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"Wartet! Wartet! Ich habe unterzeichnet!"

Den Vertrag in der Hand, rannte Bilbo auf die Zwerge und Gandalf zu, welche vor uns auf Ponys durch einen Wald ritten. Als sie uns bemerkten, hielten sie an, damit wir aufholen konnten. Ich war schneller als der Hobbit und früher bei ihnen. Thorins wütenden Blick ignorierend, hielt ich neben Gandalf an.

Dieser sah, wenig überrascht, zu mir hinunter. "Ich sagte doch, dass der Abschied nicht von Dauer sein würde, oder?" Lächelnd nickte ich, drehte mich um, als Balin sagte: "Es scheint alles in Ordnung zu sein. Willkommen, Meister Beutlin, in der Gemeinschaft von Thorin Eichenschild!"

Thorin scherte sich allerdings weniger um den Vertrag als darum, dass ich mich ihm widersetzt hatte. Er lenkte sein Pony vor mich und sah auf mich herab. "Was sucht Ihr hier? Ich hatte doch klar und deutlich verboten-"

"Ich weiß, was Ihr gesagt habt", unterbrach ich ihn, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. "Aber ich verspreche, dass ich Euch keine Last sein werde. Ich kann helfen!" Thorin sah von mir zu Gandalf und schließlich zu Balin, welcher bloß nickte. Seufzend übernahm Thorin wieder die Führung. "Gebt ihnen Ponys."

Ich konnte nicht verhindern, dass ein breites Lächeln sich auf meine Lippen schlich. Ich sah zu Balin und formte ein "Danke!", mit den Lippen, worauf der alte Zwerg mir zulächelte.

Während Bilbo nicht gerade begeistert davon war, mit einem Pony weiterzureisen, störte es mich nicht. Ich wandte mich Gandalf zu, der mir die Zügel eines dunkelbraunen Pferdes mit schwarzen Beinen, Mähne und Schweif reichte. Fasziniert strich ich ihm über die weiße Blesse auf der Stirn. Es war ein Brumby, und ein besonders Schöner noch dazu.

Da fiel mir auf, dass außer Gandalf alle wegen ihrer Größe auf Ponys ritten. Der einzige Grund, warum sie noch ein Pferd haben sollten, war, dass Gandalf es für mich besorgt hatte. Fragend sah ich ihn an. "Woher wusstest du-"

"Ich kenne dich nun schon sehr lange, Tiaret." Mit einem Kopfnicken bedeutete er mir, aufzusteigen, was ich bereitwillig auch tat. Während ich mich elegant in den Sattel schwang, mussten Fili und Kili Bilbo an je einer Seite packen und auf sein Pony heben. Skeptisch besah Bilbo sein Tier und klammerte sich fest, so gut er konnte.

Ein Grinsen unterdrückend, klopfte ich meinem Brumby auf den Hals. Er schien ein recht feuriger Hengst zu sein, schnell und wendig, doch nach einer Weile wurde ihm klar, dass wir nun ein Team waren und er nicht gegen mich ankämpfen musste. Von da an ließ er sich gut führen.

"Hast du ihm schon einen Namen gegeben?" Fili und Kili erschienen auf je einer meiner Seiten.

"Nein", antwortete ich auf Filis Frage. "Darf ich das denn?" Meine Stimme war leicht spöttisch und spielte auf Thorins bestimmende Art an.

Kili grinste. "Na klar."

Kurz musste ich überlegen. "Coda", entschied ich dann.

"Wie kommst du auf Coda?", fragte Kili mit gerunzelter Stirn.

Ich zuckte mit den Schultern. "Er sieht eben aus wie ein Coda."

Da begangen die Zwerge einander Beutel mit Geld zuzuwerfen. Ich sah zu Gandalf, der in meiner Nähe ritt, genau wie Bilbo. "Worum geht's?", fragte dieser.

"Oh, sie haben Wetten abgeschlossen, ob du kommst oder nicht. Die meisten haben gewettet, du würdest es nicht tun", erklärte der Zauberer.

"Was hast du geglaubt?", wollte Bilbo wissen. Kurz darauf fing Gandalf einen Beutel Geld auf. "Mein lieber Freund, ich habe keine Sekunde an dir gezweifelt. Genauso wenig, wie ich daran zweifelte, dass Tiaret einer Anweisung folgen würde." Gandalf sah über die Schulter zu mir und zwinkerte.

"Wo er recht hat", sagte ich zu Fili und Kili, welche mich mit undefinierbarem Gesichtsausdruck betrachteten. "Habt ihr über mich auch Wetten abgeschlossen?"

Fili schüttelte den Kopf. "Keiner von uns dachte, dass jemand sich Thorin widersetzen würde."

Dann wurde es wohl langsam mal Zeit, dass jemand damit anfängt. Den Rest des Ritts verbrachten die Brüder weiterhin neben mir. Anfangs gingen sie - besonders Kili - mir gewaltig auf die Nerven. Der braunhaarige Zwerg schien mir etwas zu überzeugt von sich selbst, an Fili konnte ich mich nach einer Weile jedoch gewöhnen. Er war wirklich nett und lustig, ganz anders als sein Onkel.

Am Abend schlugen wir unser Lager bei einem Felsvorsprung auf. Ich legte mich in die Nähe des Feuers in der Hoffnung, ein wenig schlafen zu können. Nach wenigen Minuten tat ich das auch.

Meine wirren Träume entwickelten sich zu Erinnerungen. Erinnerungen an damals, an meine Familie und mich vor dem Angriff. Doch dann kamen die Orks. Sie brachen in unser Haus ein und nahmen meine Eltern gefangen, töteten meinen kleinen Bruder vor meinen Augen.

Noch im selben Moment schreckte ich aus dem Schlaf. Kerzengerade saß ich neben dem Feuer, mein Atem ging schnell und mein Herz raste.

"Tia?"

Erschrocken sah ich zu Fili und Kili hinüber. Die beiden saßen ebenfalls am Feuer und musterten mich mit undefinierbarem Gesichtsausdruck. Ich strich mein zerzaustes Haar hinter meine Ohren und versuchte, meinen Atem zu beruhigen.

"Alles in Ordnung?", fragte Kili und streckte eine Hand nach mir aus. Reflexartig zuckte ich zurück und Kili hielt in der Bewegung inne.

"Mir... Mir geht's gut." Ich zwang mich zu einem Lächeln, stand wacklig auf und ging zu Coda hinüber. Dieser merkte scheinbar, dass es mir nicht gut ging, und stupste mich aufmunternd mit der Nase an. Dankend strich ich ihm durchs braune Fell, dabei wanderte mein Blick zurück zu Fili und Kili. Die beiden musterten mich immer noch etwas besorgt, aber als sie merkten, dass ich es sah, schauten sie schnell weg.

Da kam Bilbo zu seinem Pony und steckte ihm einen Apfel zu. "Das bleibt unser kleines Geheimnis, Myrtle." Lächelnd beobachtete ich ihn, als Coda mich plötzlich so heftig anstupste, dass ich ein paar Schritte zurück stolperte. "Hey!", entrüstete ich mich. Coda schnaubte bloß. "Entschuldige, aber ich habe nichts, was du essen kannst." Eingeschnappt wandte Coda den Kopf zur Seite. "Männer", murmelte ich.

Da ertönte ein Schrei.

Alarmiert sah ich auf. Das kam mir bekannt vor.

"Was war das?", fragte Bilbo ängstlich.

"Orks", antwortete Kili ernst.

"Orks?!", echote Bilbo und ging eilig zu dem Feuer, ich blieb bei Coda.

"Halsschlitzer", erklärte Fili, der eine Pfeife rauchte. "Dutzende sind da draußen. In den leeren Landen wimmelt es von ihnen."

"Sie schlagen kurz vor Morgengrauen zu", ergänzte Kili, "wenn alles schläft. Schnell und leise, niemand schreit. Nur sehr viel Blut..."

Mit blassem Gesicht sah Bilbo in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Fili und Kili fanden seine Angst scheinbar urkomisch und lachten leise.

"Haltet ihr das für lustig?" Thorin war aufgestanden und sah streng auf seine Neffen hinab. "Haltet ihr einen Orkangriff bei Nacht für einen Scherz?!"

"Wir haben uns nichts dabei gedacht", murmelte Kili und senkte den Kopf. Ich schnaubte nur. Ja, denken war offensichtlich nicht seine Stärke. An Orkangriffen war absolut nichts Lustiges!

"Nin, habt ihr nicht." Thorin wandte sich ab und lief an den Rand des Hangs. "Ihr wisst nichts von der Welt."

Balin trat auf Bilbo, Fili und Kili zu. "Nimm's ihm nicht übel, mein Junge... Thorin hat mehr Grund als die meisten, Orks zu hassen."

Aus dem Augenwinkel konnte ich Gandalfs wissenden Blick auf mir spüren. Zähneknirschend versuchte ich, ihn zu ignorieren, und hörte der Geschichte zu, die Balin über Thorins Großvater und den Ork Azog erzählte, und darüber, dass keiner wusste, was mit Thorins Vater passiert war.

"Wir waren ohne Anführer. Niederlage und Tod kamen über uns. Ja und dann... sah ich ihn. Einen jungen Zwergenprinzen, der dem bleichen Ork die Stirn bot."

Gebannt hörte ich weiter zu. Ich konnte nicht glauben, dass Gandalf mir das nicht erzählt hatte. Oder wusste er es womöglich bis jetzt auch nicht? Das bezweifelte ich. "Damals sagte ich mir: Diesem einen will ich folgen. Diesen einen, will ich König nennen." Als Balin seine Geschichte beendet hatte, stand ich fassungslos neben Coda und versuchte, zu verarbeiten, was Balin gerade erzählt hatte. Und als Thorin auf Bilbos Frage, was aus Azog geworden war, antwortete, er sei an seinen Wunden zu Grunde gegangen, blieb der Blick, den Gandalf mit Balin wechselte, mir nicht verborgen.

Als alle schliefen, stand Thorin immer noch dort und sah in die Ferne. Zögernd ging ich zu ihm. "Thorin?" Er hatte mich gehört, sah mich jedoch nicht an. Ich atmete tief ein und sagte: "Es tut mir leid, was mit Eurem Großvater passiert ist. Ich kann verstehen-"

"Nichts könnt Ihr verstehen", unterbrach er mich und wandte sich um, um schlafen zu gehen. "Ihr seid genauso jung und ahnungslos wie meine Neffen."

"Wie könnt Ihr euch so ein Urteil erlauben?", fuhr ich ihn an, wodurch er stehenblieb und sich mir zögerlich zuwandte. Ich musste mich bemühen, meine Stimme gesenkt zu halten. "Denkt Ihr, Ihr seid der einzige, der Schmerz erlitten hat? Denkt ihr, ich weiß nicht wie es ist, eine geliebte Person zu verlieren?" Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. "Dann liegt Ihr gewaltig daneben!"

Thorin schien erstaunt, sagte aber nichts. Eine Weile standen wir bloß so da, dann wandte er sich ab und ging zu seinem Schlafplatz zurück.

Ich atmete tief ein und schloss die Augen bei dem Versuch, nicht zu weinen. Reiß dich zusammen! Als ich mich beruhigt hatte, ging auch ich zu meinem Platz neben dem Feuer zurück und legte mich hin.

"Tia?"

Mit Überraschung erkannte ich, dass Kili, der hinter mir lag, noch - oder wieder - wach war. Offenbar hatte er das kurze Gespräch zwischen seinem Onkel und mir mitbekommen.

"Was?", fauchte ich, ohne es wirklich zu wollen.

Kili antwortete lange Zeit nicht und ich dachte schon, er wäre wieder eingeschlafen, doch da flüsterte er leise: "Wen habt Ihr verloren?"

Erneut atmete ich tief ein und drehte mich auf die Seite, um ihn ansehen zu können. "Meine Familie", flüsterte ich. "Vor ein paar Jahren haben Orks meine Eltern und meinen jüngeren Bruder ermordet. Wenn dein Onkel also sagt, ein Orkangriff ist kein Witz, nimm dir das zu Herzen." Kilis geschockten Gesichtsausdruck ignorierend, drehte ich mich wieder um, ohne ihn etwas sagen zu lassen.

Ich brauchte garantiert nicht sein Mitleid.

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