03 | Vermutung


Blair

„Willkommen zurück, my Lady." Schwerfällig knickste Darcie.

„Ich habe ihnen schon oft gesagt, dass sie sich nicht zu verbeugen brauchen, das tut ihrem Rücken nicht gut, Darcie." Ich reichte der älteren Dame meine Hand, diese ignorierte sie jedoch völlig.

„Ach Blair Jamin, sie sind eine Adlige, vergessen sie das nicht. Jeder in diesem Haus hat ihnen zumindest diesen Respekt zu zollen." Sie lächelte mich an.

„Eigentlich sollte ich mich eher vor ihnen verbeugen, weil sie trotz ihres Alters immer noch für mich arbeiten", sagte ich, während Tristan meinen Koffer Darcie übergab.

„Jetzt hören sie schon auf, ich arbeite gerne für sie, my Lady." Ihre blaugrünen Augen strahlten mich warm an.

Bevor ich noch irgendetwas hätte erwidern können, verschwand sie schon in einem Flur, der in den Wintergarten führte. Dort wusch sie für gewöhnlich meine Sachen.

Darcie Hollis war eine herzensgute, aber schon von der Zeit gezeichnete, alte Dame. Eigentlich wollte ich ihr nie die Stelle als Dienstmädchen oder Magd geben, da sie meiner Meinung nach ihre letzten Tage ohne Arbeit verbringen sollte. Jedoch hätte es da nichts gegeben, was sie hätte genießen können. Ihre Wohnsituation und ihre generelle Versorgung, war denkbar schlecht gewesen.

Ihre gekrümmte Haltung und etwas kratzige Stimme, hatten mich schon früh vermuten lassen, dass sie viel zu lange alleine gewesen war. Und doch lag in ihren Augen jedes mal eine Wärme, die mir ein wenig Geborgenheit spendete.

Ich schaute Darcie nach, bis ich meinen Blick abwandte und durch die riesige Eingangshalle schweifen ließ. Sie war alt, aber sauber.

An der Treppe standen zwei Blumentöpfe mit rosafarbenen Lilien. Rora hatte sie dort mit der Begründung, dass das Haus unbedingt mehr Farbe benötigte, aufgestellt.

Ansonsten war es in der Halle leer und sparsam.

„Rora, gib Dasmond Bescheid, dass ich ihn in der Bibliothek erwarte", wies ich sie an.

„Natürlich! Ihre Kleidung liegt auch schon bereit", nickte sie noch, bevor sie in einem unscheinbaren Gang, der zum sparsamen Ostflügel führte, verschwand.

Ich verharrte noch kurz vor der Treppe und schaute abschätzig auf die Blumen herab, bis ich mich dann kopfschüttelnd in die erste Etage begab.

Das Anwesen war einfach aufgebaut. Im Ostflügel hausten alle meine Angestellten. Im Westflügel befand sich die Küche, welche meiner Meinung nach das einzige Nützliche dort war, das Esszimmer und weiteres unnützes Zeug. Und dann gab es noch die erste Etage, hier befanden sich meine Räume. Unter anderem besaß ich eine Bibliothek und ein Arbeitszimmer, in dem ich die meiste Zeit des Tages war, wenn ich mich im Anwesen befand.

Anfangs hatte es mich sehr gestört, dass Tristan mir auf Schritt und Tritt folgte, jedoch hatte ich mich irgendwann daran gewöhnt. Nun fühlte es sich eher so an, als hätte ich einen Schatten an mir kleben. Zudem hörte man unsere Schritte auf dem Teppich so gut wie gar nicht, was mich jedoch mehr beunruhigte als beruhigte.

Vor einer dunklen und eher unscheinbaren Tür blieben wir stehen. Hinter ihr verbarg sich mein Schlafgemach.

Tristan verbeugte sich kurz und positionierte sich neben der Tür. Ich bedachte ihn noch eines flüchtigen Blickes, drückte dann die Türklinke hinunter und trat in das dunkle Zimmer.

Es war eine Angewohnheit von mir, immer die Vorhänge zuzuziehen. Wirklich vorteilhaft war sie nicht, da das gesamte Zimmer bestialisch müffelte. Jedes einzelne mal. Ein Wunder, dass Rora nicht schon längst ihren Kopf durchgesetzt hatte und die Vorhänge aufgezogen hat.

Ich mochte die Dunkelheit, was mich dazu veranlasste, die Tür hinter mir ins Schloss fallen zu lassen.

Seufzend ließ ich mein Gesicht in meine Hände fallen und atmete, das erste mal seit drei Monaten, endlich wieder durch. Diesen Moment der augenscheinlichen Schwäche gewährte ich mir nur dort, wo keine Katakomben auf mich lauerten. Es wäre äußerst töricht, dies zu tun.

Und ich war nicht töricht.

Das waren nur Schwächlinge.

⎈⎈⎈

Dass pompöse Kleider nicht meine Welt waren, war offensichtlicher als die Narbe in meinem Gesicht. Und das mochte schon etwas heißen.

Vorsichtig strich ich mit meinen Fingerspitzen über die Narbe, die sich seit vierzehn Jahren durch mein Auge zog. Sie hätte mir etwas genützt, wäre sie größer, brutaler und erschreckender. Aber sie hatte leider Gottes mein Gesicht nicht zerstört.

Dann wären mir die lästigen lüsternen Blicke der männlichen Soldaten, sowie Adligen, erspart geblieben. Die Menschheit war viel zu einfach gestrickt, nach meinem Geschmack sollten sie mehr Selbstachtung oder sowas in der Art besitzen.

Kopfschüttelnd wandte ich mich von dem Spiegel ab, der zentral in meinem Zimmer stand. Ich hätte auch gut ohne dieses Ding leben können, aber ein Kupfer haariges Mädchen hatte darauf bestanden.

Dass ich beim abrupten Umdrehen vergaß, dass ich ein nicht gerade praktisches Kleid trug, wurde mir mit dem Verlust meines Gleichgewichtes gedankt. Wenige Sekunden später kam ich dumpf auf dem Boden auf.

Nicht zu fassen! Ich komme mühelos mit einem Schwert zurecht, aber an einem Kleid scheitere ich?

Frustriert rappelte ich mich wieder auf. Es war, als wollte mir auch die Welt sagen, dass das dunkelrote Kleid mir nicht stand. Dieser Meinung war ich zwar auch, jeder andere schien mir da jedoch nicht zustimmen zu können.

Oder die Welt wollte mir sagen, dass ich definitiv Schlaf brauchte. Ich hatte ihn in meiner Abwesenheit schließlich oft sausen lassen.

Als ich wieder stand, strich ich das Kleid glatt, hob meinen Kopf und marschierte mit langen Schritten auf die Tür zu. Als ich sie öffnete, erblickte ich Tristan, der mich alarmiert ansah.

„My Lady, ist irgendwas passiert?" Ich starrte ihn an und verzog keine Miene. Ein schroffes Nein platzte aus mir heraus. Ich könnte schreien. Sobald ich zurück war, wurde ich weich. Kein gutes Zeichen.

Aber, wie immer, bewahrte ich die Fassung.

„Wie ist die Lage unter den Adligen?", erkundigte ich mich bei Tristan, während wir den Gang hinunterliefen.

„Soweit ich weiß, ist zurzeit alles ruhig. Abgesehen von einzelnen Personen halten sich die meisten im Hintergrund." Seine knappe Antwort ließ mich darauf schließen, dass er nicht mehr wusste. Ich sollte Desmond ebenfalls fragen!

„Das war zu erwarten." Seufzend betrat ich die Bibliothek. Sie war -im wahrsten Sinne des Wortes-, steinalt und bestand merkwürdigerweise auch aus diesem. Die Regale wurden aus einem speziellen Vulkangestein gefertigt. Grüne Smaragde zierten in regelmäßigen Abständen die Regalbretter.

Der Vorbesitzer war eine schräge Schachtel gewesen, laut den Erzählungen. Er wurde in seinen eigenen vier Wänden von Katakomben ermordet, weswegen ich das Anwesen zu einem Spottpreis erwerben konnte.

Es war ganz hübsch, abgelegen und unscheinbar gewesen. Zudem hatte ich die Blutflecken leicht entfernen können. Nur noch einige Kratzspuren, auf dem dunklen Holzboden, ließen erahnen, was hier vor gefallen war.

Mein Blick schweifte beim Gehen durch den Raum. Alles beim Alten!

Tristan schloss hinter mir die Tür und bezog auf dem Flur, außerhalb des Raumes, Stellung.

„My Lady! Es ist schön zu sehen, dass sie heile zurückgekehrt sind." Desmond, mein Buttler, eilte durch die Bücherregale hindurch und auf mich zu.

„Die Lage ist ruhig? Wer sticht heraus?" Ich griff nach einer Tasse Tee, die Darcie auf einem kleinen Tisch platziert hatte.

„Ja, so gut wie alle Adligen halten sich im Zaum, wenn sie von der zweiten kaiserlichen Prinzessin und Fräulein Lavea Castell absehen. Diese Streitereien hält beim besten Willen keiner mehr aus." Er hielt sich die Stirn und ergriff die Liste, die ich ihm reichte, nachdem ich den Tee wieder abgestellt hatte.

Es war nicht verwunderlich, dass die beiden wieder im Mittelpunkt der Gesellschaft standen. Um ehrlich zu sein, war dies ein Dauerzustand.

„Aber es gibt keine Auffälligkeiten?" Langsam ging ich an den zahlreichen Bücherregalen vorbei. Desmond folgte mir.

„Worauf wollt ihr hinaus, my Lady?" Das Misstrauen stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben, als ich ihm einen Blick über meine Schulter zuwarf.

„Ob es offensichtliche Zusammenschlüsse gibt, die darauf hindeuten, dass einige den Kaiser stürzen wollen?", fragte ich seufzend und inspizierte die Bücher des Regals, vor dem ich stehen geblieben war.

„Soweit ich das beurteilen kann, nein. Aber die Katakomben lauern überall, das wissen sie besser als ich. Ich denke, es ist nicht auszuschließen, dass es schon längst welche in unseren eigenen Reihen von ihnen gibt." Er hatte recht. Je mehr Zeit verging, desto weniger hatten wir den Angriffen etwas entgegenzusetzen. Sie verbesserten ihre Taktiken. Und das stetig.

„Jedoch scheint ihr ebenso wenig an ihre Dummheit zu glauben. Wieso wollt ihr so viele Berichte über vergangene Taktiken und Hinterhalte der Katakomben anfordern?" Desmond sah von mir auf die Liste und wieder zurück.

Ich hatte sie in der Kutsche geschrieben. Vermerkt waren zwanzig Berichte, die mir den potenziellen Hinterhalt erklären könnten. Jedoch vermutete ich, dass so etwas in der Art noch nie vorgekommen war, andernfalls hätte ich etwas davon gewusst.

Ich stellte keine Vermutungen auf, aber es kam etwas auf uns zu und wir alle waren zu blind, um es zu sehen.

„Eine Vorsichtsmaßnahme!"

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