Lied vom donnernden Leben

Das kann doch nicht alles gewesn sein
Das bisschen Sonntag und Kinderschrein
das miss doch noch irgendwo hin gehen
hin gehen

Die Überstunden, dass bisschen Kies
Und aabns inner Glotze das Paradies
da in kann ich doch keinen Sinn sehn
Sinn sehn

Das kann doch nicht alles gewesn sein
Da muss doch noch irgend was kommen! Nein
da muss doch noch Leebn ins Leebn
eebn

He, Kumpel, wo bleibt da im ernst mein Spaß?
Nur Schaffn und Raffn und Hustn und Hass
und dann noch den Löffl abgebn
gebn

Das soll nun alles gewesn sein
Das bisschen Fußball und Führerschein
das war nun das donnernde Leebn
Leebn

Ich will noch'n bisschen was Blaues sehn
Und will noch paar eckige Rundn drehn
und dann erst den Löffel abgebn
eebn

~Wolf Biermann~

„Herr Dumort, richtig?"

Ich nickte, während Alonso Martin mich mit beinah höhnischem Blick musterte. Trotz seiner Statur erinnerte er mich an Chris. Seine Haare waren von einem tiefdunklen braun, das an manchen Stellen bereits von grauen Strähnen durchzogen war, seine Augen von demselben grau wie Chris'. Doch während dieser ständig zu lächeln schien und seine Augen vor Freude funkelten, erinnerte Alonso Martin mich an einen Berg an einem Wintertag: reglos und von einer Kälte überzogen, die dich schaudern ließ. Du wolltest nicht wissen, was oben auf dich wartete, es sei denn, du hattest einen Hang zu lebensmüden Taten.

„Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Ihre Romane sind ausgezeichnet, wenn Sie mich fragen", erklärte er weiterhin. Dabei klang er beinah gelangweilt, doch der amüsierte Blick in seinen Augen verriet mir, dass er etwas plante.

„Vielen Dank", antwortete ich schließlich, als die Stille sich zog. Meine Stimme klang noch immer etwas kratzig und ich bemühte mich, aufrecht zu stehen, obwohl ich mir sicher war, dass es mir nur mittelmäßig gelang.

Meine Antwort ließ ihn tatsächlich lächeln, doch das änderte nichts daran, dass er auf mich wie ein Eisklotz wirkte. Ein Eisklotz, der sich mit dem Blick eines Raubtieres umsah, bis er Chris' in die Augen sah. Er machte eine abgehackte Kopfbewegung und Chris trat zögerlich etwas näher. Dabei schoss sein Blick zwischen mir und seinem Vater hin und her.

Als er nah genug war, legte Alonso ihm eine Hand auf die Schulter in einer beinah väterlichen Geste. Zerstört wurde der Eindruck jedoch, als Chris zusammenzuckte, kaum hatte die Hand ihn berührt.

„Ach nein, Ich muss mich bei Ihnen bedanken. Sie haben meinen Sohn zu mir geführt. Ich werde alt und es ist schön zu wissen, dass all dieses junge Talent nicht verschwendet wird. Wir müssen zwar noch etwas an seinem Spanisch arbeiten, aber zusammen können wir das bestimmt hinbekommen."

Ich runzelte die Stirn. Was genau meinte er... Oh. Nicht gut. Gar nicht gut. Er konnte doch nicht glauben, dass Chris sich für seine Arbeit interessierte, denn das wäre Unsinn. Chris war ein guter Mensch, da war ich mir sehr sicher. Vielleicht manchmal etwas unbedacht und frech, aber niemals böse.

„Los Junge, erzähl ihm etwas von unserer Unterhaltung. Es wird deinen Freund dort bestimmt interessieren, was wir beide beschlossen haben."

Mit immer noch gerunzelter Stirn blickte ich nun Chris an, der sich noch unwohler als zuvor zu fühlen schien. Er hatte seinen Blick auf den Boden gerichtet, dennoch konnte ich die angespannte Mimik erkennen, die er zur Schau trug. Kurz schloss er die Augen, dann hob er den Kopf und sah mich unverwandt an.

„Wir haben beschlossen, dass wir dir dankbar sind, dass du uns zusammengeführt hast." Chris Stimme klang ungewohnt abweisend und sein Blick war emotionsloser, als ich erwartet hatte. Noch nie hatte ich ihn so erlebt und es bereitete mir Sorgen. Ich wusste nicht, was hier lief, aber die Tatsache, dass Chris sich so außer Charakter verhielt, gab mir kein Gutes Gefühl. Er sollte Lächeln, nicht so eine Miene ziehen. Das war nicht richtig.

„Dennoch haben Sie aber ein immenses Wissen über die Organisation. Wir können nicht zulassen, dass dieses Wissen weitergegeben wird, Herr Dumort, das verstehen Sie doch sicherlich", griff Alonso nun den Faden auf, sichtlich zufrieden mit sich selbst.

„Zuerst hatte ich überlegt, Sie einfach unter Beobachtung zu setzen. Dann jedoch", er legte eine bedeutungsschwangere Pause ein, „habe ich von Ihrem Streit mit meinem Jungen erfahren."

Die bereits angespannte Stimmung schien sich zu intensivieren, während der Mob Boss vor mir die Hand von Chris Schulter nahm und auf mich zutrat. Mar, die noch kurz zuvor vor mir gestanden hatte, bewegte sich langsam zur Seite, um etwas Abstand zwischen sich und ihn zu bringen. Ich konnte es ihr nicht verübeln, schließlich war sie nicht an diesem ganzen Schlamassel schuld. Meine elende Neugier und die Sorge um Chris hatten mich hierhin gebracht, das war mir durchaus klar.

Alonso Martin blieb vor mir stehen, etwas dicht für meinen Geschmack, und unterzog mich einer weiteren Musterung. Dann blickte er mich wieder an, die Abneigung nun in seinen Augen deutlich zu sehen.

So leise, dass nur ich es hören konnte, murmelte er: „Mir gefällt es nicht, wenn jemand so mit meinem Sohn umgeht. Und mir gefällt ebenso wenig, wie groß Ihr Einfluss auf ihn zu sein scheint. Er mag Sie gerne. Und das kann ich nicht zu lassen. Das verstehen Sie doch, oder?"

Panik erfasste mich bei seinen Worten und ich schluckte, eine düstere Vorahnung in meinem Kopf formend. Ich war schrieb Abenteuerromane, also war mir dieser Satz äußerst gut bekannt, auch wenn ich ihn gerne vermied, um das Klischee nicht zu sehr auszureizen.

Dieser Satz war der Satz aller Sätze, der Höhepunkt einer Story. Darauf folgte normalerweise, und davor graute es mir, ein Mord. Oder zumindest der versuchte Mord, denn kein Autor, der so einen Satz benutzte, würde eine Hauptfigur dann auch töten. Der Held einer Story hätte zu diesem Zeitpunkt gewusst, womit er es zutun bekam und würde nicht in so einem Moment dagegen ankämpfen, sich zu übergeben. Nein, der Held würde eine findige Antwort geben und dann im Alleingang all die Bösen besiegen.

Ich war kein solcher Held, also war mir mein Schicksal ziemlich bewusst: Ich war dazu verdonnert, der Nebencharakter zu sein, der direkt zu Beginn der Geschichte starb, um etwas Spannung in Story zu bringen. Es fehlte nur noch, dass ich um mein Leben bettelte, doch dazu fehlte mir die Energie.

„Sie wissen es, nicht wahr?", höhnisch blickte er auf mich herab, während ich wieder ein Stück gegen die Wand sackte.

Noch ein Zeichen, dass ich kein Held war: Ich war nicht Mal dazu in der Lage, mich gegen die Schikane des Bösen zu wehren.

„Sie sind hier in keiner Ihrer Geschichten. Hier siegen nicht die, die sich für die Guten halten und der Böse Mann wird auch nicht bestraft."

Alonso trat wieder zurück, dann nickte er zweien seiner breitschultrigen Begleiter zu.

„Nehmt sie mit."

Einer der Männer, der eine wulstige Narbe unterhalb seines Ohres trug, steuerte mich an. Dabei bewegte er sich, als würde er sich einem in die Ecke gedrängten Tier nähern. Beinah verdrehte ich die Augen. Weder war ich sonderlich stark noch in irgendeiner körperlichen Verfassung, um gegen so einen Riesen anzukommen. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Das schien er auch zu verstehen, als er nach meinem Arm griff und ich fast vorwärts nach vorne fiel, als er mich mit einem Ruck näher zog.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Mar einen Schritt auf mich zumachte, doch auch sie wurde festgehalten. Der Mob Boss drehte sich weg, dann nickte er Chris und dem dritten Mann zu, der in der Nähe der Tür wartete. Beide traten sich um und folgten ihm schweigsam. Chris' Blick war dabei stur auf den Rücken seines Vaters gerichtet. Es tat weh, ihn so zu sehen.

Mar und ich wurden hinter den anderen hergeführt, auch wenn wir etwas langsamer gingen. Ich schwankte etwas und musste mich darauf konzentrieren, wo ich hintrat. Beinah fühlte ich mich, als hätte ich zu viel getrunken und hätte gleichzeitig einen grässlichen Hangover. Die Mischung war grausam und ich war froh, als wir anhielten.

Zitternd hob ich den Blick von meinen Füßen, für den Moment sicher vor einem Sturz. Ich sah mich um, neugierig, ob es sich hierbei wohl um den Ort meiner Ermordung handeln würde. Den Gedanken verwarf ich jedoch schnell. Der Raum hatte eine hohe Decke und war groß, doch es standen zu viele Autos herum. Wahrscheinlich würde man uns in einen Wagen setzten und uns an einen anderen Ort bringen, ein wenig, wie ein Todesmarsch.

Leuten wie Alonso Martin gefiel es, andere leiden zu sehen. Bei meinen Recherchen für meine Bücher hatte ich genug Menschen gesprochen, deren Weltanschauung und Verstand mir zutiefst zuwider gewesen waren, doch ich hatte ebenso gelernt, dass sie alle eine Gemeinsamkeit hatten: Machthunger.

Chris' Vater war nicht anders. Er genoss es, seine Macht zu zeigen, andere Menschen zu seinen Marionetten zu machen, bis sie unter dem Druck zerbrachen. Der typische Bösewicht, der Anerkennung wollte, auch wenn diese nur für wenige Momente bestehen würde, schließlich folgte immer eines: Der Tod.

Wie ich es erwartet hatte, erschien keine Minute später zwei schwarze SUV. Der Mann, der weder Mar noch mich festhielt, öffnete die Tür zur Rückbank und Alonso stieg ein. Chris zögerte kurz, die Haltung seiner Schultern angespannt. Dann folgte er dem anderen Mann, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich war mir nicht ganz sicher weshalb, doch meine Sorge und Chris schlug in diesem Augenblick um. Nicht in Wut, aber in ein ähnliches Gefühl. Unverständnis vielleicht, oder Enttäuschung.

Das Gefühl hielt jedoch nicht lange an, denn sobald wir uns in Bewegung setzten, überkam die altbekannte Übelkeit mich und ich kämpfte wieder darum, mein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Lange musste ich das aber nicht, denn nach nur ein paar Schritten wurde ich unsanft nach vorne gestoßen, der unausgesprochene Befehl, mich auf den Sitz vor mir zu setzen. Genau das tat ich auch, denn was blieb mir übrig? Mit großer Wahrscheinlichkeit würde ich heute mein Leben verlieren, doch ich hing genug daran, um keine Dummheit zu begehen und es noch weiter zu verkürzen.

Mein Wächter schloss die Tür hinter mir, Mars' tat es auf ihrer Seite. Dann beobachtete ich, wie er mit dem Fahrer tauschte und sie beide auf die Vordersitze rutschten. Und dann ging die Fahrt auch schon los. Mit dem Start des Wagens spürte ich, wie die Angst wieder in mir wuchs, begleitet von der Enttäuschung. Ich lehnte mich auf dem Sitz zurück und beobachtete Mar. Sie hatte ihren Blick nach vorne gerichtet, doch ihre Hand bewegte sich langsam auf den Türgriff zu.

Gerne hätte ich darüber gelacht, mochte es auch noch so unpassend sein. Noch in dieser Situation versucht Mar, etwas Hilfreiches zu tun. Doch, wie erwartet, scheiterte sie. Diese Männer fuhren bestimmt nicht zum ersten Mal Menschen zu ihrer Exekution, da würden sie nicht vergessen, eine Tür zu verriegeln.

Als Mar jedoch den Kopf, wie ich, nach hinten lehnte und sich so drehte, dass sie mich ansehen konnte, verging dieser hysterische Moment. Sie sah schrecklich aus. Nicht nur war sie blasser als zuvor, auch zitterte sie wieder und ihr Mund zitterte, als wäre sie kurz davor, zu weinen. Wahrscheinlich war sie das auch.

Zum widerholten Mal an diesem Tag verfluchte ich mich. Nicht nur hatte ich Chris in diesem vermaledeiten Unterfangen unterstützt und bekräftigt, auch hatte ich Mar mit hereingezogen. Ich hätte mich mehr gegen sie aussprechen sollen, dann läge sie jetzt zuhause bei ihren Haustieren. Stattdessen war sie bei mir und würde in der nächsten Stunde das Zeitliche segnen. Das einzige, was ich tun konnte, war zu versuchen, ihr etwas Trost zu spenden. Also griff ich vorsichtig nach ihrer Hand. Dafür bekam ich ein schwaches Lächeln. Nach ein paar Minuten konnte ich ihren traurigen Blick aber nicht mehr ertragen, deshalb schloss ich meine Augen, in der Hoffnung, damit für ein paar Sekunden die Situation zu vergessen. Natürlich misslang es mir, unzwar kläglich. Chris spukte mir vor Augen, wie er mich bei unserem ersten Treffen angegrinst hatte. Und dann Mar, die mit einem Lächeln erzählte, wie toll Chris und ich zusammen waren.

Sogar Sofia schob sich vor meine Augen. Würde ich ihr hiervon erzählen können, dann wusste ich genau, wie sie mich mit ihrem typischen verurteilenden Blick ansehen würde. Sie hätte die Hände in die Hüften gestemmt und würde sagen: Warum, zum Teufel, dachtest du, das wäre eine gute Idee?

Und sie hätte jedes Recht, mir diese Frage zu stellen. Denn, wirklich, was machte ich hier?

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Und ein weiteres, hoffentlich weitestgehend fehlerfreies Kapitel. 

Over and Out,
_Amnesia_Malum_

27/04/2020

PS: Gibt es noch jemanden da draußen, der nicht genug von Criminal Minds bekommt?

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