Chapter 123
(Bild: Lily und James)
Lily Evans P.o.V.:
Als ich aus dem Badezimmer komme und nach unten gehen will, um wie versprochen das Abendessen vorzubereiten, geht James' Zimmertür gerade zu.
Allerdings nicht ganz; als ich vorbeigehe, kann ich einen Blick auf ihn erhaschen. Er steht am Fenster, die Arme auf dem Fensterbrett abgestützt. Das Haar steht ihm unordentlich vom Kopf ab, aber es ist sein definierter Rücken, der meine Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Er hat sein Oberteil ausgezogen und zu seinen Füßen geworfen. Wahrscheinlich will er nach dem Tag am See ebenfalls duschen und wartet nur darauf, dass das Bad frei ist.
Die untergehende Sonne beleuchtet seine Haut vorteilhaft, lässt ihn sogar fast wie ein Zeitschriftenmodel erscheinen.
Vorhin habe ich mir verboten, ihn genauer zu betrachten, jetzt kann ich den Blick nicht abwenden.
Ich frag mich, wie seine bloße Haut sich unter meinen Fingerkuppen wohl anfühlen würde. Warm von der Sonne? Kalt vom aufkommenden Wind? Beides? Samtig? Von den antrainierten Muskeln hart?
Ich fahre mir über meine Unterarme, auf denen sich die Härchen aufgestellt haben.
Soll ich ihm sagen, dass ich fertig bin?
Ich schiebe die Tür ganz auf und betrete den Raum, als ob ich nicht schon seit zwei Minuten davorstehen würde.
"Das Bad ist frei."
James sieht auf und wirft mir über seine Schulter hinweg einen in Gedanken versunkenen Blick zu. Als er mich sieht, richtet er sich auf und seine Augen klären sich.
"Wegen vorher...", beginnt er.
Ich winke ab. "Schon gut, Sel passt eben gerne auf andere auf."
"Aber das heißt nicht, dass der Tag nicht schön war."
Mein Gesicht wird warm und ich frage mich plötzlich, ob ich seltsam dastehe. Sollte ich weiter in den Raum gehen? Mich schnell aus dem Staub machen? Die Hände anders halten?
Ich könnte sie in meine Hosentasche schieben. Aber den Gedanken verwerfe ich schnell wieder.
"Du rauchst?", meine Augen haben den Zigarettenstummel zwischen seinen Fingern gefunden und jetzt nehme ich auch den schweren Geruch wahr.
James senkt die Augen und dreht die Zigarette zwischen den Fingern. "Selten."
Ich will seinem Blick folgen, doch der Anblick seines nackten Oberkörpers lenkt mich zu sehr ab.
Mit einem Ruck drehe ich mich auf den Fersen. "Auf jeden Fall kannst du jetzt duschen."
"Lily?"
Ich halte im Türrahmen inne, eine Hand auf das kühle Holz gelegt.
"Darf ich dich morgen begleiten? Ich will nicht, dass du dort alleine hingehst." Bevor ich antworten kann, fügt er noch hinzu:"Ich weiß, deine Schwester ist da und du bist nicht wirklich allein, aber... naja, du weißt, was ich meine, oder?"
Langsam drehe ich mich wieder zu ihm um. Diesmal kann ich meinen Blick nicht von seinen Augen nehmen. Noch nie stand eine derartige Ernsthaftigkeit darin.
"Du musst nicht anbieten, mitzukommen, wenn du eigentlich gar nicht willst." Damit biete ich ihm einen Ausweg. Doch James runzelt die Stirn, als wäre er mit meiner Antwort alles andere als zufrieden.
Schnell fahre ich fort und sage, was ich wirklich denke:"Aber... ich... hätte dich gerne dabei." Meine Wangen werden noch wärmer und ich wende verlegen den Blick ab.
"Ach Lily!" Mit wenigen Schritten ist James bei mir und ohne Vorwarnung werde ich in eine atemraubende Umarmung gezogen.
Die plötzliche Nähe überfordert mich erst, dann, als James' Hand an meinem Rücken innehält und er sein Kinn auf meinem Haar ruhen lässt, hebe ich mit einem zu lauten Schlucken die Arme, um sie auf seinen bloßen Rücken zu legen. Ich spüre, wie James ausatmet und sich seine Schultern ein Stück weit senken.
Die Wärme unter meinen Fingern breitet sich in meinem gesamten Körper aus und taut jeden Zentimeter Angespanntheit und Verlegenheit auf. Sein typischer Geruch, der von dem der Zigarette ziemlich überlagert wird, liegt mir in der Nase und hat etwas furchtbar vertrautes. Etwas sicheres.
James hat mich richtig an sich gezogen, sobald ich seine Umarmung erwidert habe, und jetzt wird mir erneut bewusst, wie nah wir uns eigentlich sind. Wenn er ein Oberteil trüge, würde es sich vielleicht nicht so intim anfühlen, denn so liegt mein zur Seite gedrehter Kopf auf seiner nackten Schulter und meine Hände fühlen die Rippen und Muskeln unter seiner Haut.
Ich hab vollkommen vergessen, über was wir gerade noch geredet haben. Doch es ist mir auch egal.
Von James' Haut geht eine Hitze aus, die wohl kein Arzt erklären könnte.
Ganz und gar von James' Armen umfangen, schließe ich die Augen.
Eine halbe Ewigkeit vergeht - oder war es nur ein Augenblick? Ich habe keine Ahnung, jegliches Zeitgefühl hat mich verlassen.
James' Hände wandern tiefer bis knapp über meinen Hüftknochen. Gleich wird er sich von mir lösen.
Doch er zögert.
Ich warte mit geschärften Sinnen auf seine nächste Bewegung, aber nichts passiert.
Vielleicht hat er die Umarmung gar nicht so gewollt, wie ich sie interpretiert habe. Vielleicht will er mich nur nicht wegschieben, weil morgen die Beerdigung ist. Aus Mitleid.
Rasch löse ich mich und trete einige Schritte zurück.
"Na dann... Danke." Ohne einen weiteren Blick auf ihn drehe ich mich um und stürme so normal gehend wie möglich aus dem Raum.
Na dann... Danke?? Ich will mir am liebsten gegen die Stirn schlagen, doch erst muss ich ein paar Meter zwischen uns bringen.
"Lily", Seine Stimme klingt eine Spur genervt. Wie die eines Elternteils, das sein Kind bei einem unerlaubten Streich erwischt hatte, das ganze aber auch lustig fand.
Augenblicklich halten meine Füße inne und ich verfluche innerlich, welche Auswirkung allein ein einziges Wort von ihm hat.
Ich drehe mich gefasst um und sehe James lässig im Türrahmen lehnen. Der Sonnenuntergang, der vorhin noch sein Zimmer erhellt hat, ist wohl schon so gut wie vorbei, denn von hier aus liegt sein Zimmer im Dunkeln. Er steht an der Schwelle zum Flur, was ihn halb im Licht, halb im Schatten stehen lässt.
Ich frage mich gerade, wohin der Zigarettenstummel verschwunden war, als er sich von dem Holz abstößt und auf mich zu kommt. Keinen halben Meter entfernt bleibt er stehen. Er trägt sein übliches charmantes Grinsen in abgeschwächter Form, versteckt dahinter aber etwas, was ich noch nicht so recht deuten kann.
"Wieso läufst du immer vor mir weg?", fragt er.
Ich zucke die Achseln, weil ich mir nicht zutraue, einen grammatikalisch richtigen Satz zu formen. Seinem durchdringenden Blick weiche ich aus.
Als er zwei Finger unter mein Kinn legt, damit ich ihn ansehe, schließe ich automatisch die Augen; Meine Nervenenden stehen in Flammen.
Allerdings nur für einen Augenblick. Als ich sie wieder öffne, ist mir James näher als gerade eben. Ich spüre sogar seinen Atem auf meiner Haut.
Sein Gesichtsausdruck ist unentschlossen, nicht fordernd oder erwartend, sondern ... fast schon unsicher.
Seine Finger wandern weiter hoch und er legt seine Handfläche an meine Wange, ehe er mit seinem Daumen über meine Haut streichelt. Sein Blick wandert über mein Gesicht.
Das Atmen fällt mir schwer und unwillkürlich öffnen sich meine Lippen. Nur einen Spalt breit, doch James sieht es sofort.
Er senkt den Kopf nur ein winziges Stückchen, ehe er wieder innehält.
"Sicher?", fragt er heiser.
"Nein." Zeitglich greife ich nach den Taschen seiner Badehose und ziehe ihn näher.
James Augen leuchten auf. Anscheinend hat er nur auf so etwas gewartet. Er senkt seinen Kopf und lässt seine Hand in meinen Nacken wandern. Die andere umfasst meine Taille und zieht mich näher. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen.
In dem Moment, in dem ich den Hauch einer Berührung auf meinen Lippen fühle, durchschneitet ein schriller Ton die aufgeladene Luft und lässt uns auseinanderschrecken.
Während ich mich allerdings nur verwirrt nach der Quelle der Sirene umsehen kann, rennt James ohne zu Zögern in sein Zimmer und kommt mit seinem Zauberstab zurück. Mit einer Drehung aus dem Handgelenk ist der Alarm verstummt.
"Jemand hat das Grundstück betreten. Versteck dich im Schrank." In seinen Augen steht Panik, ansonsten ist er gänzlich auf das Wesentliche konzentriert.
Ich fühle mich, als hätte mir jemand einen Eimer eiskaltes Wasser übergegossen.
James will mich in sein Zimmer bugsieren, doch ich mache mich los und ziehe meinen Zauberstab.
"Vergiss es!" Ohne seinen unglücklichen Gesichtsausdruck zu beachten, schiebe ich mich an ihm vorbei und renne die Treppe hinunter.
Sel und Sirius stehen mitten im Wohnzimmer, Rücken an Rücken und sich leise Worte zuzischend. Sie scheinen sich zu streiten, was jetzt zu tun ist.
Als ich mit James auf den Fersen eintrete, wirbeln sie beide herum.
Sel atmet erleichtert aus und nickt sogleich zur Terrassentür. "Ich glaub nicht, dass schon jemand im Haus ist."
Mit Übelkeit im Magen spähen wir alle in den Garten.
Doch es ist nichts zu sehen.
"Es kann doch niemand das Grundstück betreten, oder?", frage ich und fühle mich dabei dümmlich. Ich hab über den Zauber gelesen und eigentlich dürfte niemand dieses Haus überhaupt nur finden.
James schüttelt den Kopf ohne den Blick von den Bäumen abzuwenden, die das Grundstück eingrenzen. "Ohne eingeweiht worden zu sein, ist das hier eine scheinbar normale Wiese mit einem kleinen Wald. Es kann schon sein, dass einfach ein Spaziergänger oder ein größeres Tier die Sirene ausgelöst hat." Oder Todesser, füge ich still hinzu.
Über einem der niedrigeren Baumgipfeln steht der aufgehende Mond. Er ist fast voll und spendet so ein wenig Licht. Dennoch ist mir unwohl, als Sirius die Terrassentür aufschiebt.
Sel wirft mir einen angstvollen Blick zu, ist aber im Gegensatz zu vorhin hellwach und bereit, das Grundstück abzusuchen.
"Jeder übernimmt eine Ecke.", bestimmt sie, eine bewundernswerte Ruhe in der Stimme. "Sirius Nord, James Ost, Lily Süd und ich West." Bei jeder Himmelsrichtung deutet sie in eine Ecke des Grundstücks. Zum Glück, mein Orientierungssinn geht gegen Null.
Jeder nickt und im nächsten Moment stürmen wir alle in den Garten. Sirius und Selena sind fast sofort den Gartenweg ums Haus entlang gerannt und auch James und ich gehen voneinander weg. Er nach links, ich nach rechts.
Ein Schauder läuft mir über den Rücken, als mir klar wird, dass ich eine stockfinstere Ecke abbekommen habe, da sich hier die ältesten Bäume aneinanderreihen. Hier ist auch der Trampelpfad zum See.
Ich überlege, meinen Zauberstab zu erleuchten, doch damit würde ich eine perfekte Zielscheibe für umherfliegende Zauber abgeben. Also schleiche ich weiter und drehe dabei unaufhörlich den Kopf im größtmöglichen Winkel.
James kann ich inzwischen nicht mehr sehen, denn ich habe die ersten Bäume passiert und auch er hat einige abzusuchen. Sel und Sirius sind viel zu weit weg, um irgendwas zu erkennen oder zu vermuten. Wahrscheinlich suchen sie gerade die Straße ab.
Etwas trifft mich am Kopf und ich verfluche mich, abgelenkt gewesen zu sein. Was das ein Fluch? Es gab kein blitzartiges Licht, also nein.
Ich hebe die Hand und erspüre den niedrigen Ast, der meine Schläfe gestreift hat und mir dabei ein paar Haare ausgerissen hat.
Ich unterdrücke einen Fluch und reibe mir über die schmerzende Stelle, während ich mich weiter umsehe. Der Trampelpfad liegt vor mir.
Am Tag bei Sonnenlicht hat dieser Ort etwas märchenhaftes. Jetzt ist mir der Grundstückszugang einfach nur unheimlich. Ich will gerade versuchen, das eingewachsene hölzerne Tor zu schließen, als sich eine eisige Hand auf meinen Mund legt und ich einige Schritte zurückstolpere.
Mir ist ein erschrockenes Quietschen entfahren, doch die Hand verstärkt ihre Kraft und kein weiterer Ton findet seinen Weg über meine Lippen. "Leise!", raunt der Angreifer hinter mir mit wackliger Stimme. Es ist ein Mann, doch mehr kann ich nicht erkennen.
"Lily?", höre ich James' gedämpfte Stimme, die immer näher kommt.
Hoffnung keimt in mir auf, während ich mich weiter mit Händen und Füßen gegen die Person hinter mir verteidige. Mein Ellenbogen trifft meinen Angreifer in den Magen und die Hand auf meinem Mund rutscht ab.
Ich wirble herum - und erstarre.
"Du?", bringe ich stotternd hervor. Ich lasse meine Zauberstabhand sinken.
Alexander reibt sich über die Stelle, an der ich ihn getroffen habe, und neigt den Kopf hin und her. "Wer will Sela denn sonst überraschen?"
"Och, ich weiß nicht, vielleicht ein paar Späher! Die Blacks! Todesser! Voldemort!", zische ich zurück.
Alexander schluckt getroffen und blickt mich entschuldigend an.
Bevor er allerdings den Mund aufmachen kann, ertönt ein Rascheln hinter mir und ich schubse ihn kurzerhand an den Schultern in die Sträucher hinter ihm. Hätte er mich gerade nicht zu Tode erschreckt, hätte er mir Leid getan.
Gerade als ich herumwirble und mich zu fassen versuche, kann ich James' Schatten sehen.
Da ich jetzt ja weiß, dass kein Zauber aus dem Hinterhalt durch die Nacht fliegen wird, murmle ich "Lumus" und erleuchte so James gleichermaßen besorgtes und verwirrtes Gesicht.
Er richtet den erhobenen Zauberstab sofort neben mich und sieht sich um. Zum Glück bleibt er eher auf Menschenhöhe und sucht nicht den Boden ab.
Als er auf den ersten Blick nichts entdecke, wendet er sich wieder mir zu und mustert mich von Kopf bis Fuß. "Was ist passiert?"
"Fuchs!", antworte ich wie aus der Pistole geschossen. Ich hoffe nur, er merkt mir meine Notlüge nicht an.
Einen Moment lang starrt er mich vollkommen verständnislos an, dann weicht mit einem Mal die Anspannung aus seinen Schultern und er macht einen großen Schritt auf mich zu, um mich fest in den Arm zu nehmen. Er trägt noch immer kein Oberteil, vielleicht kann ich deswegen seinen rasenden Herzschlag spüren. Oder ist es meiner?
Über seine Schulter hinweg kann ich im Licht meines Zauberstab Alexander durch den Himbeerstrauch entdecken, hinter den ich ihn geschubst habe. Er hat die Augenbrauen gehoben und sieht mich vielsagend an. Sein Grinsen ist viel zu breit für diese Situation.
Unwillkürlich schubse ich James weg, der mich erstaunt mustert, sich allerdings rasch wieder fängt.
"Wir sollten zurück. Sel und Sirius suchen immer noch."
James sieht mich noch kurz an, nickt dann aber und geht voraus aus dem Dickicht.
Ich bedeute Alexander mit einer unauffälligen Handgeste und einem warnenden Blick, dass er hier warten soll, was er stirnrunzelnd abnickt.
Als wir alle nach einem eindeutigen Pfeifens von James auf die Terrasse zugehen, frage ich mich kurz, ob jetzt nicht ein guter Zeitpunkt wäre, Sel zu raten, ihre Liebesbeziehung mit Alexander öffentlich zu machen. Doch den Gedanken verwerfe ich schnell wieder, als ich Sirius grimmiges Gesicht sehe.
Sein Treffen mit Laura war heute wohl mächtig schiefgelaufen, wenn man seine Stimmung bedenkt, und Sel sieht jetzt, wo anscheinend keine Gefahr mehr besteht, wieder genauso erledigt aus wie nach ihrer Rückkehr aus dem Ministerium.
Ich überlasse es James, von einem angeblichen Fuchs zu berichten und sehe zurück zu der Stelle, an der Alexander in der Dunkelheit kauert. Ob er uns sieht? Dürfte er eigentlich nicht. Aber wie bekomme ich ihn aufs Grundstück, damit er mit Sel reden kann? Oder sollten sie lieber wieder zu dem Spielplatz gehen?
Doch für Euphemia war es damals kein Meisterstück, ihnen zu folgen.
Meine Gedanken schweifen ab zu den Zettel, den mir Selena mal in die Hand gedrückt hat, durch den ich das Haus sehen und betreten konnte.
Der müsste oben im Gästezimmer sein.
"Können wir dann jetzt essen?", wirft Sirius in das ernste Gespräch zwischen James und Sel ein. Wir sehen ihn alle etwas perplex an. Dass das Abendessen noch aussteht, hatte ich ganz vergessen, doch jetzt rührt sich auch mein Magen vor Hunger.
"Ich kann Penne Arrabiata machen.", sage ich schnell. Umso schneller das Abendessen vorbei ist, umso kürzer muss Alexander dort draußen rumsitzen.
Sirius nickt begeistert und schiebt uns alle ins Haus.
James geht endlich duschen, Sel will sich was bequemes anziehen und Sirius deckt den Tisch, so hungrig ist er.
Ich beeile mich und keine 15 Minuten später sitzen wir alle am Esstisch. Nach weiteren 15 Minuten haben wir aufgegessen und Sirius schlägt einen Spieleabend vor.
Selena lehnt sofort ab. Sie will nur noch Schlafen gehen. Wenn sie wüsste, wer sie heute noch besucht - wenn er noch nicht wieder abgehauen war, was ich ernsthaft bezweifle.
Doch James holt sofort einen Stapel Brettspiele aus dem Wohnzimmer. Darunter Zaubererschach.
"Wie wäre es, wenn ihr schon mal mit Zaubererschach anfangt?", schlage ich vor. "Ich muss nochmal an die frische Luft."
James hebt stirnrunzelnd den Blick, doch Sirius und Sel scheinen sich nicht viel dabei zu denken.
Also gehe ich mit Sel nach oben, um mir eine Jacke für meinen Spaziergang zu holen - und natürlich den Zettel.
Ich verlasse das Haus durch die Haustür, schleiche dann aber zielstrebig an der Terrasse vorbei zu Alexander.
"Hier", höre ich seine Stimme als ich näher komme.
Im Schutz der Bäume lasse ich eine Kerze in einem tragbaren Glas erscheinen. Von ihren Plätzen am Esstisch sollten die Jungs das Licht nicht sehen können.
Alexander sitzt auf dem Boden an einen Baum gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Ich sehe Enttäuschung in seinem Blick aufblitzen, als er Sel nirgendwo entdecken kann.
Er trägt ungewöhnlich zusammengewürfelte Muggelkleidung, die man aber einem besonderen Modegeschmack zuschreiben kann und sein Haar ist so durcheinander, wie ich es bei ihm noch nie gesehen habe.
"Tut mir leid, ich konnte nicht früher weg."
Alex grinst. "Ich bin froh, dass du überhaupt nochmal gekommen bist. Nachdem ich dich so erschreckt habe." Er neigt den Kopf und stemmt sich auf die Beine.
"Kannst du mich reinbringen? Oder Selena raus?"
Ich zögere, was Alex allerdings falsch versteht.
"Ihr geht es gut, oder?", fragt er eindringlich. Er macht einen Schritt auf das Haus zu, das er gar nicht sehen kann.
"Ja, du hast sie ja gesehen, gerade eben. Sie ist nur total erledigt von den Sozialstunden."
Alex atmet erleichtert aus und schafft es im gleichen Atemzug schuldbewusst auszusehen.
"Es ist nur... James hat mich hier ohne zu zögern aufgenommen ... und jetzt geb ich seine Adresse weiter. Das ist... Verrat."
Alex starrt auf seine Schuhspitzen. Trägt er etwa Chucks? Dann hat er plötzlich eine Idee:"Du kannst mein Gedächtnis löschen!"
"Was?", frage ich konfus.
Alex hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen. "Die Chancen, dass ich noch einmal dort wegkann, sind ziemlich gering. Also kannst du die Adresse einfach wieder löschen. Und wenn ich doch irgendwann wieder herkommen kann, versteck ich mich einfach wieder hier, bis du oder Sela mich sehen."
"Hast du dein Armband noch nicht wieder?", frage ich das Offensichtliche und sein Blick verfinstert sich, ehe er den Kopf schüttelt.
Er würde mich tatsächlich an sein Gedächtnis lassen?
Noch immer nicht zu 100 Prozent überzeugt, ziehe ich den Zettel aus meiner Hosentasche.
"Durchlesen und fest dran denken.", sage ich, als ich ihm den Zettel vor die Nase halte.
Erstaunt blinzelt er mich an und nimmt schließlich den Zettel entgegen. Bevor er ihn allerdings genau durchliest, umarmt er mich kurz.
"Danke, Lily, du bist die Beste!"
Da bin ich mir nicht so sicher. Obwohl ich weiß, wie wichtig und auch richtig dieses Treffen für Sel und Alex ist, fühlt es sich doch wie ein Verrat James gegenüber an.
Doch Alex kann die Adresse auch ohne Gedächtniszauber niemanden verraten, beruhige ich mich selbst.
Mit einer beiläufigen Handbewegung lösche ich die Kerze.
Von einem Moment auf den anderen spiegeln sich sich plötzlich die Lichter des Hauses in Alexs Augen. Mit geweiteten Iriden betrachtet er das Haus der Potters.
"Groß, oder?", frage ich mit einem schwachen Grinsen.
Alex runzelt die Stirn, während er mit in Richtung der Haustür folgt. "Nein, das ist es nicht. Eher... schön. Wie ein Zuhause." Unwillkürlich frage ich mich, wie sein Zuhause wohl aussieht.
Er reicht mir den Zettel und ich schiebe ihn in meine Hosentasche.
"Du kommst mit rein, ich mach ein bisschen Krach beim Schuhe auszuiehen und du schleichst dich hoch, okay? Selenas Tür ist die zweite auf der linken Seite.", flüstere ich, die Hand auf der Türklinke.
Alex antwortet mit einem Nicken. "Du kannst nicht zufällig Desillusionierungszauber?", fragt er, sich nervös die Klamotten zurechtrichtend.
"Sorry, die kommen erst in diesem Jahr."
"Na dann. Wird schon schief gehen!" Er atmet tief ein und ich öffne die Tür mit meinem Zauberstab.
"Schon wieder da?", fragt James aus der Küche.
Ich nicke Alex zu, damit er sich bewegt, während ich spreche.
"Ja, ist ziemlich windig draußen.", sage ich. Zeitgleich geht Alex auf leisen Sohlen zur Treppe. Während ich die Schuhe abstreife und dabei so viel Krach mache wie es unauffällig bleibt, steigt er einige Stufen hinauf. Als er etwa bei der Hälfte ist, scharrt ein Stuhl über den Boden und Schritte nähern sich aus der Küche.
Ich bedeute ihm, sich zu beeilen und er sprintet auf Zehenspitzen den Rest hinaus, ehe er vom Treppengeländer verschwindet. Währenddessen habe ich mich auf die unteren Stufen gesetzt, damit das gedämpfte Knarzen der Treppe nicht Aufsehen erregt, sobald James um die Ecke kommt.
Irgendwie weiß ich genau, dass er es ist und nicht Sirius.
"Alles klar?" James streckt den Kopf durch den Türrahmen und blitzt mich grinsend an.
"Alles gut.", antworte ich, dabei streife ich mir die Weste von den Schultern.
James Blick wandert nach oben ins erste Stockwerk. Er runzelt die Stirn.
"Kannst du mir sagen, wie der Verlobte deiner Schwester heißt?" Mit aufmerksamen Augen betrachtet er mich.
"Ist das eine Sicherheitsfrage oder Interesse?"
James antwortet nicht, sondern schaut mich nur weiter an. Was Antwort genug ist.
"Vernon Dursley. Arbeitet in einer Bohrmaschinenfirma namens Grunnings, die seinem Vater gehört und die er irgendwann übernehmen wird. Außerdem-"
"Schon gut.", unterbricht mich James. "Ich weiß, dass du es bist. Du bist nur etwas ... komisch."
Ich erwidere seinen Blick und komme langsam auf die Füße.
"Komisch?", frage ich flüsternd.
James zuckt die Schultern. "Aber das ist okay. Ich mein, du machst grad viel durch. Und vorhin... und morgen-", er seufzt, "Ich mach mir einfach Sorgen, glaub ich." Er grinst schwach und eine unangenehme, peinliche Stille tritt ein.
"Spiel ich hier allein, oder was?", ruft auf einmal Sirius aus der Küche.
James und ich atmen beide erleichtert aus und bewegen uns in Richtung Esstisch. Ausnahmsweise bin ich einmal dankbar für Sirius' Talent, immer einen Spruch auf den Lippen zu haben.
Als ich den Flur verlasse, sehe ich mich noch einmal zu der Treppe um, die Alex gerade hochgegangen war.
Mein Magen dreht sich um, als ich sehe, dass es durchaus einen Beweis für Alex Anwesenheit gibt.
Erdkrümel, die von seinen Schuhen abgefallen sein müssen, befinden sich auf beinahe jeder Treppenstufe.
Ob James sie gesehen hat?
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(Bildquelle: https://img.wattpad.com/story_parts/710458669/images/159642bee9ab408d481821363743.jpg)
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