.7. Familienbesuch .7.
Namjoon saß gemeinsam mit Jin in seinem Auto, sein 'Freund' auf dem Beifahrersitz. Er starrte aus dem Fenster, beobachtete augenscheinlich interessiert die vorbeirauschenden Landschaften. Durch das Innere des Automobils schwebten die wenig sanften Töne von Eminems Song Lose Yourself. Es fühlte sich äußerst ungewohnt an, die Musik wieder zu hören, die ihn damals, vor nun doch schon so langer Zeit, dazu inspiriert hatte, eine ähnliche Kunst zu schaffen. Nachdem Namjoon sich von dem Musik Produzieren abgewandt hatte, hatte er lange seine alten Lieblingstracks gemieden. Doch sie hier zu hören, mit Jin, bei dem es sich leichter anfühlte, über die alten Geschehnisse zu reden, schien genau richtig zu sein.
Er genoss es, wieder in seine alte Zeit abzutauchen und die Erinnerungen klar um sich herum zu spüren, die jede Silbe, jeden Klang, des Songs erfüllte. Es faszinierte ihn, wie stark sich die Musik mit Emotionen aufladen konnte, so stark, dass er selbst nach Jahren noch dasselbe Ziehen in der Brust verspürte, das ihn jedes Mal überkommen hatte, als er diesen Song gehört hatte. In seinem Inneren hatte ein leidenschaftliches Feuer gebrannt, dessen Flammen heller denn je loderten, wann immer er seine Kreativität auf Papier brachte, seine Gedanken in Melodien umwandelte und aus einfachen Worten ganze Lyrik Konstrukte zauberte.
Er musste ein wehmütiges Seufzen unterdrücken. Diese Zeiten waren vorbei. Wann immer er sich später noch an die Musik herangetraut hatte, so hatte sie ihn mit verschlossenen Türen und eisigem Schweigen erwartet. Türen, die er selbst damals geschlossen hatte. Schweigen, mit dem er die Musik sanktioniert hatte, da sie ihm nur Streit und Ärger mit seinen Eltern eingehandelt hatte. Doch sein Feuer war wieder entflammt. Zögernd, als wäre es unsicher, ob er es wieder kaltherzig ersticken und zurücklassen würde, um es jemand anderem rechtzumachen.
Doch er hatte seine neu entdeckte, neu erwachte, Leidenschaft mit Liebe und Achtsamkeit behütet. Hatte sie gestreichelt und gelockt, bis sie sich schließlich getraut hatte, in voller Größe zu erblühen und ihn wieder hatte strahlen lassen. Er hatte sich ein zu Hause im Schreiben geschaffen, nachdem er sein vorheriges Heim mit eigenen Händen niedergebrannt hatte.
Die Autofahrt dauerte nicht sonderlich lange - zumindest fühlte es sich für ihn selbst nicht so an. Während Jin die Umgebung inspizierte, und von Zeit zu Zeit auch Namjoon einen beobachtenden Blick zuwarf, so war dieser gänzlich in seinen eigenen Gedanken versunken und in den Songs, die nacheinander abgespielt wurden und ihn allesamt an seine frühe Jugend erinnerten.
Namjoons Eltern wohnten in der Jungang-ro, eine Straße, die zwar inmitten eines belebten Stadtteils lag, jedoch auch direkt an eine breite Grasfläche angrenzte, die durch dort wachsende Bäume abgeschirmt wurde. So konnte man dort in Ruhe Zeit verbringen und auch mit Kyung-mins kleiner Tochter gefahrlos draußen spielen, ohne Angst zu haben, sie überfahren auf der nächsten Straße aufzufinden. Ae-cha war ein unfassbar wirbelwindartiges Kind, das man wirklich nie aus den Augen lassen durfte.
Er parkte das Auto mit wachsender Nervosität in der kleinen Parkanlage neben dem Gebäude, in dem seine Eltern wohnten. Sie bezogen zwei Wohnungen, die direkt nebeneinander lagen, und nutzten die zweite für Zwecke wie diesen, wenn die Familie zusammenkam und etwas mehr Platz benötigte.
Die beiden Männer verließen das Auto, brachten die Stufen zur Wohnung hinter sich und klingelten an der Tür, um schließlich die Eltern von Namjoon zu begrüßen. Die beiden älteren Koreaner waren ein liebevolles Pärchen und begrüßten sowohl ihren Sohn als auch den unbekannten Neuling mit freudiger Herzlichkeit. Natürlich waren beide äußerst neugierig auf den mitgebrachten Freund ihres einsiedlerischen Sohnes, doch sie hielten ihre Fragen und Vermutungen zurück, für eine gemütliche Runde, in der sie ihrer Neugierde freien Lauf lassen konnten.
Eine Runde, die schon am Abend stattfinden würde, nachdem auch Kyung-min mit Ae-Cha angekommen und begrüßt worden war - ihr Mann hatte es leider nicht geschafft, seine Frau zu begleiten, da er einen wichtigen Arbeitstermin hatte. Namjoon bedauerte das, er hatte die letzten Treffen immer sehr genossen, gute Gespräche mit dem Vater und Ehemann zu führen, der eine leise Stimme hatte und sowohl interessiert lauschen, als auch Interesse in seinem Gegenüber wecken konnte.
Namjoon war sehr froh, dass Kyung-min sich dazu entschieden hatte, diesen angenehmen Mann zu heiraten, statt einen seiner Vorgänger, die allesamt weniger reif oder erwachsen gewesen waren.
Ae-cha hatte Jin zur Begrüßung vorbehaltslos die gleiche Umarmung zuteilwerden lassen, die sie auch ihren Großeltern und ihrem Onkel mit stürmisch funkelnden Augen gab. Die Begeisterung der kleinen Vierjährigen war wie ein frischer Wirbelwind, eine Frühlingsbrise, ein fröhliches Glöckchenklingeln. Jin hatte bloß, vermutlich sehr überrumpelt, geblinzelt und Namjoon einen fragenden Blick zugeworfen, den dieser mit einem ausgelassenen Grinsen quittiert hatte. Frau und Herr Kim hatten über seine starre Reaktionslosigkeit bloß gelacht. Womöglich hielten sie ihn einfach für sehr introvertiert, ein wenig eigentümlich, doch hatten ihm auch von dem Teegebäck angeboten, das sie nur Gästen anboten, die sie mochten.
Ein gutes Zeichen.
Am Abend schließlich saßen sie zu viert beisammen, in der Wohnung, die Namjoons Eltern zum Leben nutzten. In der Gästewohnung brachte Kyung-min ihre kleine Tochter gerade zu Bett, danach würde auch sie sich zu der kleinen Zusammenkunft gesellen.
Namjoons Vater hob seine Tasse, in der der heiße Tee kleine Dampfschwaden aufsteigen ließ, an die Lippen. Er und seine Frau saßen ihrem Sohn und Jin gegenüber auf einer kleinen Couch. Die Männer hatten in zwei Sesseln Platz genommen, Kyung-min würde sich vermutlich neben ihre Eltern setzen - wo sie eh am liebsten saß.
"So", eröffnete Namjoons Vater das Gespräch, "Und Sie, Jin - was machen Sie beruflich?"
"Ich bin Astronaut."
Er hob zweifelnd eine Augenbraue.
"Ist das so? So weit ich weiß, haben Astronauten einen ziemlich streng geregelten Alltag? Befinden Sie sich gerade im Urlaub?"
"Schatz ..." Seine Mutter legte mahnend ihre Hand auf den Arm ihres Mannes.
"Nun ...", begann Jin ziellos, es war ihm anzumerken, dass er die Situation nicht einordnen konnte. Nach klärenden Informationen suchend, huschte sein Blick über das Geschehen, analysierte die Körpersprache seines Gegenübers.
Namjoon sprang ein und spielte die riskante Karte aus, von der er hoffte, sie würde sowohl seinen Vater zufriedenstellen, als auch seinen Freund nicht verärgern.
"Er hatte einen tragischen Unfall beim Training, deswegen ist er aktuell von sämtlichen Trainingsaktivitäten ausgeschlossen und ist manchmal ein wenig ... verwirrt." Er blickte zögerlich zu Jin, doch der wirkte eher erstaunt und verblüfft, als zornig und erbost.
"Ich hatte einen Unfall?"
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- 1100 Wörter
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