𝔗𝔢𝔞𝔯 - 𝔅𝔱𝔰
Zerbrochen. Er war zerbrochen. Die Fliesen, die gegen seine Haut drückten, waren kalt und sie waren der einzige Beweis, dass er noch lebte. Denn er spürte die Kälte. Spürte, wie sie unter sein zerrissenes Hemd kroch und eine Gänsehaut auf der weichen Haut hinterließ. "Hoseok. Es tut mir verdammt leid." Noch immer spürte der Braunhaarige den Blick Taehyungs auf sich brennen. "Tae", hauchte er und es war das erste Wort, dass diesen Tag seine aufgesprungenen Lippen verließ. Doch der Jüngere war fort. Taehyung war nicht mehr da.
Kraftlos schlug Hoseok auf den kalten Badezimmerboden und erneut rannen ihm die Tränen über die Wangen, obwohl seine Kehle vor Wassermangel bereits ganz ausgetrocknet war. "Taehyung." Vor seinem inneren Augen tauchte das breite, boxartige Lächeln des Schwarzhaarigen auf. Der Jüngere hatte früher so oft gelächelt. Doch irgendwann war das Lächeln immer seltener geworden, bis es schließlich ganz verschwunden war. Warum hatte er nie etwas gesagt? Warum hatte er schweigend zugesehen, wie sich der Schwarzhaarige immer mehr zurückzog und in seiner Welt aus Tränen verlor? Denn in letzter Zeit hatte Taehyung oft geweint. Und Hoseok war immer dagewesen und hatte den Jüngeren stumm in den Arm genommen und gehalten, bis die Tränen versiegten. Keiner der beiden Freunde hatte je ein Wort über diese Gefühlsausbrüche verloren. Tae wollte nicht reden und der Ältere akzeptierte das.
Er hatte immer gedacht, dass der Jüngere irgendwann von alleine kommen würde. Das er den Älteren in seine Welt lassen würde. Aber das hatte Taehyung nicht getan. Er hatte seine Probleme immer für sich behalten. Niemals wollte er Andere damit belasten. Wenn Hoseok daran dachte, wie die Augenringe des Schwarzhaarigen immer dunkler geworden waren, seine Wangen immer eingefallener und sein Lächeln immer schwächer, dann zog sich das Herz des Braunhaarigen zusammen. "Warum hast du nichts gesagt? Warum hast du verdammt noch mal nichts gesagt?", hauchte der junge Koreaner gegen die weißen Kacheln, die so kalt waren und so realistisch, dass er begann zu zittern.
Es war kalt. So kalt.
"Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn es dir einfach nur schlecht geht und du gar nicht weißt, warum?" Mit großen Augen sah der Jüngere seinen besten Freund an. Hoseok nickte. "Ja. Aber willst du mir damit sagen, dass es dir schlecht geht?" Der Schwarzhaarige wandte schüchtern den Blick ab. "Und, wenn es so wäre?" Seine zarte Stimme verhallte in der Dunkelheit. Sie liefen eine ruhige, schwach beleuchtete Straße entlang und der Blick des Älteren war auf den Bürgersteig gerichtet, welcher von dem orangenen Licht der Straßenlaternen angeleuchtet wurde. "Tae.", jetzt hob der Braunhaarige den Blick und sah seinen jüngeren Freund direkt an. "Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, nicht wahr?" Der Jüngere biss sich auf die Unterlippe und nickte schwach.
"Ich weiß. Aber manchmal kann man das einfach nicht. Reden. Ich habe so große Angst dich mit meinen Worten zu verletzen. Meine Gedanken sind so dunkel, verstehst du? Ich will nicht, dass sie in deine helle Welt dringen und das Licht darin löschen." Der Ältere von den Beiden sah seinen besten Freund traurig an. "Ach Tae." Er blieb stehen und zog den Schwarzhaarigen in eine feste Umarmung. Als hätte er nur darauf gewartet, schmiegte der Jüngere sich fest in die Umarmung und vergrub sein Gesicht in Hoseoks brauner, abgewetzter Lederjacke. "Es tut mir leid, Hobi. Ich würde wirklich gerne mit dir über alles sprechen, was mich bedrückt. Aber ich kann dir das nicht antun."
Der innere Schmerz sorgte dafür, dass Hoseok sich aufbäumte und hysterisch anfing zu weinen. "Warum? Warum hast du mich nicht an deinen Gedanken teilhaben lassen? Das Licht in meiner Welt ist jetzt doch sowieso schon gelöscht." Keuchend sackte er zurück auf den kalten Boden und schloss die Augen. Das Fenster war offen. Der kalte Luftzug strich über sein Gesicht und brachte ihn genauso, wie die weißen Fliesen zum frieren. Ja. Es war kalt. Seine gesamte Welt war kalt, seit Taehyung sie verlassen hatte. All die Wärme war mit dem Jüngeren gegangen. Er fühlte sich trostlos. Und er fror. Es war so kalt. So verdammt kalt.
"Würdest du mich vermissen?" Diese Frage hatte der Jüngere ihm einmal komplett zusammenhanglos gestellt. "Wäre ich eines Tages weg, würdest du mich vermissen?"
"Hast du etwa vor ohne mich zu verreisen?", hatte Hoseok lachend erwidert. "Ich würde mich sehr darüber ärgern, dass du mich nicht mitgenommen hast. Aber ich würde dich auch vermissen. Natürlich würde ich das." Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt nie verstanden, warum Taehyung nicht in sein Lachen eingestiegen war. Warum er komplett ernst geblieben war und sich bedankt hatte. Jetzt verstand er es. Jetzt, wo es schon zu spät war. Taehyung war gegangen. Mit einem Lächeln auf den Lippen.
Und er vermisste den Jüngeren. Er vermisste die ganzen Abende, wo sie vor dem Fernseher gezockt hatten. Die Kissenschlachten, wenn der Schwarzhaarige bei dem Älteren übernachtet hatte. Das Lachen und die ganzen Insider, die nur sie Beide kannten. Taes wunderschönes, kastenähnliches Lächeln. Und die Momente, wo sie einfach nur beisammen saßen und über Gott und die Welt redeten. Er vermisste es, wie er jeden Mittag nach der Schule am Schultor auf den Jüngeren wartete, damit sie zusammen nach Hause gehen konnten, wo sie meistens von ihren Müttern mit Essen empfangen wurden. Tae war einen Jahrgang unter Hoseok, doch das störte die Beiden wenig. Umso mehr Zeit verbrachen sie in den Pausen miteinander.
Dieses Jahr würde der Ältere seinen Schulabschluss machen. Er würde die Pausen alleine damit verbringen in der Cafeteria zu sitzen und die Wand anzustarren, während er auf das Klingeln der Schulglocke wartete. Kein Taehyung würde mehr da sein. Niemand, der ihn ermahnte die Schule ernster zu nehmen und die Noten zu verbessern. Niemand, der mit ihm sein Pausenbrot teilte, weil der Braunhaarige mal wieder sein Eigenes zu Hause auf dem Küchentisch vergessen hatte. Taehyung war fort. Er war alleine.
Schniefend zog Hoseok die Nase hoch und betrachtete seine blutverschmierten Fäuste. Wie oft hatte er nun schon auf die makellos weißen Fliesen getrommelt, bis sie sich rot färbten? Er wusste es nicht. "Hoseok? Komm da raus. Bitte. Ich weiß, dass es schwer ist. Aber du bist schon seit gestern Abend im Bad. Du isst nichts. Und ich bezweifele, dass du etwas getrunken hast. Du musst etwas zu dir nehmen", flehte seine Mutter zum wiederholten Male und klopfte gegen die Tür. Der Braunhaarige reagierte nicht. Starrte nur auf seine blutigen Hände und verlor sich in dem Schimmer der roten Flüssigkeit, die seine Haut bedeckte.
Wann hatten Taehyungs Augen aufgehört zu glänzen? Er wusste es nicht. Er wusste nicht, wann der Jüngeren angefangen hatte sich zurückzuziehen. Wann er aufgehört hatte zu lachen. Wann das Licht in seinen Augen immer stumpfer wurde. Er hätte aufmerksamer sein müssen. Er hätte besser aufpassen müssen. Doch nun war es zu spät. Es war verdammt noch mal zu spät. Er konnte an der Vergangenheit nichts mehr ändern.
Was am meisten wehtat, war, dass Taehyung offensichtlich glücklich dort war, wo er hingegangen war. Er hatte gelächelt. Er hatte so glücklich ausgesehen, wie schon seit Jahren nicht mehr. "Es tut mir leid", flüsterte Hoseok. "Es tut mir so leid, Tae." Niemand antwortete. Seine Mutter hatte aufgegeben ihn aus dem Badezimmer holen zu wollen. Lediglich das Keuchen des Braunhaarigen war in dem kleinen Raum zu hören und es prallte übernatürlich laut von den Wänden ab. Zitternd zog er die Schultern hoch und setzte sich auf. Langsam rückte der junge Mann an die Badezimmerwand, gegen die er seinen Rücken lehnte, bevor er die Beine anwinkelte. Vor seinem inneren Auge zogen die Bilder wieder vorbei. Die ganze Vergangenheit, die er gemeinsam mit dem Schwarzhaarigen erlebt hatte. Bis zu diesem einen Punkt. Bis zu dem Anruf.
Hoseok war gerade mit dem Tanztraining fertig und eilte mit schnellen Schritten zum Ausgang des Studios, als sein Handy sich mit einem schrillen Klingeln zu Wort meldete. Seufzend blieb der Braunhaarige stehen und zog das kleine Gerät aus der Tasche seiner Jogginghose. Tae stand auf dem Display und sofort änderte sich die Miene des jungen Mannes von genervt zu besorgt. In letzter Zeit hatte der Schwarzhaarige nur angerufen, wenn es ihm wirklich schlecht ging.
Also hob der Braunhaarige mit einem "Ja?" ab. "Hobi", schluchzte sein bester Freund in den Hörer. "Taetae, was ist los? Wo bist du?" Eine Weile blieb es am Anderen Ende der Leitung still. Dann aber sagte Taehyung: "Mapodaegyo Bridge" Das waren nur fünf Minuten Fußweg für Hoseok. "Bleib, wo du bist", ordnete er seinem besten Freund an und legte dann auf.
Der Braunhaarige rannte. Die Zeit schien wie in Zeitlupe zu vergehen und er hatte das Gefühl der Weg sei dieses Mal doppelt so lang, wie sonst. Aber schließlich kam er doch außer Atem bei seinem Ziel an. Taehyungs zierliche Gestalt stand am Geländer der Brücke und er sah ihm entgegen. "Was ist los?", keuchte der Ältere der Beiden und schloss den Jüngeren in die Arme. "Oh Gott, Tae, du bist ja ganz kalt, warum hast du keine Jacke angezogen?", sorgte der Braunhaarige sich. "I-ich weiß nicht." Fast schien es, als sei Tae in einen tranceartigen Zustand gefallen. Er löste sich aus der Umarmung seines besten Freundes. "Es tut mir leid, Hoseok." Verständnislos sah der Ältere den Schwarzhaarigen an. "Was tut dir leid? Du musst dich für nichts entschuldigen."
Der Jüngere schwieg. Dann hob er den Kopf und sah den Braunhaarigen ernst an. "Ich habe dich angerufen, weil ich mich verabschieden wollte." Noch nie in seinem gesamten Leben hatte Hoseok einen so gewaltigen Schreck bekommen. "W-was? Tae, was hast du vor?" Traurig lächelte sein Gegenüber. "Ich werde gehen. Weißt du, Hobi, ich wäre gerne geblieben, wegen dir. Du gibst meinem Leben das letzte bisschen Wärme. Aber ich verspüre so viel Kälte. In mir herrscht so viel Dunkelheit und Angst. Ich halte das nicht mehr aus. Ich kann nicht mehr." Heftig griff der Braunhaarige nach dem Oberteil seines besten Freundes und klammerte sich daran fest. "Nein, Tae. Du wirst dich nicht umbringen. Wir finden eine Lösung. Wir werden für alles eine Lösung finden, bitte gib mir nur eine Chance." Vorsichtig versuchte sich der Jüngere aus dem festen Griff des Älteren zu lösen. "Es tut mir leid, Hobi. Aber es gibt keine Lösung mehr."
"Tae", der Braunhaarige fing an zu weinen und eine Weile hörte der Jüngere auf sich gegen seinen Griff zu wehren und schlang stattdessen die Arme um seinen besten Freund. "Shh. Nicht weinen. Es ist okay. Verstehst du? Es ist okay, auch, wenn ich gehe." Heftig schüttelte der Ältere den Kopf und vergrub sein Gesicht in dem Pullover des Schwarzhaarigen. "Tae. Bitte tu mir das nicht an." "Es tut mir leid", flüsterte Taehyung erneut. Dann riss er sich los und stieß Hoseok von sich. Der Ältere stolperte und er spürte sein Hemd reißen, als er mit dem Rücken auf die geteerte Oberfläche der Brücke fiel. "Tae. Nicht." Hemmungslos weinend sah er zu, wie sein bester Freund auf das Geländer der Brücke stieg.
Der Braunhaarige rappelte sich auf und stürzte los, um den Jüngeren davon abzuhalten sich abzustoßen. Mit einem Lächeln drehte sich Taehyung noch ein letztes Mal um. "Hobi. Ich bin glücklich. Ich bin endlich glücklich." Der Ältere hielt inne, als er das klare Lachen hörte, welches von den Lippen des Schwarzhaarigen perlte. "Ich hab dich lieb, Jung Hoseok. Auf Wiedersehen." Und dann sprang er. Taehyung flog. Und ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als sein Körper sich in der Luft drehte und fiel. Ein verzweifelter Schrei entfloh Hoseoks Lippen und er sackte am Geländer zusammen, welches er nur einen kurzen Moment zu spät erreicht hatte. "Tae! Tae! Nein!" Das Licht der untergehenden Sonne fiel auf den dünnen, fast mageren Körper des Jüngeren. Er hatte die Augen geschlossen. Und dann kam sein Kopf auf der Wasseroberfläche des Flusses auf.
Der Schwarzhaarige war nicht wieder aufgetaucht. Er war nicht plötzlich hinter Hoseok erschienen, um lachend zu erzählen, dass alles nur ein mieser Prank war. Nein. Sein Körper war im trüben Wasser des Flusses versunken. Sicherlich hatte man die Leiche nun herausgefischt. Doch davon hatte Hoseok nichts mehr mitbekommen. Er war weinend auf der Brücke zusammengebrochen. Und irgendwann hatte er sich aufgerappelt und war nach Hause geschlurft. Hatte nicht mit seiner Mutter geredet, die ihm die Haustür geöffnet hatte und ihn mit Fragen aufgrund seines Zustandes überhäuft hatte. Er war einfach nur ins Badezimmer gegangen und hatte wieder angefangen zu weinen. War auf dem Boden zusammengebrochen und hatte halb von Sinnen immer wieder auf die weißen Fliesen eingeschlagen, bis sie sich rot färbten mit seinem Blut.
Gequält schloss der Braunhaarige die Augen. Das Klingeln der Türklingel drang an sein Ohr. Und dann Schritte, die sich der Badezimmertür näherten. "Hoseok. Hier ist Yoongi. Mach bitte die Tür auf." Die ruhige Stimme seines Cousins drang durch das dicke Eichenholz. Verwirrt hob der Braunhaarige den Kopf. Das konnte nicht sein. Yoongi wohnte doch in Daegu, viele Kilometer weit entfernt von Seoul. Aber ein weiteres Klopfen und die Stimme seines Cousins, der beruhigend auf Hoseok einsprach, bewiesen, dass Yoongi tatsächlich da war. Langsam stand der Jüngere von den Beiden auf. Fast trugen ihn seine Beine nicht mehr, als er zur Tür taumelte und den Schlüssel im Schloss herumdrehte.
"Y-yoongi", flüsterte er heiser und fiel seinem Cousin, der direkt vor der Tür stand, in die Arme. "Es ist okay, Hobi. Es ist okay." Der Blonde strich dem Jüngeren beruhigend über das Haar und bugsierte ihn dann in die Küche. "Deine Hände bluten. Und deine Stimme klingt wie mit Sandpapier geschliffen. Du musst etwas trinken, Hoseok." Der Braunhaarige nickte monoton. Aber als Yoongi ihm dann ein Glas Wasser reichte, konnte er sich nicht mehr zurückhalten und stürzte die belebende Flüssigkeit in einem Zug die Kehle hinunter. Sofort fühlte Hoseok sich besser. Er ließ zu, dass sein Cousin nachschenkte und trank dann auch das zweite Glas in einem Zug leer.
Tae war fort. Tae war einfach fort. Der Braunhaarige klammerte sich an seinen Cousin und vergrub sein Gesicht in dem weichen Pullover des Blonden. "Shhh. Beruhige dich", wisperte Yoongi leise in das braune Haar des Jüngeren. "Ich bin mir sicher es geht ihm gut da oben. Und das ist doch, was zählt, nicht wahr?" Schniefend zog Hoseok die Nase hoch und nickte. "Aber ich vermisse ihn." Der Braunhaarige klang weinerlich und verzweifelt. Mit geröteten Augen sah er seinen Cousin an und dieser Anblick war so traurig, dass sich das Herz des Blonden zusammenzog.
Yoongi räusperte sich. "Das darfst du ja auch", antwortete er dann mit belegter Stimme. "Das darfst du ja auch." Und dann schlang er seine Arme noch fester um den Jüngeren und ließ Diesen weinen. "Es ist okay. Ich bin da und ich werde dich nicht alleine lassen."
𝒞𝒶𝓊𝓈𝑒 𝓎𝑜𝓊 𝒸𝒶𝓃 𝓈𝓉𝒶𝓃𝒹 𝓉𝒽𝑒 𝓅𝒶𝒾𝓃 𝒾𝒻 𝓈𝑜𝓂𝑒𝑜𝓃𝑒'𝓈 𝒷𝓎 𝓎𝑜𝓊𝓇 𝓈𝒾𝒹𝑒. 𝐼𝒻 𝓎𝑜𝓊 𝓌𝑜𝓊𝓁𝒹 𝓉𝓇𝓎 𝓉𝑜 𝒻𝒾𝑔𝒽𝓉 𝒾𝓉 𝒶𝓁𝑜𝓃𝑒, 𝓎𝑜𝓊'𝒹 𝒷𝓇𝑒𝒶𝓀 𝒶𝓃𝒹 𝒹𝒾𝑒.
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