sich, richtete den Blick wieder auf den See und begann mit leerem Blick zu sprechen.
»Killian Kelly kam zu mir, kurz bevor ihr mich verlassen habt. Er durchlief den Zyklus aber nicht. Meine Männer hielten ihn für unberechenbar. Machtbesessen. Gefährlich.«
»Keiner der für die Familie lebt«, fügte Jaxon frustriert hinzu.
Collin nickte.
»Unsere Wege trennten sich recht schnell wieder. Im Positiven, denn scheinbar hatte er selbst schnell begriffen, dass er bei uns nicht das erreichen konnte, was er wollte.«
»Geld und Macht«, murmelte Jaxon.
Collin richtete sich auf und fuhr mit den Händen über die Nähte seiner Jeans.
»Unsere Wege kreuzten sich dennoch einige Jahre später erneut. Er war mittlerweile zu einer unumgänglichen Person im Bereich des Waffenhandels geworden. Zu dem Zeitpunkt lief er noch unter dem alten McLaughlin.«
Jaxon runzelte die Stirn.
»Der ist doch längst tot und hat dir...«
Er stockte, als er den bohrenden Blick seines Vaters vernahm. Jaxon schüttelte fassungslos den Kopf.
»Du und Kelly habt den Alten aus dem Weg geräumt.«
Collin schwieg.
»Du hast dich also auf einen Mann eingelassen, der nachweislich am liebsten auf deinen Thron sitzen will. Was ist passiert? Hat er versucht, dich zu töten?«
»Auch, aber erst nachdem ich hinter seinen Betrug gekommen bin. Er hat mich hintergangen. Tausende Euro sind in seine anstatt meiner Tasche gewandert. Als ich ihn darauf ansprach, hat er auf mich geschossen. Glatter Durchschuss. Idiot. Aber ab da habe ich ihn gejagt.«
»Auge um Auge. Kein Tropfen Blut bleibt ungestraft«, zitierte Jaxon.
»So wie es unsere Maxime verlangt. Aber er ließ sich nicht aufgreifen. Also ...«, Collin stockte, was Jaxon einen bitteren Geschmack aufsteigen ließ.
»Was hast du getan?«
Collin hob den Blick in den Himmel und starrte auf die glänzenden Sterne.
»Ich habe mir seine Frau und Tochter geholt.«
Jaxon vergrub sein Gesicht in seinen Händen und versuchte, die aufsteigende Wut zu unterdrücken.
»Rache also?«
Collin atmete langsam aus.
»Nichts anderes würde Sinn ergeben.«
Jaxon ließ die neue Erkenntnis auf sich wirken.
Rache. Eine der wenigen Sachen, gegen die man machtlos war. War jemand von ihr besessen, gab es keine Möglichkeit für Verhandlungen. Kein Geld der Welt konnte etwas gegen sie ausrichten. Die einzige Chance, seinen Kopf aus ihrer Schlinge zu ziehen, war schneller, brutaler, gnadenloser zu sein. Doch wie sollte das ohne jegliche Anhaltspunkte machbar sein?
»Was passiert als Nächstes?«, fragte Jaxon, während er aufstand.
Collin rieb sich übers Gesicht und folgte seinem Sohn.
»Ich habe die Besten auf das Problem angesetzt. Wir finden die beiden.«
Die Blicke der beiden Männer trafen sich und für einen Moment schien die Zeit stehenzubleiben. Zweifel und Hoffnung gaben sich die Hände und vereinten sich zu einer tödlichen Front des Zorns. Der alte Groll, der zwischen ihnen lag, würde nicht vergessen sein, aber in diesem Moment zählte nur eins. Die Familie.
»Es wird Tote geben«, raunte Jay Collin und Jaxon entgegen, als diese gerade auf die Terrasse vor dem Clubhouse traten.
Collin hielt inne und sah zu dem alten Ledersessel. Jay starrte vor sich in die Leere. Seine Hände lagen gefaltet auf seinen Bauch und sein Bein wippte leicht auf und ab.
»Immer noch ein Optimist durch und durch, was alter Mann?«
Jay hob leicht den Kopf, würdigte Collin aber keinen Blick.
»Wir wissen beide, dass du nichts außer den Tod bringst.«
Jaxon schüttelte den Kopf und legte seinem Vater die Hand auf die Schulter, um in weiter in Richtung Clubhouse zu schieben.
Jay und Collin konnten noch nie gut miteinander und da würde die aktuelle Situation auch nichts daran ändern.
Aus dem Clubhouse tragen bereits aufgeregte Stimmen gefolgt von zahllosen Schritten, die schlagartig verstummten, als die beiden den Raum betraten.
Der Geruch von verbranntem Tabak hin in der Luft. Stärker, als er es sonst tat.
Alle Blicke ruhten auf ihnen. Tom und Finn standen kreidebleich an die Theke gelehnt. Doug wischte geistesabwesend immer wieder über dieselbe Stelle der Bar und der Rest wirkte ebenfalls ziemlich abwesend drein stehend.
Schlagartig sprang die Tür des Memberraums auf und Nora schoss heraus. Ihre Haare fielen wüst über ihre Schultern. Ihr Gesicht wirkte fahl und eingefallen.
»Und?«, fragte sie mit panischem Blick.
Collin zog sein Handy aus der Hosentasche und schüttelte dann langsam mit dem Kopf.
»Nichts Neues.«
Nora biss sich auf die Lippen und raufte sich durch ihre Haare.
»Wir müssen doch irgendwas tun können. Ich kann hier nicht sitzen und warten auf...«
Sie hielt inne und sah ihren Mann mit Tränen in den Augen an.
»Bitte, ich dreh durch. Er hat unsere Kinder. Ich.«
Ihre Stimme brach unter den Tränen, welche ihr die Kehle zuschnürten und ihr über die Wangen liefen. Ein plötzliches Beben ging durch ihren Körper und sie begann gefährlich zu schwanken. Mit schnellen Schritten schloss Jaxon zu seiner Frau auf, um sie gerade noch rechtzeitig aufzufangen, als ihre Knie nachgaben. Sofort schlang sie ihre Arme um ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.
Eine eisige Kälte breitete sich in dem Raum aus. Die umstehenden Member senkten die Blicke und traten alle einen Schritt zurück. Wenn bis eben noch einer daran geglaubt hatte, dass es einer alltäglichen, lösbaren Situation glich, war er soeben eines Besseren belehrt worden. Noch nie in all der Zeit hatte Nora Tränen gezeigt. Noch nie in all den gemeinsamen Jahren schien Hoffnungslosigkeit in diesen Mauern zu hängen.
Allen wurde schlagartig bewusst, dass es nicht wie immer ablaufen würde. Das hier war kein Auftrag, der etwas kritisch vonstattenging. Sie waren das erste Mal ins Herz ihrer Familie getroffen worden und egal, welcher Ausgang auf sie zukam. Alle kannten das Ende. Auge um Auge. Bis in den Tod. Wie es die Maxime vorschrieb.
Jaxon führte Nora zurück in den Memberraum, gefolgt von Collin. Sie ließen einen Raum voller betroffener Menschen zurück. Finn war der Erste, der seine Starre verließ und damit begann wie ein eingesperrtes Raubtier auf- und abzulaufen. Sein Atem wurde mit jedem Schritt schwerer, während er sich immer und immer wieder über das Gesicht rieb.
»Hör auf damit«, murmelte Tom, als Finn erneut an ihm vorbeilief.
Finn blieb stehen und starrte ihn an.
»Sorry, dass ich hier nicht sitzen und Däumchen drehen kann.«
In seinem Blick funkelte Zorn, welchen Tom aber einfach ignorierte.
»Das weiß ich. Aber was sollen wir sonst tun?«
Finn zündete sich eine Zigarette an und zog den Rauch tief in seine Lungen, doch die sonst so beruhigende Wirkung des Nikotins hatte keine Chance gegen das aufsteigende Angst-Zorn-Gemisch in seiner Brust.
»Irgendwas. Nur nicht mehr hier sitzen und auf ein Wunder hoffen.«
Tom nickte und sah sich um. In allen Gesichtern sah er die Ratlosigkeit und Angst vor dem Kommenden. Sein Puls raste und seine Gedanken überschlugen sich. Finn hatte recht. Auch er konnte hier nicht weiter sitzen und warten. Er sprang auf und schnappte sich den Schlüssel von Jaxons Wagen.
Finn hob eine Augenbraue.
»Was hast du vor?«
Tom erwiderte den Blick.
»Nach Antworten suchen. Ihr habt das Haus von diesem Killian nicht weiter abgesucht, oder?«
Finn schüttelte den Kopf.
»Nein wir haben uns sofort auf den Weg hierher gemacht, als wir die Zusammenhänge sahen.«
Tom vernahm den brennenden Blick von Jay im Nacken, der sich mittlerweile zu ihnen gesellt hatte.
»Dann sollten wir uns dort noch mal umsehen.«
Finn nickte. Sein Blick wanderte aber zu der Tür, hinter der Jaxon saß.
»Geht. Ich kümmere mich um den Rest«, murmelte Jay.
Für einen weiteren Augenblick zögerte Finn, bis er schließlich nach seiner Waffe griff, das Magazin kontrollierte und sie anschließend wieder unter die Kutte verschwinden ließ.
»Lass uns gehen«, murmelte er leise und ohne auf die fragenden Blicke der anderen zu achten, verließ er gemeinsam mit Tom das Clubhouse.
Nora hatte sich wieder beruhigt, saß aber schweigend an der Kopfseite des langen Tisches des Memberraums. Collin und Jaxon links und rechts neben ihr. Eine schwere Stille lag zwischen ihnen, die Blicke leer auf das Handy von Collin gerichtet.
Sieben Stunden waren vergangen. Sieben Stunden ohne ein Lebenszeichen ihrer Kinder. Und sieben Stunden ohne den Hauch einer Spur. Alle Anhaltspunkte verliefen ins Nichts. Keiner wusste, wo Killian war und was er vorhatte. Nur eins wussten alle mit Sicherheit, egal, was passieren würde. Killian würde dafür Sorge tragen, dass sie es rechtzeitig erfahren.
Collin lehnte sich gerade zurück, als ein leises Brummen den Tisch vibrieren ließ.
Nora, Jaxon und Collin schraken gleichzeitig auf und starrten auf das Display.
Nora hielt die Luft an und sah zu Jaxon, der seine Hände zu Fäusten ballte.
Collin wankte leicht hin und her und zog ein letztes Mal tief die Luft ein.
Auf seinem Display leuchtete unentwegt der Name Freya inklusive einer Videoanfrage auf.
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