♦️ Die goldene Eintrittskarte
Flip the card that calls...
Let, let, let's roll thе dice, yeah
Change the game inside out
Throw it, nice shot
Destiny's in this hand, babe
Der Körper der Frau krümmte sich vor Schmerz, als wir das Bett erreichten. Ihr Gesicht war aschfahl und ein hauchdünner Schweißfilm glänzte auf ihrer Haut.
"Mir ist so schlecht", brachte sie mit letzter Kraft hervor und rollte sich in Zeitlupe auf die Seite, um ihren Kopf über den Rand der Matratze zu halten. Izumi reagierte schnell und eilte ins Badezimmer. Gerade noch rechtzeitig hielt sie einen Eimer bereit, als die Patientin sich erbrach.
"Ihr Körper kämpft noch gegen die Infektion an. Sie scheint eine Resistenz gegen das verordnete Antibiotikum zu zeigen. Behalte sie im Auge", wies ich Izumi an und warf erneut einen Blick auf die sporadisch geführte Patientenakte. "Ich werde nachsehen, ob Ann was anderes da hat."
Izumi nickte nur, während sie die Haare der Patientin zusammenraffte. Der beißende Geruch nach Erbrochenem, der jetzt in der Luft lag, ließ die soeben verzehrten Ramen in meinem Magen rebellieren. Ich setzte mich in Bewegung und arbeitete mich erneut systematisch durch Anns Medikamentenvorräte - ohne Erfolg. Mein Blick wanderte zu dem klobigen Stahltresor hinüber.
Bewahrte sie die stärkeren Antibiotika dort auf?
Ich seufzte schwer und griff nach der Morphin-Injektion und nach einer Flasche mit Elektrolytlösung. Zumindest würde das ihren Flüssigkeitsverlust wieder ausgleichen und ihre Schmerzen vorübergehend lindern - gegen die Infektion in ihrem Körper war es allerdings machtlos. Nur Ann hatte Zugriff auf den Tresor. Möglicherweise war das meine Chance, an den Code zu gelangen.
Ich hörte leise Stimmen auf dem Rückweg in das Zimmer. Abrupt hielt ich an der angelehnten Tür inne, um etwas von dem Gespräch aufzuschnappen:
"...-such die Augen zu schließen und stell dir vor, alles ist wie früher. Die Welt ist so, wie sie einst war und du bist wieder zu Hause bei deiner Familie. Was wäre das Erste, was du tun würdest?"
Izumi Worte waren sanft, wie eine wohlklingende Melodie. Die Klangfarbe ihrer Stimme war rau und doch zugleich zart und unschuldig, ein faszinierender Kontrast, der mich länger als nötig an der Tür verweilen ließ.
"Ich...würde meiner Mum sagen, dass es mir Leid tut", antwortete die Patientin schwach. "Ich hatte einen furchtbaren Streit mit ihr, bevor ich herkam und seitdem wünsche ich mir nichts mehr, als sie um Verzeihung zu bitten."
"Das verstehe ich, aber ich bin mir ganz sicher, dass sie dir verzeihen würde, egal was du getan hast. Wir alle machen mal Fehler und sagen in unserer Wut Dinge, die wir nicht so meinen. Sie weiß ganz bestimmt tief in ihrem Herzen, dass du sie aufrichtig liebst. Und wenn du jetzt durchhältst, wirst du sicher bald die Möglichkeit bekommen, es ihr selbst zu sagen. Du darfst dich nur nicht hängen lassen, okay?"
Ich hörte ein aufrichtiges Lächeln aus ihren Worten heraus. Die Überzeugung, mit der sie ihre Rede hervorbrachte, war beinahe bewundernswert, angesichts der aktuellen Situation dieser Frau. Izumi schien eine wahrhafte Optimistin zu sein.
Ein leises Schluchzen drang zu mir hinüber, woraufhin Izumi sofort wieder das Wort ergriff:
"Wenn du zu einem beliebigen Moment zurückkehren könntest, den du mit ihr zusammen verbracht hast, welcher wäre das?"
Mir war klar, was sie da im Begriff war zu versuchen und ich konnte nicht leugnen, dass sie ihre Sache gut machte. Mit ihrer offenen, aber auch beruhigenden Art schien sie die Patientin schnell auf andere Gedanken zu bringen - eine Fähigkeit, die sich auf der Krankenstation als durchaus nützlich erweisen könnte.
"Es ist schon eine Weile her. Wir waren damals zusammen bei einem..."
Ich stieß die Tür auf und die Worte der Frau erstarben, als ich den Raum betrat. Alle Blicke waren auf mich gerichtet, als ich routinemäßig an die Arbeit ging. Ich zog das Morphium aus der Ampulle und injizierte es in die bereits vorhandene Venenkanüle der Patientin, während ich ihre Reaktion aufmerksam beobachtete. Anschließend fügte ich die Elektrolytlösung dem Infusionsbeutel hinzu. Mein plötzliches Auftauchen hatte das Gespräch der beiden Frauen augenblicklich verstummen lassen. Doch ich bemerkte, wie Izumi ihr während meiner Arbeit zuversichtlich zunickte und dabei ihre Hand drückte.
"Wir müssen warten, bis Ann zurückkehrt", informierte ich Izumi, als ich fertig war. "Sie hat die Zahlenkombination für den Safe mit den stärkeren Antibiotika. Bis dahin kann ich nur versuchen, die Symptome einzudämmen."
"Dann werde ich sie holen gehen", bot sie sofort bereitwillig an.
Ich war zugegeben wenig überrascht von ihrer Initiative.
"Meinetwegen. Dann bleibe ich solange hier."
Es dauerte nicht lange, bis sie mit Ann im Schlepptau zurückkehrte. Auch, wenn sie ein wenig erholter wirkte, als noch am Morgen, schien sie nicht allzu begeistert von der Tatsache, dass man sie vorzeitig wieder hierher zitiert hatte.
"Ich wollte ihr Aminoglykoside oder Glycylcycline verabreichen, aber habe nichts Brauchbares gefunden", teilte ich ihr mit, als ich alleine mit ihr im Zimmer war.
"Das liegt daran, dass ich diese Sachen verschlossen halte. Ich setze sie nur ein, wenn es wirklich nötig ist."
"Meiner Ansicht nach ist das der Fall. Laut den Akten hat sie Breitband-Penicillin bekommen, doch ihr Körper scheint nicht darauf anzusprechen. Ihre Symptome deuten auf eine Infektion hin."
Ann nickte nachdenklich, während ich sie abwartend musterte.
Nach kurzer Bedenkzeit lief sie zum Tresor hinüber und beugte sich hinab, um die Zahlenkombination einzutippen, während sie das Tastenfeld mit der Hand abschirmte.
Natürlich würde Ann sie mir nicht gleich am ersten Tag aushändigen. Damit hatte ich schon fast gerechnet.
Als Ann das Medikament aus dem Safe entnommen hatte, reichte sie es mir.
"Danke", entgegnete ich, als ich es entgegenmahm. "Für die Zukunft wäre es sicher hilfreich, den Pin zu wissen."
"Du bekommst ihn, wenn ich sicher bin, dass ich dir vertrauen kann. Du hattest zugegeben keinen guten Start."
Ich seufzte leise auf. Scheint, als bräuchte ich nicht nur mit Izumi etwas Geduld. Vermutlich musste ich mich mehr ins Zeug legen, wenn ich das Vertrauen der beiden gewinnen wollte. Es fiel mir grundsätzlich nicht schwer, Menschen zu manipulieren, doch es war auch oft lästig, wenn man sich dabei verstellen musste. Andererseits war es auch eine willkommene Herausforderung, beinahe wie ein weiteres Spiel, das es zu gewinnen galt. Und bisher schien ich immerhin recht gute Karten zu haben.
Ann teilte mich mit Izumi in den anstehenden Nachtdienst ein, da sie heute selbst an einem Spiel teilnehmen würde. Nachtdienst bedeutete in dem Falle, dass wir uns erneut um die Verletzten aus den Spielen kümmern würden. Ich hoffte inständig, dass es diesmal etwas ruhiger werden würde, besonders weil Izumi bisher nicht einmal die grundlegendsten Dinge beherrschte, die für diesen Job nötig waren. Selbst, wenn es also weniger ernste Notfälle geben sollte, als am Vortag, würde es dennoch eine enorme Belastung darstellen, mit ihr als ärztlicher Assistentin Seite an Seite zu arbeiten, die mich zweifellos an die Grenzen meiner Geduld bringen würde. Ich hasste es, mit inkompetenten Menschen zusammenzuarbeiten. Das war vermutlich eines der wenigen Sachen, die mich wirklich aus der Haut fahren lassen konnten, wenn jemand es darauf anlegte. Allerdings konnte man ihr nicht mal einen Vorwurf machen, schließlich machte sie diese Arbeit erst seit einem Tag. Da wäre es wahrlich übertrieben, Wunder von ihr zu erwarten. Und in dieser Welt konnte man ohnehin nicht allzu wählerisch sein. Ich versuchte also stattdessen die Vorzüge zu sehen: die enge Zusammenarbeit mit ihr würde mich im Idealfall schneller an mein Ziel bringen.
"Du sollst vor der heutigen Versammlung nochmal zu Hatter kommen. Er möchte mit dir sprechen", informierte Ann mich, kurz nachdem sie uns am späten Nachmittag wieder aus dem Dienst entlassen wollte. Währenddessen war Izumi noch immer im Nebenzimmer beschäftigt, um weiterhin Seelsorgerin für die Patienten zu spielen.
Ich seufzte.
"Wird sicher ein nettes Gespräch."
"Das hast du dir selbst zuzuschreiben", war ihre schroffe Antwort. Doch ihre Züge enspannten sich diesmal schnell wieder: "Allerdings erkenne ich an, dass du Izumis Leben gerettet hast, egal aus welchen unerfindlichen Gründen du es letztendlich getan haben magst. Ich denke auch Hatter wird einsehen, dass es dumm von ihm wäre, dich dafür zum Tode zu verurteilen, besonders weil ich deine Hilfe hier gut gebrauchen kann. Ich habe getan, was ich konnte und ein gutes Wort für dich eingelegt. Ich denke, das hat ihn etwas milde gestimmt."
"Die Energie hättest du dir sparen können. Mit Hatter komme ich schon alleine klar", gab ich missbilligend zurück und wandte mich dann zum Gehen um.
Ich hörte wie Ann hinter mir aufstöhnte.
"Sicher, tu was du willst, aber sei spätestens 22 Uhr wieder hier. Ich verlasse mich auf euch beide."
Als Antwort hob ich meinen Arm zu einem Winken, bevor ich die Tür ins Schloss fallen ließ.
◇
Mein Klopfen gegen die schwere Holztür war kaum verklungen, da wurde sie bereits schwungvoll geöffnet. Das tätowierte Antlitz von Last Boss stand in der Tür und starrte mich aus leeren psychotischen Augen an.
Dieser Ort scheint wahrlich eine Brutstätte für verlorene Seelen zu sein.
"Hatter wollte mich sprechen. Hier bin ich", begrüßte ich den Glatzkopf, der noch immer, wie vom Blitz getroffen, im Türrahmen stand.
Er gab ein stockendes, markerschütterndes Geräusch von sich, das mir einen unerwarteten Schauer über den Rücken jagte. Es dauerte einige Sekunden bis mir klar wurde, dass er lachte. Wahnhaft riss er sie Augen auf.
"Schau an, es ist der Verräter", hauchte er mit einer Stimme, die so durchdringend war, dass sie wie das schrille Klirren zweier rostiger Katanas klang, die im Kampf aufeinander trafen.
Ich ignorierte seinen Kommentar und ging unmittelbar einen Schritt auf ihn zu, um mich an ihm vorbeizuschieben.
"Darf ich?"
Der Glatzkopf trat etwas irritiert beiseite. Offensichtlich war er es nicht gewohnt, dass jemand ihm mit Gleichmut, statt mit Furcht begegnete. Wie ein lautloser Schatten folgte er mir bis zu der ausladenden Treppe, die hinab in das spießige Wohnzimmer der Luxussuite führte. Dort blieb er abrupt stehen und nahm seinen üblichen Posten als Leibwächter ein.
Hatter stand vor der großen Fensterfront und schien bereits auf mich zu warten. Zu meiner Überraschung war er heute vollkommen allein. Keine einzige leicht bekleidete Frau war in Sichtweite oder hing als lebende Dekoration an seinem Arm. Das ließ vermuten, dass unser bevorstehendes Gespräch ernster sein würde. Seine gesamte Haltung wirkte heute kühler und distanzierter als sonst.
"Würdest du uns einen Augenblick alleine lassen?"
Er richtete diese Worte an Last Boss. Ich drehte mich um und beobachtete, wie dieser nickte und langsam zurück zur Tür trottete.
"Setzen wir uns doch." Er griff nach einem Whiskyglas auf der Anrichte und schaute dann fragend über seine dunklen Brillengläser hinweg, um zu mir zu sehen. "Drink?"
"Nicht nötig", sagte ich und ließ mich in den prunkvollen Sessel fallen, der tatsächlich bequemer war, als es den Anschein machte.
Hatter kam zu mir hinüber und platzierte sich unweit von mir auf dem Sofa, während er sein Whiskyglas mit den Eiswürfeln lässig hin und herschwenkte. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, stellte er das Glas vor sich auf dem Tisch ab und legte seine Sonnenbrille daneben ab. Mit ungewohnt ernster Miene sah er zu mir auf.
"Chishiya...", begann er mit einem schweren Seufzer. Fast unbewusst ließ ich meine Hände wieder in die Jackentaschen gleiten und lehnte mich zurück. Jetzt kam mit Sicherheit die Moralpredigt. "Ann hat mich ausführlich über die Geschehnisse der letzten Nacht unterrichtet. Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich etwas perplex war, als sie mir davon erzählte. Ausgerechnet Chishiya, ein enges und vertrauenswürdiges Ratsmitglied, sollte der gesuchte Verräter sein. Er würde mich niemals hintergehen, so dachte ich. Und ich hätte tatsächlich meine Hand für dich ins Feuer gelegt. Aber so kann man sich in Menschen täuschen, nicht wahr?"
Er sah mich beinahe erwartungsvoll an, gespannt, wie ich auf seine Frage reagieren würde.
Ich zuckte mit den Schultern und langte dann in die Schüssel mit den herzhaften Reiscrackern, die vor mir auf dem Tisch standen.
"Was willst du von mir hören? Eine Frau ist beinahe vor meinen Augen verblutet. Ich habe ihr das Leben gerettet, indem ich sie hierher brachte. Seit wann zählt sowas als Verbrechen?", fragte ich arglos und biss geräuschvoll in das Reisgebäck.
Hatter legte die Stirn in Falten.
"Ich hätte dich ehrlichgesagt nicht für so selbstlos gehalten, Chishiya. Vielleicht war meine Einschätzung diesbezüglich falsch, aber es geht hier auch weniger darum, dass du jemanden helfen wolltest, als darum, dass du versucht hast, es bis zum Schluss vor dem Beach geheimzuhalten, obwohl es mehrere Chancen gab dich zu stellen. Wenn ich mich recht entsinne, hast du sogar für deine eigene Begnadigung gestimmt."
"Und dennoch habe ich mich rechtzeitig gestellt, oder nicht?", konterte ich.
Hatter lehnte sich zurück und legte ein Bein auf seinem Knie ab, während er mich auf eine völlig andere Weise ansah, wie sonst. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass sich eine Spur Bewunderung in seinen Zügen wiederfand. Es dauerte bis er zu einer Antwort ansetzte.
"Du bist ziemlich schlau, Chishiya. Du weißt, dass ich mich gerade in einer Position befinde, in der ich dich nicht zur Rechenschaft ziehen kann. Natürlich könnte ich dich trotzdem hinrichten lassen, wenn mir danach wäre. Ich könnte die letzte Abstimmung aufgrund der Umstände als ungültig erklären lassen. Allerdings wäre es außerordentlich töricht von mir, wo du lebendig doch viel nützlicher für mich bist."
"Danke, ich fühle mich geschmeichelt", gab ich mit sarkastischem Unterton zurück.
Mein Kommentar entlockte Hatter ein trockenes Lachen.
"In den Spielen machst du dich hervorragend, vor allem bei den Karo-Attributen macht dir so schnell keiner etwas vor. Es wäre eine echte Schande dich als Beach-Mitglied zu verlieren und jetzt, wo du Ann in der Krankenstation unterstützt, bist du noch unentbehrlicher für unsere Gemeinschaft geworden. Vermutlich ist dir das bereits bewusst."
"Ich hatte so eine Ahnung", sagte ich und griff erneut in die Schale mit den Snacks. Dafür hatte es sich allemal gelohnt, herzukommen.
"Allerdings wirst du mir sicherlich auch Recht geben, dass mein Volk mir gegenüber loyal sein sollte. Ich muss vollstes Vertrauen in jeden Einzelnen im Beach haben, insbesondere in meine Ratsmitglieder. Du stehst doch nach wie vor auf meiner Seite, Chishiya?"
Hatters Gesicht hatte wieder einen ernsten Ausdruck angenommen. Seine durchdringenden Augen waren fest auf mich gerichtet. Er sprach es nicht aus, doch ich konnte die unterschwellige Warnung zwischen den Zeilen heraushören. Ich dachte unwillkürlich an die Spielkarten, die ich vorhatte, aus seiner Suite zu stehlen. Wenn alles so lief, wie ich es geplant hatte, würde Izumi das perfekte Ablenkungsmanöver sein, um mein Ziel zu erreichen. Ich würde ihm zumindest so lange treu bleiben, bis ich die Karten endlich in meinen Händen hielt.
Ich lächelte leicht.
"Natürlich", entgegnete ich. "Aus diesem Grund habe ich mich dem Beach angeschlossen. Damit wir die Karten sammeln und am Ende zurückkehren können."
Eine dreiste Lüge, doch mir war jedes Mittel recht, um Hatter von meiner angeblichen Loyalität zu überzeugen.
Erneut sah er mich schweigend an, als versuchte er, hinter meine wahren Absichten zu kommen.
"Das reicht mir nicht", sagte er und stand abrupt auf, nachdem fast eine geschlagene Minute vergangen war. Er legte seine Hände auf den Rücken und ging dann mit hastigen, beinahe aufgelösten Schritten auf und ab. "Ich brauche einen Beweis für deine Loyalität. Ich brauche Informationen. Informationen über den Militärtrupp. Ich bin mir sicher sie planen etwas. Etwas, das sich gegen mich richten wird. Sie geraten zunehmend außer Kontrolle, besonders Niragi. Dieser Kerl ist unberechenbar und beeinflusst Aguni, in eine Richtung, die mir nicht gefällt."
Eine interessante Wendung. Er hatte Angst. Ihm scheint endlich zu dämmern, was mir schon seit geraumer Zeit klar war: der Militärtrupp drohte aus dem Ruder zu laufen.
"Du willst also, dass ich sie beschatte?", schlussfolgerte ich.
"Ich will, dass du vor allem Niragi im Auge behältst. Mit Aguni an seiner Seite fühlt er sich jedem hier überlegen. Ich muss wissen, ob er etwas im Schilde führt. Jedes Detail, jede Information ist von Wert für mich, verstehst du? Ich kann es mir nicht leisten, dass sie sich gegen mich wenden. Das würde das Ende für den Beach bedeuten und vor allem für den Frieden, den wir uns hier mühsam aufgebaut haben."
Seine Worte ließen mich innerlich aufschnauben.
Er lässt Verräter ohne mit der Wimper zu zucken hinrichten und spricht von Frieden. Vermutlich war sein Frieden genauso viel wert, wie der vergangener Diktatoren aus der echten Welt - nämlich nichts.
"Gut, wenn das alles ist", sagte ich und erhob mich dann ebenfalls aus dem Sessel, jedoch nicht ohne mir ein letztes Mal einen Cracker aus der Schüssel zu angeln. "Ich werde versuchen, mich umzuhören und Niragi im Auge behalten."
Hatter blieb vor mir stehen und nickte zufrieden.
"Trete nur mit Mira in Kontakt, wenn es etwas zu berichten gibt. Ihr vertraue ich. Alles andere würde nur unnötig Verdacht schöpfen."
Ich hob skeptisch die Brauen.
Ausgerechnet ihr?
"Meinetwegen", sagte ich und konnte es kaum erwarten, die King Suite hinter mir zu lassen. Ich war bereits dabei mich zum Gehen abzuwenden, doch Hatters Stimme hielt mich zurück.
"Warte, ich habe noch etwas für dich" Ich beobachtete, wie er sich umdrehte und dann im Nebenzimmer verschwand, augenscheinlich das Schlafzimmer. Durch die angelehnte Tür beobachtete ich wie er einen Kleiderschrank öffnete und sich zu etwas hinabbeugte. Ein kurzes Piepen ertönte, gefolgt von einem leisen Klicken. Auch wenn ich nicht viel erkennen konnte, war ich mir sicher, dass er gerade einen Tresor geöffnet hatte.
Ist das der Ort, an dem er die Karten versteckt hielt? Falls ja, warum öffnet er den Tresor in meiner Anwesenheit?
Hatter war vielleicht nicht der Schlauste, aber er war auch nicht dumm. Er würde wohl kaum so leichtfertig das Versteck preisgeben, an dem er seinen größten Schatz aufbewahrte. In einer Welt, in der Karten fast so viel wert waren wie Gold oder Diamanten, würde er wohl einen strategisch besseren Ort für deren Aufbewahrung wählen.
"Hier", Hatter reichte mir etwas, nachdem er wieder zu mir zurückgekehrt war. Ich blickte auf den unscheinbaren Gegenstand in seiner Hand. Es war eine Spielkarte. Keine von denen, die es für gewöhnlich in den Spielen zu gewinnen gab.
Es war der Joker.
Zögerlich nahm ich sie entgegen, um sie eingehender zu betrachten. Das Bild in der Mitte zeigte ein breit grinsendes Katzengesicht. Darunter prangte in schwarzen Lettern die bekannte Kinderbuch-Zeile "We're all mad here!"
Stirnrunzelnd sah ich zu Hatter auf.
"Was soll ich damit?", fragte ich argwöhnisch.
"Das ist eine Freikarte. Zeigst du sie vor den Spielen bei der Auslosung vor, kannst du die Nummer frei wählen. Es gibt dir die Möglichkeit, Niragi auch dort zu beobachten, wenn es nötig ist."
"Würde es nicht irgendwann auffallen, wenn ich ständig mit ihm im gleichen Spiel bin?"
"Deshalb solltest du sie sparsam und vor allem weise einsetzen. Nur einige wenige Leute im Beach sind im Besitz einer solchen Karte. Ich vergebe sie nur, wenn ich es für nötig halte."
Ich nickte, weil mir so langsam klar wurde, wie Mira neulich rein zufällig in das gleiche Spiel wie ich geraten konnte. Ich war mir sicher, dass auch sie im Besitz einer solchen Joker-Karte war. So schloss sich der Kreis.
Ich wäre ein Idiot, wenn ich dieses Geschenk nicht annehmen würde. Es könnte sich sicherlich als nützlich erweisen, selbst zu bestimmen, in welches Team ich kam.
Das war also die Belohnung dafür, dass ich den Beach verraten hatte. Alles, was ich dafür tun musste, war es Niragi nachzuspionieren und Hatter Bericht zu erstatten. Das wäre doch gelacht.
Als ich Hatters Suite verlassen hatte, zog ich triumphierend die Karte aus meiner Tasche hervor und hielt das Bild mit der Grinsekatze siegessicher gegen das Licht, um sie zu betrachten. Diese Karte war beinahe wie die verdammte goldene Eintrittskarte in Willy Wonkas Schokoladenfabrik.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top