Chapter 3


Was hast du angerichtet? Sieh ihn dir an, w-was..."
"Komm runter, es kann sowieso nichts fühlen"
"Aber ich kann es! Was, wenn ich das gewesen wäre. Wenn... Wenn du mich so... so... verdammt. Was ist bloß in dich gefahren..."

Das JC500 Modell fror in seiner Bewegung ein, als die Erinnerung in seinem Rechner aufgerufen wurde. Eine simple Audio-Datei. Das Bild zu dieser war ein einziges Pixelgewirr. Winzige Quadrate in allen möglichen Grautönen, die vor seinen Augen hin und her tanzten. Vor lauter Irritierung musste sich sein System erstmal wieder neu sortieren.
"Alles in Ordnung?", ertönte hinter ihm eine warme Stimme. Ihr dunkler Ton war samtweich und einladend, ähnlich wie ein Daunenkissen. Es war die Stimme seines zweiten Besitzers.
"Danke der Nachfrage Sir. Alle Systeme laufen einwandfrei auf Hochtouren. Und wie geht es Ihnen?", kam die programmierte Antwort des Androiden. Derweil führte er mit geschmeidigen Bewegungen seine Aufgabe aus und faltete die Bettdecken mit hochgradiger Sorgfalt. Nicht die kleinste Falte oder Unebenheit war zu auf dem Endresultat sehen. Das JC-Modell drehte sich zu seinem Besitzer, mit einem strahlenden Grinsen, welches seine weichen Gesichtszüge menschlich wirken ließ.

Nach dem gestrigen Abend hatten Android und Meister kaum ein Wort gewechselt. Beide hatten sich selbst wieder gefangen, ehe sich Coby den Hausarbeiten und Joah seinem Gatten gewidmet hatten.

Joah lächelte ihn an, sein Gesicht hatte immer noch einen Hauch von Trauer in seinem immer-so-glücklichen Ausdruck. Würde er es nicht besser wissen, hätte er Coby ohne jeglichen Zweifel für einen Menschen gehalten. "Mir geht es gut Coby, danke der Nachfrage.", entgegnete der junge, hochgewachsene Mann mit dem auffälligen Haarschopf. Danach wagte er sich einen Schritt näher an den Androiden heran. Sein Blick ruhte innig auf dem Antlitz seines Gegenübers.
An Coby war alles perfekt. Schmales Gesicht, maronenbraune, liebenswürdige Augen und zu guter Letzt eine schmale Nase, die über seinen plumpen Lippen thronte. Beinahe vergaß Joah, was er sagen wollte.
"Mich interessiert eigentlich, wie es dir wirklich geht, und nicht ob dein System noch voll funktionsfähig ist.".

Verblüfft erhoben sich Cobys Augenbrauen in dessen Stirn.
Mir? Ich habe keine Gefühle, kein Empfinden. Irrationale Frage.
Joah war es nicht möglich, zu sehen, was in Coby vorging. Ihm war bewusst, dass ein Android darauf keine Antwort kannte. Sein Programm arbeitete gegen ihn. Er wusste es.
Doch eines konnte er erkennen. Ein kleines Detail, das nur wenige Herzschläge an der rechten Schläfe des Roboters aufflackerte. Der münzengroße LED-Ring, der als Indikator gedacht war, um Systemstörungen oder Ähnliches äußerlich sichtbar zu machen. Er flimmerte gelb statt blau. Derweil starrte Coby seinen Besitzer an, Zwiespalt ließ sein Lächeln gekünstelt aussehen. Künstlicher als jemals zuvor.

Etwas in dem Android untersagte seinen plastischen Stimmbändern, zu Widersprechen. Sein Mund stand offen. Seine Lippen bebten.
Antwort. Du fühlst nicht. Zu langes Zögern. Sprich.
"Wie meinen Sie das?", stieß er hervor. Zitternde Stimme. Der Mensch trat einen Schritt näher an ihn heran.
"Dein Programm sagt dir etwas Anderes, ich weiß. Denk darüber nach Coco. Du weißt, was ich von dir hören will. Die Antwort ist keine Ziffer, kein eingearbeiteter Code in deinem Programm. Die Antwort liegt tief in deinem Inneren.", führte Joah den Nonsens fort, der sich wie ein Spinnennetz in Cobys Kopf verworr. Er hielt seine Gedanken in feinen, klebrigen Fäden gefangen.
Die stechend grauen Augen seines Meisters bohrten sich in seine. Der Android spürte, wie sich sein kaltes, blaues Blut mit hoher Geschwindigkeit durch seinen Körper schlängelte. Die Lippen waren zu einem Spalt geöffnet. Bereit, zu reden. Seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen.

"Gibt es hier irgendein Problem mit unserer Blechbüchse, Jo?"
Eine zynische Stimme erschütterte den Raum wie das dumpfe Grollen eines Donners. Sofort verstummten Roboter und Blauschopf.

"Was starrt ihr mich so an? Elektroschrott, zurück an die Arbeit oder es setzt was! Das Bad putzt sich nicht von allein.", er zischte wie eine Giftschlange. Beide, Coby und Joah, wichen zurück. Getroffen von seinem Gift. Der Android senkte unterwürfig den Kopf und schlüpfte an dem Choleriker vorbei aus dem Raum. Joahs wehmütiger Blick folgte ihm, bis er außer Sichtweite war. Mit Herzrasen und Sorgekribbeln im Bauch wendete er sich seinem Partner zu. Zwei kräftige, raue Hände schmiegten sich an Joahs Wangen. Brad stand unmittelbar vor ihm. Sein schmieriges Schmunzeln weckte ein tief verankertes Gefühl von Unbehagen in Joah auf. Ein Gefühl, das Schwindel auslöste. Einen Fluchtinstinkt, dem er niemals folgen konnte.

"Jo, wann verstehst du endlich, dass er nur unser Spielzeug ist? Er hat keine Seele.", tadelte er seinen Partner mit rauchigem Ton. Er stank nach billigem Whiskey. Nach der Kneipe. Dort, wohin er sich immer zurückzog, bevor er viel zu spät nach Hause kam. Zu spät, zu betrunken, zu heißblütig.
Joah starrte ihm in die Augen. Seine Lippen verließ nicht der kleinste Laut. "Schau mich doch bitte nicht so an, als hätte ich gerade jemanden umgebracht.", schmollte der Angetrunkene. Joahs Gesicht hielt er weiterhin in seinen widerlichen Pranken. Das Lächeln seinerseits wusste Joah nie recht zu deuten. Nicht ehrlich. Nicht freundlich. Irgendwie unnatürlich, gleichzeitig aber nicht gefälscht.
"War irgendwas, als ich weg-".

Joah lehnte sich nach vorne und setzte einen kalten Kuss auf Brads Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Letzterer begann zu Grinsen und als Joah sich wieder zurückziehen wollte, sorgte er für das Gegenteil. Der Dunkelhaarige krallte seine Finger in seinen Kiefer und hielt ihn an Ort und Stelle, wobei er den Kuss vor lauter Gier vertiefte. Der Blauhaarige ließ alles über sich ergehen. Als Brads glitschige Zunge in seine Mundhöhle eindrang, erwiderte er. Als Brad ihn näher zu sich zog, legte er seine Hände auf dessen Brust ab.
Als Brad ihn rückwärts auf das Bett schob, ließ er sich widerstandslos darauf fallen.

Eine halbe Stunde später war das JC500 Modell dabei, das Abendessen für seine Meister vorzubereiten. Die bizarren, ächzenden Geräusche, die sein Audioprozessor vor wenigen Minuten aus dem Schlafzimmer vernommen hatten, verdrängte er. Er versuchte es so gut er konnte, doch die wimmernden Ausrufe Joahs konnte er nicht überhören. Auch das Kopfkino in seiner Vorstellung ließ den mechanischen Jungen nicht kalt. Doch sich einzumischen wäre falsch. Und nicht seine Aufgabe. Er musste funktionieren, weiter nicht. Außerdem war das Stöhnen mit der Zeit sowieso verstummt.

Mit einem schwermütigen Seufzen gab Coby dem Herd den Befehl: "System herunterfahren.", ehe er sich dem Verräumen des Geschirrs widmete.
"Schrotthaufen, wie weit bist du mit dem Essen?", grollte Brad, der gerade aus dem Schlafzimmer kam. Die schmalen Lippen des Mannes waren leicht geschwollen, seine Haare schweißgetränkt. Die Schnalle seines unverschlossenen Gürtels klirrte mit jedem Schritt.
Coby wusste nicht wieso er das so wahrnahm, aber die Stimme seines Masters klang in seinen Audioprozessoren wie die eines Unwesens. Eines Dämons aus den tiefsten Abgründen der Hölle.
"Ihr könnt sofort mit dem Abendessen beginnen, Master.", antwortete Coby wie auf Knopfdruck.
"Ich hoffe, Ihnen gefällt die zubereitete Mahlzeit. Ich hatte eigentlich etwas Anderes geplant, jedoch waren keine-", Cobys Stimme versagte mitten im Satz, als er den heißen Atem in seinem Nacken spürte. In seinem Inneren regte sich etwas.

Es ergab keinen Sinn, doch sein Herz pumpte schneller als normal und seine Gliedmaßen waren bewegungsunfähig. Plötzlich wurde Coby gewaltsam vom Herd weggezogen und an die nächstbeste Zimmerwand gedrängt. Sein Rücken kam dabei mit einem dumpfen Knall an der Wand auf und brachte den Androiden zum Wimmern. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Zwei Augen glotzten ihn aus einer widerlichen Fratze an, ihr Blick stechend und hemmungslos. Brad hatte den zierlichen Roboter gegen die Wand gestoßen und pinnte diesen nun an seinen Schultern an Ort und Stelle.
"Du bist es gar nicht mehr gewohnt, dass man dich so behandelt, oder?", raunte der breitschultrige Typ mit seiner kratzigen Stimme, als hätte jemand seine Stimmbänder mit Sandpapier bearbeitet. Seine Hände rutschten derweil zu Cobys Hintern, wo er ordentlich zupackte. Ein verängstigtes Zittern durchströmte den Androiden in wellenartigen Schüben.
"Zeit, dich wieder auf Trapp zu bringen."

Nicht wehren. Befriedige deinen Meister. Vollführe deine Aufgabe.
Die Befehle seines Systems begannen für Coby immer abstrakter und absurder zu werden, denn ihm war sehr wohl bewusst, was geschehen würde. Ihm war bewusst, dass er in Gefahr war. In Lebensgefahr. Und er fürchtete sich. Diese lähmende Furcht, die er gar nicht verspüren dürfte.
Du bist kein Mensch. Du sollst funktionieren, nicht fühlen.
"Hast du Angst?  Muss ich dich wieder zurücksetzen lassen? Du hast aus dem letzten Mal den nicht gelernt, huh?"
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich eine von Brads Pranken in Cobys Haaren vergriffen und zwang den Androiden dazu, ihm in die Augen zu sehen. Auf einmal begannen Tränen an Cobys Wangen hinunterzuströmen und aus dem leisen Wimmern wurde ein verwirrtes Schluchzen. Eine Erinnerung wurde in seiner Festplatte aufgerufen.
Abermals eine Audio-Datei mit fehlendem Bild.

"Brad, lass deine Finger von ihm! Er weint verdammt nochmal!"
"Das ist doch ein schlechter Witz, Joah. Er ist ein Android und dazu geschaffen, uns zu dienen. Ich bestimme, wann genug ist und wann nicht. Und ich bin noch lange nicht fertig."

"Hör auf zu glotzen und gib mir endlich Antwort!", der Schrei seines Meisters riss ihn zurück in die Realität.
"I-ich habe keine Angst, bitte ersetzen Sie mich nicht, i-ch k-kann, ich.... b-bitte...", winselte Coby. Seine Stimme war gesteuert von Panik, sein gesamter Körper bebte und verkrampfte sich unter den Berührungen seines Meisters.
"Ihr Androiden seid nicht lebendig, wann wollt ihr es endlich einsehen? Ihr seid zum Arbeiten geschaffen, nicht um einen eigenen Willen zu entwickeln. Nur, weil ein paar von euch plötzlich meinen, sie wären auch Lebewesen. Das ist nur ein beschissener Virus. Du bist nichts Wert und das wirst du auch nie sein. Du bist bloß ein Sklave der Menschen.", spottete Brad mit herablassenden Ton, während seine Hände zu Cobys Unterkörper rutschten. "Weißt du, der einzige Grund warum du das hier hast", Brad packte den Schritt des Kleineren mit Gewalt, "ist, um dich zu unserem Spielzeug zu machen. Du bist eins der einzigen Dienstleistungsmodelle, dass auch einen Schwanz und einen Arsch hat. Das ist der einzige Grund, aus welchem  ich gerade dich ausgesucht habe. Deine Aufgaben sind Putzen, Aufräumen, Kochen und dich vögeln lassen. Ist das in deinem Speicher angekommen?".

Coby nickte hastig und verkniff sich ein weiteres Schluchzen. Er fühlte sich, als würde er gleich platzen. Er fühlte. Das Hämmern seines künstlichen Herzens und dieser unerträgliche Druck in seiner Brust - es brachte ihn um seinen künstlichen Verstand. Er musste ausbrechen aus seinem System, um dagegenzuhandeln. Er wusste, wie riskant es war. Er wusste, dass er zerstört werden würde. Das konnte er nicht geschehen lassen, wenn er überleben wollte. Ihm wurde verweigert, sich zu bewegen. Seine Programmierung verbot ihm, sich zu wehren und seinen Meister aufzuhalten, als dieser an seiner Hose herumzerrte. Das ist nicht fair. Nicht fair. Du kannst das nicht zulassen.

"Nein", flüsterte seine heisere Stimme.
"Was hast du gerade gesagt?".
"Nein!", schrie Coby, als er den gut gebauten Kerl mit aller Kraft von sich stieß und somit die Barriere, die sein System um ihn gebaut hatte, durchbrach. Er fühlte sich plötzlich so frei, es gab nichts mehr, dass sein Handeln einschränkte. Dutzende Gefühle brachen auf ihn herein und er konnte nun ungehindert weinen und somit die Angst herauslassen.

Jedoch war für Freude keine Zeit, denn Brad kam direkt auf ihn zugestürmt und schleuderte ihn erbarmungslos auf den Boden. Cobys Hinterkropf knallte auf den kalten Fliesen auf und seine Komponenten alarmierten mit lähmenden Stromschlägen sein System, um ihn auf den Schaden aufmerksam zu machen. Es ähnelte dem Schmerz, den Menschen bei Verletzung fühlen. Ein wenig seines blauen Bluts tropfte aus der beschädigten Schädelplatte. Coby ächzte vor Schmerzen und drehte sich auf die Seite. Versuchte, sich wieder aufzurappeln und scheiterte dabei kläglich. Das Warnsystem seiner Festplatte dröhnte in seinem Schädel und er spürte Tritte gegen seinen Brustkorb. Vor seinen Augen tanzten Pixel hin und her und seine Sicht entglitt ihm mehr und mehr. Er erkannte gerade noch so, wie eine Person die Schlafzimmertür aufschlug und in vollkommener Rage hereinstürmte.

"Brad, lass deine scheiß Finger von ihm! Reicht es dir verdammt nochmal nicht, dass du mich schon benutzt hast?", mischte sich Joah ein und wollte Coby zu Hilfe eilen, landete stattdessen neben diesem auf dem Boden. Brad thronte über ihm, sein Gesicht vor Zorn dunkelrot.

"Ich hab dir doch bereits eingetrichtert, dass ich tun und lassen kann, was ich will.", entgegnete der Choleriker, als er den Oberkörper seines Partner am Kragen wieder einen Meter vom Boden anhob. Joahs Hände umschlossen Brads Handgelenke und er versuchte kläglich sich zu befreien. Coby ergriff die Möglichkeit und versuchte, sich ein weiteres Mal aufzurappeln, als eine neue Erinnerung ihn versteinern ließ.

Dieses Mal war es eine Video-Datei. Ton und Bild funktionierten beide einwandfrei.
Zu sehen war Joah, der unmittelbar vor ihm stand. Der weiche Blick in seinen grauen Augen auf Cobys Lippen gerichtet und seine Hände zärtlich an dessen Seiten gelegt. "Hat er dich verletzt? Coco, wir können jederzeit abhauen. Zusammen könnten wir ihn überwältigen.".
"Nein, er würde uns zerstören.", widersprach Coby. Angst führte seine Stimme. Joahs Augen wurden glasig, als seine Handflächen sich an Cobys Wangen schmiegten. Er lehnte sich nach vorne, seine Stirn stützte er an die des Braunhaarigen. Coby fühlte sich lebendig, wie ein Mensch. Nein, er fühlte sich wie viel mehr als das.

Danach brach die Datei ab, ohne weitere Erklärung. Coby durchströmte die Trauer, die er in diesem Moment gefühlt hatte und gleichzeitig eine überwältigende Zuneigung und Zuversicht. Das abstrakte Empfinden zusammen mit den ganzen Systemfehlern, die durch seinen Kopf sausten, raubten ihm auch noch den letzten Rest seiner Kraft und er sackte abermals zusammen. Könnte er in Ohnmacht fallen, wäre das nun der Fall gewesen. Stattdessen konnte er nur warten, bis sich sein System irgendwann selbst abschalten würde.

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