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Yoongi ist erleichtert, als er Hoseoks Worte hört. "Aber eigentlich ist das doch gut. Es ist besser für Jimin, wenn er wieder nach Hause geht", antwortet er recht knapp, nachdem Hoseok das Thema nochmal aufgegriffen hat. Obwohl in seinem Kopf schon wieder zu viele Gedanken wild umherfliegen, versucht er sich auf das Gespräch einzulassen. Nicht zuletzt, weil er sich dadurch erhofft, ein bisschen Ordnung in sein Gedankenchaos zu bringen zu können. Hoseok nickt, kaut nachdenklich auf seinen Fingernägeln rum und antwortet erst, als er anscheinend die passenden Worte gefunden hat. "Ich hoffe, dass du Recht behältst, Yoongs. Denn ganz ehrlich? Ich glaube, dass er zu Hause nicht gut aufgehoben ist. Du hättest ihn gestern mal sehen sollen. Es hat mich einiges an Überredungskunst gekostet, bis er zugestimmt hat, wieder zu seinen Eltern zu gehen."
"Glaubst du, dass sie ihm was angetan haben?", platzt es aus Yoongi raus, denn anders kann er sich nicht erklären, warum ein junger Mensch vor Erreichen seines zwanzigsten Lebensjahres so fertig mit der Welt und sich selbst ist. Seine Worte über die Dunkelheit hallen in seinem Kopf wider. Wirklich, er ist sich ziemlich sicher, dass da etwas vorgefallen ist. Warum sonst sollte jemand die eisige Februarkälte seinem Zuhause bevorzugen? Und sogar einen Suizid in Kauf nehmen wollen?
"Ne, glaub ich nicht. Er hat nur erzählt, dass sein Vater streng ist. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass Jimin Angst vor ihm hat. Und seine Mutter ist auch nicht so ein schlechter Mensch, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Er meinte nämlich, dass sie sich sicher furchtbare Sorgen macht. Da ist noch irgendwas anderes."
Yoongi müsste just in diesem Moment erleichtert sein. Ist er aber nicht. Lausige oder gewalttätige Eltern wären ein guter Grund, weshalb Jimin sich so verhält. Da dies allerdings nicht der Fall zu sein scheint, muss Yoongi weiter über ihn nachdenken, bis er ihn verstanden hat. Und ehrlich gesagt, könnte er darauf gut verzichten. Aber dadurch fühlt er sich wenigstens in einem Punkt leichter. Er muss Jimin nicht mehr unbedingt retten, wenn er zu Hause seine Eltern hat. Die können sich um ihn kümmern und er kann endlich Abstand von ihm gewinnen. Es war sowieso total naiv, zu glauben, dass er Jimin beistehen kann. Wie soll das gehen, wenn er sich selbst nicht mal zu helfen weiß? Seine Eltern werden ihn viel besser unterstützen können, als Yoongi es jemals könnte. Das ist gut, denn dann muss er nicht mehr jede freie Sekunde über den jungen Mann nachdenken. Er darf loslassen.
Yoongi merkt, dass die Last auf seinen Schultern im Laufe des Tages immer weniger schwer wiegt. Der Arbeitstag vergeht einigermaßen ruhig, auch die Kopfschmerzen sind nicht so penetrant wie die letzten Tage. Das ist ein gutes Zeichen. Hoseok ist schon lange wieder zu Hause und endlich kann Yoongi ebenfalls Feierabend machen. Auch wenn er nicht so erschöpft ist, wie gestern, etwas Ruhe kann er immer vertragen. Sogar das Abrechnen der Kasse, ohne Gedanken an einen potentiellen Diebstahl zu hegen, fällt ihm leichter als sonst. Doch, man kann schon sagen, dass heute ein guter Tag gewesen ist. Sicher wird es dann auch wieder einfacher mit seiner Mutter sein, immerhin ist es meistens unproblematischer, wenn er entspannt ist. Es ist beinahe so, als würde sie ihn und seine Gefühlslage spiegeln. Was er da dann manchmal sieht, ist erschreckend, aber gleichzeitig auch verdammt ehrlich. Zumindest hat er diesmal Aussicht auf einen entspannten Abend. Zum Glück.
Wie immer dreht Yoongi das Schild auf die ‚Closed' Seite um, schließt die Ladentür ab und fischt eine Kippe aus seiner Zigarettenschachtel. Er schaut dem blauen Rauch kurz hinterher, verliert sich dabei, wie sooft in seinen Gedanken, als eine Stimme ihn schlagartig wieder in die Realität holt.
Als er begreift, von wem die Stimme ausgeht schnellt sein Puls so rasant in die Höhe, dass ihm kurz etwas schlecht wird.
"Was willst du denn hier?", fragt er den jungen Mann vor sich, aber dieser scheint nicht in der Lage zu sein antworten zu können. Jimin schaut zu ihm, wendet seinen Blick wieder ab und spielt nervös am Ärmel seines Pullis rum. Er erkennt, dass der andere etwas in der Hand hat, kann es aber nicht zuordnen, weil der zu lange Ärmel den Gegenstand fast vollständig verdeckt. Yoongi seufzt. "Sag, was du willst, oder zieh Leine." Kurz erschreckt er sich vor seiner eigenen harschen Stimme. Meinte seine Mutter das damit, als die sagte, er sei seinem Vater ähnlich? Wenn ja, ist er wirklich kein Stück dankbar für diese Gene. Denn eigentlich will er nur, dass Jimin nicht so verloren vor ihm steht, sondern einen Grund für sein Auftauchen liefert. Vor allem jetzt, nachdem er gedanklich mit ihm abgeschlossen hat. Stattdessen sieht er, wie der Jüngere in sich zusammensackt, ihn ängstlich anschaut und überfordert von der Situation auf der Innenseite seiner Wange zu knabbern beginnt. Ehrlich ist eben nicht immer unbedingt hilfreich. Vor allem dann nicht, wenn es um die Gefühle anderer geht. Yoongi sollte dringend lernen, wenigstens in solchen Fällen, eine Notlüge zustande zu kriegen. Irgendwas in der Richtung, dass er sich freut, ihn zu sehen oder sowas. Das, was andere eben auch können.
"Entschuldige", kommen zaghaft die ersten Silben über Jimins Lippen, "Ich... wollte nur... ich wollte dir was geben. Weil ich Danke sagen wollte. Und weil ich mich entschuldigen wollte. Ich bin sofort wieder weg und du musst das auch gar nicht annehmen, es ist, glaube ich sowieso total blöd. Vergiss es einfach." Jimin dreht Yoongi den Rücken zu und scheint wieder gehen zu wollen. Großartig, Yoongi. Als wäre der andere nicht so schon verunsichert genug.
"Warte", schafft er zu sagen und tatsächlich bleibt Jimin an Ort und Stelle stehen. Er dreht sich ein kleines Stück wieder in seine Richtung, doch es reicht aus, damit sie sich in die Augen sehen können. Und was Yoongi da sieht, zieht ihn schon wieder auf den Grund des Ozeans. Er will nicht nochmal in Jimins vielen Emotionen ertrinken. Seine Lunge schmerzt vom letzten Mal noch. Oder ist es gar nicht seine Lunge, sondern vielmehr sein Herz, das sich gerade zusammenzieht und diesen elendigen Schmerz verursacht?
"Ich wollt dich nicht so anmotzen, sorry", murmelt Yoongi, während er den letzten Zug seiner Zigarette macht und den Kippenstummel auf den Boden fallen lässt. Jimin weiß nicht, was für eine Überwindung es für jemanden wie Yoongi ist, solche Worte zu sagen und sie auch noch ehrlich zu meinen. Dennoch scheinen sie genau dort anzukommen, wo Yoongi es beabsichtigt hat. Jimin dreht sich ein kleines Stück weiter in Yoongis Richtung, bis sie sich wieder gegenüberstehen. Nur zaghaft drückt Jimin ihm den kleinen, unförmigen Gegenstand in die Hand. Sein Blick richtet sich dabei wieder zu Boden. Yoongi vermutet, weil er sich schämt. In einem Punkt ist er sich jetzt aber sicher. Er muss unbedingt wissen, was sich unter dem hässlichen Geschenkpapier verbirgt.
Vorsichtig nimmt er Jimins Geschenk an, dreht es einige Male und beäugt es aufmerksam. Er hat keine Ahnung, was es sein könnte, und reißt das bunte Papier ungalant offen. Er staunt nicht schlecht, als er wenig später ein Kaleidoskop in den Händen hält. Jetzt ist er es, der einen unsicheren Blick zu seinem Gegenüber wirft. Er muss seine Frage nicht aussprechen, Jimin beantwortet sie ihm, ohne dass er sie stellt. "Ich muss die ganze Zeit an den Abend vor dem Kaleidoskop denken und ich hab mit Hoseok darüber gesprochen. Er hat mir erzählt, dass du oft vor dem Buchladen stehst und an deine Kindheit zurückdenkst. Er meinte, dass du als Kind mal eins hattest, keine Ahnung, ob das stimmt, aber du sollst ihm sowas in der Richtung mal erzählt haben. Eigentlich fand ich die Idee ganz süß. Zumindest bis gerade eben, denn jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob die Idee besonders toll war. Wenn es dir nicht gefällt, dann musst du das natürlich nicht behalten. Ich wollte nur irgendwie Danke sagen, dass du mich von einem riesigen Fehler bewahrt hast. Ich will gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn du mich in dem Moment nicht zurückgezogen hättest. Naja, auf jeden Fall. Danke, Yoongi. Und entschuldige, dass ich... so ausgerastet bin. Ich hoffe, dass... ich wollte dich nicht schlagen. Tut mir leid. Und entschuldige, dass du dann wegen mir so'n Stress mit der Arbeit hattest."
Jimin muss eine völlig neue Spezies sein, die nur entfernt vom Menschen abstammt, denn er muss nicht ein einziges Mal Luft holen, während er sein Geschenk rechtfertigt. Oder Yoongi hat einfach nicht mitbekommen, dass er zwischendurch atmet. Es würde ihn nicht wundern, denn soeben ist er von den vielen Worten völlig geplättet und schafft es nicht, darauf etwas zu erwidern. Jimin deutet sein Schweigen als kein sonderlich gutes Zeichen, denn das schmale Lächeln, dass sich auf sein Gesicht geschlichen hat, verschwindet mit jeder Sekunde mehr und weicht stattdessen einem traurigen Ausdruck seiner Augen.
"Es ist doch blöd. Tut mir leid. Das Problem ist nur, ich kenne dich ja gar nicht, und ich wusste nicht, was dir gefallen könnte. Schokolade oder Blumen sind wohl eher nicht so deins. Also nicht, dass ich dich irgendwie vorverurteilen will, aber ich schätze dich einfach nicht so ein. Und außerdem sollte es ja auch irgendwie was Besonderes sein. Nicht so'n Standardding."
"Meine Fresse", entkommt es mit einem anschließenden Seufzen Yoongis Kehle, als der nächste Redeschwall auf ihn einprasselt, "Mach doch mal nen Punkt. Ich hab nicht gesagt, dass es mir nicht gefällt. Du... du redest nur verdammt viel, ok?" Es ist Yoongis kläglicher Versuch, sich zu entschuldigen, und wieder klingt es mehr wie ein Vorwurf. Was kann er eigentlich? Nicht mal Danke sagen kann er. Er rechnet damit, dass Jimin sich nun erst recht angegriffen wühlt, aber stattdessen schleicht sich ein Grinsen auf seine Lippen. "Es gefällt dir wirklich?"
Was ist bei diesem Kerl eigentlich falsch gelaufen? Jeder andere hätte sich jetzt zumindest mal pikiert, wenn nicht sogar Schlimmeres. Jimin dagegen lächelt nicht nur mit seinem Mund, sondern mit jeder Zelle seines Körpers. Geht das überhaupt? Yoongi bezweifelt das, obwohl der eindeutige Beweis vor ihm steht.
"Ja doch. Es gefällt mir. Ich fand die immer schon interessant. Aber... Jimin. Ich... kann mich trotzdem nicht um dich kümmern. Also nicht, weil ich nicht will, versteh das bitte nicht falsch. Aber du musst alleine klar kommen. Ich hoffe, das ist kein Versuch, mich zu überreden oder sowas. Ich kann dir nicht helfen. Aus verschiedenen Gründen, ok?" Ob seine Worte diesmal richtig gewählt sind? Er hat sich wirklich Mühe gegeben, damit sie so ankommen, wie sie sollen. Er findet, es ist ihm gelungen. Und trotzdem scheinen sie ihre Wirkung zu verfehlen.
Wie traurig kann ein einzelner Mensch eigentlich gucken? Ehrlich, diese dunklen Augen, die von den Straßenlaternen angeleuchtet werden und es unverkennbar machen, wie feucht sie bereits sind, raubt Yoongi den Atem. Es tut ihm selbst weh, wenn er diesen Schmerz in den Augen des anderen sieht, fast so, als könne er ihn genauso spüren. Das ist verrückt. Yoongi hat sowas noch nie erlebt. Nicht einmal bei seiner eigenen Mutter.
"Ich weiß. Bitte glaub mir, dass es wirklich nur ein Dankeschön sein sollte. Aber ich habe schon verstanden. Ich weiß, dass ich eine Last für andere bin. Und ich möchte dich wirklich nicht länger mit meinen Problemen vollquatschen. Ich bin dir unendlich dankbar für alles, was du bis jetzt für mich getan hast."
Jimins betrübte Stimme vermischt sich mit der kalten Luft und beim besten Willen weiß Yoongi nicht, was ihn mehr erschaudern lässt. Wahrscheinlich Jimin, denn kaum dreht er sich mit einem resignierten Lächeln von ihm weg, tauchen diese elendigen Lungen-Herz-Irgendwas-Schmerzen wieder auf.
Yoongi hasst diesen Anblick. Er kann die Dunkelheit, von der Jimin immerzu redet, förmlich sehen. Sie umgibt den jungen Mann wie eine bedrohliche Aura. Was, wenn es ihm doch genauso beschissen geht sie diesem Jeongguk und seine Eltern das nicht sehen? Was, wenn er der einzige ist, der es sehen kann? Er kann nicht zulassen, dass Jimin von den dunklen Schatten begleitet durch die Kälte läuft. Er traut ihm nicht und diesen Schatten erst recht nicht. Was, wenn er sich wieder etwas antun will? Die Wahrscheinlichkeit, dass Yoongi erneut zur gleichen Zeit am gleichen Ort ist, ist so verschwindend gering, dass selbst der größte Optimist daran Zweifel bekäme. Er will nicht, dass bald Jimins Name in den Nachrichten auftaucht. Er muss verhindern, dass er so endet.
"Jimin, warte. Ich will dir was zeigen."
"Äh, was?", antwortet Jimin sichtlich irritiert. Er hat nicht mit dieser Aufforderung gerechnet, das sieht man. Dass er trotzdem ein paar Schritte auf Yoongi zugeht, rechnet er ihm hoch an. Verdammt, es sieht ja beinahe niedlich aus, mit welcher kindlichen Neugier der andere ihn gerade anstarrt. Dabei hat er sonst nichts für sowas übrig.
"Ich kenn da einen Ort. Ich glaube einfach, dass er dir eventuell gefallen könnte."
Und obwohl Yoongi nichts Sonstiges verrät, nickt Jimin eifrig und folgt ihm genauso brav, wie er es gestern schon getan hat. Hoffentlich hat er dennoch verstanden, dass er den richtigen Weg nicht weiß, und er Jimin nicht auf den richtigen Pfad führen kann, sondern ihn nur auf einen der vielen Umwege mitnimmt, die einem vom eigentlichen Ziel nur weiter entfernen.
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