Kapitel 34

Wer ist der Halbblutprinz?

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Gutgelaunt gesellte ich mich zu Hermine, die auf der Tribüne beim Quidditchfeld saß und, wie einige andere Schüler auch, Ron, Harry, Ginny und die anderen Gryffindors beobachtete, welche gerade für das erste Spiel dieses Jahr trainierten; Harry war der Teamcaptain der Gryffindors.

"Oh, du bist aber gut drauf", bemerkte Hermine, als ich mich neben sie setzte.

"Aber hallo." Ich biss von dem giftgrünen, sauren Apfel in meiner Hand ab und ließ meinen Blick über die Gryffindors wandern, die sich unten auf dem Feld tummelten.

"Hat das auch einen Grund?", bohrte Hermine nach.

"Eigentlich nicht", verneinte ich. "Ich habe nur endlich mal wieder eine volle Nacht durchgeschlafen, seit... du weißt schon." Und das war's dann auch wieder mit der guten Laune...

Hermine formte ein "oh" mit den Lippen und suchte nach einem Themenwechsel. "Bist du dieses Jahr im Quidditchteam der Slytherins?"

"Nein." Kopfschüttelnd biss ich erneut in den Apfel und ließ mir Zeit mit dem Kauen und Runterschlucken, bevor ich weitererzählte, damit ich meine Worte sorgfältig wählen konnte. "Letztes Jahr ging es wegen Umbridge und dem ganzen Schulstress zeitlich nicht. Eigentlich wollten Rose und ich als Treiber ins Team, aber..." Ich ließ den Satz unbeendet. "Lange Rede, kurzer Sinn; dieses Jahr will ich nicht mehr mitspielen."

Hermine fielen fast die Augen aus dem Kopf. "Was? Aber... du wolltest schon seit der ersten Klasse unbedingt ins Team!"

"Ja, stimmt. Damals wollte ich das. Aber jetzt, wo Rose fort ist und ich nicht mit ihr in einem Team sein werde, möchte ich das nicht mehr... Klingt vermutlich blöd, aber so ist es nun mal." Ich nahm den Blick nicht von den Gryffindors, selbst dann nicht, als Hermine sagte: "Es ist nicht blöd, Ivy... Nur schade, weil du eine gute Spielerin wärst. Aber es ist deine Entscheidung."

"Lass uns heute einfach für Ron da sein, okay?"

Hermine nickte und wir beobachteten weiter das Training. Als ich sah, dass Cormac McLaggen mit Ron sprach - letzterer sah aus, als hätte jemand ihn wieder mal mit Schluck Schnecken verhext - spitzte ich die Ohren und lauschte.

"Könntest du mich vielleicht deiner Freundin Granger vorstellen? Ich würde ihr gern etwas näherkommen, falls du verstehst", sagte Cormac da. Das reichte mir schon, um angewidert das Gesicht zu verziehen. Jetzt sah ich nicht viel anders aus als Ron.

"Oh, man..."

"Was ist los?", fragte Hermine.

Da ich nicht zugeben wollte, dass ich gelauscht hatte, sagte ich bloß: "Ach, gar nichts... Aber wenn du auf meinen Rat hörst, hältst du dich die nächste Zeit von McLaggen fern."

"Cormac?" Hermine runzelte die Stirn. "Was ist mit ihm?"

"Wie gesagt, gar nichts..." Damit war das Gespräch für mich beendet. Ich konnte nur hoffen, dass das nicht wieder so ausarten würde wie damals beim Weihnachtsball mit Viktor Krumm...

Als Hermine einen Zauber sprach, um Cormac daran zu hindern, den Ball abzuwehren, was Ron zugute kam, sah ich sie anklagend an. "Was denn?" Unschuldig erwiderte sie meinen Blick.

"Du weißt genau, dass ich das gehört habe."

"Ich wollte doch bloß Ron helfen!"

"Hermine-"

"Das war das einzige Mal, versprochen."

Seufzend beließ ich es dabei.

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"Seit Wochen trägst du dieses Buch mit dir rum!"

"Ja, du schläfst praktisch darauf! Bist du nicht neugierig, wer der Halbblutprinz ist?", stimmte ich Hermine zu. Langsam nervte es, dass Harry sich im Unterricht mit fremden Federn schmückte. Ohne dieses Buch wäre er nicht so gut in Zaubertränke.

Okay, das kam rüber, als wäre ich eifersüchtig... Vielleicht war ich das auch, ein klitzekleines bisschen. Aber immerhin brauchte ich kein abgewandeltes Buch, um ein Ohnegleichen in Slughorns Unterricht zu haben.

"Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht neugierig bin. Und ich schlafe nicht darauf!", entrüstete sich Harry.

"Aber es ist wahr!", sagte nun auch Ron. "Ich quatsch gern noch vor dem Schlafengehen, und du liest nur noch in dem bescheuerten Buch! Das ist, als wärst du Hermine."

Der Schnee, der um uns herumwirbelte, verfing sich in meinem geflochtenen Haar. Die Kälte sorgte dafür, dass meine Nase und meine Fingerspitzen sich röteten. Als ich ausatmete, flog eine Atemwolke vor mir her. "Was würde ich jetzt für mein warmes Wolfsfell geben", murmelte ich und zog mir meine schwarze Bommelmütze weiter über die Ohren.

Hermine berichtete, dass sie bei ihren Recherchen in der Bibliothek nichts über einen Halbblutprinzen gefunden hatte. Das war schon ziemlich merkwürdig...

Bevor wir noch etwas dazu sagen konnten, entdeckten wir vor uns Professor Slughorn und ehe ich's mir versah, saßen wir alle dank Harry mit ihm im Drei Besen. Naja, mit ihm konnte man nicht sagen; der Professor war an der Theke und gab Geschichten zum Besten, während Harry und Ron sich an einen Tisch setzten, Hermine und ich gegenüber von den beiden. Hermine bestellte für jeden von uns ein Butterbier.

Ich zog meine Mütze, meinen Schal und meine Jacke aus und als ich letztere über die Lehne meines Stuhls hängen wollte, entdeckte ich Draco hinter mir. Was machte er hier? Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, aber statt mich zu beachten, verschwand er hinter einer Tür... In der Mädchentoilette?

Harrys Blick sprach Bände, aber statt etwas zu sagen, wandte ich mich ab und sah aus dem Fenster. Während meine Freunde sich unterhielten, hörte ich nur mit halbem Ohr zu. Gedanklich war ich damit beschäftigt, mir Dracos Verhalten zu erklären. Ich erwachte aus meiner Starre, als Professor Slughorn sein Butterbier über Hermine und mir verschüttete. "Regenmantel anziehen, ihr beiden. Also, Potter..."

"Na ganz toll", brummte ich und säuberte unsere Klamotten mit einem schnellen Wink meines Zauberstabs.

Slughorn lud Hermine, Harry und mich zu einem Abendessen ein, dass nur für bestimmte Schüler gedacht war. Eigentlich wollte ich mich nicht einschleimen und bei sowas mitmachen; da Hermine und Harry allerdings zusagten, tat ich es schließlich auch. So schlimm würde es schon nicht werden...

"Warum tust du das?", wollte Ron, der nur ein Schön Sie zu sehen erhalten hatte, von Harry wissen.

"Dumbledore will, dass ich ihm näherkomme..."

Wieder drifteten meine Gedanken ab. Was machte Draco hier? Traf er sich mit Pa- Halt! Das geht dich überhaupt nichts an und es interessiert dich auch nicht! Ich wünschte mir, meine Gedanken wären wahr, aber leider hatte Daphne recht gehabt: Draco war mir wichtig. Das war er schon lang, aber im Laufe der Jahre hatte die Freundschaft, die uns verband, sich für mich wohl in etwas anderes verwandelt. Und nachdem Draco praktisch zugegeben hatte, sich mit Pansy zu treffen, war meine Laune nicht gerade gut.

Auch auf dem Weg zurück ins Schloss war ich bloß körperlich anwesend. Während Ron mit Harry tuschelte, zog Hermine mich zu sich. "Was ist los?" Sie sprach mit gesenkter Stimme.

"Was meinst du?"

"Das weißt du genau. Du bist schon die ganze Zeit so abwesend... Ist etwas passiert?"

Beruhigend lächelnd, winkte ich ab. "Mach dir keine Gedanken. Das-"

Ich wurde von einem schrillen Schrei unterbrochen und kurz darauf fanden wir Katie Bell, die vor uns auf dem Weg lag, von einem Zauber in die Luft gerissen wurde und zurück auf den Boden fiel.

In ihrer Nähe lag eine Kette im Schnee.

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"Lass es gut sein, Harry!"

"Wenn ich es doch sage, Ivy, es war Malfoy!", zischte Harry zurück.

Ich machte eine Kopfbewegung in Richtung Slughorn; wir saßen mit ihm und einigen anderen Schülern an einem Tisch und aßen Eis und selbst jetzt konnte Harry nicht aufhören, über Katies Unfall zu reden. "Können wir das wann anders besprechen?"

Harry grummelte etwas vor sich her, sprach aber nicht weiter.

Blaise versuchte, meinen Blick einzufangen, doch ich wich ihm aus. Ich würde ihm nicht sagen, was Harry dachte.

Als Ginny den Raum betrat, stand Harry auf. Alle starrten ihn an und weil ich Fremdscham hasste, zog ich ihn zurück auf seinen Stuhl. "Beruhig dich, Casanova!"

"Was soll das denn heißen?"

"Ach, vergiss es..."

Hermine und ich verdrehten synchron die Augen. Wie dämlich konnten Jungs sein?

"Sagen Sie, Miss Clover..." Mr Slughorn hatte sich scheinbar entschieden, mich wegen meines Privatlebens auszufragen. "Was waren ihre Eltern von Beruf, wenn Sie mir die Frage gestatten?"

"Oh, äh..." Ich räusperte mich und gab das wieder, was Sirius und Remus mir erzählt hatten. "Meine Mutter war Aurorin und mein Vater Arzt."

"Interessant... Ihr Vater war ein Muggel, nicht wahr?"

"Ja", gab ich knapp zur Antwort und schaufelte meinen Mund mit Eis voll. Glücklicherweise wandte Slughorn sich wieder den anderen Schülern zu.

Seufzend verrührte ich das Eis in meinem Becher, der Appetit war mir irgendwie vergangen.

-

Gemeinsam mit Ron betrat ich die Große Halle. Heute war sein Quidditchspiel und ich hoffte das Beste. "Viel Glück! Ich weiß, dass du das schaffst." Ich umarmte ihn kurz, um ihm Mut zu geben, bevor ich mich in Richtung Slytherintisch begab. Dort fand ich Daphne, die neben Blaise saß, und wollte mich erst zu den beiden gesellen, als mein Blick an Draco hängenblieb. Mit etwas Abstand saß er bei Crabbe, Goyle und ein paar anderen Slytherins und starrte auf seinen Teller.

Ich setzte mich ihm gegenüber auf die Bank, doch er zeigte keine Reaktion. "Hey. Weihst du noch unter den Lebenden?" Ich schnippte mit der Hand vor seinem Gesicht herum, sodass er erschrocken aufsah. "Clover."

"Jap, die einzig Wahre. Was ist los mit dir?"

"Was soll sein?", giftete er und trank einen Schluck Wasser.

Augenrollend stützte ich mich mit den Ellbogen auf der Tischkante ab. "Okay, Draco, ich weiß, man hat Stimmungsschwankungen, wenn man seine Regel kriegt, aber das war echt unnötig."

Nun war er es, der die Augen rollte. "Sehr witzig."

"Allerdings." Ich zwinkerte ihm zu, worauf er bloß schnaubte.

Ich nahm ihm nicht übel, dass er so drauf war. So war er eben. Außerdem schien er ziemlich müde zu sein - im Gegensatz zu mir. Die letzten Tage konnte ich immer besser schlafen und essen und bekam mein Leben langsam wieder in den Griff.

"Dafür kannst du von der Schule fliegen!", hörte ich Hermine dank meines Wolfgehörs zu Harry sagen.

Dieser tat ahnungslos. "Ich weiß nicht, was du meinst."

Ich musste grinsen. Dreimal dürft ihr raten, wer Harry auf die Idee gebracht hatte, Ron denken zu lassen, er hätte flüssiges Glück getrunken...

Meine Gryffindorfreunde machten sich auf den Weg zum Spielfeld.

"Willst du nicht mit ihnen gehen?", brummte Drace.

Ich zögerte. "Ich stoße später zu ihnen." In aller Ruhe bestrich ich mir ein Toast mit Marmelade. "Erst sagst du mir, warum du so mies gelaunt bist."

"Bin bloß müde", sagte Draco ausweichend, worauf ich eine Braue hob. "Das kaufe ich dir nicht ab."

Er zuckte mit den Schultern und stand auf. "Dann lass es." Verdutzt sah ich ihm nach, während er die Große Halle verließ. Wo ging er hin? Ich wollte gerade aufstehen und ihm folgen, da trat Luna auf mich zu. Sie trug ein Löwenkostüm. "Hi, Ivy. Siehst du dir auch das Spiel an?"

"Ich, äh..." Mit den Augen suchte ich meine Umgebung nach Dracos blondem Haar ab, doch er war bereits verschwunden. Darum drehte ich mich zu Luna um.

"Sicher", nickte ich und folgte ihr zum Quidditchfeld.

Daphne und Blaise spielten ebenfalls in unserem Team, sie waren die Treiber. Daphnes Schlag war etwas stärker als der von Blaise, aber sie waren beide gute Spieler.

Ron war viel sicherer auf dem Besen als zuvor. Er war inzwischen der Einzige, der dachte, er hätte Flüssiges Glück getrunken, da Harry und ich Hermine über unsere Idee aufgeklärt hatten. Am Ende hatte Gryffindor das Spiel gewonnen, was meinen Stolz natürlich etwas kränkte, dennoch freute ich mich für meine Freunde und gratulierte ihnen.

Als Harry anbot, ich könnte auf die Feier im Gryffindorgemeinschaftsraum gehen, winkte ich dankend ab. "Ich glaube nicht, dass ich als Schülerin aus dem gegnerischen Team willkommen bin. Ihr wisst ja, wie das ist. Aber euch viel Spaß."

"Okay, wir sehen uns Morgen!"

Wir winkten einander zu und ich machte mich auf den Weg in die Schule zurück. Auf halber Strecke drehte ich um und beschloss, zum Raum der Wünsche zu gehen. Es war zwar kein Vollmond und ich musste mich nicht verwandeln, aber er war ein guter Ort, wenn man Ruhe brauchte.

Ich sah mich um und als ich mich versichert hatte, dass niemand in der Nähe war, betrat ich den Raum. Er war vollkommen leer, in der Mitte standen bloß ein Klavier und ein Hocker. Rose konnte früher spielen und hatte es mir ein wenig beigebracht.
Manchmal kam ich her und spielte, einfach so, bis spät in die Nacht, weil ich nicht schlafen konnte und etwas brauchte, das mich an sie erinnerte.

Das Kettchen mit dem Halbmond an meinem Arm klimperte, als ich die Hand über die Tasten gleiten ließ. Zögernd setzte ich mich und begann, zu spielen. River flows in you war Rose' Lieblingsklavierstück gewesen und ich konnte es inzwischen ohne Notenvorlage spielen.

Ich spielte es wieder und wieder und wieder, bis spät in die Nacht. Erst dann machte ich mich auf den Weg in den Gemeinschaftsraum. Wie es der Zufall wollte, traf ich dort auf Draco.

Eine Weile sahen wir einander an, bis er lächelte. Es war kurz und flüchtig, schüchtern, als wolle er sich entschuldigen wegen seines Verhaltens heute Morgen. Indem ich das Lächeln erwiderte, sagte ich ihm, dass ich ihm nicht böse war, und ging in meinen Schlafsaal.

Dort sah ich Daphne, die auf ihrem Bett lag und ein Buch las. Astoria schlief bereits.

"Da bist du ja! Du warst ewig fort", begrüßte sie mich.

"Hast du auf mich gewartet?" Ich legte meinen Umhang auf mein Bett und ging ins Bad.

Daphne nickte. "Ja. Du wirst seit der Sache im letzten Jahr immer distanzierter..."

"Mach dir keine Sorgen um mich." Ich hatte mein Haar hochgebunden und sah Daph durch den Spiegel an. "Mir geht's gut."

"Das sagst du jedes Mal. Weißt du, wer das alles vielleicht verstehen würde?"

"Wer?" Lustlos, weil ich darüber nicht reden wollte, kramte ich meine Zahnbürste hervor.

"Draco."

"Tja, versuch mal, mit dem über irgendwas zu reden..."

"Wie meinst du das?"

Ich öffnete die Zahnpastatube. "Hast du ihn dir mal angesehen? Offensichtlich hat er zur Zeit eigene Probleme, aber er will mit mir nicht darüber reden."

"Siehst du, genau deshalb braucht ihr beide die Unterstützung des anderen."

"Daph." Ich drehte mich zu ihr um. "Manchmal braucht man eben Zeit. Wenn er reden will, wird er es tun... Zumindest hoffe ich das. Und bei mir ist es genauso."

Daphne gab es auf und legte sich ins Bett, während ich mir die Zähne putzte. Allerdings musste ich ihr recht geben; Draco schien, was auch immer es war, das ihm zu schaffen machte, in sich rein zu fressen...

Was war so schlimm, dass er nicht mit mir darüber reden konnte?

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