Kapitel 19
Kontrolle
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Noch während ich Draco im Türrahmen des verstaubten alten Zimmers erkannte, war die Verwandlung vorbei.
Nun wusste ich auch, wie ich mich ohne Wolfsbanntrank fühlte.
Wütend.
In mir war eine solche Wut, dass ich an nichts anderes denken konnte als daran, Draco an die Kehle zu springen, in den Wald hinauszurennen und auf die Jagd zu gehen.
Doch zu Anfang war der Junge vor mir meine Beute.
Mit vor Angst weit aufgerissenen Augen starrte er mich an. Als ich die Hinterläufe anspannte und mich auf ihn stürzte, sprang er gerade noch rechtzeitig zur Seite, sodass ich ihn bloß am Oberarm kratzte.
Jedoch versperrte ich nun den Ausgang.
Zufriedenheit kam in mir auf, als Draco immer weiter zurückwich, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß. Er konnte nicht weg.
Er saß in der Falle.
Langsam ging ich auf ihn zu, knurrte dabei bedrohlich. Von meinen Lefzen tropfte der Speichel, mein Fell war aufgestellt, was mich noch größer wirken ließ, und ich wusste, welche Farbe meine Augen gerade hatten.
Sie waren gelb.
"I-Ivy..." Draco räusperte sich, um seine zitternde Stimme unter Kontrolle zu bekommen. Er konnte sich denken, dass ich meinen Trank nicht genommen hatte und er wusste auch, was das für ihn bedeutete. "Du willst das nicht tun", sagte er und bemühte sich, ruhig zu bleiben. "Das weiß ich."
Zur Antwort knurrte ich bloß lauter. Er lag falsch. Ich wollte das machen, mehr als alles andere.
Ich ging weiter auf ihn zu, meine Krallen scharrten über den knarzenden Holzboden.
Draco versuchte immer noch, mich von meinem Vorhaben abzubringen. "Ich weiß, dass du mich hören kannst, denn du bist irgendwo da drin." Er schluckte. "Die Ivy, die ich kenne, würde mich nicht absichtlich verletzen."
Belustigt schnippte ich mit den Ohren.
Doch, würde sie.
Ich sprang.
Draco hatte zu nichts anderem Zeit, außer seine Augen zu schließen. Ich riss ihn zu Boden und stand nun über ihm.
Doch ich zögerte.
Etwas in mir weigerte sich, ihm etwas anzutun.
Vorsichtig öffnete Draco die Augen wieder und sah in meine. Er stockte. "Deine Augen... Sie sind wieder blau."
Verstört schüttelte ich den Kopf und stolperte zurück, sodass Drace aufstehen konnte. In meinem Inneren tobte ein Kampf und die Stimmen in meinem Kopf wurden immer lauter bei dem Versuch, mein Verlangen nach Fleisch und Knochen zwischen meinen Zähnen zu übertrumpfen.
"Clover." Draco hob beruhigend die Hände und machte einen Schritt auf mich zu.
Ich knurrte ihn an um zu signalisieren, dass das gefährlich war. Sofort blieb er stehen, nahm seinen Blick jedoch nicht von mir.
Wieso nutzte er nicht seine Chance und floh? Jetzt hatte er die Möglichkeit, doch für wie lange noch?
Ich versuchte, ihn zum Gehen zu bewegen, indem ich knurrte und immer wieder zwischen Draco und der Tür hin und her sah.
Er folgte meinem Blick und verstand. Unsicher beobachtete er, wie ich winselnd die Ohren anlegte und versuchte, gegen mich selbst anzukämpfen. Dann tat er etwas, dass mich mehr als verwunderte.
Er blieb.
Merlin, er ging sogar langsam auf mich zu. Dabei ignorierte er vollkommen meine feindselige Haltung und die Gefahr, in die er sich begab.
Hat dieser Junge Todeswünsche?!
Überfordert mit Dracos Handlung, meinen Gefühlen und dem Schmerz, der sich durch das Ankämpfen gegen den Wolf in mir ausbreitete, wich ich zurück.
Ich hatte Angst.
Vorhin hatte ich gesehen, wie ängstlich, nein, panisch Draco gewesen war. Er hatte gedacht, ich würde ihn umbringen.
Und für kurze Zeit hatte ich das auch vorgehabt.
Bestürzt sah ich Draco an und winselte, als er vorsichtig seine Hand in meine Richtung ausstreckte. "Nein!", wollte ich schreien. "Tu das nicht, ich habe keine Kontrolle." Doch ich konnte nicht. Darum versuchte ich, weiter auszuweichen. Als ich die Wand hinter mir spürte, presste ich mich dagegen und schüttelte immer wieder den Kopf.
Draco jedoch sagte nur: "Ich habe keine Angst vor dir, Clover."
Das solltest du aber.
Er vertraute mir. Er vertraute darauf, dass ich ihm nichts tun würde.
Geschockt und unsicher legte ich die Ohren an. Der Wolf wollte Draco anspringen und seine Zähne in sein Fleisch schlagen, doch ich ließ ihn nicht. Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte weiter den Kopf in der Hoffnung, den Wolf so zu vertreiben.
Töte ihn!, rief er.
Nein!
Zwischendurch hörte ich Draco auf mich einreden. "Hör auf meine Stimme, Clover!"
Nein, halt den Mund!
"Kontrolliere es! Ich weiß, dass du es kannst."
Ich weiß es aber nicht.
Flehend sah ich Draco nun in die Augen. Lauf, bat ich stumm, während alles in mir sich anfühlte, als würde ich von Innen heraus zerrissen. Lauf, Drace, bitte!
Er schüttelte den Kopf. "So schnell wirst du mich nicht los." Er zeigte ein kurzes, ängstliches Grinsen, bevor er weitersprach. "Es tut mir leid, dass ich dir aus dem weg gegangen bin, Ivy. Es... es lag nicht an der Sache mit meinem Vater, ich..." Er verstummte und schluckte. "Ich lasse dich heute Nacht nicht allein", entschied er dann.
Ich hatte also keine Wahl. Ich musste die Kontrolle erlangen.
Und irgendwie, ich wusste nicht genau, wie, schaffte ich es. Irgendwann verstummten die Stimmen in mir, der Schmerz verebbte und ich sank erschöpft zu Boden. Meine Flanken bebten, meine Ohren waren angelegt und ich hechelte vor Anstrengung.
Ich spürte, wie Draco sich neben mich setzte, und sah zu ihm auf. "Ich wusste, du kannst es", flüsterte er.
Ich war damit beschäftigt, meinen Atem unter Kontrolle zu bringen, und schenkte dem Jungen, der neben mir an der Wand lehnte, keine Beachtung. Als er jedoch seine Hand nach mir ausstreckte, knurrte ich und schnappte warnend danach.
Erschrocken zog er sie zurück und sah mich anklagend an. "Beruhig dich mal...", brummte er.
Ich hörte auf, zu knurren, und ließ zögernd zu, dass Draco erneut seine Hand ausstreckte, um mich hinterm Ohr zu streicheln.
Die Anspannung fiel bei seiner Berührung von meinem Körper. Ruhig atmend legte ich meinen Kopf auf Dracos Schoß, schob meine Pfoten unter meinen Körper und genoss Dracos Hand, die mir beruhigend durchs Fell fuhr.
Er wurde immer langsamer, bis er ganz aufhörte. Sein ruhiger Atem verriet mir, dass er schlief. Ich war so erschöpft, dass auch ich kurz darauf einschlief.
-
Die ersten Sonnenstrahlen dieses Morgens schienen auf mein Gesicht. Blinzelnd öffnete ich die Augen und war zunächst irritiert, vor mir staubige Holzdielen zu sehen.
Dann hörte ich jedoch Dracos ruhigen Atem und spürte seine Hand auf meiner Schulter. Sekunden darauf fiel mir alles wieder ein.
Unser Streit. Fred und George, die mich an den Vollmond erinnerten. Der Wolf, der versuchte, Draco anzugreifen. Und Dracos Worte...
"Ich lasse dich heute Nacht nicht allein."
Als ich meinen Kopf hob, um in Dracos Gesicht zu sehen, erkannte ich, dass er noch schlief. Er sieht so friedlich aus... Ganz anders als sonst.
Beschämt, weil ich ihn so anstarrte, wandte ich den Blick ab. Er fiel auf meine Pfoten.
Mit Schrecken stellte ich fest, dass ich jedoch keine Pfoten, sondern Hände hatte.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag - ich lag nackt auf Dracos Schoß.
Vorsichtig, damit er nicht aufwachte, schob ich seinen Arm von meiner Schulter und zog meine Uniform an. Den verzweifelten Versuch, meine Haare einigermaßen in Ordnung zu bringen, gab ich schon bald auf.
Ich wandte mich Draco zu und schüttelte ihn an der Schulter. "Drace, wach auf... Wir müssen zurück."
Blinzelnd öffnete er die Augen und zuckte leicht zusammen, als er mich sah.
"Angst vor dem großen, bösen Wolf?" Ich grinste.
"Pah!" Draco stand auf. "Nicht das kleinste Bisschen!"
"Das habe ich aber anders in Erinnerung", sagte ich gespielt ernst, als wir uns auf den Weg zurück durch den Tunnel machten. Ich begann, Draco überspitzt nachzumachen. "Oh, nein, Ivy, bitte friss mich nicht!"
"Das- so war das überhaupt nicht!", protestierte er empört.
"Mag sein", lachte ich. "Aber viel heldenhafter als das mit dem Frettchen war es auch nicht."
Als Draco die Augen verdrehte, stellte ich mich ihm in den Weg, sodass wir beide anhalten mussten. "Okay, mal ernsthaft..." Ich sah zu Boden, als ich mir die Haarsträhne hinters Ohr strich. "Ohne dich hätte ich Merlin weiß was getan. Und obwohl ich dich angegriffen habe, obwohl du die Chance hattest, zu gehen..." Ich sah auf. "Bist du bei mir geblieben und hast mir geholfen. Das war sehr mutig von dir."
Draco sagte nichts. Entweder fiel ihm nichts ein oder er war schlichtweg überrascht. Eine Weile sahen wir einander nur an. Ich merkte erst, wie nah wir zusammenstanden, als der Junge mir gegenüber sich räuspernd einige Schritte entfernte. "Ja, also..." Erneut räusperte er sich, versuchte, eine gleichgültige Miene aufzusetzen. "So bin ich halt... Mach am besten kein riesen Thema draus."
"Weil du befürchtest, dass dir keiner glaubt?", neckte ich.
Er verdrehte die Augen. "Pff, nein?" Wir setzten uns wieder in Bewegung. "Allerdings... wäre es nicht gut, wenn noch mehr Leute herausfinden, was du bist. Versteh mich nicht falsch", fügte er hinzu, als er meinen verletzten Gesichtsausdruck sah. "Ich komme damit klar, aber andere vielleicht nicht."
"Nein, ich versteh schon." Ich versuchte mich an einem Lächeln. "Du hast ja recht, wenn du dir Sorgen machst, nur... keine Ahnung." Ich seufzte. "Ich wünschte, ich müsste mein wahres Ich nicht verheimlichen."
"Musst du bei mir nicht."
Überrascht sah ich in Dracos Augen. Schnell fügte er hinzu: "Daphne, Rose und deine Gryffindor-Loserfreunde verstehen es doch sicher auch."
Ich lächelte beruhigt - "Ich weiß." - und führte meinen Weg fort.
Draco kam mir nach. "Moment mal... wer hat eigentlich was von Sorgen gesagt?!"
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