Kapitel 2 - Café LoveStone

Das war ja wohl ein schlechter Scherz. Maren hob den Blick in den grauen, wolkenverhangen Himmel. „Echt jetzt? Dein beschissener Ernst?", raunte sie dem Universum entgegen und dieses antwortet mit einer dicken Schneeflocke, welche Maren direkt in die Pupille segelte. Sie kniff das Auge zu und knurrte leise in sich hinein und nachdem das kurze Brennen ihres Auges nachgelassen hatte, sah Maren auf den schneebedeckten Weg, welcher zur Straße führte. Wann zur Hölle war das denn passiert? Als sie letzte Nacht nach Hause gelaufen war, glänzte ihr noch feuchter, schwarzer Asphalt entgegen und jetzt? Alles weiß. Nun und wir sprechen hier nicht über eine leicht an gepuderte Landschaft. Wir reden hier von einer fünfzehn Zentimeter dicken Schneedecke. Maren schüttelte sich, denn die Kälte, welche der Wintereinbruch mit sich brachte, kroch unter ihre viel zu kurze Jacke und legte sich eisig auf ihre Haut. Schnell zog sie die Schultern nach oben, um ihren nackten Hals zu schützen. Das sorgte aber nur dafür, dass sich sofort eine Gänsehaut um ihre Taille zog. Hals kalt, Hüfte auch. Die logische Konsequenz wäre wohl gewesen, zurück in die Wohnung zu gehen und sich etwas anderes zum Anziehen zu holen, aber darauf hatte Maren genauso viel Lust, wie auf einen Kaffeekranz mit Mrs. Miller. „Unfassbar", schnaubte sie, steckte ihre Hände in die Minitaschen ihrer Jacke, zog den Kopf ein und versuchte die Jacke so weit, wie möglich nach unten zuschieben. Die Zigarette auf dem Weg würde dann heute wohl ausfallen.Schnellen Schrittes eilte Maren durch die Straßen ihrer Heimatstadt Hexham. Maren war in England geboren und aufgewachsen, obwohl ihre Wurzeln eigentlich in Norwegen lagen. Hexham war eine größere Kleinstadt. Zumindest beschrieb Maren es immer mit diesen Worten. Maren wohnte zentrumsnah und so konnte sie so ziemlich alles zu Fuß erledigen. So zum Beispiel auf die Arbeit laufen. Normalerweise genoss Maren ihren Arbeitsweg. Er führte sie durch einen überschaubaren, aber wunderschönen Park, an dessen direkt ihre Arbeitsstätte anschloss. Selbst im Winter liebte sie diesen, denn der Anblick des gefrorenen Sees, der sich in der Mitte des Parks befand, ließ sie immer für einen Moment innehalten und genießen. Die Ruhe, das leise Knirschen unter den Schuhen, wenn sie durch den Schnee lief und das Glitzern, der Eiskristalle, welche die Natur in Beschlag nahmen, hatten eine beruhigende Wirkung auf sie. Heute allerdings war es für Maren nur eins. Kalt und unnötig. Zwanzig Minuten später kam sie mit brennender Nase, feuerroten Wangen und Fingern, welche zu Eiszapfen gefroren waren, am Ende des Parks an und sie stieg schnell die drei Stufen nach oben und öffnete die Tür des LoveStone Cafés. Ein leises Klingeln kündigte ihr Erscheinen an und eine wohltuende Wärme umhüllte sie. Sie vernahm sofort das Knistern und ihr Blick wanderte zu dem kleinen Kamin am Ende des Raumes. „Na Kleines? Waren die Augen zu geschwollen, um den vielen Schnee zu sehen?" Maren drehte sich herum und ein älterer Mann stand hinter einer kleinen Theke. Lächelnd lief sie auf ihn zu. „Tut mir leid, dass ich zu spät bin, Grand", sagte sie beinahe kleinlaut. Grand, hieß eigentlich Artus, aber so nannte ihn hier niemand. Außer seine Frau, wenn er mal wieder nicht nach ihren Wünschen agiert hatte. Er lächelte Maren liebevoll an und winkte ab. „Alles gut, Kleines. Nimm dir ein paar Minuten, um dich aufzuwärmen. Du musst doch bis auf die Knochen durchgefroren sein", sagte er und schob ihr eine Tasse Kaffee zu.„Was würde ich nur ohne dich machen?", fragte sie und nahm sich die Tasse. Er zuckte mit den Schultern. „Erfrieren, höchstwahrscheinlich." Maren lachte, nahm ihre Tasse und ging zurück zu dem Kamin. Sie zog ihre Jacke aus und streifte sich ihre Mütze vom Kopf. Sie ließ ihren Blick durch das Café schweifen, während die Wärme des Feuers und des heißen Kaffees sie langsam wieder auftaute. Es war ein kleines, gemütliches Café. Es gab nur 10 Tische und 10 weitere auf der Terrasse. Café LoveStone war ein kleines Familienunternehmen, welches Grand und seiner Frau Ruby gehörte. Sie betrieben es nun seit knapp 30 Jahren und es war ihr ganzer Stolz. Früher halfen ihre Kinder bei der Aufrechterhaltung, doch als diese ihr Studium beendet hatten, trennten sich ihre Wege und sie verteilten sich quer im Land. Die Stones erzählten jedem, der es hören wollte, wie stolz sie auf ihre Kinder waren. Der Sohn hatte es zum Anwalt geschafft, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Die Tochter war Architektin und seit längerem liiert. Doch Maren kannte die Stones nun ebenfalls schon 12 Jahre und wusste, dass hinter alldem Stolz ein tiefer Schmerz begraben war. Grand und Ruby vermissten ihre Kinder und die Zeiten, in denen sie zusammen in der kleinen Küche die neuesten Kreationen von Ruby probierten. Das war wohl einer der Gründe, warum Maren geblieben war. Sie hatte mit 23 hier angefangen zu arbeiten. Stundenweise, damit die Stones Kinder genügend Zeit für die Uni hatten. Es sollte eine Übergangslösung werden, die sich zu einem festen Bestandteil in Marens Leben entwickelt hatte. Nun und auch wenn sie sich schon längst hätte einen Job suchen können, in dem sie etwas mehr verdienen konnte, liebte sie die beiden so sehr, dass sie wahrscheinlich selbst ohne Bezahlung hierbleiben würde. Sie waren anders. Liebevoll und dies spiegelte sich auch in diesem Café wider. Es war warm und gemütlich eingerichtet. Die Tische waren klein, sodass gerade mal zwei der weichen, gut gepolsterten Stühle daran passten. Die Wände waren mit Bildern der Familie bestückt, die Tischdecken waren von Ruby selbst genäht und alles in diesem Café wurde mit einem Schuss Liebe der Stones zu etwas besonderen. Wer modernen Schnickschnack suchte, war hier fehl am Platz. Ruby sorgte auch nach 30 Jahren noch selbst für das leibliche Wohl der Gäste. Jeden Tag stand sie mitten in der Nacht auf und stand stundenlang in der Küche, um frischen Kuchen und Gebäck zu backen. Sie war für ihre 63 Jahre noch fit wie ein Turnschuh und nur die kleinen Fältchen um ihre Augen und das langsam grau werdende Haar verriet einem, dass der Zahn der Zeit auch an ihr nicht vorbeiging. Grand, was im Übrigen die Ableitung von Grandpa war, sah man das Alter schon mehr an. Mit seinen 66 Jahren ging er immer noch voller Humor und Liebe durchs Leben. Nicht so verklemmt wie die Zimtzicke Miller. Er trug mittlerweile eine Glatze, weil er keine Lust auf ein Fußballfeld auf dem Schädel hatte. Seine Worte, nicht die von Maren. Sein Schnurrbart, den er sorgfältig pflegte, war mittlerweile völlig grau gefärbt und die Falten um seine Augen und Mundwinkel waren eindeutig tiefer als die von Ruby. Er fing langsam an, etwas nach vorn gebeugt zu laufen, was aber vielleicht auch an dem immer größer werdenden Bauch liegen mochte. Der bewies wiederum, dass er auch nach all den Jahren den Leckereien seiner Frau verfallen war und wahrscheinlich heimlich mehr selbst vernaschte, als es an seine Kunden zu verkaufen. Und auch, was die Getränke betraf, fuhren die Stones eine sehr traditionelle Schiene. Getränke, dessen Namen man nicht aussprechen konnte oder gar drei Minuten dafür brauchte, waren hier nicht zu finden. Es gab Kaffee, Cappuccino, Latte macchiato und Espresso. Im Sommer dasselbe nur mit Eis und einem Glas Wasser dazu. Gelegentlich gab es verschiedene Sorten Tee und das alles zu Preisen, bei denen Maren am Anfang ein ungutes Gefühl hatte. „Wer diesen Ort zu schätzen weiß, der zahlt gern ein Pfund mehr", hatte Grand ihr damals erklärt. Sie war skeptisch, doch er hatte recht und sollte recht behalten. Das Café war immer gut besucht und die Gäste schätzten die familiäre Art, welche hier herrschte und schon bald kannte auch Maren fast jeden beim Vornamen und wurde zum Teil der Stones Familie. „Himmel. Kind. Was hast du denn gemacht?", ertönte plötzlich Rubys Stimme. Maren schreckte aus ihren Gedanken auf und sah fragend zu ihr. „Was meinst du?", fragte Maren perplex. Ruby zeigte auf ihre Stirn. „Du hast eine riesige Beule, meine Liebe." Maren griff sich an ebendiese Stelle und verzog das Gesicht. „Ach ja, das", stöhnte sie. Ruby zog eine Braue nach oben und sah sie fragend an. Maren nahm den letzten Schluck ihres Kaffees und erzählte von dem Malheur des Morgens. Ruby schlug sich die Hand, vor den Mund und seufzte, aber sie konnte Maren nichts vormachen, eigentlich versuchte sie nur, ihr Lachen zu unterdrücken. „Lach nur. Hätte ich auch getan, wenn es nicht meine Stirn gewesen wäre." Ruby kicherte auf und strich ihr liebevoll über den Oberschenkel. „Das solltest du kühlen."„Habe ich doch auf dem Weg mithilfe der arschkalten Luft." Sofort warf Ruby ihr einen tadelnden Blick zu, welcher Maren zurückweichen ließ. „Okay kühlen. Verstanden", sagte sie und fing an zu lachen und endlich ließ auch Ruby ihr unterdrücktes Lachen raus. „Was gibt es denn hier zu kichern?", fragte Grand, der gerade einen großen Karton auf der Theke abstellte. Ruby lächelte ihren Mann an. „Fällt dir nichts an Maren auf?", fragte sie. Grand sah zu ihnen und zuckte mit den Schultern. „Sie hat es sicher wieder übertrieben gestern Abend, wie ich es dir gesagt habe." Röte stieg Maren in die Wangen und diesmal nicht wegen der Hitze des Feuers, sondern aus Scham. Eigentlich machte sie sich nichts daraus, was andere von ihr dachten. Eigentlich. Bei Grand und Ruby war das etwas anderes. Sie wusste nicht warum, aber bei ihnen störte sie es, wenn sie schlecht von ihr dachten. Ruby sah zurück zu ihr und als sie sah, dass Maren sie entschuldigend ansah, schoss ihr Blick zurück zu Grand. „Du sollst so etwas nicht sagen. Verflucht. Sie ist jung und soll ich Leben genießen" Maren stockte der Atem. Ruby fluchte nie. Grand hingegen stützte seine Arme auf den Hüften ab und sah seine Frau entsetzt an. „Fluchst du etwa?" Ruby nickte und hob den Zeigefinger. „Ja mein Lieber und ich werde noch ganz andere Seiten aufleben lassen, wenn du nicht aufhörst, Maren das Gefühl zu geben, dass sie etwas falsch macht." Maren musste schmunzeln. „Tschuldigung", raunte Grand und sah seine Frau mit gesenktem Blick an. Himmel, diese beiden konnte man nur lieben. Maren bewunderte sie. So viele Jahre standen sie Seite an Seite und immer noch liebten sie sich wie am ersten Tag. Sie waren die Einzigen, die Maren noch einen Funken Hoffnung gaben, dass Liebe unter Menschen noch nicht völlig ausgestorben war. „Sie hat eine riesige Beule", erklärte Ruby plötzlich und Maren, die den fragenden Blick von Grand sah, begann direkt mit der Erklärungsrunde Nummer zwei. Nachdem auch Grand sich ausgelacht hatte, verschwand Ruby in die Küche und Maren trat an die Theke.„Was ist da drin?", fragte sie neugierig und zeigte auf den Karton. „Unsere Tagesaufgabe", erwiderte Grand grinsend, was Maren die Stirn runzeln ließ. Grand lachte. „Na, der Schlag auf den Schädel hat ordentlich was durcheinander geschleudert, was?"„Artus Stone. Noch ein Wort und du lernst mich von einer anderen Seite kennen", raunte es plötzlich aus der Küche. Grand rollte mit den Augen und äffte seine Frau nach, was Maren auf kichern ließ. „Äfft er mich etwa nach?", fragte Ruby giftig. Grand hielt sofort inne und sah Maren mit großen, flehenden Augen an. „Nein, niemals. Das würde er sich doch nicht getrauen", rief Maren zurück. „Sicher", kam es dumpf aus der Küche und Grand flüsterte Maren ein lautloses Danke zu. Maren nickte nur und sah dabei zu, wie Grand den Karton öffnete und als sie den Inhalt sah, stöhnte sie. Weihnachtsdekoration. „Und wenn du denkst, schlimmer geht's nicht mehr, kommt von irgendwo eine Christbaumkugel her", raunte Maren und seufzte. „Tja, meine Liebe. Darius bringt in seiner Mittagspause den Baum vorbei und da heute nicht viel los sein wird, haben wir genügend Zeit, die Hütte hier in neuen Glanz zu tauchen", sagte Grand und konnte sich sein breites Grinsen nicht verkneifen. Er und Ruby liebten die Weihnachtszeit und ja, der erste Dezember war der Tag, an denen bei ihnen das Weihnachtsfieber ausbrach. Ich hätte ein Bier mehr trinken sollen, dachte sich Maren, denn sie wusste, was alles auf sie zukommen würde. „Na dann kümmerst du dich um dieses Problem und ich übernehme die Kunden", sagte sie und griff nach der Schürze. „Ach Kleines. Wir wissen doch alle, dass am Tag des ersten Schnees so gut wie keiner den Weg zu uns findet. Die Menschen brauchen immer erst 24 Stunden, um den Schock des plötzlichen Schneefalls zu verdauen", sagte Grand grinsend und hielt ihr einen Haarreifen mit einem Elchgeweih entgegen, welches bunte Glöckchen trug. „Schau habe ich nur für dich gekauft", sagte er. Maren schlief förmlich das Gesicht ein und sie schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Grand, lass unseren kleinen Grinch in Ruhe und fangt endlich an", raunte Ruby. Grand seufzte auf. „Du hast die Chefin gehört, lass uns anfangen", sagte er und setzte sich den Haarreifen selbst auf. „Danke Ruby", rief Maren in die Küche, aus der schon der wundervolle Duft von frischem Schokoladenkuchen strömte. Maren nahm den Karton und stellte ihn auf einen der Stühle ab. „Na dann auf in Tag eins der Weihnachthölle."

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