3➳ Der Unbekannte
2015
Üsküdar|Istanbul
{3 Jahre zuvor}
Arzu
𝖁on einem rauschartigen Zustand und einen zügellosen Nerven zermahlenden Druck am Hinterkopf in Beschlag genommen, schlug ich unzählige Male fest auf die Tischtheke unter mir. Mit dem Oberkörper beugte ich mich ungeschickt und ausgesprochen undamenhaft obendrein dazu nach vorne, sodass meine Haare, die mir dabei in einem Strähnenfluss lose aus meinem locker gebundenen Zopf nach vorne fielen, mein Gesicht bedeckten und mich zusätzlich neben dem Lärmpegel störten, der eine ausgelassene Athmosphäre erzeugte und die Menschen darin bestärkte immer lauter zu werden, geschweige denn die Hintergrundmusik weiter aufzudrehen.
»Hey... hey, du da !« Ich bestellte den Barkeeper zu mir, der seit zehn Minuten die Gläser mit einem roten Lappen sauber putzte.
»Ich will noch ein Glas.«
Die letzten Worte, die aus meinem Munde erfolgten, waren nur noch ein Mischmarsch aus unklaren aneinandergereihten Wörtern, die kaum zu verstehen waren. Ungewollt verhäderte ich mich durchgehend bei meinem Gesagten, so sehr lallte ich bereits.
Der, auf dem einen Arm volltätowierte, Barkeeper, beäugte mich kritisch und zugleich bemitleidigt, nachdem ich solch einen unbeholfenen und erbärmlichen Auftritt dargelegt hatte. Doch mir war nicht gerade danach ein möglichst souveränen Eindruck zu übermitteln. Heute wollte und durfte ich mich ausnahmsweise Mal fallen lassen.
Nichtsdestotrotz wäre es gelogen zu sagen, dass seine Reaktion völlig an mir vorbei ging.
Sein Blick traf mich recht unerwartet, sodass ich meine Augen direkt von seinen abwandte und diese aus mein leeres Glas senken ließ.
Er hatte mir dadurch indirekt das kund gegeben, was ich seit meiner Ankunft und nach jedem geleerten Glas von mir gedacht hatte: Nach Außen musste ich ebenso jämmerlich wirken, wie ich mich auch intern fühlte. Und obwohl der Alkohol mir zu einem beflügelten Zustand beihelfen sollte, war ich dennoch das stetige Gefühl nicht losgeworden immer noch auf den Boden der Tatsachen zu verweilen.
Aus dem Unterbleiben der Wirkung des Alkohol zog ich letztlich den Schluss, dass ich etwas falsch gemacht haben musste und mir nur mehr von diesem Gift weiterhelfen konnte.
»Nichts für ungut, aber ich denke, das reicht für heute Abend. Außerdem sehen Sie nicht gerade in der Lage aus, als würden Sie all das bezahlen können. Ich habe Ihnen bereits einige Drinks durchgehen lassen, da Sie den Anschein nach, einen harten Tag hinter sich gebracht haben... aber ich halte es für das Beste, wenn Sie nach Hause gehen und darüber schlafen.«
Wütend, was ganz und gar nicht meiner Art entsprach, geschweige denn, dass ich überhaupt unhöflich wurde, merkte ich, wie sich eine Zornesfalte zwischen meine Augenbrauen bildete. Heute war für mich eine Ausnahme, heute würde ich nicht die Ruhe in Person sein, die ich für gewöhnlich war.
Was bildete sich dieser Kerl nur ein ? Was bildete er sich ein solch ein Urteil über bilden zu können ? Was kümmerte ihn das, dass ich so viel trank und ob ich mir das leisten konnte ?
Zugegeben, mit der engen dunklen Jeans, den bereits mehr als veralteten Sneakers und einen grauen zu weit geschnitten T-Shirt, sah ich im Gegensatz zu all den anderen Gästen recht unspektakulär aus. Außerdem waren meine Haare unordentlich zu einem Zopf gebunden und meine dezente Schminke verwischt. Also erntete ich in Sache Pflege ebenfalls keine hilfreichen Pluspunkte.
Trotz, dass ich mich aus dieser Affäre zu entziehen, als auch gewisse andere Aspekte zu suchen bestrebte, um mein eigenes Recht zu untermauern und dem Barkeeper die ganze Schuld unterzujubeln, wusste ich, dass tief in meinem Inneren der Grund meiner aufschäumenden Wut eher darin lag, dass dieser Kerl insgeheim mit dem was er sagte recht hatte. Mit jeden einzelnen Aspekt. Er traf bei allem ins Schwarze.
Die erste richtige Erkenntnis, die er getroffen hatte war, dass ich viel zu viel getrunken hatte. Wenn ich nicht gerade die Aussicht verfolgte mich bis ins Koma zu saugen, dann musste ich dem schleunigst ein Ende setzen.
Die zweite bittere Wahrheit, die er über mich gefällt hatte, war, dass ich wirklich nicht Mal annähernd im Besitz einer angemessenen Geldsumme war, um all die harten Getränke zu bezahlen, die ich bereits intus hatte. Doch gerade interessierte mich selbst das nicht im geringsten.
Ich wollte lediglich nichts weiter als mich ein einziges Mal fallen lassen zu dürfen und alles zu vergessen. All die Sorgen, all den Kummer, all die Hoffnungslosigkeit. Verbannt und eingesperrt nur für einige Stunden, bis mich die Realität am nächsten Tag wieder einholen würde.
Gerade streckte ich den Oberkörper wieder aus, hob drohend meinen Zeigefinger an, um meinen sich heraufstauenden Protest mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, bis der Barkeeper von einem anderen Kunden auf der gegenüberliegenden Seite zu sich gerufen wurde und somit meinem Vorhaben einen Schlussstrich durch die Rechnung machte. Mit einem letzten Blick zu mir, wandte er sich ab und lief auf die andere Seite zu.
Aufbrummend ließ ich die Schultern hängen und blickte auf mein immer noch leeres Glas nieder. Ein verzweifeltes Seufzen entfloh aus meiner Kehle.
Und was nun ?
»Hallo meine Schöne. Ich könnte dir auch gerne einen Drink bei mir spendieren.«
Als ich realisierte, dass die Stimme des schmierigen Typen links neben mir an der Theke, an niemand anderes als am meine Wenigkeit gerichtet war, stieg unmittelbar der Alkohol in mir auf. Ich hatte mich so sehr auf meine Gläser konzentriert, dass sich erst jetzt mein Unterbewusstsein zu Wort meldete und ich erkannte, dass der Typ, seit er zur Bar herübergekommen war, mich unter seine Fittische genommen hatte. Dabei aufmerksam bleibend und jederzeit bereit einzugreifen, sobald sich ein geeigneter Moment für ihn ergab, wie auch jetzt der Fall war.
Mein Gehirn schaltete sich automatisch auf stumm und meine Geschlagenheit wandelt sich in Resignation um.
Ich umrundete mit den Fingern die ovalförmige Wölbung meines Glases, ehe ich ohne ihn anzublicken recht kalt von mir gab:
-"Nein, danke. Ich bin verheiratet."
Ein gehässigtes Lachen erklang und als ich einen überragenden hühnenhaften Körper dicht an meinem Stuhl heranrücken und seinen Finger an meinen Arm streichen spürte, da gaben meine Alarmglocken einen schrillen Warnruf aus.
»Ach komm schon, süße. Solche Ausreden sind nicht nötig. Benimm dich artig.«
Übelkeit stieg in mir auf. Auch wenn ich angetrunken war und meine Sinne in einem hohen Maße betrübt, konnte ich doch noch feststellen, dass mir diese Nähe nicht gefiel...
Im nächsten Moment erhob ich mich halb in meinem Sessel und machte Anstalten komplett aufzustehen. Besagte Person hingegen hinderte mich bei diesem Vorhaben und stellte sich mir immer wieder in den Weg.
»Sei nicht so scheu. Es geht hier nur um einen Drink.«
Abwehrend hob ich die Hände, als ich bemerkte, wie er sich immer wieder ungewollt an mich drängte und mir den Weg zunehmend versperrte. Ich blickte ihm nicht einmal ordentlich ins Gesicht, da ich mich so sehr ekelte und auf der anderen Seite einen klaren Gedanken fassen wollte, um diese Bar verlassen zu können ohne eine große Szene geschoben zu haben. Der mittelaltrige, leicht beschwipste
blonde Mann jedoch, wie ich nun mit einem flüchtigen Blick zu ihm feststellen konnte, ehe ich den Blick wieder auf seine Brust richtete, gestaltete die Lage durch seine Hartnäckigkeit schwieriger als mir lieb war.
Sollte ich vielleicht doch schreien, anstatt dieses Risiko einzugehen ? Laut um Hilfe rufen ? Hier eine Szene schieben, damit der Barkeeper wieder auf mich aufmerksam wurde und mir diesen Kerl von Leibe schaffte ?
»Die Lady hat nein gesagt.«
Mein Kopf huschte zur Seite und auch mein Gegenüber, der so vernarrt darauf war mich einzuschüchtern, wandte irritiert den Blick in die Richtung aus der die Stimme erklungen war.
Nur einige Hocker weiter entfernt von mir, saß ein junger Mann an der Bar, dem ich diese Stimme zuordnete. Seine langen Beine waren am hoch angesetzten Hocker anwickelte, da er eine herausragende Größe vorwies.
Durch den schicken teuer wirkenden Anzug, den dunklen Haaren und den hart wirkenden markanten Gesichtszügen, die etwas magisches und gleichzeitig fragliches vorwarfen, wirkte er irgendwie recht einschüchternd.
Er hatte die eine Hand um ein Whiskyglas geschlungen, doch durch die rötliche Farbe erkannte ich, dass es sich um ein anderes Getränk darin handelte. Wein. Eine ungewöhnliche Auswahl in dieser Gegend. Zumindest nahm ich dies so an, nicht, dass ich mich gut mit dem Nachleben von Istanbul auskannte. Männer bevorzugten Wein nicht wirklich. Außer einem Mann in meinem Leben kannte ich zumindest niemanden der so vernarrt war, Wein zu trinken. Bis jetzt, der Mann vor mir war Nummer zwei.
Er hatte zu uns gesprochen, aber keineswegs ein einziges Mal dabei zu uns geblickt, wie als wäre das Szenario das sich just abspielte es nicht wert seine Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.
Und obwohl seine Stimme gerade eben noch befehlend und verkrampft geklungen hätte, saß er entspannt da.
Die Wirkung des Alkohols ließ allmählich nach je länger ich diesen mysteriösen unbekannte Mann vor mir beobachtete.
»Meinst du etwa mich ?«, fragte nun der aufdringliche Hühne angriffslustig und wandte sich endlich von mir ab.
Mit einem unübersehbaren Ausdruck im Gesicht, der darauf hinwies, dass es ihm keineswegs zusagte, wenn man sich in seine Angelegenheiten mischte, beugte er sich gefährlich von unserer Thekenseite rüber, um damit dem jungen Mann auf der anderen Seite der Bar dezent näher sein zu können.
Der Kopf des Mannes vor uns blieb hingegen zunächst reglos. Aus mir unerklärlichen Gründen hielt ich dabei den Atem an, als ich mich aufgeregt fragte, was er als nächstes unternehmen würde.
Dieser drehte dann letztlich doch eine Reaktion von sich gebend, langsam den Kopf zur Seite und als mir die feine Nase, die perfekt dazu abgestimmten Wangenknochen und die strahlend grünen Augen begegneten, hielt ich den Atem an. Sein Blick haftete nur kurz auf mir, glitt einige Sekunden über mein Gesicht, ehe sich die Kälte strahlenden Augen unbeeindruckt davon auf die männliche Nebenperson richteten.
»Siehst du hier sonst irgendjemanden der eine Abfuhr nicht einstecken kann. Nun verzieh dich und lass sie ihn Ruhe.«
Der Angesprochene neben mir schäumte vor Wut, das bemerkte ich sofort, als er mir komplett den Rücken zukehrte und wie ein Wahnsinniger, der seine Medikamente nicht eingenommen hatte, begann vor sich hinzumurmeln.
Als er erkannte, dass der Mann der ihn indirekt bloßgestellt hatte sich erneut gelangweilt abwandte, stellte dies die letzte Instanz für ihn da, denn mit festen Schritten stampfte er auf ihn zu.
»Was geht dich das an, was ich mache du Bastard ?«
Ich sah, dass er die Hand anhob und gerade zu einem Faustschlag ausholen wollte, was ebenfalls nach einem erfolgreichen Ausspiel hindeutete, denn der hübsche Mann auf den Barhocker blickte nicht hoch, um diesen Angriff kommen zu sehen.
Gerade als ich mir schon bildlich den heftigen Schlag ausmalen konnte, wisch dieser im letzten Moment der Hand aus, indem er sich so plötzlich nach hinten lehnte, als hätte er es kommen sehen und sprang anschließend vom Hocker auf. Ehe ich überhaupt erkennen konnte, wann er, den mich belästigenden, Typen am Nacken gefasst und sein Gesicht an den Tisch geschlagen hatte, verließ auch schon ein spitzer Schrei meine Kehle.
Mein Gegenüber ließ sich trotz der Aufnahme meines Schreies nicht aus der Fassung bringen, sondern bückte sich nun, das Gesicht so angespannt, dass ich jeden kleinsten Winkel seiner Konturen ausmachen konnte, zu dem nun quälend ringenden Typ runter, dessen Kopf er noch an die Tischplatte gedrückt hielt, derweilen er mit der einen Hand seinen Kopf auf den Tisch presste und mit der anderen seine Hände festhielt, welche er ihm hinter den Rücken gezogen hatte. Einige aufmerksam gewordenen Gäste hatten bereits rüber geblickt, doch war auch ihnen direkt klar wer der deutlich Überlegenere in diesem Kampf war.
»Ich glaube ich habe mich nicht ausführlich genug ausgedrückt. Du.sollst.verschwinden. sonst breche ich dir all deine Knochen«
Dann schubste er ihn zur Seite, sodass der Typ nach hinten taumelte. Anschließend widmete er sich in meine Richtung zu, sodass ich nicht einmal mehr mitbekam, wie der andere Typ überhaupt aus der Bar geflüchtet war.
Zu hypnosiert war ich von diesen fremden Blicken. Plötzlich fühlte ich mich gar nicht mehr müde.
Als ich hingegen merkte, dass ich zu lange gestarrt hatte, schüttelte ich den Kopf und erhob mich von meiner Sitzfläche. Da wollte ich einmal meine Ruhe haben und alles vergessen, doch schon suchte mich der nächste Ärger heim. Konnte ich nicht einmal einen Abend lang alles hinter mich lassen ohne mit dem nächsten Konflikt konfrontiert zu werden ? Ich zog mir meine Strickjacke über das eintönige Shirt.
Der Mann nahm wieder Platz, ohne meinen Bewegungen Aufmerksamkeit zu schenken.
»Setzen Sie sich.«
Dann wunk er den Barkeeper zu sich und hob zwei Finger an.
»Zwei Mal Whisky on the Rocks.« Bevor ich realisieren konnte was geschah, stellte der Barkeeper auch schon zwei Gläser vor ihm ab. Der Anzugträger nahm eines an sich und das andere, das für mich gedacht war, schob er mit einer galanten Bewegung quer über die Theke auf mich zu.
Instinktiv griff ich danach, damit das Glas nicht ausrutschte und auf dem Boden aufkam. Dennoch stand ich immer noch auf den Beinen, gewillt diesen Lokal jeden Moment zu verlassen. Der Abend war für mich gelaufen und falls er sich durch das Verscheuchen des Mannes Hoffnungen gemacht hatte bei mir gelandet zu sein, dann irrte er sich.
Denn meine Aussage zuvor war ganz bestimmt keine Lüge.
Ich hob meine Hand an, um ihn diese zu beweisen und sagte:
»Es entsprach gerade der Wahrheit. Ich bin wirklich verheiratet.«
Mir dem anheben meiner Hand deutete ich auf den auffunkelnden Ring an meinem Ringfinger.
Gleichzeitig nahm er, wohl beimerkend immer noch nicht zu mir rüber blickend, einen Schluck aus seinem Glas und hob beim Aussprechen meiner Worte ebenfalls seine Hand an.
Er tippte wie ich auf seinen Ringfinger.
»Und ich bin verlobt.«
Seine Stimme war kalt und unantastbar. Seine Haltung repräsentierte die vollste Überlegenheit. Und ich tat nichts weiter, als seinen glänzenden Ring im Auge zu behalten.
Dann richteten sich seine Augen wieder auf mich, nahmen mich tiefer ein. Sekunden lang blickte er mich schweigend an.
»Ich habe kein Interesse an Ihnen. Also... Nun setzen Sie sich wieder hin.«
Ich fühlte mich peinlich berührt und wäre am liebsten im Erdboden versunken, als ich seine Worte aufnahm.
Den Blickkontakt zu ihm abbrechend, hatte ich mich wenige Sekunden später wieder auf mein Platz gesetzt.
Langsam nahm ich das Glas in die Hand und trank einen Schluck daraus, um mich wieder zu beruhigen. Mein Blick dabei war hingegen immer noch auf den Mann gerichtet, der wenige Plätze von mir entfernt saß und die Arme an der Thekenkante abstützte, derweilen er so fest das Whiskyglas in seinen Griff einnahm, dass seine Fingerknöchel weißen Schneekugeln ähnelte.
Da waren wir also nun.
Ich.
Der Unbekannte
Und unsere Whiskygläser.
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