𝕊 𝕦 𝕟

𝕵 𝖊 𝖔 𝖓 𝖌 𝖌 𝖚 𝖐

"Viel Glück in der Schule", mit besorgtem Blick hielt meine Mutter mir die Tüte entgegen, in die sie mein Pausenbrot getan hatte. Bewusst den Hautkontakt meidend nahm ich die Tüte und stopfte sie in meinen Rucksack. "Danke", erwiderte ich und lächelte vorsichtig, bevor ich in den Flur lief und mir Schuhe und Jacke anzog. Wenig später hatte ich das Haus verlassen und lief, Steinchen vor mir her kickend den Weg entlang. Nur widerwillig betrat ich das Schulgelände und wurde auch schon direkt gegen die Mauer gedrückt, die den Pausenhof umgab. Sofort schnappte ich nach Luft und versuchte die Hände von mir zu schubsen. Mit einem Lachen ließ Jackson mich los. "Seht mal, wen wir da haben." Zitternd presste ich mich gegen die rauen Backsteine hinter mir, um weiteren Berührungen zu entgehen. Eine Gruppe von bösartig grinsenden Jugendlichen hatte sich um mich geschart.

"Na? Hast du inzwischen mal das Sprechen gelernt?", spottete Jackson und packte mich am Kragen, was mir sofort erneut die Luftzufuhr nahm. "Antworte!", spuckte er mir entgegen, doch wie immer brachte ich vor Angst keinen einzigen Ton über die Lippen. "Antworte hab ich gesagt!" Ich blieb stumm und sah meinen Peiniger nur mit großen Augen an. Seine Faust landete in meinem Magen und vor Schmerzen krümmte ich mich zusammen. "Loser", meldete sich nun auch Daniel Kang, Jacksons bester Freund zu Wort. Und schon spürte ich einen brennenden Schmerz auf meiner Wange. Jackson hatte mich erneut geschlagen. Als wäre das der Startschuss gewesen, gingen sie nun alle auf mich los. Ich fiel zu Boden und krümmte mich wimmernd zusammen. Verzweifelt versuchte ich mich so gut es ging vor den Tritten zu schützen und atmete erleichtert auf, als sie irgendwann genug hatten und von mir abließen. "Weichling", verächtlich lachend zog die Gruppe ab und ließ mich alleine auf dem Boden liegend zurück.

Hustend rappelte ich mich auf und spuckte etwas Blut. Umständlich klopfte ich mir den Dreck von der Kleidung und humpelte ins Gebäude. Mir blieb gerade noch genug Zeit, um meine Sachen aus meinem Spind zu holen, dann klingelte es auch schon zum Unterricht. Sorgsam darauf bedacht niemanden zu berühren, schlängelte ich mich durch die Schülermengen zum Klassenraum.

Auf meinem Platz holte ich meine Schulsachen heraus und legte sie ordentlich auf meinen Tisch, bevor ich meinen Zeichenblock aus meinem Ranzen kramte und begann meinen Bleistift zu spitzen. Die Koreanischlehrerin kam herein gerauscht dicht gefolgt von einem blauhaarigen jungen Mann, der eine Schultasche mit dem Zeichen des Taijitu trug. Deutlich konnte man die beiden Halbkreise des Yin und Yang erkennen und mein Blick klebte auf ihnen, während der Blauhaarige der Lehrerin nach vorne folgte. Ich seufzte. Sicherlich war er ein neuer Mitschüler, ein weiterer Mensch, den ich meiden würde.

Nachdem sie die Klasse um Ruhe gebeten hatte, bat Frau Jung den blauhaarigen Jungen sich vorzustellen. "Hallo, mein Name ist Kim Taehyung. Ich bin aus Daegu hierhergezogen. Hoffentlich werde ich hier schnell Anschluss finden", strahlte er in die Klasse und ich kam nicht Drumherum ihn für seine positive Energie zu bewundern und das Selbstbewusstsein, das er ausstrahlte. Er schien nicht das geringste bisschen nervös zu sein. Mein Blick glitt über Taehyungs Gesicht und ich war mir sicher, dass er viele Mädchen haben würde, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgten. Sogar die ungewöhnliche Haarfarbe sah gut an ihm aus.

Seufzend blickte ich wieder auf meinen Zeichenblock. Sicherlich würde er schon an seinem ersten Tag hier erfahren, was für ein Freak ich war und, wenn ich Pech hatte, würde er sich zu meinen Mobbern gesellen. "Ist hier frei?" Die tiefe Stimme des Blauhaarigen ließ mich hochschrecken. Ängstlich nickte ich und rückte ganz an den Rand des Tisches, um ihm Platz zu machen. "Ey, setz dich doch nicht zu dem Loser dort. Siehst du nicht, dass hier noch ganz viele Plätze für dich frei sind?", grölte Jackson aus der letzten Reihe. Doch statt sich von mir abzuwenden, hängte mein neuer Tischnachbar seelenruhig seine Jacke über den Stuhl neben mir, bevor er an Jackson gewandt trocken konterte: "Wer Loser sagt, ist selber einer." Mit offenem Mund starrte mein Mobber den Blauhaarigen an. "Mund zu, Jackson und Taehyung, du hast Recht, auch, wenn du nicht in diesem Ton mit deinen Mitschülern reden solltest", mischte sich nun auch Frau Jung ein und zwinkerte meinem Sitznachbarn zu.

Darauf achtend Abstand zu Taehyung zu halten, wandte ich mich von dem Geschehenen ab und begann endlich zu zeichnen. Ich war ganz vertieft darin die Konturen nachziehen, als mich jemand anstupste. Panisch schnappte ich nach Luft und sah den Blauhaarige neben mir mit großen Augen an. "Ganz ruhig", meinte Dieser erschrocken aufgrund meiner heftigen Reaktion. "Ich wollte eigentlich nur fragen, woher du das Zeichen des Hotu kennst. Nicht viele interessieren sich dafür. Die meisten kennen nur das traditionelle Yin und Yang. Ich räusperte mich leise. "I-interessiert mich e-einfach", stotterte ich. "A-außerdem hast du doch auch das Zeichen Taijitu auf deinem Rucksack..." Ich verstummte mit rotem Kopf. "Interessant, du kennst auch die richtigen Bezeichnungen", lächelte der Blauhaarige sanft.

Ich nickte stumm und schraffierte die dunkle Seite, die das Yin darstellte, etwas stärker, bevor ich mich dem Umriss der Weltkugel zuwandte. "Das Yin und Yang der Welt", murmelte Taehyung leise. "Warum hast du dich ausgerechnet dafür entschieden? Ich zuckte mit den Schultern und wich ängstlich zurück, als sich der junge Mann neben mir vorbeugte, um meine Zeichnung genauer betrachten zu können. Dann wandte er ruckartig den Kopf und sah mich an. "Warum hast du solche Angst? Du weichst jedem Körperkontakt aus und immer, wenn ich dich anspreche, wirst du leichenblass, als würde ich dein Todesurteil aussprechen." Ich schluckte. "I-ich kann halt nicht so gut mit Menschen", sagte ich zögernd und fragte mich, wie ich so lange durchhalten konnte, ohne schreiend aus dem Raum zu rennen. Normalerweise schaffte ich es nicht einen einzigen Satz mit Fremden zu wechseln.

"Das ist eine Lüge", sagte der Blauhaarige ernst. "Wenn du nicht gut mit Menschen könntest, dann würdest du dich ganz anders verhalten. Aggressiver." Hilflos sah ich ihn einfach nur an, unwissend, was ich darauf antworten sollte. Mein Tischnachbar begann mein Gesicht genauer zu mustern und dann verdunkelten sich seine Augen. Wie automatisch streckte er seine Hand aus, um meine angeschwollene Wange zu berühren, doch hastig wich ich zurück. "N-nicht anfassen", wimmerte ich und Taehyung zog eilig seine Hand zurück. "Entschuldigung." Dann musterte er mich erneut. "Wer hat dir das angetan?", fragte er. Ich schwieg, obwohl ich genau wusste, was er meinte. Sicherlich hatte sich meine Wange bereits blau gefärbt. Der Blauhaarige seufzte. "Du redest nicht gerne, hm?" Ich schüttelte den Kopf und begann das mit dem Bleistift Vorgezeichnete mit einem Feinliner nachzuspuren. "Verrätst du mir denn zumindest deinen Namen?", fragte er, während er beobachtete, wie ich das helle Yang schwarz umrandete.

Ich hob den Blick und sah ihn mit einem schüchternen Blick an. "Jeongguk". Meine Stimme war fast unhörbar, doch er hatte mich verstanden. "Das ist ein schöner Name. Passt zu dir", befand Taehyung. "Ich bin Taehyung, wie du bestimmt schon weißt, aber du kannst mich gerne Tae nennen." Ein zaghaftes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. "H-hallo, Tae." Ein breites Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. "Hey, Ggukie" Meine Wangen färbten sich rosa und verlegen sah ich mein Gegenüber an. "Ggukie?" Er lachte. "Ja. Du musst schließlich auch einen Spitznamen haben." "Jeon Jeongguk und Kim Taehyung, würdet ihr mir bitte die Ehre erweisen auch mal an meinem Unterricht teilzunehme?", unterbrach uns Frau Jung und sofort lag die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse auf uns. Ich spürte, wie erneut die Panik in mir hochstieg. Mit so viel Blicken, die auf mir lagen, konnte ich ganz und gar nicht umgehen. Mein Atem ging hektisch und stoßweise und ich spürte, wie sich meine Luftröhre verengte, sodass ich verzweifelt nach Luft schnappte.

Inzwischen hatte sich Frau Jung schon längst wieder von uns abgewandt und begann etwas auf die Tafel zu schreiben. Auch meine Mitschüler schauten wieder nach vorne, doch die Panik in mir flaute nicht ab. Immer wieder schnappte ich nach Luft und versuchte vergeblich meine Lungen wieder mit Sauerstoff zu füllen. "Ganz ruhig", sagte da auf einmal Taehyung neben mir. "Jeongguk beruhige dich. Tief einatmen und dann wieder ausatmen." Seine Stimme hatte tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf mich, sodass meine Atmung langsam wieder gleichmäßiger wurde. "Gut machst du das", lobte der Blauhaarige mich im Flüsterton. Nach einer Weile hatte ich mich wieder vollständig unter Kontrolle. "Danke", murmelte ich schüchtern und wagte es nicht meinen Sitznachbarn anzusehen. "Kein Problem. Kriegst du diese Panikattacken öfters?", erkundigte er sich und sah mich besorgt mit seinen dunklen, glänzenden Augen an. Ich nickte zaghaft.

Es klingelte zur großen Pause und sofort begann ich meine Sachen zusammenzupacken. Mein Tischnachbar tat es mir gleich und folgte mir dann auf den Schulhof. "W-willst du denn nicht zu den Anderen? W-wenn du m-mit dem Freak r-rumhängst, kommt das nicht sehr gut an", stotterte ich, als der Blauhaarige sich neben mich auf die Mauer setzte, die das Schulgelände umgab. Er zuckte mit den Schultern. "Ich verbringe aber gerne Zeit mit dir. Und die Anderen kümmern mich nicht. Mit oberflächlichen Menschen möchte ich sowieso nichts zu tun haben." Seltsamerweise freute es mich sogar, dass Taehyung die Pause mit mir verbringen wollte. Normalerweise mied ich meine Mitmenschen so gut es ging und auch bei dem Blauhaarigen beschränkte ich meine Kommunikation aufs Minimum und achtete darauf keinen Körperkontakt zu haben, aber dennoch fühlte es sich seltsam richtig an hier neben ihm auf der Mauer zu sitzen.

"Yin und Yang", wechselte er plötzlich das Thema und legte den Kopf schief. "Weißt du was mich daran so fasziniert?" Der junge Mann wartete gar nicht erst meine Antwort ab, sondern fuhr fort: "Sie sind so Gegenteilig. Und dennoch ergeben sie zusammen ein Ganzes. Verstehst du? Etwas, was verschiedener nicht sein könnte. Etwas, was sich abstößt und dennoch anzieht. Yin und Yang sind nicht wie gut und Böse. Hier gibt es nicht das Gute, was das Böse besiegt, oder umgekehrt. Nein. Beide sind ausgewogen und balanciert. Ist das Eine stärker, so ist das Andere auch stärker. Wie, wenn das Licht immer heller wird und dafür sorgt, dass der Schatten immer dunkler wird." Aufmerksam hörte ich zu und nickte anschließend. Leise ergänzte ich: "Du hast das Zeichen namens Taijitu auf deinem Rucksack. Ich mag seine Bedeutung: Es gibt immer etwas Negatives im Positiven aber auf immer etwas Positives im Negativen." Der Blauhaarige lächelte sanft. "Das stimmt."

Danach sagte keiner von uns mehr etwas. Schweigend saßen wir nebeneinander auf der Mauer, einen guten Meter Abstand zwischen uns. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Stille wurde von einem höhnischen Lachen durchschnitten. "Hat der Freak etwa einen Freund gefunden?" Mit einer schnellen Bewegung glitt ich von der Mauer und presste mich mich mit dem Rücken gegen die, von der Sonne gewärmten, Ziegelsteine. Ängstlich blickte ich Jackson entgegen, der mit drei von seinen Freunden auf mich zuhielt. "Warum kannst du mit dem da reden, aber nicht mit mir? Das beweist mir einmal mehr, dass du mich provozieren willst, Pisser." Bedrohlich baute sich der Dunkelhaarige vor mir auf. "Wirst du so gerne von mir geprügelt?", fragte er gespielt mitleidig. "Du armer Junge. Dann werde ich dir diesen Gefallen nur zu gerne tun." Er holte aus und ich kniff die Augen zusammen aus Angst vor der bevorstehenden Berührung und vor den Schmerzen. Doch Jackson schlug mich nicht.

Vorsichtig öffnete ich meine Augen wieder und sah Taehyung, der neben mir stand und die Hand meines Mobbers mitten aus der Luft abgefangen hatte. "Lass ihn in Ruhe, du Feigling. Du traust dich ja nicht mal dich ohne deine Bodyguards hier blicken zu lassen." Verächtlich sah der Blauhaarige Jackson an und kniff die Augen zusammen. "Du hältst dich für ganz cool, dass du Jeongguk hier vor allen Anderen auf dem Schulhof verprügelst, huh? Dabei tust du das nur für dein verdammtes Image. Wie erbärmlich muss man schon sein." Mit einer ruckartigen Bewegung zog der Dunkelhaarige seine Hand aus dem festen Griff meines Verteidigers und knurrte: "Halt du dich da raus, Schlumpf." Taehyung lachte spöttisch. "Oh, werden wir hier verletzend? Ich warne dich. Ich könnte dich und deine Kumpel da mit dem kleinen Finger platt machen und ich werde auch nicht zögern diese Drohung wahrzumachen, solltet ihr Jeongguk noch ein einziges Haar krümmen."

Kurz schien Jackson Taehyungs Worte abzuwägen, doch letztendlich trat er den Rückzug an. "Glaubt ja nicht, dass das hier vorbei ist", drohte er finster, bevor er mit seinem Gefolge über den Schulhof abzischte. Mit großen Augen sah ich den Blauhaarigen an, der laut schnaubte und meinen Mobbern wütend nachsah, bevor er sich an mich wandte. "Ist alles okay?", langsam nickte ich. "D-danke." Noch leicht aus der Fassung gebracht, folgte ich dem jungen Koreaner mit den Blicken, während er gemächlich wieder zu seinem Platz schlenderte. "Kein Problem", erwiderte er sanft. "Niemand verdient es geschlagen zu werden und erst Recht nicht du." Ich lächelte. Vielleicht hatte ich nun zum ersten Mal seit langem einen Freund gefunden.

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