Kapitel 66 - Das Buch
Eine eisige Kälte durchfuhr Tamo und gleichzeitig hatte er das Gefühl, in Flammen zu stehen. Dunkelheit umgab ihn und eine endlose Schwere wanderte durch seinen Körper. Was war hier los? Er wandelte durch einen dunklen Raum, sein Herz raste und sein Körper bebte. Verzweiflung machte sich breit, als er sich in der, nicht enden wollenden, Dunkelheit umsah. Stille, absolute Stille umgab ihn. Er hörte nichts. Er sah nichts. Er roch nichts.
Wo war er? Warum war er hier? Was war passiert?
Die Verzweiflung in ihm wurde immer größer. War er tot? Hatte Skàdi ihn getötet? Warum? Er hatte es in ihren Augen gesehen. Sie wollte es. Sie wollte diesen Kuss. Sie wollte ihn. Er hatte ihre Reaktionen sehr wohl vernommen. Warum hatte sie sich plötzlich unentschieden? Warum hatte sie sich entschuldigt?
Seine Gedanken drehten sich im Kreis und er wusste, dass er keine Antworten finden würde. Nicht hier. Nicht hier in diesem verdammten Nichts. Doch plötzlich spürte er ein Rütteln und langsam drang eine leise Stimme zu ihm durch.
»Tamo?«
Er sah sich um und suchte die Quelle der Stimme, aber so sehr er sich bemühte, er konnte nichts außer Dunkelheit sehen.
»Tamo? Komm schon.«
Er drehte sich um sich selbst.
»Ich bin hier«, raunte er, doch seine Worte wurden einfach von der Dunkelheit verschlungen.
Wieder hörte er seinen Namen, doch langsam wurde er lauter. Intensiver.
»Wach auf Tamo!«
Aufwachen? Schlief er etwa und hing in einem beschissenen Traum fest. Wieder sah er sich um und konzentrierte sich.
»TAMO!«, schrie es ihm entgegen und da sah er es.
In all der Dunkelheit sah er einen Funken Licht. Ein kleiner Punkt, kaum sichtbar, und dennoch lag er vor ihm.
»Tamo! Wach auf, verdammt!«
Je deutlicher die Stimme wurde, desto heller wurde das Licht, auf welches er sich langsam zubewegte. Schritt für Schritt wurde die Lichtquelle größer. Sein Name deutlicher und als er unmittelbar vor der hell leuchtenden Nebelwand ankam, hielt er für einen Moment inne, atmete tief ein und hob langsam die Hand. Es war eigenartig und er war sich nicht sicher, warum er zögerte, aber dieses Licht, löste Unsicherheit in ihm aus. Aber dennoch, langsam bewegte er seine Hand auf die Nebelwand zu und so, wie sein erster Finger in ihr verschwand, war es, als würde Tamo in einen Sog geraten.
Nur Bruchteile von Sekunden später riss er die Augen auf und starrte in die geweiteten Augen von Alice.
»Tamo?«, raunte sie ihm entgegen.
Er musterte sie und war sich nicht sicher, ob er immer noch in einem Traum feststeckte, denn die pure Angst lag in ihren Augen. Er suchte die Umgebung ab und plötzlich tauchte Milano in seinem Blickfeld auf. Diesem stand die Sorge buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt und sein Blick wirkte nachdenklich.
»Tamo? Was ist passiert?«, fragte ihn Alice plötzlich.
Tamo sah zurück zu ihr. Sie saß neben ihm und sah ihn immer noch an. Er räusperte sich und erst jetzt bemerkte er, wie trocken sein Hals war.
»Wasser«, flüsterte er leise und so, wie diese Worte seine Lippen verlassen hatten, sprang Milano auf und kam einen Augenblick später mit einem Glas Wasser wieder.
Tamo richtete sich langsam auf, nahm das Glas Wasser und leerte es mit einem Zug. Er spürte die Blicke, die auf ihm lagen und nachdem er das Glas zur Seite gestellt hatte, sah er die beiden an.
»Was ist passiert?«, fragte er und sah Alice und Milano fragend an.
Deren Blicke sagten alles. Sie hatten keine Ahnung.
»Das wollten wir gern von dir hören«, gab Milano zurück.
Tamo sah sich um.
»Wo ist Skàdi?«, fragte er, denn er war eindeutig zurück in ihrem Elternhaus.
Alices Blick füllte sich sofort wieder mit Angst.
»Verschwunden«, sagte sie.
Tamo runzelte die Stirn.
»Verschwunden?«
Milano seufzte.
»Ja, na ja, genau genommen ist sie auf dem Weg zu Samuel«, sagte er leise und reichte Tamo einen Zettel.
Tamo nahm diesen und sah von Milano zu dem Blatt Papier in seiner Hand. Vorsichtig faltete er diesen auf und schluckte, als er ihre Worte las.
Ich werde es beenden. Es tut mir leid, aber ich werde Tamo nicht opfern. Skàdi.
Ungläubig las er die Worte immer und immer wieder, bis er aufsah und die beiden fragend ansah.
»Opfern?«
Alice und Milano zuckten beide mit den Schultern.
»Wir wissen nicht, was sie damit meint. Wir dachten, es ist etwas passiert, als ihr zusammen wart«, erklärte Milano.
Tamo sah die beiden fassungslos an und durchwühlte gleichzeitig seine Erinnerungen. Kopfschüttelnd sah er sie an.
»Nein. Nichts. Na ja, also außer der Kuss«, sagte er leise und sofort sahen Alice und Milano ihn fragend an.
»Kuss?«, wiederholte Alice ungläubig.
Tamo nickt und erzählte den beiden alles, was passiert war. Na ja, fast alles, denn an die Tatsache, dass auch er für einen Moment Fähigkeiten gezeigt hatte, konnte er sich selbst nicht erinnern.
»Wie bin ich hier gelandet?«, fragte er, nachdem er den beiden alles erzählt hatte.
Milano, der immer noch ziemlich fassungslos aussah, schüttelte den Kopf.
»Du lagst da einfach. Skàdi wird dich hier abgelegt haben, denken wir zumindest.«
Alice fixierte Tamo mit ihrem Blick.
»Du hast Gefühle in ihr ausgelöst. Deswegen hat sie sich die letzten Tage so eigenartig verhalten«, stellte sie fest.
Tamo seufzte.
»Ja, sieht so aus. Aber warum redet sie davon, mich zu opfern?«, fragte er und sah die beiden an.
»Tamo, wir wissen es wirklich nicht. Sie hat auch uns nichts weiter erzählt. Nicht mehr, seit wir hier angekommen sind«, sagte Milano.
Alice nickte.
»Es stimmt. Wir haben an dem Abend diese Notizen auseinandergenommen und seitdem hat sie kein Wort um dich verloren«, bestärkte Alice die Worte von Milano.
Tamo rieb sich übers Gesicht.
»Was zur Hölle soll das?«
»Wissen wir nicht, aber wenn uns nicht gleich, was einfällt, dann ist es mit unserem Leben wohl vorbei«, antwortete Alice ihm.
Tamo hob den Blick und erst jetzt verstand er es. Skàdi war auf dem Weg zu Samuel, um ihn zu töten, und das würde den Tod aller bedeuten. Seine Kehle wurde schlagartig wieder trocken. Deswegen die Angst in Alices Blick und die Sorge von Milano. Fuck ...
Tamo sprang auf.
»Was hat sie die letzten vierzehn Tage gemacht?«, fragte er die beiden.
Milano sah ihn an.
»Nichts, wenn man es genau nimmt.«
Alice nickte ihm erst zustimmend zu, bevor sie innehielt, den Blick hob und aussah, als wäre ihr gerade ein Geist begegnet.
»Was?«, fragte Tamo sie.
»Das Buch. Dieses Tagebuch von Samuel. Sie hatte es ständig in der Hand.«
Tamo zog eine Braue nach oben.
»Sie hat es uns doch vorgelesen«, gab er zurück, weil er nicht wusste, auf was Alice hinaus wollte.
»Und wenn es nicht alles war?«, fragte Alice und sah die beiden an.
Milano schluckte und plötzlich veränderte sich seine Miene.
»Sucht das verdammte Buch«, brüllte er und schon setzten sich alle in Bewegung.
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