11.

Schon wieder saß er in seinem alten Auto, irgendwo hupte es und zu seiner Überraschung hatte es doch noch angefangen zu regnen. Es schien wieder gestern Abend zu sein. Nur dass er sich eintausend mal durchgekauter und ausgelaugter fühlte. Morgen müsste er wieder arbeiten. Dieses Mal zwar nicht im Supermarkt, aber es würde genauso anstrengend werden. Kurz nach dem er die letzte Sahnepackung ins Kühlregal eingeräumt hatte, war er auch schon nach draußen verschwunden und zu sich nach Hause gefahren. Wie zu erwarten wartete dort niemand auf ihn, das hatte er auch nicht verlangt, er wollte sich nur ein Paar Sachen für morgen holen.

Er bog gerade wieder in die Straße ein, in die er auch schon gestern Abend eingebogen war, um Odette nach Hause zu bringen. Er parkte dieses Mal nicht in der Garage, sondern auf dem Bordstein vor dem Haus. Ray schaltete den Motor aus, zog den Schlüssel und packte seine Tasche vom Beifahrersitz. Als er sein Auto abgesperrt hatte, betrat er den steinernen Weg zur Haustür. Über die Verander hinweg, auf der er schon heute Morgen gestanden hatte, klopfte er an der Tür.

Nicht viel Zeit war vergangen, als Thomas ihm die Tür öffnete. Ray war zwar schon nicht wirklich klein, aber selbst er musste ein Stück nach oben sehen, um Odettes Vater in die Augen schauen zu können, während er mit ihm sprach.

Thomas sah ihn bemitleidend an, aber das war okay, er hätte an seiner Stelle wohl nicht viel anders reagiert. »Komm rein, Ray.« Der großgewachsene Riese trat zur Seite, sodass Ray an ihm vorbei laufen konnte. Im Inneren brannte goldenes Licht, das die hellblauen Wände noch sanfter scheinen ließ. Schon wieder erinnerte ihn die Farbe an seine Ma'. Er wusste nicht woher Natalie und Anastasia diese Obzession hatten, aber beide Wohnungen waren in blauer Farbe getunkt worden. Das wirkte zumindest so auf Ray. »Die anderen sind in der Küche, geh ruhig durch. Wir essen gleich«,informierte ihn Thomas hinter ihm.

Er hatte gar nicht gemerkt, wie dicht Thomas hinter ihm stand. Erst als seine riesige Hand über seine Schulter hinweg griff und die Tür zu Küche aufstieß. Irgendwie war er stehen geblieben, ohne wirklich zu reagieren, dennoch trat er durch die aufschwingende Tür. Im inneren der warmen Küche roch es nach Gewürzen. Sofort machte sich Rays Magen bemerkbar. Es war ihm nicht bewusst gewesen, wie wenig er seit gestern Abend gegessen hatte. Dennoch hatte er nicht wirklich vor viel runter zu bekommen.

Auch wenn er es gewollt hätte, würde es wahrscheinlich nicht so passieren.

Natürlich fielen ihm nicht nur die Gerüche in der Luft auf, sondern auch seine Geschwister und der Rest der Gardner-Pierces. Obwohl, Odette fehlte sichtlich. Nur ihre Mutter Natalie stand am Ofen, rührte einen Topf um und erklärte Yorick gerade irgendetwas, dieser nickte nur, nahm das Nudelholz aus ihrer freien Hand und wälzte irgendeinen Teig. Ray hatte nicht genau hin gehört. Er setzte sich auf einen Stuhl, seine Tasche neben ihn auf den Boden, während Thomas hinter ihm die Küche betrat und seiner Tochter Laurel einen Stapel Teller abnahm. Auch Helene hielf dabei den Tisch zu decken. Trotz der Erschöpfung, die er von Kopf bis Fuß spürte, stützte er sich an der Tischkante nach oben, seufzte einmal und nahm dann ebenfalls die Teller aus Thomas Händen, die er noch nicht verteilt hatte. Er stand direkt gegenüber auf der anderen Seite. Seine dunklen Augen fuhren nach oben, suchten die von Ray. Doch dieser sah nur die Teller an, die er akkurat vor jedem Platz platzierte.

Das laute Klirren des Porzellans hallte dabei unerträglich schrill in seinen Ohren wieder.

»Du musst nicht-«,setzte Thomas an, aber brach seinen Satz selbst ab, als Ray den letzten Teller drapiert hatte. »Ich helfe gerne.« Er sah sich noch ein letztes Mal im Raum um, auch wenn das unnötig gewesen war. »Ist Odette in ihrem Zimmer?« Thomas schüttelte seinen Kopf. Die dunklen Haare seines kurzen Afros bewegten sich dabei keinen Millimeter. »Sie ist mit Bambi im Garten.« Er nickte und trat ohne große Worte aus der Küche. Ziemlich sicher lag Thomas Blick immernoch auf seinem Rücken, in dem der Funken Mitleid nicht verschwunden war, als er um die Ecke bog und den Flur zur Gartentür entlang lief. Auch diese passierte er ohne großes Zögern.

Draußen war es dunkel und kalt, nichts desto trotz blieb ihm nicht viel Zeit, um seine fröstelnden Arme zu reiben. Wenige Sekunden nach dem sich die quitchende Holztür samt Fliegengitter geschlossen hatte, war auch schon ein schwarz-weißer Fellkneul aus der Dunkelheit direkt auf Ray zugeprecht. Der hintere Garten des Hauses grenzte direkt an einem Wald an. Einzig und alleine ein kleiner winziger Holzzaun schirmte den Wald von dem akkuraten Garten der Familie ab. »Bambi, wo bist du denn jetzt schon wieder hin gerannt?« Odettes Stimme hallte definitiv aus dem Wald und nach dem seine Augen einigermaßen mit der Dunkelheit klar kamen, bemerkte er auch das kniehohe offene Tor im Gartenzaun. Aus dem war Bambi wohl gekommen. Dieser sprang übrigens an Rays Beinen auf und ab.

Erst als die Stimme aus dem Wald ein weiteres Mal Bambis Namen rief, schnellte er wieder energiegeladen durch das Tor. »Na, was hast du denn im Garten gesucht, Bambi?« Odettes Stimme war nur deutlich zu hören und konnte nicht all zu tief im Wald sein. Und als Ray den Zaun passierte und durch die enge Lücke schlüpfte erkannte er auch einen Lichtfleck, etwas weiter hinten zwischen ein paar Birken, die im Kreis angeordnet waren. An jeder Birke, Ray glaubte neun Stück zu zählen, war im Boden davor eine Taschenlampe vergraben. Nur Vereinzelt schienen die herunter gefallenen Blätter die leicht herausstehenden Lampen zu bedecken. Der Bereich rund um den inneren Kreis der Bäume war gut genug beleuchtet. Durch die beiden vorderen Birken konnte er Odette in der Mitte des Kreises auf einem großen Kissen sitzen sehen. Dieses Mal hatte sie nicht nur ihren übergroßen Poncho an sondern auch die Decke über ihren Schultern, während Bambi das Kauspielzeug massakrierte.

Ray trat unmittelbar vor die Baumgruppe, Odette sah nicht auf ihn hinunter, sondern durch die kahlen Baumkronen direkt in den Himmel.
»Sieh mal, Bambi. Prokyon ist heute am Himmel zu sehen.« Ihr Blick glitt nach unten, um zu ihrem Hund zu sehen. Dabei entdeckten ihre Augen die dunkle Gestalt, die sich kaum von der Dunkelheit hinter ihr abhebte. Doch als hätte Odette Augen, die im Dunkeln sehen können, bildete sich ein kleines Lächeln auf ihren Lippen. »Wie war die Arbeit, Ray? «

Tatsächlich hatte der Mann, der ihn beinahe ungerannt hatte, etwas geklaut. Dementsprechend musste er den Filialleiter benachrichtigen, dann kam die Polizei, sicherte das Überwachungsvideo und nahm Rays Zeugenaussage auf. Schließlich hatte er ihn, kurz bevor der Dieb den Laden verlassen hatte, gesehen.

Er hatte nicht im geringsten vor ihr davon zu erzählen. »Was ist Prokyon?« Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, während sich eine kleine Furche kurz unter ihrem immernoch schwarzen Haaransatz bildete. Nicht lange nach dem Ray noch näher getreten war und sich an einen der Birken lehnte, legte sich ihre Stirn wieder. Kurz sah sie zum Himmel, streichelte einmal zart Bambis Kopf. Sie stand auf, ging zu einem Baumstamm, der etwas abseits des Kreises quer über dem Boden lag und zog aus dem hohlen Inneren eine Plastiktüte heraus. Aus der nahm sie ein zweites Schwarzes Sitzkissen. Wieder zurück auf ihrem eigenen Kissen hatte sie es direkt neben sich gelegt und Ray nahm ihren Stillen Blick als Aufforderung sich zu setzen. Sie begann die Taschenlampe neben sich auszuknipsen. »Schalt alle anderen auch aus.« Ray tat wie befohlen. Und am Ende waren alle Lampen aus, bis auf eine letzte hinter ihnen, die Odette angelassen hatte. Dafür war er ihr auch ein wenig dankbar, so ganz im Dunkeln im Wald zu sitzen zählte nicht zu seinen Lieblingstätigkeiten.

»Prokyon ist einer der hellsten Sterne in unsrer unmittelbaren Umgebung.« Sie legte ihren hellen Schopf in ihren Nacken.

Und Ray tat es ihr gleich»Er gehört zu dem Sternenbild Canis Minor.« Ray wusste nicht wo er ein Sternenbild aus dem Himmel erkennen sollte. Da waren so viele funkelnde Sterne»Man kann ihn zwar auch erkennen, wenn die Lichter an sind, aber so ist es einfacher.« Sie sah wieder zu ihm hinüber, sein Blick immernoch an den Himmel gehaftet. »Ich weiß nicht wonach ich suchen muss.« Es war ihm jetzt erst aufgefallen, als er gesprochen hatte, wie die beiden ihre Stimmen gesenkt hatten und beinahe im Flüsterton sprachen. Odette lachte einmal kurz auf. »Tut mir leid, mein Fehler.« Sie rutschte näher zu ihm, nahm seinen Kopf in ihre Hände und lenkte ihn in die richtige Richtung am Himmel. Er war kurz überrumpelt und steif von der Berührung geworden, lockerte aber seine Muskeln, als er sich an die kalten zarten Hände gewöhnt hatte. »Canis Minor bedeutet kleiner Hund.« Ihre Stimme war leise und direkt neben seinem Ohr. Sie ließ seinen Kopf los und zeigte stattdessen mit ihrer Hand auf eine Gruppe von Sternen. Und tatsächlich. Irgendwann erkannte er etwas, das aussah wie ein Hund. »Der da«, sie zeigte auf einen hellen Stern an der Spitze, »ist Prokyon.« Über Rays Lippen fuhr ein Laut der Anerkennung. »Woher weißt du das?« Sie hatte ihr Gesicht ebenfalls wieder gesenkt, genauso wie Ray es einige Sekunden vorher getan hatte. Odettes Gesicht war nur einige Zentimeter von Rays entfernt. Das dumpfe Licht der Lampe hinter ihnen erhellte nur teilweise Odettes sanfte Züge. Die eine Hälfte lag im Schatten. »Es fasziniert mich.«Dieses Mal hatte sie ihre Stimme so sehr gesenkt, dass nur noch ein liebliches Flüstern über ihre Lippen kam. Auch wenn eine kleine Wolke, bedingt durch die Kälte, ihre Wörter begleitete streifte ihr warmer Atem leicht sein Gesicht.

Er hatte sich zwar geschworen jeglichen Gedanken zu verdrängen, der Ansatzweise in diese Richtung ging, dennoch konnte er nicht anders als daran zu denken. Er würde ihr gerade liebend gern die Haare zart aus dem Gesicht streichen,während sie ihren Kopf leicht in den Nacken legen würde und dann würde er sie...

»Es ist einfach beeindruckend, wie etwas so dunkles und riesiges so viele wunderschöne Schätze hervor bringen kann.«Ihre zarte Stimme durchbrach seine Gedanken.

Verdammt, es wäre doch nichts dabei, wenn er sie küssen würde.

Oder doch?

»Danke.« Auch seine tiefe Stimme hatte sich gesenkt und war nur noch ein Flüstern. Odette stützte sich mit ihrer zarten Hand auf dem Boden zwischen ihnen ab. Fast automatisch fuhr seine Hand zu ihrer. Zart umklammerten seine großen Finger ihre, während ihr Blick ängstlich zu ihren Händen huschte.

Verdutzt öffneten sich ihre Lippen ein Stück. Das Verlangen wuchs in Ray ums unermessliche. Dieses Mädchen vor ihm hatte ihm ein Geschenk gegeben. Sie hatte ihm ein Stück mehr von ihr preis gegeben und ihn damit auch noch davor gerettet, dass seine Gedanken in eine grausame Richtung gelenkt werden konnten. Immer mehr sagte ihm der Gedanke zu, ihr durch einen Kuss seine Dankbarkeit zu vermitteln.

»Du bist so faszinierend, Odette.« Sie sah wieder in seine Augen. Er kam ein Stück näher. Ihr Atem schlug immer stärker und hektischer gegen sein Gesicht. »Du bist nicht nur wunderschön«,er rückte ein weiteres Stück näher,»Nein, du tust alles mit einer so überwältigenden Leichtigkeit, dass es aussieht als könntest du schweben.«

Auch sein Atem wurde schneller. Wenn sie ihn jetzt zurück weisen würde, dann müsste er umziehen, einen neue Identität nehmen und sich ein neues Leben aufbauen.

Ihre Augen wurden größer. »Was«- Sie setzte einen Satz an, doch Ray unterbrach sie. »Nein.« Er fuhr einen Stück nach hinten. »Tur mir leid, was ich gesagt habe.« Plötzlich schämte er sich für seine Worte, für seinen Gedanken. Sie lachte ihn wohl gerade innerlich aus. Gleich würde sie ihn beleidigen, laut lachen und er würde sich nur noch mehr schämen.

Aber stattdessen flüsterte sie ein:»Red' weiter.« Entgegen seiner Erwartungen kam kein Lachen über ihre Lippen. »W...was?«, zögerte er. Sie nickte. Statt dass Ray ihr näher kam, rückte sie dieses Mal näher an ihn heran. »Ich denke es gefällt mir in welche Richtung das hier geht.« Er musste schlucken.

»Deine Lippen«,sprach er weiter. Ein Lächeln bildete sich auf eben diesen,»sie sind so wunderschön.« Er rutschte wieder ein Stück näher. Seine Nase berührte leicht ihre. Streifte sie nur ganz sanft und zärtlich und in ihm wuchs eine riesige Vorfreude. »Ich würde sie sehr gerne küssen.« Leicht und rau war seine Stimme,dennoch verfehlten sie nicht Odettes Ohren.

Er überbrückte die letzten Millimeter, ganz langsam. Das letzte was er jetzt gebrauchen konnte war ein schlechter Kuss. Der hier musste sie umhauen.

Doch ganz plötzlich knurrte Bambi, zog sich zurück und versteckte sich hinter Odette. Das hielt Ray nicht davon ab ganz zart ihre Lippen zu berühren. Und dann Riss Odette die Augen auf. »Nein«, entsetzt fuhr ihr dieses Wort über die Lippen. Angst stand in ihren Augen geschrieben. Ihre Stimme zitterte, während ihr Atem genauso hektisch pulsierte, wie ihr Herz. Ray stoppte. Er hatte doch nichts falsch gemacht, oder doch? Sie fuhr zurück. Ihre Hände gruben sich haltsuchend in die weiche Erde, aber es hinderte sie nicht daran abzurutchen.

»Hab ich etwas falsch gemacht?«, fragte Ray zögerlich. Ihr Kopf fuhr hektisch umher. »Das... das geht nicht«, flüsterte sie ängstlich. »Was ist denn?« Er griff nach ihren Schultern.

Das Licht hinter ihnen flackerte, bis es den Geist aufgab. Es war stock dunkel. »Hier ist jemand.«Ihre Wörter waren nur noch ein hauchen.

Bambi bellte, knurrte und winselte.
»Wo?« Eine ekehlafte Gänsehaut fuhr ihm über den Körper.

Was hatte er getan? Was war los mit ihr?

»Überall.«

Dam dam dam. Der inoffizielle Auftritt eines Charakters, der doch ganz lieb ist. Oder doch nicht? Übernächstes Kapitel tritt er dann Offiziell auf und macht ganz schön viel Unordnung.

Ich hab übrigens einfach über 2 tausend Wörter geschrieben. Wow.

Anregende Kritik und Verbesserungen sind gerne erwünscht. Und wenn man meint diese beleidigend zu äußern, lass ich ein böses Monster frei. :)

Ciao Kakao

w a h r h e i t s g e t r e u e

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top