Die 1000 Nacht

ᴘʀᴏʟᴏɢ

Istanbul
{Üsküdar}

23:45 Uhr

𝕯as leichte Wellenrauschen, welches beim aufmerksamen Lauschen, einen Eintritt in die Sinne gewährt bekam, setzte sanftvolle Musiknoten an das Heranbrechen der Nacht an. Feinfühlig, beinahe sinnlich, rauschte es im gleichmäßigen Takt umher, steigerte sich seinem Maximum zu und zerfiel, nur, um ein weiteres Mal wieder aufzuerstehen und sich zu einer neuen Welle zu bilden. Hoch über der Stadt, der geschmückt war von lauter unzähligen Sternen, die wie Diamanten glänzten, gewährten diese dem Hauptprotagonisten, dem hell aufleuchtenden Halbmond, der durch die Halbphase des Mondzyklus gekennzeichnet wurde, den erwünschten Stammplatz. Damit hatten sich die Vorhänge des Tages endgültig geschlossen und es wurde dem Abendhimmel vornehm der rechtmäßige Thronplatz angeboten.

Inmitten dieses harmonischen Gebildes, ragte hingegen ein Hindernis auf. Ein tiefer Schnitt, welcher dieses wundersame Werk genau in der Mitte zerriss, den Zutritt der Wellen in die freien Meere verhinderte, sie gar unruhig werden ließ. Denn genau im Zentrum dieser Gewässer nämlich ragte ein Turm auf. Eine Wegspeere und doch ein Verbindungspunkt gleichermaßen, der Asien mit Europa verband, und zwar das Schwarze Meer mit dem Marmarameer, auch bekannt als der Bosporus. Denn inmitten dieses idyllischen Kunstwerkes, der den Bosporus als Ausgangsmittelpunkt für sein Schauspiel berufen hatte, fand jäh eine Zäsur statt. Eine Zäsur, die dem in einem Sonett gleichgestellt werden konnte. Ein Bruch.

Die finstere harmonisierende Farbe der Nacht wurde bekleckert durch das aufdringliche Aufleuchten kontrastreicher Farben eines einmaligen Konstrukts, das 180 Meter von Üsküdar entfernt in der Meerenge des Bosporus auf einer kleinen Insel vorlag: Der Leanderturm, auch bekannt in der Originalsprache als der Mädchenturm- Kız kulesi.

Trotz dieser antiken Vielfältigkeit, die dieser Turm vorzuweisen hatte und den bemerkenswerten Farbübergängen, zog sich der Mond urplötzlich erschrocken von diesem Farbtupfer zurück, versteckte sich hinter den sich im Hintergrund aufhaltenden Wolken und die Wellen verloren ihre zuvor dargelegte Bodenständigkeit. Das Metrum sackte zusammen und aus der Symphonie entstand ein pures Chaos, wie als würde die Mutternatur, die herannahende Katastrophe tief in seinen Verwurzelungen unter der Erde zu spüren bekommen. Und als würde es den Schmerz dieser zwei Seelen, die sich nur wenige Kilometer von dieser Insel entfernt befanden, damit ein für alle Mal ein Ende setzen wollen.

In dem Augenblick, als die Wolken nun vollkommen das Mondlicht verdeckten, fiel der Schatten nicht einzig und allein auf den Turm, wie ein grausamer dunkler Fluch herab, sondern es besprühte auch die zierliche Gestalt, die verträumt den Blick darauf gerichtet hatte. Der zauberhafte Glanz in ihren Augen wurde überwuchert von einer dunklen Spur...

Das fast schon elfenhaft zarte Geschöpf hatte sich in einer Penthouse Suite hoch oben in einem Gebäude auf einer Chaiselongue niedergelassen, den Rücken dabei gerade ausgestreckt und den Blick von der Suite abgewandt, indem sie aus den bodentiefen Fenstern blickte. Ihre Augen fokussierten sich ausschließlich nur auf dieses nächtliche Panorama aus dem Fenster, von dort aus sie einen perfekten Blick auf den Leanderturm hatte. Sie spürte, wie sie sich einen Moment aus ihren Ketten befreite, sich dem Flüstern der Wellen hingab, die ihre tiefsten nächtlichen Geheimnisse zu entlocken bestrebten, unwissend darüber, dass dieses Vorhaben die innerliche Sehnsucht nach der gewünschten Freiheit heraufbeschwören und sie für immer brandmarken würde.

»Woran denken Sie gerade ?«, erklang eine tiefe raue Stimme hinter ihr und das junge Mädchen brauchte nicht einmal den Wellen den Rücken zuzukehren, um zu wissen, wem sie diese wohlklingende ausdrucksstarke Stimme zuzuordnen hatte. Das urplötzliche Aufflattern ihres Herzens hatte den Übeltäter schon längst entlarvt und den Klang schmerzlich in sich einziehend, schloss sie unruhig ausatmend, die Augen. Ihre Finger auf dem Sitz, gruben sich dabei Druck ausüben in den edlen Polster unter ihr.

Nichts Sehnlicheres ging ihr in diesem Moment durch den Kopf, als von den Wellen weit hinaus ins Nichts getragen zu werden. Überall hin geführt zu werden, nur nicht hier zu bleiben, nicht ihrem zugrunde gerichteten kummervoll blutendem Herzen und ihrem, ihr nicht mehr gehorchenden, Verstand ausgesetzt zu sein. Wenigstens das bisschen was ihr noch von ihrem gesunden Menschenverstand, ihrer einst unüberbrückbaren Moral übrig geblieben war, wollte sie nicht riskieren zu verlieren. Denn für ihre Wertvorstellungen zu kämpfen... dazu hatte sie schier keine Kraft mehr aufzubringen. Und trotz, dass sie sich bemühte die ruhigen Klänge der Wellen durch das offene Fenster von draußen begierig in sich aufzunehmen, durch den salzigen Duft des Meeres berauscht, ihre tiefen äußerst frisch wirkenden Wunden zu heilen, schaffte sie es nicht sich dem hinzugeben. Darum kehrte sie im nächsten Augenblick dem Leanderturm auch den Rücken zu und wandte sich den eigentlichen Wahrheiten zu, die sie so gerne unterdrückt hätte, bis sie sich selbst in Luft auflösten. Das hätte hingegen zur Folge, dass ihre Wunden immer noch offen blieben, schmerzten, bluteten und ihre Türen speerweit offen hielten, jederzeit sicher, dass sie die erneut anbrechenden Schlachten verlieren und sich immer weitere Verletzungen einholen würde.

Ihr verträumter Blick verschwand, als ihre dem Meer gleichenden Augen den Weg nach vorne fanden. Das helle Licht ihrer flackernden Augen erlosch, als sie sich langsam an diesem für sie unbekannten Ort umschaute. Wachsam wanderten ihre Augen in diesem stilvoll eingerichteten, imposanten und doch allzu großen Zimmer umher, dessen Innenarchitektur sie für ihre Verhältnissen niemals zu sehen bekommen erträumt hätte und doch war sie genau in so einer palastartigen Suite einquatiert. Sie hatte eine verbotene Tür geöffnet, die für sie auf Lebenszeit unbestimmt bleiben sollte.

Sie folgte mit ihren Augen der Stimme und begegnete geradewegs einer Staffelei aus Holz, die wenige Meter von ihr entfernt stand. Hinter dem aufgestellten Bild, konnte sie die Umrisse ausgeprägte Schultern ausmachen. Instinktiv versteifte sie sich, als sie das Spiel der Muskeln vor ihr betrachtete. Der dunkle Hintergrund, der durch das Fenster hinter ihr geboten wurde, nahm sie schließlich ein, wären da nicht die erlösenden Lichtstrahlen des Leanderturms, die ihre Silhouette vor der Dunkeheit verschonten.

Trotz der angenehmen sommerlichen Brise, die durch das Fenster herbeiwehte, fror sie am ganzen Leibe. Mit einer Haltung so starr wie jäh, blickte sie wie hypnotisiert geradeaus, derweilen ihr der Wind die braunen Haare über die Schultern warf. Ihr Blick wanderte für einen Sekundenbruchteil zur rechten Wandseite, genau zwischen sich und dieser Staffelei, an der das große lusxuriöse rundlich verlaufende King Size Bett aufgestellt war.

Augenblicklich versteifte sie sich wieder und ihre Atmung verlief stockweise.

Der junge Mann, dessen Gesicht angesichts der Staffelei vor ihm verborgen blieb, hob die Hand an und das Aufkommen des Stiftes unterbrach die Stille zwischen ihnen. Seine Händen verliefen bedächtig, wie als würde seine Hand von selbst arbeiten. Eine Diskrepanz entstand zwischen seinem konzentrierten Blick und den geschmeidigen fast schon lockeren Bewegungen, anhand derer er über das Bild fuhr. Es war als würde er einen Rohdiamanten bis zur Perfektion schleifen. Doch plötzlich stoppte auch er in seiner Bewegung und eine Totenstille legte sich über sie. Langsam hob er den Blick an und begegnete dem ihren. Erst da wurde ihr wieder bewusst, dass er ihr zuvor eine Frage gestellt hatte.

Anstatt hingegen darauf einzugehen, blickte sie ihn unverwandt an. Sie saugte seine Gesichtskonturen präzise in sich, prägte sich jeden einzelnen Winkel seiner markanten Züge ein, die von seinem festen Kinn bis zu seinen ausgeprägten Wangenknochen und ausdruckstarken Augen verliefen. Derweilen sie den attraktiven Mann mit ihren Blicken einnahm, beschäftigte sie nur eine Frage. Sie wollte zwar nicht unhöflich wirken und seine Frage ignorieren, aber ihre eigene Frage verseuchte ihre Seele, sodass sie zu der Annahme kam, dass das Aussprechen ihrer nächsten Worte alleinig das Gegengift dafür darstellen könnte. Sie hatte Angst vor ihren nächsten Worten, doch schwang auch eine gewisse Neugierde mit wild klopfendem Herzen mit, die sie dazu veranlasste ihre Lippen einen Spalt weit zu öffnen.

»Kommen Sie voran ? Stellt Sie das Resultat zufrieden ?«

Ihre Fingernägel vergruben sich fester in den Stoff, als sie das leichte Zittern ihrer Stimme zum Ende hin ausmachen konnte. Sie hoffte sehr, dass zumindest er den leichten Anflug ihrer Schwäche nicht mitbekommen hatte.

Denn wenn dem so war, ließ er sich dies nicht einmal anmerken. Seine Aufmerksamkeit galt ganz alleine ihren ausgesprochenen Worten, die eine tiefe Falte auf seiner glatten Stirn hervorrief. Seine Augen waren dabei weiterhin auf die Staffelei vor ihm gerichtet. Sein konzentierter Gesichtsausdruck mit dem er sein eigenes erschaffenes Werk kritisch betrachtete, wies darauf hin, dass er just innerlich mit sich selbst rang. Als er das nächste Mal sprach, klang seine Stimme leicht gedämpft, wie als müsste er den Ärger über seinen empfundenen Misserfolg damit unterdrücken.

»Nein... es fehlt etwas. Ich dachte.... Einen Moment lang dachte ich, dass ich in Ihrem Blick, der auf den Turm gerichtet war, etwas erkannt hätte, etwas was Ihr wahres ich hervorhebt. Doch es ist...«, er brach mitten in seinem Satz ab. Die Missgunst und die Unzufriedenheit legte sich wie eine zweite Hülle über ihn. Die Dunkelheit, die dabei regelrecht Besitz von ihm nahm, ließ seine dunklen Haare, die strahlend grünen Augen noch eindrucksvoller erscheinen.

»Es ist nicht genug...«, beendete sie seinen Satz flüsternd. Ihre Emotionalität versagte und sprang von einer imaginären Klippe, um sich dem Schmerz der Betäubung auszusetzten und um ihren nächsten Worten Platz zu gewähren.

»Es gibt nur einen Weg damit das gelingt, oder ?«

Ihre Hände, die gefühlt so kalt wie die Antarktis waren, fanden ihren Weg über die Knöpfe ihres bescheidenen einfachen Kleides, die von ihrer Brust anfingen und bis zu ihrer Taille verliefen von dort aus der sanfte weiße Stoff fließend hinabfiel. Langsam öffnete sie einen nach den anderen, beobachtete, wie er jeder ihrer Bewegungen verfolgte, wie die Farbe seiner Augen sich veränderte, dunkler, mysteriöser und unergründlicher wurde. Seine Augen hafteten weiterhin an ihren Fingerspitzen, als seine Stimme, das ein kaum wahrnehmbares Raunen ähnelte, ertönte.

»Arzu... tun Sie das nicht. Ich... das wir nicht gut enden, wenn Sie jetzt nicht aufhören.«

»Sie wollen es doch, oder etwa nicht ?« Nachdem sie dies ausgesprochen hatte, fielen die Ärmel ihres Kleides sachte über ihre Schultern, sodass ihr Oberkörper, bis auf das Korsett, welches aus dem 18. Jahrhunderts inspiriert worden war, frei war. Nur ihr Brustbereich war leicht bedeckt. Ihre anzüglichen Brüste, nicht zu klein und auch nicht zu groß, wurden nach oben zusammengedrückt und am unteren Ende befanden sich die Zaddeln. Sie schämte sich, spürte den innerlichen Drang aufkommen ihre Hände über ihren Oberkörper zu pressen und stumme Tränen von ihrem Gesicht rinnen zu lassen. Ihr Brust zog sich zusammen, obwohl das Korsett ausreichend Spielraum an ihrer schmalen Taille bot. Sie konnte es nicht ertragen, konnte sich selbst nicht verzeihen. Wie sollte sie sich je wieder im Spiegel selbst anblicken können, wie konnte sie das tun, wenn sie gerade dabei war ihre Selbstachtung zu verlieren ? Mit in sich zusammensackenden Augenlidern richtete sie den Blick zur Seite auf den Boden. Sie konnte ihm nicht in die Augen blicken, wollte sich ihrer Selbstreflexion dabei nicht begegnen.

»Ich bin ein Mann, ich will immer in Besitz dessen sein, was ich begehre. Bringen Sie mich nicht in Versuchung. Ziehen Sie sich wieder an.« Seine Stimme klang auffordernd, doch das zusammenpressen seiner Zähne und die stoßweise von sich kommenden Worte aus seinem Munde brachten die Tatsache in den Vordergrund, dass auch er mit seiner Selbstbeherrschung mächtig zu kämpfen hatte.

»Nur so werden Sie das perfekte Porträt hinbekommen... andererseits wird...« Ihre Stimme versagte, sie hatte panische Angst ihre nächsten Worte auszusprechen, weshalb sie aufstand und sich das Kleid komplett runter streifte, sodass sie nur noch in ihrer anzüglichen Lingerie vor ihm stand. Der nächtliche Sternenhimmel, der den Leanderturm umkreiste stellte hinter ihr die perfekte Leinward dar.

Sie blickte ihn immer noch nicht an, spürte aber seinen Blick auf ihr, durch die seine Anspannung nun komplett Besitz von seinem Körper ergriff. Der zuvor in seiner Hand, wie eine zarte Rose fest gehaltene Bleistift, wurde just fast in seinem Griff erdrückt. Er schien die Zügel seiner Beherrschung nun fester ziehen zu müssen. Aufgelöst krallten sich seine Hände in seine Haare, ehe er davon abließ.

Ihr Herz flatterte, weil sie gewusst hatte, dass er so reagieren würde.

Sie wagte es nicht aufzublicken, derweilen ihr Körper zitterte, derweilen sie sich in Gedanken rief, wie entblößt sie vor diesem Mann stand... wie unehrenhaft sie sich benahm. Aber sie wusste sich nicht mehr anders zu helfen. Ihre Verzweiflung trieb sie immer weiter in den Wahnsinn.

Tiefe Atemzüge vollführend, versuchte sie ihren rasenden Puls in den Normalzustand zu bringen. So würde sie nicht weiter kommen. Sie musste sich beruhigen.

Deshalb wanderte ihr Blick erneut aus dem bodenlangen Fenster in Richtung des Mädchenturmes und in dem Augenblick entschied sie sich die zu Beginn gestellte Frage ihres Gegenübers zu beantworten, dessen Blick das Einzige war, was sie noch auf ihren beiden Beinen stehen ließ.

»Kennen Sie die Geschichte zu diesem Turm ?«, fragte sie stattdessen, wartete aber dabei seine Antwort nicht ab, sondern sprach unbeirrt weiter.

»Mein Vater hatte es mir immer als kleines Kind vor dem Schlafen gehen erzählt. Der Name Mädchenturm ist durch eine Sage entstanden, nach der ein Sultan im 18. Jahrhundert durch die Wahrsage einer Prophetin in Erfahrung brachte, dass seine einzig geliebte Tochter, die Prinzessin, durch einen Schlangenbiss an ihrem 18. Geburtstag getötet werden sollte.«

Ein sehnsüchtiges winziges Lächeln entstand kurzzeitig auf ihren Lippen.

»Daraufhin hatte der Sultan, aus väterlicher Fürsorge, mitten in dieser Meeresenge diesen Turm errichten lassen, damit sie zum einen vor den äußeren Gefahren geschützt blieb und damit sich die Prophezeihung nicht bewahrheitete. Dem Sultan alleine war der Besuch zu seiner Tochter gestattet. Jahre lang... nur ihm alleine. Eines Tages schließlich kam der lang ersehnte Tag, ihr 18. Geburtstag an dem der Sultan anlässlich dieses besonderen Ereignisses einen großen Obstkorb mitbrachte ...«

Die Wellen erklangen und im Raum blieb es still. Die junge Frau nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass der junge Mann sich die Hände langsam an der Hose rieb und sie sah wie sich seine Arme dabei anspannten, als er ihr aufmerksam lauschte.

»Wissen Sie was dann passiert ist, Emran ?«

Anstatt ihr zu antworten, hielt er sich dieses Mal bedeckt. Denn dieses eine Mal wollte er, dass sie sprach. Er wollte, dass sie ihn führte, wollte jede ach so winzigste Regung, Emotion in ihrer Mimik in sich aufnehmen. Doch wie bereits erwartet, konnte er diesem Anblick nicht standhaft gegenübertreten, sodass seine Augen immer wieder ungewollt zu ihren Augen wanderten. Das strahlende Blau, welches die schönsten einzigartigen Weltmeere in ihren Augen widerspiegelte, raubten ihm den letzten Atemzug. Sie ertränkten ihn regelrecht, der Stift in seiner Hand bewegte sich wie von selbst über die Staffelei.

Mit seiner Haltung, versuchte er eine selbstsichere Haltung vor ihr darzulegen, doch wie immer, war er ihr mit nur einem Blick maßlos verfallen. Wie gerne er sich weiterhin in diesen Augen verlieren, ihre sanfte Stimme bei jedem Atemzug in sich aufnehmen wollen würde. Sie war seine Asche, durch die er jedes Mal wie ein Phönix auferstehen und sich wieder von Neuem dieser grausamen Welt stellen würde. Sie erschien ihm wie sein Licht, durch das seine Dunkelheit nicht mehr ganz so verloren und unantastbar trostlos wirkte.

Sie errötete, als sie sah, wie er sie anblickte. Das Selbstbewusstsein, welches sie trotz dessen überzeugend rüberzubringen versucht hatte, verfehlte just ihre Wirkung, denn die Unsicherheit, die Scham in ihr kroch ein erneutes Mal hervor und ihre Fassade fiel achtlos in den finsteren Abgrund nieder. Auf dem Gesicht des jungen Mannes vor ihr erschien daraufhin ein attraktives Lächeln. Auf diesen Moment hatte er gewartet, denn auf diese Weise galt sie in seinen Augen als das wunderschönste Geschöpf auf Erden. Zart, ängstlich und doch sinnlich wie eine Nachtigall, die er in der Hand hielt, vorsichtig streichelte und sie vor den Gefahren von draußen schützen wollte. Sein Lächeln erstarb hingegen, als ihn bei diesem Vergleich urplötzlich auch ein anderer Gedanke beschlich. Sie war seine Nachtigall, doch wussten beide, dass dieser irgendwann davonfliegen und nicht mehr zurückschauen würde.

»In dem Obstkorb...«, fing sie erneut an, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte und war darauf bedacht seinen Blick standhaft entgegenzutreten.

»... waren Trauben vorzufinden, die die Prinzessin essen wollte. Wusste sie jedoch nicht, ebenso wenig wie ihr Vater, dass sich in dieser eine Schlange versteckt hatte. In nur einem Sekundenschlag biss die Schlange zu, verteilte sein Gift in ihr und das dunkle Blut floss aus ihren Adern, bis es zum Stillstand kam. Die Prinzessin starb.«

Stille trat erneut über sie ein und anstatt, dass einer das Wort ergriff, blickten sich beide an. Die Wellen schrien nach ihnen, warnten sie, doch sie ignorierten die Warnrufe und blieben weiterhin in der nächtlichen Kälte, in der leichten Brise, die sachte durch ihre Haare schlichen.

Abrupt ließ er den Stift in seiner Hand fallen, die wie das Aufkommen einer Stecknadel erklang. Seine Smaragde, die dunkler denn je schimmerten hatten eine solch gerissenen Willen angenommen, dass er zielstrebig große Schritte auf sie zumachte und vor ihr zum stehen kam. Ihr Herzschlag pochte so laut gegen ihre Ohren, dass sie Angst hatte, sie würde jeden Moment implodieren. Seine Hand umgriff ihr Kinn und hob diese entschlossen an. Diesem indirekten Willen stand sie nun plötzlich gebeugt entgegen, als sie leicht bekleidet dicht vor ihm stand und den Kopf hob, um den großen anmutig gerade stehenden Mann anzublicken.

Er blickte nicht über ihren Körper runter, sondern starrte nur in ihre Augen. Ein lüsterner fast schon animalischer Ausdruck bedeckte das Grün seiner Augen, als seine Stimme so rau etklang wie noch nie und er seine Förmlichkeit von sich ablegend zu ihr sprach:

»Du hast noch die Wahl.... Geh, geh bevor es zu spät ist. Ich werde mich nicht mehr lange genug beherrschen können. Verschwinde.«

Er klang aufgebracht und gedämpft zugleich, wie als würde er Säure runterschlucken.

Sie, deren Beine sich taub anfühlten und sie das Gefühl hatte jeden Moment umzufallen, zu verbrennen, sich selbst Qualen zuzufügen, machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, was ihn die Augen gequält schließen ließ.

»Geh... ich bitte dich, geh einfach...«

»Nein...«

Er öffnete die Augen und langsam näherten sich seine Lippen den ihren. Ihr beider Atem war einer Zusammenkunft nahe. Er würde sich nicht mehr zurückhalten können.

»Ich habe dich gewarnt.«

Anschließend stieß ihr Körper so heftig an seinen, als er sie an der Taille ergriff, sodass ihr ein plötzlicher Schrei entfloh. Dieser hingegen wurde mit seinen Lippen besiegelt, als er seine weiche Haut fest auf die ihre presste und ihren Körper an seinen drückte. Er fasste ihr willig ins Haar, gab sich hungrig ihren Lippen hin, die wie gelähmt waren. Sie tat nichts, erwiderte den Kuss nicht, fasste ihn nicht an. Sie ließ es einfach über sich ergehen und riss die Augen auf, als sie realisierte, dass es wirklich geschah.

Während ihre Gedanken automatisch im den Leerlauf geschaltetet wurden, gab er sich diesem lustvollen Rausch hin. Seine muskulösen Arme griffen noch fester in ihre Haut ein, derweilen er sie nach hinten dirigierte und sie mit einer fließenden Bewegung hinter sich aufs Bett beförderte. Dies bemerkte sie, als ihr Rücken mit den sanften geschmeidigen Bettlacken in Berührung kam, die ihr in dem Moment hingegen, wie Dornen erschienen.

Nur schwer unterdrückte sie das aufkommende Schluchzen, als er mit seinem Körper über sie gebeugt weiter machte, seine Hand dabei hinter ihrem Rücken runter wandern ließ, während er dabei den Reißverschluss nach unten zog.

Sie schloss die Augen, wollte nicht, dass er die Tränen sah, die Angst in dem Moment, als sie nun nackt unter ihm lag, derweilen er mit seinen gierigen Küssen weiter machte.
Sie war wie ein Segen, war die Wasserquelle, die er benötigte um nicht zu verbrennen. Mit voller Hingabe fasste er sie an, versuchte sich zu zügeln, wollte sie wie einen feinen Schmetterling behandeln und sanft mit ihr umgehen, auch wenn alles in ihm nach einer gerissenen Ungezügeltheit rief.

Plötzlich hörte sie, wie er seinen Gürtel öffnete, ihn runterstreifte und sich aus seiner Hose entledigte. Seine feuchten Lippen wanderten dabei sanft über ihr Schlüsselbein auf und ab, sein heißer Atem verlief unkontrollierbar schnell, anschließend seine Lippen ihr Ohr streiften und er keuchend und bedauernd von sich gab, als er sein Gesicht in ihren Haaren vergrub:

»Du hättest gehen sollen... Arzu. Du hättest verdammt nochmal abhauen sollen.«

Doch die angesprochene junge Frau reagierte nicht. Sie wusste, dass er einen Moment innegehalten hatte, für den Fall, dass sie es sich anders überlegte, aber sie tat nichts, sondern starrte mit leblosem Blick zur Zimmerdecke hinauf, als er auch schon kurz darauf langsam in sie einstieß und anfing sich in ihr zu bewegen. Sie drückte die Lippen fest aufeinander, drückte so fest, dass sie das Blut auf ihrer Unterlippe spürte und unterdrückte die Tränen, die wie eine gewaltige Lawine über sie herkam. Sie spürte, wie sich ihre Netzhaut zusammenzog, wie sie ihn immer mehr und intensiver in sich spürte.

Sie schloss die Augen, presste sie zusammen. Ganz feste, denn sie wollte nichts anderes als zu vergessen. Vergessen, aufwachen und feststellen, dass sie nur geträumt hatte.

Doch als sie die Augen von erneutem öffnete, flossen die Tränen stumm dahin, denn ihr Albtraum war real und nichts würde an dieser Tatsache etwas ändern können.

Der wunderschöne Mann unter ihr schien seiner Lust ergeben zu sein, seine Stöße und Küsse waren zwar langsam, aber mit solcher Hingabe, dass sie es nicht ignorieren konnte. Instinktiv konnte sie nicht anders, als mit ihren dürren Armen in seinen straffen nackten Rücken reinzugreifen. Ihre Finger vergruben sich in seiner Haut, was ihm ein animalisches Knurren entlockte.

Er verlor sich in seiner Lust und dies mit jedem Atemzug merkend und sich eingestehend, dass ihr Körper unter ihm einen Halt brauchte, hielt sie sich an ihm fest. Derweilen sie dies tat, die Tränen endlos dahinflossen und sie bereits das Blut schmecken konnte, indem sie so fest auf ihre Unterlippe biss, realisierte sie nicht, wie ihre Hand immer höher und höher wanderte. Zunächst streiften sie seine nun heftig angespannten Schultern und anschließend seinen Nacken. Und in dem Moment sah sie es. Sie sah das Aufflackern des Steines an ihrem Finger... Sie sah den schlichten Ring an ihrem Ringfinger.

Einige Sekunden lang blickte sie wie hypnosiert darauf, vergaß alles um sich herum, nahm nichts mehr wahr, bis sie ein grässliches Gefühl in sich aufkommen spürte, was sie erschaudern ließ.

Sie hasste sich.
Sie verabscheute sich.
Und nicht einmal die Tränen würden diese Schundtat von ihr wegwischen können.
Dies wurde ihr mit einem Schlag klar.

Sie blickte weiterhin auf ihren Ring empor und die Tränen vermehrten sich, schwappten vollkommen über.

Bald ist es vorbei, bald ist es vorbei. Halte durch und vergiss es... vergiss was gerade passiert.

Doch als sie erneut die Augen öffnete und ihr Ring ihr höhnisch entgegenstrahlte, da spürte sie, dass ihre Welt in dem Augenblick Stück für Stück zusammenfiel. Der Ring würde sie nun für immer brandmarken, ein Stempel ihrer Schuld darstellen. Denn sie wurde nun zu einer Schuldigen.

Verzeih mir mein Liebster, verzeih mir, dass ich dir das antue.

Und dann schloss sie die Augen und gab sich freiwillig dem Abgrund hin.

Hallo,

Hier ist der veränderte Prolog.
Wie ihr bereits bemerkt haben solltet, arbeite ich hier mit türkischen Namen. Trotz dessen möchte ich anmerken lassen, dass es nicht wie die 0815 türkischen Storys sein wird, die man des öfteren hier auf Wattpad vorfindet. Ich arbeite gerne mit Kultur, Geschichte und gewissen Moralaspekten. Lange Zeit habe ich mich nicht getraut eine Story bezüglich meiner Kultur auszuarbeiten, weil viele türkischen Geschichten auf Wattpad zumeist immer dasselbe Klischee enthalten und immer nur perfekte Menschen in den Vordergrund gebracht werden (Das gilt natürlich nicht für alle, aber für die meisten Geschichten.) Die, die mich kennen wissen, dass ich mit vielfältigen Ideen arbeite und auch größtenteils mit verschiedenen Charakteren. Dies wird auch hier der Fall sein. Die Geschichte wird sich zum einen in Istanbul und größtenteils in Nordzypern abspielen. Außerdem ist die Geschichte in drei Akte aufgeteilt. Das war's zunächst von mir, hoffe es hat euch gefallen 😊

P.S. Ach und ich hoffe ihr habt verstanden, was es mit der letzten Passage auf sich hatte 😉

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