- 11 -

Ich traf Azog so unerwartet, dass er von seinem Warg fiel und auf dem staubigen Boden landete. Durch den Aufprall rollte ich ein Stück über die Erde und von ihm weg, sprang jedoch sofort wieder auf und begab mich in Kampfhaltung.

Ich konnte die Blicke der Zwerge und Bilbo auf mir spüren, ihr Entsetzen und die Überraschung darüber, dass dort, wo eben noch ein Mädchen war, nun eine große Löwin mit braungoldenem Fell und gelben Augen stand. Doch ich versuchte, das alles auszublenden, denn Azog hatte sich inzwischen auf die Füße gekämpft und kam auf mich zu. Ich rüstete mich für seinen Angriff und vergaß dadurch für einen Moment seinen Warg. Dieser sprang mich von der Seite an und nagelte mich am Boden fest. Ich legte die Ohren an und versuchte, ihm mit den Hinterläufen den Bauch zu zerkratzen, während meine Vorderpfoten ihn an der Brust von mir drückten, sodass er mir nicht das Gesicht zerbeißen konnte. Ich spannte meine Hinterbeine an und trat dem Warg so kräftig in den Bauch, dass er von mir flog. Schnell sprang ich auf und machte mich bereit, mich auf ihn zu stürzen.

"Tia, pass auf!", brüllte jemand, ich glaube, es war Bilbo. Ich hielt in der Bewegung inne und fuhr herum, und noch während Fili und Kili: "Hinter dir!", schrien, holte ein brauner Warg mit der Pranke aus und schlug mir so fest ins Gesicht, dass ich gegen einen Baum prallte. Leicht benommen blieb ich dort für einen Moment liegen. Als ich sah, dass Azog wieder auf seinem Warg saß und andere Orks an seiner Seite standen, rappelte ich mich auf und rannte auf ihn zu, doch der braune Warg stellte sich uns wieder in den Weg. Er sprang mich an und vergrub seine Zähne in meiner Schulter.

Ich brüllte vor Schmerz und jaulte, als der Warg mich schüttelte wie ein Stück Beute, bevor er mich zu Boden schmiss, wo mein Kopf gegen einen Fels im Boden schlug. Eine warme Flüssigkeit lief meinen Rücken hinunter und so sehr ich es auch wollte, ich konnte mich nicht bewegen.

Ich konnte jemanden schreien hören.

Müdigkeit drohte, mich zu übermannen. Bleib wach!, rief ich mir selbst zu, meine Augenlider flatterten. Bleib wach! Das Letzte, was ich sah, war, wie die Zwerge die Orks, welche auf Bilbo und Thorin zuritten, zu bekämpfen begannen, dann hüllte die Dunkelheit mich ein und ich versank in Stille.

-

Ich träumte, ich würde fliegen. Der Wind wehte durch mein Haar und ließ mich mir der Freiheit bewusst werden: Ich könnte hinfliegen, wohin ich wollte.

Ich konnte das Kreischen eines Adlers hören, sah aber keinen. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Ich hatte das Gefühl, etwas zu vergessen... Oder jemanden.

Stimmen... Sie riefen etwas.

"Thorin!"

Ich kannte diese Stimme... Ich kannte diesen Namen...

"Tia! Tia!"

Auch diese Stimme kannte ich und der Name- War das nicht meiner?

Tia... Ich bin Tia...

-

Blinzelnd öffnete ich die Augen und zuckte sofort zusammen, als Schmerz durch meine Schulter und meinen Kopf schoss. Ich war wieder ein Mensch. "Was..." Ich räusperte mich, um richtig reden zu können. "Was ist passiert...?"

Über mir kniete ein Mann. Er trug einen Hut, hatte einen langen, grauen Bart und eisblaue Augen.

"Gandalf?", krächzte ich.

Erleichtert atmete er auf. "Es geht ihr gut." Ich hob den Kopf, so gut ich konnte, und sah die Zwerge in unserer Nähe stehen.

Da fiel mir alles wieder ein und ich setzte mich ruckartig auf. Zischend langte ich an meinen Hinterkopf und biss die Zähne zusammen, als ich auf rotes, getrocknetes Blut fasste. Meine Klamotten waren dreckig, an der Schulter konnte ich die Wunde vom Biss des Warges spüren.

"Du hattest Glück, dass er dich nicht schlimmer erwischt hat, meine Liebe", murrte Gandalf. "Die Wunden werden heilen, aber deine Schulter wird einige Narben davontragen und Schmerzen bleiben vorerst sicherlich auch. Das hast du eben von deiner Achtlosigkeit!" Ich verdrehte die Augen, obwohl ich wusste, dass Gandalf nur so streng war, weil er sich Sorgen um mich gemacht hatte. "Es war eigentlich die Wunde am Kopf, die dich außer Gefecht gesetzt hat."

"Thorin", unterbrach ich ihn. "Wo ist er? Und Bilbo-"

"Ihnen geht es gut." Gandalf sah an mir vorbei. Ich drehte mich um und entdeckte Thorin, der ebenfalls auf dem Boden gelegen hatte und von einigen Zwergen auf die Füße gezogen wurde. Ich blieb sitzen, unschlüssig, was ich tun sollte. Die Zwerge schenkten mir kaum Beachtung, sahen aber immer mal wieder misstrauisch zu mir herüber.

"Du!" Thorin funkelte den Hobbit an. "Was hast du getan? Das hätte dich das Leben kosten können!"

"Er hat nur versucht zu-"

"Sei still, Tia", knurrte Thorin und ausnahmsweise hörte ich auf ihn. Er ging nun auf Bilbo zu. "Habe ich nicht gesagt, du wärst eine Last? Das du in der Wildnis nicht überlebst? Dass du niemals zu uns gehören wirst?" Thorin überraschte alle, als er Bilbo mit den Worten "Ich habe mich noch nie so getäuscht, in meinem ganzen Leben!" an sich drückte.

Die Zwerge jubelten erleichtert, während ich lächelte. Das wurde auch Zeit.

Ich sah auf, als Adler über uns hinwegflogen, und mir fiel die Motte auf Gandalfs Hand ein. Kluger, alter Mann...

"Und nun zu dir."

Ich zuckte zusammen, als Thorin sprach und alle Blicke sich auf mich richteten. Sie sahen wütend, enttäuscht, verwundert, teilweise aber auch ausdruckslos aus. Ich ließ den Prinzen nichts weiter sagen. "Es tut mir leid, dass ich euch nichts davon erzählt habe! Aber ihr müsst mir glauben, ihr könnt mir vertrauen! Es-"

"Tia." Thorin stand nun direkt vor mir. Stumm sah ich zu ihm auf. Die Stille war unerträglich und obwohl sie bestimmt nur ein paar Sekunden andauerte, fühlte es sich an wie Stunden. Schließlich streckte Thorin mir, zum Erstaunen aller, seine Hand entgegen und sagte: "Ich vertraue dir."

Zunächst starre ich ihn bloß an, bevor ich seine Hand ergriff und er mir aufhalf, worauf ich ihn kurzerhand in eine Umarmung zog. "Danke", flüsterte ich.

"Ich muss dir danken", sagte er. "Du hast mir das Leben gerettet, schon zum zweiten Mal."

"Damit habe ich mich nur revanchiert." Ich ließ ihn los und zuckte mit den Schultern, brachte ein leichtes, trauriges Lächeln zustande. Thorin hatte mir auch schon ein paar Mal ziemlich aus der Patsche geholfen, ob er es nun zugeben wollte oder nicht.

Er drehte sich zu den Zwergen um. "Anfangs habe ich Tia nicht vertraut. Ich habe geahnt, dass sie etwas verheimlicht, auch, wenn ich mit so etwas nicht gerechnet hätte. Aber diese Frau hat mir mehrmals das Leben gerettet, und dafür verdient sie meinen Dank, sowie Ehre und Respekt."

Er drehte sich wieder zu mir. "Es tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt habe."

Ich winkte, wenn auch leicht zähneknirschend, ab. "Schon okay, ich schätze, ich hätte dasselbe getan."

Er senkte seine Stimme, sodass nur ich ihn hören konnte. "Ich vertraue nicht schnell. Wenn ich dir also sage, dass ich dir vertraue, lass es mich nicht bereuen."

Aufrichtig erwiderte ich seinen Blick. "Das wirst du nicht. Ich verspreche es - solange ich auch dir vertrauen kann." Thorin nickte, als wolle er sagen: "Das klingt fair."

Zögerlich wandte ich mich an Bofur, die anderen Zwerge hatten noch nichts gesagt. "Wir sind doch noch Freunde, oder nicht?", fragte ich hoffnungsvoll.

"Freunde haben keine Geheimnisse voreinander", murmelte Bofur. "Erstrecht nicht so große."

Ich schluckte, diese Antwort war ein Schlag ins Gesicht. Doch da lächelte Bofur plötzlich. "Aber wie Thorin, hast du auch mich schon vor dem Tode bewahrt. Mehrere von uns. Ich glaube, ein Dankeschön ist nicht mal ansatzweise ausreichend." Er ging auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter, worauf ich bloß erleichtert und mit einem großen Lächeln ausatmete.

Da kamen auch Fili und Kili zu mir. "Du hattest ziemlich gute Lehrer in Sachen Nahkampf, was?", zwinkerte Kili, worauf ich nur mit den Augen rollte.

"Ihr ward meine Lehrer, Kili."

"Sag ich ja!"

"Ich habe eine riesen Wunde an der Schulter!"

"Dafür kann ich wiederum nichts."

"Ich bin froh, dass es dir gut geht", ergriff der ältere Bruder das Wort und es schien, als wolle er mich umarmen, hielt dann aber inne. "Stell dich nicht so an", grinste ich und zog die beiden an mich. Während Fili auf meine Verletzungen achtete, klopfte Kili mir gutgelaunt auf die Schulter.

"Aua!"

"Oh, verdammt, entschuldige!" Schnell ließ er von mir ab, so auch sein leise lachender Bruder. Die anderen Zwerge lächelten mir zu, blieben aber auf Abstand.

"Genug der Versöhnung", sprach Gandalf, welcher alles schweigend beobachtet hatte. "Wir sollten weiter."

Thorin wollte etwas erwidern, da fiel sein Blick auf einen Punkt hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen Umriss in der Ferne.

"Ist das das, was ich denke?", fragte Bilbo.

"Erebor", bestätigte Gandalf. "Der Einsame Berg, das letzte große Zwergenreich in Mittelerde."

"Unsere Heimat", sagte Thorin feierlich und reckte das Kinn.

"Hm", machte ich und kniff die Augen zusammen. "Sieht von hier tatsächlich wie ein Maulwurfhügel aus." Die Zwerge funkelten mich an, worauf ich beschwichtigend die Hände hob. "Schon gut, schon gut, entschuldigt."

Ein Vogel flog zwitschernd an uns vorbei. "Ein Rabe!", sagte Oin. "Die Vögel kehren zum Berg zurück."

"Raben zwitschern nicht", berichtigte ich ihn. "Das ist eine Drossel."

"Aber wir sehen es als ein Zeichen an", sagte Thorin. "Als ein gutes Omen."

"Zurecht", fand Bilbo. "Das Schlimmste liegt hinter uns, würde ich sagen."

Und in diesem Moment dachten wir das alle. Wir dachten, wir hätten es beinahe geschafft und alles, was jetzt noch auf uns zukommen würde, wäre nichts im Vergleich zu dem, was wir bereits gemeinsam erlebt hatten. Wir konnten ja nicht ahnen, wie falsch wir damit lagen...

~~~~~~~~~~

Zu...dramatisch?

Damit wäre der erste Teil beendet, whoop, whoop!

:)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top