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"Hattest du nicht gesagt, dieser Ort sei leicht zu finden?"
Ich konnte ihn nicht so gut sehen, da alle Zwerge sich vor mich drängten und den Weg durch die Tür in den Flur versperrten, doch ich erkannte, dass Thorin gerade eintrat und jeder ihn anstarrte, als wäre er einer der Valar.
Er ist ein König, erinnerte ich mich. Ihr König. Sie haben Respekt vor ihm.
Thorin schien ernster als die anderen. Er sah nicht aus wie jemand, der bei dem Liedchen eben fröhlich mitgesungen hätte. Er strahlte etwas majestätisches aus, auch, wenn man nicht wusste, dass er blaues Blut besaß.
"Ich hab mich verirrt, zweimal. Ohne das Zeichen an der Tür hätte ich's überhaupt nicht gefunden." Thorin legte seinen Mantel ab und drehte sich zu dem Hobbit um, welcher verwirrt an den Zwergen vorbei nach vorn huschte. "Zeichen? Da ist kein Zeichen! Sie wurde erst vor einer Woche frisch gestrichen!"
Mit dem Gedanken, dass in einer Woche viel passieren konnte, sowie dem Wissen, dass Gandalf das erwähnte Zeichen angebracht hatte, drehte ich mich um und ging leise zurück ins Wohnzimmer. Ich fand, dass Thorins Ankunft eher die Zwerge betraf und wollte nicht stören, außerdem wusste ich bereits, wer er war und dass er uns auf der Reise anführen würde.
Gedankenverloren sah ich mir die Bilder an, die auf Bilbos Kaminsims standen. Eines sprang mir besonders ins Auge: Es zeigte eine junge Hobbitfrau, die einen kleinen Jungen - unverkennbar Bilbo - auf den Armen hielt. Seine Mutter... Noch während ich mich fragte, wo sie war, ob sie noch lebte oder ob Bilbo seine Eltern womöglich auch verloren hatte, ertönte eine Stimme hinter mir.
"Was macht das Mädchen hier?"
Ich fuhr herum und sah mich Thorin gegenüberstehen, hinter ihm die anderen Zwerge. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie vom Flur hier hergekommen waren.
Abwartend sah der Zwergenprinz zu Gandalf, welcher mit Bilbo ebenfalls zu uns stieß. "Sie kann nicht mitkommen, Gandalf, sie würde uns nur behindern."
Erbost wollte ich protestieren, doch Gandalf kam mir zuvor. "Ihr Name ist Tiaret und es würde nicht schaden, sie dabeizuhaben, Thorin." Da dieser immer noch skeptisch war, fuhr Gandalf fort: "Sie ist eine begabte Bogenschützin und alles andere als wehrlos. Sie würde uns nicht zur Last fallen."
Kurz zögerte Thorin und ich dachte schon, Gandalf hätte ihn überredet. Dann schüttelte er jedoch den Kopf. "Nein. Sie kommt nicht mit. Ich bin verantwortlich für diejenigen, die ich für diese Reise auserwählt habe. Nicht für eine Frau, von der ich nicht einmal weiß, ob ich ihr trauen kann."
Bei seinen abfälligen Worten schnappte ich nach Luft. "Entschuldigt mal, ich-" Mit einem strengen Blick brachte Gandalf, der genau wusste, was ich für ein Temperament haben konnte, mich zum Schweigen. Wütend funkelte ich erst ihn, dann die Zwerge an, drehte mich um und verließ den Raum.
Ich fand mich in Bilbos Badezimmer wieder. Aufgebracht lief ich auf und ab, versuchte, mich zu beruhigen. Diese verdammten Zwerge waren so arrogant! Ich durfte nur nicht mit, weil ich eine Frau und dazu noch keine Zwergin war! Beruhige dich, Tia...
Ich blieb stehen, schloss die Augen und atmete tief durch. Es war Thorins Pech, wenn er freiwillig auf Hilfe verzichtete. Sollte er doch zusehen, wie er seinen blöden Maulwurfhügel zurückeroberte.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ging ich zurück zu den anderen. Sie saßen alle am Tisch und sprachen über den einsamen Berg, der von dem Drachen Smaug besetzt worden war. Ich hielt mich im Hintergrund und hörte zu, bis ein blonder Zwerg sagte: "Wir mögen nicht sehr viele sein, aber wir sind Kämpfer. Jeder von uns, bis zum letzten Zwerg!"
"Und vergesst nicht", mischte sich der Braunhaarige von vorhin ein, der neben ihm saß. "Wir haben einen Zauberer in unseren Reihen, Gandalf hat sicher schon hunderte Drachen getötet!"
Gerade so konnte ich es verhindern, loszulachen, und tat, als müsste ich husten. Gandalf warf mir einen eingeschnappten Blick zu. "Ich würde nicht sagen, dass, äh-"
"Wie viele dann?", fragte einer der Zwerge.
"Äh, was?"
"Wie viele habt ihr getötet? Kommt schon, nennt uns eine Zahl!"
Als daraufhin ein Streit zwischen den Zwergen entstand, den Thorin beendete, grinste ich Gandalf zu. Gerade nochmal Glück gehabt.
Er achtete nicht auf mich, sondern gab Thorin den Schlüssel seines Vaters und erzählte ihm, wie wir - pardon, wie sie - womöglich in den Berg gelangen konnten.
Ich hörte nur noch mit halbem Ohr zu, da ich ja sowieso nicht mitkommen durfte. Als einer der Zwerge sagte: "Stell dir einen geflügelten Schmelzofen vor. Ein grelles Licht, ein glühender Schmerz und Puff - ist man nur noch ein Häufchen Asche.", kam von Bilbo nur noch ein "Nee", und er fiel vor meine Füße auf den Boden. Ich nahm den Vertrag, der neben ihm auf dem Boden lag, und überflog ihn. "Ausweidung? Verbrennung?" Ich verdrehte die Augen und drückte Thorin das Papier in die Hand. "Kein Wunder, dass er da so reagiert."
Thorin funkelte mich an, sagte aber nichts.
Als es Bilbo wieder gutging, unterhielt Gandalf sich mit ihm im Wohnzimmer. Ich versuchte, zu lauschen, und setzte mich auf eine kleine Bank im Flur.
Ein Paar Schuhe trat in mein Sichtfeld. Als ich aufsah, stand vor mir der blonde Zwerg. "Tia, oder?", fragte er. Zögernd nickte ich. "Ich bin Fili, Thorins Neffe." Überrascht besah ich ihn von oben bis unten. Dieser gutgelaunte, freundliche Zwerg war mit Thorin Stinkstiefel Eichenschild verwandt? Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Fili: "Nimm es meinem Onkel nicht übel. Er hat gelernt, dass man nicht jedem vertrauen kann, manchmal nicht einmal den engsten Verbündeten."
"Ich kenne die Geschichte", unterbrach ich ihn ruhig. "Ich weiß, dass die Elben eurem Volk die Hilfe verweigerten."
Fili öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als Gandalf neben uns erschien. Abwartend (und weil ich mich nicht mehr mit Fili unterhalten wollte) sprang ich auf. "Und? Wird er unterzeichnen?"
"Nein", seufzte Gandalf und ging ohne ein weiteres Wort zu den anderen, Fili folgte. Nachdenklich sah ich zu Bilbo, der in seinem Sessel saß, und lief zu ihm.
"Du hast Angst." Ich fragte nicht, sondern stellte das fest. Überrascht sah Bilbo auf, als ich mich ihm gegenüber stellte. "Ja", sagte er dann. "Ist das so verwerflich?"
"Nein", gab ich zu. "Aber wenn ich die Möglichkeit hätte, diese Reise mitzumachen, würde ich sie ergreifen." Ich zögerte, dann fügte ich hinzu: "Selbst die Kleinsten können große Dinge vollbringen, Herr Beutlin." Damit ließ ich Bilbo mit seinen Gedanken allein.
Später am Abend lag ich bereits mit einer Decke auf dem Sofa und sah aus dem Fenster neben mir in den mit Sternen besetzten Himmel hinaus. Die Zwerge standen um den Kamin herum und sangen ein Lied. Dieses war ganz anders als das, welches sie beim Abräumen des Tisches gesungen hatten, und ich bekam Gänsehaut vom Zuhören. Es handelte von ihrer Heimat, ihrer bevorstehenden Reise, ihrem Ziel. Kaum, dass das Lied beendet war, fielen mir die Augen vor Müdigkeit zu.
-
Am nächsten Morgen erwachte ich durch leises Getuschel und das Knarzen einer Tür. Sie gehen, schoss es mir durch den Kopf. Lautlos griff ich nach dem Messer in meinem Stiefel, setzte mich auf und warf es mit voller Wucht gegen die Eingangstür, wo es im Holz steckenblieb. Beinahe hätte es Thorin erwischt. Dieser sah mich strafend an. Wenn ich gewollt hätte, dass es dich trifft, wäre es jetzt in deinem Kopf und nicht in der Tür. Ich bemühte mich, diesen Gedanken nicht auszusprechen. Mit dem letzten bisschen Hoffnung, das in mir ruhte, erwiderte ich Thorins strengen Blick. Doch er wollte mich auch heute nicht mitnehmen, darum verließ er das Haus, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen. Die anderen Zwerge folgten ihm, wobei Fili mir noch einen entschuldigenden Blick zuwarf.
Ich stand auf und ging auf Gandalf zu, welcher noch im Flur stand. "Wolltest du dich noch nicht einmal verabschieden?", fragte ich leicht vorwurfsvoll.
Gandalf lächelte. "Ich denke nicht, dass dieser Abschied für lange Zeit gelten wird, Tiaret." Mit einem letzten Blick auf den Hobbit, der noch in seinem Bett schlief, verließ Gandalf das Haus. Seufzend nahm ich mein Messer wieder an mich und winkte Gandalf ein letztes Mal zu. Dann ging ich zurück ins Haus.
Ich erlaubte mir, ein Glas Wasser von Bilbo zu nehmen, und setzte mich damit an einen kleinen Tisch neben einem Fenster. Bald darauf wachte Bilbo auf, lief durch sein Haus und vergewisserte sich, dass kein Zwerg mehr dort war. Als er mich entdeckte, schwand das Lächeln auf seinem Gesicht.
"Ich werde Eure Gastfreundschaft nicht länger in Anspruch nehmen", vergewisserte ich ihm, ohne meinen Blick vom Fenster abzuwenden.
"Oh, nein, nein, ich wollte nicht unhöflich sein-"
"Schon in Ordnung."
Unruhig räusperte Bilbo sich. Sein Blick fiel auf den Vertrag, den Thorin ihm dagelassen hatte.
"Sie sind bereits aufgebrochen. Den haben sie dagelassen, falls du deine Meinung änderst", beantwortete ich seine unausgesprochene Frage und nickte zu dem Vertrag.
"Und du bist tatsächlich noch hier?" Er setzte sich mir gegenüber und schien ehrlich überrascht. Ich zuckte bloß mit den Schultern. "Wo soll ich sonst sein? Thorin hat klargemacht, dass er mich nicht dabeihaben will."
Bilbo sah von mir zum Fenster, dann zum Vertrag und wieder zu mir. "Mir hat er auch die Wahl gelassen", meinte er gedehnt. "Und du bist laut Gandalf eine ziemlich begabte Kämpferin, anders als ich."
Aufmunternd lächelte ich ihm zu. "Er hat auch gesagt, dass in dir mehr steckt, als man zunächst denken mag, Bilbo Beutlin."
Einen Moment sahen wir uns in die Augen, sagten kein Wort. Dann sprangen wir auf, Bilbo unterschrieb den Vertrag, wir packten unsere Sachen und rannten den anderen hinterher, so schnell wir konnten.
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