𝐝𝐫𝐞𝐢 | der gott des raumes und sein haustier
Sie biss die Zähne zusammen und unterdrückte ein leises Zischen, als eine Hand brutal an ihren Haaren zog. Es war ein ungewohntes Gefühl, keine Haare im Nacken zu haben, weder als Zopf noch einfach so. Doch noch ungewohnter war es, einen großen Haarball auf ihrem Kopf zu balancieren. Sie verstand wirklich nicht, wie diese Frisur ihr helfen sollte - sie wurde in den Himmel gerufen, um für Farin zu kämpfen, nicht um ihn zu heiraten.
»Vivien, halt deinen Kopf still«, befahl die ältere Dame hinter ihr. Dann zog sie ein letztes Mal irgendetwas fest und steckte noch eine weitere goldene Haarnadel in das filigrane Kunstwerk auf Viviens Kopf, um dann endlich einen Schritt zurückzutreten. Erst, als sie zufrieden genickt hatte, hob Vivien vorsichtig den Kopf und betrachtete sich im Spiegel.
Es hang so viel Gold in ihre Haaren, an ihren Ohren und um ihren Hals, das es ein Wunder war, dass sie überhaupt noch gerade stehen konnte. Sie war daran gewöhnt, dass alles in diesem Tempel übertrieben glamourös verziert war, doch dass sie selber jetzt genauso aussah, war doch ein kleiner Schock.
Hoffentlich hatten Marcilla, ihre Ausbilderin, nicht gelogen, als sie von einem Wettkampf gesprochen hatte. Gerade war sie nämlich eher angezogen, als ob sie bald auf einen Ball gehen würde.
Mühsam trat sie einen Schritt nach hinten, bis sie neben Marcilla stand. Das war gar nicht so einfach, in diesen Absatzschuhen. Oh, wie gerne hätte sie ihre alten, zerrissenen Turnschuhe wieder.
Als sie jetzt noch einmal in den Spiegel sah, stand sie endgültig einer Fremden gegenüber. Ein Kleid schnürte ihren ganzen Körper zusammen, nahm ihr jegliche Bewegungsfreiheit und ließ sie wie eine Hofdame aus dem Mittelalter wirken. Die Farbe: Gold, natürlich. Was auch sonst.
Selbst wenn ihr irgendein Kommentar zu diesem ... wundervollen Outfit eingefallen wäre, hätte sie nicht ein Wort herausbringen können. Dafür war das Korsett fiel zu eng.
»Perfekt«, stellte Marcilla fest, bevor sie etwas hinter ihrem Rücken hervorzog. »Den solltest du aber trotzdem mitnehmen. Wir haben ihn ... ein bisschen verbessert.«
Es war nur ihrer jahrelangen Ausbildung zu verdanken, dass ihr Mund nicht wie eine Luke aufklappte, als Vivien ihren sonst so vertrauen Degen erblickte. Normalerweise hatte er silbern wie der Mond geglänzt, wie ein Anker in all dem Gold um sie. Wie eine verdammte Waffe.
Jetzt glitzerte er golden, war mir einigen Blumen verziert und sah auch wie Deko. Wie zum Teufel sollte sie mit diesem Ding kämpfen? Stumm biss die Zähen zusammen und nahm das 'Geschenk' an. Da waren so viele Worte, die sie ihrer Ausbilderin gerne ins Gesicht gefaucht hätte, doch nach all den Jahren wusste sie es besser.
»Ich werde dich vermissen, Vivien.«
Wenn es etwas gab, dass dieser Tempel mehr als Gold liebte, dann waren es Lügen. »Ich dich auch, Marcilla. Euch alle.« Lächelnd sah sie in die kalten, grauen Augen, die sie schon so oft beim verzweifeln und scheitern beobachteten hatten, da sie aufgehört hatte, zu zählen. Es gab nichts an diesem Ort, das sie vermissen würde. Keinen einzigen Zentimeter.
Selbst wenn sie dort oben nur Tod, Blut und Gemetzel erwarten würde, alles war besser als dieser Ort. Wirklich alles.
Ihr Lächeln fühlte sich an wie aufgeklebt, während sie den Flur zum Zimmer des Oberpriesters entlanglief, Marcilla und ein paar Wachen hinter sich. Ihr Kleid schleifte über den rubinroten Teppich, den sie schon so oft hatte schrubben müssen. Das Licht der Kronleuchter ließ das Gold in ihren Haaren aufleuchten, so wie es ihre Tränen hatte aufleuchten lassen. Es gab kein Sonnenlicht in diesem Gang, in diesem Tempel.
»Mach uns stolz, Vivien.«
Das klang schon viel mehr nach der kaltherzigen Ausbilderin, die sie hassen gelernt hatte.
Mit einem Knarzen öffneten sich die Türflügel vor ihr. Mit erhobenem Kopf schritt sie nach vorne. Niemand schleifte sie an ihren Haaren vor den Oberpriester, niemand hielt sie in eisernem Griff gepackt. Sie verbeugte sich nicht. Das erste Mal war sie auf Augenhöhe mit dem Mann, der sie zerstört hatte.
Er lächelte sanft und zeigte zu einem wabernden Kreis aus Wirbeln, der mitten im Raum schwebte. Ein Loch, nein, ein Tor. Vivien sah noch einmal fragend zu ihm, doch er nickte nur auffordernd. Keine letzten Abschiedsworte? Oh, wie unfassbar schade.
Der Riss verschluckte sie nicht, und ihr wurde auch nicht schwindelig, wie in den Filmen, die sie manchmal nach dem Training geschaut hatten. Es war viel mehr wie eine Decke aus einzelnen Fäden, die sich um sie legten und sie sanft nach hinten zogen. Warm. Irgendwie klebrig. Ein wenig wie Honig.
Der Widerstand verschwand so plötzlich, dass sie im ersten Moment stolperte. Jedoch nicht lange, denn etwas stabilisierte sie. Eine Wand. Kalt, kantig, zu unregelmäßig für ein Gebäude. Blinzelnd öffnete sie die Augen und wartete, bis das Weiß aus ihrem Blickfeld verschwand.
Erst war alles dunkel, dann erkannte sie Pflanzen, die von der Decke hangen, und dahinter eine Steinwand. Sie hob den Blick. Eine Höhle. Sie war in einer Höhle. Bisher war der Himmel wirklich erstaunlich unbeeindruckend.
Langsam, um nicht wieder über ihre Absätze zu stolpern, tastete sie sich vorwärts. Sie konnte gerade noch stehen, bückte sich aber trotzdem, um sich im Falle eines plötzlichen Vorsprungs nicht den Kopf anzuschlagen. Hinter ihr war nur Wand und kein Durchgang, also hieß es wohl der Nase nach.
Sie war ungefähr fünf Minuten gelaufen, als sie hinter sich ein lautes Brüllen hörte.
Sofort schoss Adrenalin durch ihre Adern, ihre Muskeln spannten sich an. Das war schlecht. Sehr schlecht. Als das Brüllen endlich verklungen war, lief sie los. Schneller. Und schneller. Ein Knurren. Sie packte ihr Kleid, riss den untersten Teil ab, entfernte das Korsett. Mit einem Stein brach sie die Absätze ihre Schuhe ab.
Wieder ein Brüllen. Diesmal lauter. Was auch immer so verfolgte, kam näher. Noch während sie losrannte, riss sie die Blumen von ihrem Degen. Blut lief ihren Finger herunter, als sie die Spitze berührte. Immerhin war er noch scharf.
Während sie weitere Hängepflanzen passierte und sich anstrengte, bloß nicht hinter sich zu blicken, wiederholte sie alles was sie über Farin wusste. Er war der Gott des Raumes, liebte Gold, Gewinnen und Drama. Sterbliche waren in seinem Augen nichts als Schachfiguren, aber die in seinen Augen besonders wertvollen belohnte er reichlich. Deswegen hatte er so viele Anhänger.
Sie schlitterte um eine Kurve. Sein Attributtier war ein Gepard, wie sie nur zu gut wusste. Doch für einen Gepard war dieses Brüllen zu laut, ganz abgesehen davon dass die meisten Raubtiere sich leise an ihre Beute herschlichen. Heranschleichen ... Da war etwas, eine Idee, doch Vivien bekam sie nicht zu fassen.
Ihr Atem stoppte für eine Sekunde, als vor ihr plötzlich der Boden endete. Der Degen glitt aus ihrer Hand. Sie taumelte auf der Kante, unter sich nur gähnende Leere. Dann schloss sich ihre Hand um einen Felsvorsprung. Sofort war sie wieder auf den Beinen.
Sie hatte keine Zeit, durchzuatmen, denn das Brüllen kam näher und sie hatte ihre einzige Waffe verloren. Oder ... Nein, hatte sie nicht. Vor Anspannung zitternd zog sie die zwei Haarnadeln aus ihrem Dutt. Wie ein Wasserfall ergossen sich ihre Haare über ihren Rücken, zusammen mit den eingeflochtenen Blumen.
Das hier war ein verdammt schlechter Scherz. Die Höhle war viel zu eng um zu kämpfen, und ausweichen konnte sie nicht, ohne in den Abgrund zu fallen. Adern zogen sich ihre Hand entlang, als ihr Griff fester wurde.
Farin saß gerade wahrscheinlich irgendwo in einem Palast und schlürfte genüsslich Tee, während er darauf wartete, ihr beim Scheitern zuzuschauen. Bestimmte hatte er gelacht, als er gesehen hatte, wie sie sich abmühte, genau wie ihre Ausbilder es immer getan hatte.
Doch sie war nicht mehr das Kind von damals, und sie war nicht bereit, aufzugeben. Dieser Wettbewerb war ihre Chance, auf Freiheit, auf eigene Entscheidungen. Diese Prüfung war nur ein Hügel, nicht einmal ein sonderlich großer.
Farin würde staunen. Sie alle würden staunen.
Sie riss die Augen auf, als es ein letztes Mal brüllte und es dann endlich um die letzte Ecke stürmte. Es, der Drache. Oh, verdammt. Das war verrückt. Wieso ein Drache? Nein, sie wusste, warum. Clores, Farins Schwester und größter Feind, war bekannt für ihre Drachenarmee. Natürlich musste sich sein Teilnehmer gegen eins dieser Viecher beweisen können.
Die Haarnadel surrte laut, als Vivien sie wie ein Wurfmesser warf. Sie flog zielsicher auf ihr knurrendes Ziel zu, genau auf die rautenförmige Pupille gerichtet ... Und knallte scheppernd gegen die Höhlenwand. Sie blinzelte. Das konnte nicht sein.
Und dann verstand sie.
Schon vorhin war ihr etwas an dem Drachen komisch vorgekommen, und jetzt verstand sie, was: Er machte keine Geräusche. Natürlich, er knurrte, aber seine Krallen scharrten nicht über dem Boden, seine Flügel ließen keine Kieselsteine auf den Boden rieseln und sein Stampfen war nicht hörbar.
Die Nadel war direkt durch ihn durch geflogen, weil er nicht real war.
In geduckter Stellung sah sie zu, wie die Illusion auf zwei Beinen immer näher zu ihr kam. Noch zwei Sekunden. Noch eine. Sie schloss die Augen. Ein Windstoß blies durch ihre Haare. Als sie wieder sehen konnte, war der Drache verschwunden.
Mehr aus Reflex drehte sie sich um und sah in den Abgrund hinter sich. Natürlich war dort nichts außer Schwärze, Schwärze und noch mehr Schwärze. Farins Prüfung hatte bisher wirklich nur aus einer Illusion bestanden, nichts weiter. Dieser Gott hatte wirklich keinen Stil.
Sie wollte sich gerade aufrichten und weitergehen, als jemand sie packte und nach hinten zog.
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