II

Die Dunkelheit umhüllt mich wie eine dicke Decke und schützt mich vor dem Schmerz und Leid, der mich seit langem zu begleiten scheint.

Jihyun und Mama sind in Weite ferne gerückt und in mir herrscht eine ungewohnte Ruhe, wie ich sie noch nie gespürt habe. Der Gedanke hat mich glücklich, frei gemacht, hatte er gesagt. Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, um diesen Zustand zu genießen? 

Wie groß müssen die Schmerzen sein, wenn man es nicht mehr auf dieser Welt aushält und diesen Ort als einzigen Ausweg sieht? 
Unvorstellbar groß. 
Wie lange ich schon hier bin weiß ich nicht, es können Minuten, Stunden, Tage sein, ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. 

Etwas nasses und angenehm warmes weckt mich. Langsam öffne ich meine Lider und das Licht brennt sich in mein Hirn. Ein weißes etwas bellte mich freudig an. 
,, Ddosun?'' 
Ich schaue in die dunklen Augen des Kishus und kraule ihm hinter dem linken Ohr. 
( A/N Bin leider kein Hundeexperte, deshalb kann ich nicht sicher sagen, welche Rasse Jimins Hund habe. Er sah mir am Ehesten wie ein weißer Kishu aus. )

,, Jihyun ist noch nicht zurückgekommen, oder?'' Als Antwort legt Ddosun seinen Kopf zur Seite. 
Ich seufze. Der Hund kann mir auch nicht weiterhelfen. Ich muss ihn alleine suchen gehen. 
Kurz spähe ich auf die Uhr in der Küche und stelle fest, dass Papa bald kommt. Schwankend erhebe ich mich und taumele zur Seite. Schwarze Punkte tanzen kurz vor meinem Augen und so vergingen weitere Sekunden bis ich mich auf den Weg mache.

An der Garderobe werfe ich mir noch meine Jacke über und zwänge mich in meine Turnschuhe. Im Vorbeigehen greife ich nach unserem Hausschlüssel und reiße die Haustür förmlich aus ihren Angeln und knalle sie genauso kaltherzig ins Schloss.

Ich jage die Treppen des Treppenhauses förmlich herunter und wäre beinahe hingefallen. Zum Glück kann ich das Gleichgewicht noch halten und stürme unbeeindruckt weiter. Meine Gedanken kreisen nur um meinem Bruder und ich bete, dass es ihm gut geht. Bitte, lass ihm nichts zu gestoßen sein. Bitte, lass ihn nichts dummes getan haben. Bitte irgendeine höhere Kraft erhöre mich.

Vielleicht klingt es selbstsüchtig, aber ich kann nicht ohne ihn. Ich kann nicht noch Jemanden verlieren, mein Herz macht das nicht mit. Besonders weil ich Schuld daran wäre, ich habe Jihyun provoziert ich konnte mein verdammtes Maul nicht halten. Er ist psychisch instabil, ich hätte es besser wissen müssen.

Busan ist riesig, nicht umsonst die zweitgrößte Stadt Südkoreas. Trotzdem gebe ich meine Suche nicht auf. Ich hetze durch die Straßen, bahne mir einen Weg durch die Menschenmenge und versuche nicht all zu viele Menschen umzulaufen. Dabei halte ich verzweifelt ausschau nach dem dunklen ungekämmten Haarschopf meines Bruders. Meine Lungen brennen, genauso wie meine Oberschenkel, doch darauf nehme ich keine Rücksicht. Jetzt zählt nur, dass ich einen unversehrten Jihyun vorfinde. Mein Herz pocht, wo ist er nur? Scheiße.

Plötzlich spüre ich einen dumpfen Aufprall und im nächsten Moment einen stechenden Schmerz in meinen Knien. Ohne groß nachzudenken, rappele ich mich wieder auf und entschuldige mich höflich bei der anderen Person und raste davon. Ihr würde schon nichts passiert sein.

Die Zeit drängt, der Schweiß rannte aus jeder meiner Poren und mein Körper ist kurz davor zu rebellieren. Meine Hoffnungen Jihyun zu finden schwinden, genauso wie meine Kräfte. 
Meine Augen füllen sich mit Tränen und meine Versuche sie wegzublinzeln scheitern. 
Mittlerweile ist die Sonne schon untergegangen und noch immer keine Spur von meinem kleinen Bruder.
,, Jihyun?", flüstere ich aufgebracht,, wo bist du nur?"

Meine Schritte verlangsamen sich. Meine Körper brennt wie Feuer, meine Puls raste aufgrund dieser körperlichen Anstrengung. Schnaufend stütze ich mich auf meinen Oberschenkel ab und versuche so viel Luft wie möglich in mich reinzupressen. Kurz schließe ich meine Lider, um mich zu beruhigen.  

Zwei ist eine schöne Zahl, findest du nicht?
Blitzschnell reiße ich meine Augen auf. Nein, ich kann nicht zu lassen, dass Jihyun uns auch noch verlässt. Selbst wenn ich ganz Busan durchsuchen muss und es die ganze Nacht dauert. Ich werde ihn finden. 
Ich lasse nicht zu, dass der Tod mir noch eine geliebte Person nimmt. 

,, Jihyun? ", mehrere Leute drehen sich überrascht um und starren mich an. Ich lasse mich davon nicht beirren. Nicht jetzt.
Immer wieder schreie ich den Namen meines kleinen Bruders und versuche ihn in der Menge irgendwo ausfindig zu machen. Einige Passanten starren mich verständnislos an, andere schütteln mit ihren Köpfen und wiederum andere ignorieren mich einfach. 

Meine Schritte beschleunigen sich erneut und ich schlage einen neue Richtung ein, die mich zu den Wohnvierteln der wohlhabenderen Bevölkerung bringt. 
Die Straßen leeren sich und es sind nur vereinzelt Leute zu sehen. Die Sterne am Himmel leuchten hell und schenken mir anders als der Neumond ein wenig Licht.
Zusätzlich ist alle Zehn bis Fünfzehn Meter eine Straßenlaterne aufgestellt, so dass ich zumindest die Chance habe, irgendetwas zu erkennen. 

Papa ist bestimmt schon Zuhause. Ich hoffe, dass er sich nicht all zu große Sorgen macht.
,, Jihyun?'', schreie ich so laut ich kann. Bestimmt, habe ich morgen Halsschmerzen, aber das kümmert mich recht wenig. 
,, Jihyun?"
,, Ich habe ihn vorhin hier gesehen'', erwidert eine leise Stimme neben mir. 

Erschrocken wirbele ich herum und schaue die Person an, der diese ruhige Stimme gehört. 
,, Wohin ist er gegangen?", eindringlich mustere ich den Jungen in meinem Alter und versuche ihm klar zu machen wie wichtig die Angelegenheit ist.
,, In diese Richtung'' , mit seinem Arm deutet er weiter die Straße entlang. In seinen Augen kann ich kein Anzeichen erkennen, dass er mich belügt. 

Ich muss ihm wohl oder übel glauben, eine andere Wahl bleibt mir nicht. 
,, Danke'', sage ich kurz angebunden und eile in die Richtung, die er mir angezeigt hat und tatsächlich nach weiteren gefühlt fünfzehn Minuten entdecke ich Jemanden zusammen gesunken auf einer Bank. 

,, Jihyun?'', frage ich vorsichtig, da ich nicht weiß, ob er es wirklich ist. 
,, H-hast ja lange ge-gebraucht'', hickste er. 
,, Hast du getrunken?''  als mein Bruder nichts erwidert, packe ich ihn  an der Schulter und rüttele ihn kurz, ,, antworte mir.''
Statt einer Antwort fing er einfach an zu kichern. Er hat getrunken, schlimmer als das er ist sturzbesoffen. Entsetzen macht sich in mir breit. Wie kann Jihyun nur?  Er ist erst fünfzehn. Woher hat er überhaupt den Alkohol?

Unwillkürlich schüttele ich meinen Kopf. Es ist weder die rechte Zeit, noch der recht Ort, um sich darüber Gedanken zu machen, geschweige denn ihn zur Rede zu stehlen. Ich bezweifle, dass er überhaupt richtig gerade aus laufen kann. Er muss nach Hause sofort und bestenfalls ohne dass unser Vater etwas bemerkt.
,, Komm steh' auf. Wir gehen nach Hause'', sage ich schließlich seufzend und reiche ihm meine Hand. 
,, Nur wenn du mich Huckepack nimmst.'' Er ist betrunken, was erwartest du von ihm?
Ich erwarte überhaupt nichts mehr von irgendwem. Enttäuscht werde ich sowieso jedes Mal,
,, Na gut.'' 
Ich gehe leicht in die Hocke, damit er besser aufspringen kann. Begeistert umklammert er danach auch meinen Hals wie ein Klammeraffe.
,, Weißt du, Jimin'', beginnt er kichernd , nach dem ich mich in Bewegung gesetzt habe, ,, Du bist ein Arschloch.''
Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Ich werde wütend. Zum einen, weil es mich , obwohl er zu viel Alkohol konsumiert hat, verletzt und zum anderen, weil er Recht hat. 
Ich, Park Jimin bin ein Arschloch, miserabler Bruder und schlechter Sohn. 

Die Wahrheit tut weh, aber es ist die Wahrheit. Wenn man sie nicht verträgt, soll man doch lieber weiter in seinem Gerüst aus Lügen leben, wenn es einen glücklich macht.
,, Hallooooo, ich rede mit dir,'' grinsend wedelt Jihyun mit seinen kleinen Händen vor meinem Gesicht. Zumindest vermute ich, dass er grinst. 
,, Minnie, schau mal, der da schaut uns voll komisch an.'' Er zeigt direkt auf den dunkelhaarigen Jungen von vorhin. 
,, Man zeigt nicht mit dem Finger auf Leute'', zische ich Augen rollend, ,, Hör auf.''
Er verhält sich wie ein kleines Kind, dass zu viel Kaffee getrunken hat. Gott, das ist so peinlich. Nicht nur für mich. 

,, Hallo Jungkook!'', brüllt Jihyun plötzlich. 
Verdammt, das Bedürfnis ihn los zulassen, wächst von Minute zu Minute. Entschuldigend schaue ich den verwirrt dreinblickenden Jungkook an, der meinen Blick unerwarteter weise erwidert. In seinen dunklen Augen erkenne ich Mitleid.  

Wahrscheinlich gehen die beiden in die selbe Klasse oder Jahrgangsstufe und kennen sich daher.  Ich wende mich abrupt ab, ich brauche kein Mitleid. Weder von ihm oder irgendwem sonst. Sie glauben zu verstehen, wie es ist, wenn man einen geliebten Menschen abrutschen sieht. Sie glauben zu verstehen, was in unseren Köpfen vorgeht, doch sie irren sich. Diesen Schmerz muss man am eigenen Leib erfahren, um zu verstehen, wie sehr es weh tut. Wie taub man sich fühlt. Es war fast so wie ein Messer, das einem immer wieder in die selbe Stelle gerammt wird, wenn man an den Verlust denkt. Irgendwann ist die Wunde so tief, dass die Heilung nicht mehr möglich ist. 

,, Wir sehen uns Morgen in der Schule, Jungkook.'' Wieder winkt er ihm zu, dieses Mal zum Abschied. Akribisch schüttele ich den Kopf und beachte den Mitschüler von Jihyun nicht mehr. Ich will gar nicht wissen, was er jetzt in seinem Kopf vorging, geschweige denn was er von uns denkt. 
Oh, der arme Bruder von ihm, der tut mir ja so, so unendlich leid. 
oder noch besser:

Die armen Eltern, wie können sie ihnen nur so etwas an tun.
Verächtlich schnaube ich. Sein Mitleid kann er sich getrost sonst wo hinstecken. 
Langsam macht sich das Gewicht meines Bruders bemerkbar, obwohl er deutlich angenommen hat. Seine Knochen stechen extrem heraus und gesund sieht es schon lange nicht mehr aus. 

Es macht mich fertig, jeden Tag mit anzusehen wie er sich mehr und mehr kaputt macht und nichts dagegen tun zu können. Ich bin zu schwach, um meinen Bruder vor sich selbst zu beschützen. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit erkenne ich schließlich die mir vertaute Gegend, in der ich groß geworden bin. Unser Wohnblock ist nicht weit weg. In manchen brennt noch Licht, auch im siebten Stock. Unserer Wohnung.

Papa ist noch wach, schnell krame ich nach dem Schlüssel in meiner Jackentasche und sperre die Tür auf. Inzwischen ist Jihyun auf meinem Rücken eingeschlafen und schläft seinen Rausch aus. Schön für ihn, schlecht für mich. Der Aufzug läuft seit geraumer Zeit nicht mehr und das Geld für die Renovierungsarbeiten will unser Vermieter nicht bezahlen. Deshalb darf ich jetzt die Treppen
nehmen , vielen Dank auch.

Leise fluchend nehme ich die ersten Stuffen in Angriff, mein Rücken brennt noch mehr als vorhin. Das wird ein Spaß. Quälend lang scheint sich die Treppe zu ziehen, bis ich endlich die weiße Holztür mit der silbernen einundzwanzig erkenne und die Klingel mit der Aufschrift Park drücken kann. Schritte, unser Vater öffnet die Tür. 

Bevor er etwas sagen kann, lege ich meinen Zeigefinger an meinen Mund, um deutlich zu machen, dass mein Bruder schläft.
Er nickt und tritt widerstandslos zur Seite. Leise schlüpfe ich aus meinen Schuhe und überreiche ihm den Schlüssel. 

Mein Weg führt mich in sein und mein gemeinsames Schlafzimmer, vorsichtig lege ich ihn auf sein Einzelbett und dehne mich kurz erschöpft. Danach ziehe ich ihm seine Schuhe aus und decke ihn zu. 
,, Gute Nacht", die Kraft, um ihn auch noch zu zudecken habe ich nicht. Am liebsten würde ich mich auch einfach in mein Bett legen und mich ausruhen, allerdings erwartet Papa Antworten von mir, die ich ihm Wohl oder Übel liefern muss.

Am Küchentisch wartet er bereits auf mich, still begrüße ich ihn und nahm ebenfalls Platz. 
,, Ich hoffe, dass Chahan hat dir geschmeckt.''
Er nickt. 
,, Warum seit ihr so spät gekommen? Es ist kurz vor Mitternacht.''
,, Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung, daraufhin ist Jihyun frische Luft schnappen gehen und hat die Zeit vergessen. Als ich dann hier in der Nähe gefunden habe, hat er schon tief und fest geschlafen und ich wollte ihn nicht wecken.''
Die Wahrheit kann ich ihm unmöglich sagen. Er soll sich keine weiteren Sorgen machen, er hat schon genug andere Dinge, die ihm täglich zu schaffen machen. Ich sehe es ihm an. Sein Gesicht wirkt jeden Tag ein Stück älter, die Sorgenfalten werden tiefer. Er sagt, es geht ihm gut, aber er lügt. Ich will ihm nicht auch noch zur Last fallen, deshalb versuche ich ihm so gut es geht zu helfen. 
Ich hoffe einfach, dass er mir meine Geschichte abkauft und nicht weiter nachfragt, was er Gottseidank auch nicht tut. Stattdessen reibt er sich müde die Augenlider und unterdrückt sich ein Gähnen. 
,, Du solltest ins Bett gehen, Appa. '', rate ich ihm besorgt. Er hat sich schon wieder überarbeitet und muss in wenigen Stunden wieder raus. Irgendwann wird er wegen Überarbeitung noch zusammenklappen, wenn er so weitermacht. 
,, Der Abwasch?"
,, Ich kümmere mich drum."
,, Ich schaffe es schon. Du hast morgen schließlich Schule.'' 
,, Du musst morgen arbeiten", kontere ich und ziehe eine Augenbraue nach oben. ,, Geh' bitte ins Bett. Du kannst den Schlaf gut gebrauchen."
,, Aber -"
,, Bitte." Aish, er ist so ein Sturkopf, selbst bei solchen Kleinigkeiten. Doch noch lange kein so großer Sturkopf wie ich. Wann wird Appa erkennen, dass wir ihm nicht böses wollen? 
,, Falls du einen Schmetterling sehen solltest, weck' mich sofort auf.'' Immerhin hat er seinen Sinn für Humor nicht verloren. 
,, Wir sind mitten in der Stadt, Appa,''
,, Ich mein ja nur.''
,, Gute Nacht." Ich drehe mich weg und greife nach den Tellern und dem Besteck.
Ich höre endlich die langersehnten Schritte, genauso wie das Öffnen einer Tür. 
Wunder geschehen immer wieder. Jetzt kann ich all meine Freunde anrufen und wir schmeißen eine riesen Party in unserer Wohnung, in der gerade noch so vier Leute leben können. 
Guter Plan. 
Nur leider fehlen mir dazu das nötige Geld, der Platz und nicht zu vergessen die Freunde. 
Der Abwasch ist schnell erledigt, deshalb beschließe ich kurzerhand noch ein wenig aufzuräumen und Appa das restliche Chahan für die Arbeit einzupacken.
Um eins falle ich erschöpft auf die mehr oder weniger weiche Matratze und schlafe sofort ein. 














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