Die Welt ist dumm

Die Welt ist dumm, die Welt ist blind,
Wird täglich abgeschmackter!
Sie spricht von dir, mein schönes Kind,
Du hast keinen guten Charakter.

Die Welt ist dumm, die Welt ist blind,
Und dich wird sie immer verkennen;
Sie weiß nicht, wie süß deine Küsse sind,
Und wie sie beseligend brennen.

~Heinrich Heine~

Ehrlich gesagt überraschte es mich kein bisschen, dass mein Nickerchen nicht eine, sondern gleich neun Stunden dauerte. Der Tag war anstrengend gewesen, all das laufen und dann noch der Streit mit Chris hatten mich ausgelaugt.

Was mich aber überraschte war die Tatsache, dass Chris mich nicht mitten in der Nacht weckte, weil er extra laut zurück in das Zimmer stampfte. Das er es nicht tat, hätte mich eigentlich beruhigen sollen, schließlich würde es bedeuten, dass wir uns wieder vertragen könnten.

Leider bedeutete es aber, dass ich allein aufwachte. Kein Chris weit und breit, wie ich bemerkte, als ich mich in dem Hotelzimmer umsah. Auch im Bad war niemand und all seine Sachen waren noch da, alles genau so, wie bevor ich eingeschlafen war.

Und diese Beobachtungen sorgten für eine wachsende Unruhe, denn das einzige, was Chris bei seiner überstürzten Flucht mitgenommen hatte, war sein Smartphone. Kein Geld, keine Jacke gegen die kalte Nachtluft, nicht einmal mehr den Zimmerschlüssel.

Nach einer knappen Stunde, in der ich, unschlüssig wie ich mit der Situation umgehen sollte, herum gesessen hatte, schlüpfte ich in meine Jacke, griff nach Portemonnaie, Zimmerschlüssel und Handy und verließ das Zimmer.

Nicht so recht wissend, was ich eigentlich plante, erreichte ich die Lobby, bevor Zweifel mich überkamen. Ich kannte die Stadt kaum und, auch wenn sie klein war, konnte Chris überall sein. Wer weiß, vielleicht lag er ja gerade im Bett eines Fremden, oder in einer Gasse, oder er hatte irgendjemanden bequatscht, ihn aus der Stadt zu bringen.

Kurz blieb ich stehen, dann wandte ich mich der Rezeption zu. Ich sollte nicht den Teufel an die Wand malen, sondern einfach mal mein Glück versuchen. Also steuerte ich die Dame hinter dem Tresen an, um sie zu fragen, ob sie Chris zufälligerweise gesehen hatte.

Wie es sich herausstellte, hatte ihre Schicht gerade erst begonnen und nach ein paar Minuten, in denen ich sie zugequatscht hatte, gab sie mir schließlich die Auskunft, dass niemand unter dem Namen Chris Martin eingecheckt hatte. Außerdem versprach sie mir anzurufen, sollte jemand, der auf Chris Beschreibung passte, im Hotel auftauchen.

„Gracias", bedankte ich mich, dann stieß ich mich von dem Tresen ab, an dem ich gelehnt hatte, und steuerte den Ausgang an. Ich würde wohl draußen suchen müssen. Verdammt.

In den nächsten beiden Stunden klapperte ich alle Plätze ab, an denen ich mich mit Chris am Vortag befunden hatte, doch niemand erinnerte sich daran, dass er nochmal dort gewesen war.

Schlussendlich trieb der Hunger mich in ein kleines Lokal, in dem ich einen Kaffee und ein Bocadillo bestellte. Während ich auf mein Essen wartete, lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück und seufzte. Das war so ganz und gar nicht mein Tagesplan gewesen. Im besten Fall hätte wir endlich eine Spur zu Chris Vater gefunden, im schlechtesten wären wir wieder ohne Ergebnisse ins Hotel zurück marschiert.

Ehrlich gesagt hatte ich ein klitzekleines, schlechtes Gewissen. Ich war gestern wirklich gemein gewesen und ich hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie Chris sich momentan fühlen musste. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie frustrierend es sein musste, den eigenen Vater einfach nicht finden zu können.

Ich hätte meinen Stolz einfach beiseite legen sollen und ihn anrufen müssen, um die Situation zu klären. Und jetzt hatte ich den Salat. Vielleicht war mein schlechtes Gewissen mittlerweile nicht mehr ganz so winzig.

„Oh, Hallo."

Ich sah auf und mein Blick viel auf eine junge Frau mit blondem Zopf und einem freundlichen Lächeln. Für ein paar Sekunden blickte ich sie etwas verwirrt an, bis sie einen ihrer Pulloverärmel scheinbar nervös in die Höhe schob und eine Reihe bunter Armbänder entblößte. Die Taxifahrerin.

„Hallo?", erwiderte ich ihren Gruß ein wenig perplex.

Ich hatte keinen blassen Schimmer, warum sie mich einfach so ansprach.

„Wo ist denn dein Freund?", fragte sie nach ein paar weiteren Sekunden des unangenehmen Schweigens.

Ich verzog das Gesicht bei der Erinnerung an den gestrigen Abend. Für sie schien das Antwort und Einladung zugleich zu sein, denn sie setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber und verzog ebenfalls das Gesicht.

„Hattet ihr Streit?"

Ich zuckte mit den Achseln und öffnete bereits den Mund, um ich zu antworten, als ich bemerkte, dass ich eigentlich einer völligen Fremden gegenüber saß. Also klappte ich meinen Mund wieder zu und verschränkte die Arme vor der Brust.

Meine abweisende Haltung schien sie nicht zu stören, da sie, als ein Kellner meine Essen brachte, selbst etwas für sich bestellte. Dann lehnte sie sich, mit den Ellbogen auf dem Tisch zu mir.

„Ich heiße übrigens Martina, aber du darfst Mar sagen. Du?"

Ich zögerte kurz, dann antwortete ich: „Elias."

„Also gut, was genau ist denn bei euch beiden los?"

Ich musterte sie, immer noch nicht bereit jemandem, den ich kaum kannte, etwas so persönliches wie den Streit zu erzählen.

„Ich will dich nicht kränken, aber ehrlich gesagt halte ich nicht viel davon, einer so gut wie Fremden davon zu erzählen."

Ich erwartete einen beleidigten Gesichtsausdruck, doch stattdessen sah sie mich kurz nachdenklich an, dann grinste sie.

„Wie du weißt heiße ich Mar, bin 22 Jahre alt und fahre Taxi. Ich bezahle damit die Uni, denn ich studiere Sozialwissenschaften. Mein Vater ist Deutscher, meine Mutter Spanierin. Ich habe einen Dackel namens sausage und eine Katze namens perro.

Bis vor zwei Wochen war ich verlobt, aber meine Verlobt hat dann beschlossen, dass ich ihr nicht reich genug bin, also hat sie mich für die beste Freundin ihres Vaters verlassen. Ich möchte irgendwann sechs Kinder haben, fünf Jungen und ein Mädchen, und ein großes Haus. Außerdem möchte ich ein Topmodel heiraten, weil ich zu klein bin, um selbst eins zu sein."

Nachdem sie geendet hatte, blickte sie mich erwartungsvoll an. Mit der Situation etwas überfordert starrte ich sie an, während ich in meinem Kopf nach etwas suchte, was ich sagen könnte.

„Warum heißt deine Katze „Hund?""

Sie grinste.

„Meine Mutter wollte nicht, dass mich mir noch einen Hund kaufen, also wollte ich sie etwas erschrecken. Aber siehst du, du kennst mich so gut, dass du sogar schon die richtigen Fragen stellen kannst. Wir sind jetzt praktisch keine Fremden mehr."

Ich zögerte kurz. Bloß weil sie mir etwas über sich erzählt hatte, kannte ich sie noch lange nicht. Aber trotzdem hatte ich wirklich das Bedürfnis mit jemandem zu reden, der nicht so wie Sofia oder meine Eltern schon eine voreingenommene Meinung hatte. Also nahm ich einen Schluck von meinem Kaffee, in der Hoffnung, dass er eine ähnlich lösende Wirkung wie Alkohol haben würde – hatte er nicht – und antwortete dann.

„Ja, Chris und ich haben uns gestritten. Du musst wissen, wir sind eigentlich kein Paar. Ich habe das erwähnt, als wir wieder im Hotel waren, und dann haben wir uns irgendwie begonnen, zu beschimpfen. Schlussendlich ist Chris abgehauen und ist seitdem nicht mehr wiedergekommen."

Ich hatte schnell gesprochen, weshalb Mar ein paar Sekunden brauchte, meine Wort zu verarbeiten. Dann stieß sie einen kleinen Pfiff aus.

„Dios mio, dass nenne ich mal einen Abend. Aber an sich ist das doch gut."

„Wie bitte?", fragte ich nach, nicht ganz sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte.

Was sollte an der Situation bitte gut sein?

„Also, versteh mich nicht falsch, es ist scheiße, dass ihr euch gestritten habt und er weg ist. Aber denk an das Positive. Ihr beide könnt miteinander streiten, was heißt, dass ihr keine dieser Beziehungen haben werdet, in denen man nach sechs Jahren Ehe einen Auftragskiller für den anderen engagieren möchte.

Außerdem kannst du ihn ja jetzt suchen, dich rührend entschuldigen und dann kommt ihr zusammen und alles ist toll."

„Wie bitte kommst du darauf, dass ich gerne mit Chris zusammen sein würde?"

Vielleicht stimmte es ja, aber das musste Mar nicht wissen.

„Ach komm schon, dass ist so offensichtlich. Wäre es nicht so, wärst du einfach wieder abgehauen."

Ich verdrehte sie Augen, musste ihr aber schließlich recht geben. Ich wäre wirklich gerne in einer Beziehung mit Chris.

efdndnmeiuwa

Es kam schon wieder zu lange kein Kapitel mehr. Sorry, echt. Ich dürfte jetzt, wo der erste Klausurenblock vorbei ist, etwas Zeit finden, aber ich kann für nichts garantieren.

Over and Out, _Amnesia_Malum_

07/11/2019

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