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∞ Taehyung ∞
Die Ärzte und Psychotherapeuten hier sind wirklich nett, anders kann ich es nicht sagen. Sie haben mir den ersten Tag einfach Zeit gegeben, in Ruhe anzukommen und die Wirkung der Beruhigungsmittel allmählich auszuschleichen zu lassen. Ich bin ziemlich fertig gewesen und eigentlich bin ich es immer noch. Aber zumindest haben die Medikamente mich kurzzeitig beruhigt.
Ich frage mich, wie sie so professionell damit umgehen können, dass ich einfach immer wieder anfange zu weinen, aber was erwarte ich auch? Das hier ist eine Akutstation für junge Erwachsene mit psychischen Problemen. Ich bin bestimmt nicht der erste, der versucht hat, sich das Leben zu nehmen.
Eigentlich kann ich von Glück reden, dass Jimin mich noch rechtzeitig gefunden hat. Vor allem, wenn man bedenkt, dass er grade selbst einiges zu verarbeiten hat und es ihm selbst nicht so gut geht.
Aber ich denke mal, dass es jetzt besser werden wird. Ich hab es Jimin versprochen, deshalb versuche ich alles, damit ich schnell wieder auf die Beine komme. Immerhin bin ich hier in guten Händen und mit einem so guten Freund wie Jimin an meiner Seite werde ich es bestimmt schaffen.
Das einzige, was mir gerade ernsthafte Sorgen bereitet, ist mein seltsamer Zimmernachbar. Unser erstes Aufeinandertreffen war nicht besonders gut und ich habe, um ehrlich zu sein, Angst mit ihm alleine im Zimmer zu sein. Ich kenne den Grund seines Aufenthaltes nicht und ich weiß auch nicht, wie lange er schon hier ist, aber er scheint bei allen Mitarbeitern hier schon bekannt zu sein.
Dafür scheint sein Freund wirklich okay zu sein. Er hat mich am ersten Tag etwas in Schutz genommen, bevor ich heulend geflüchtet bin. Ich kann echt von Glück sprechen, dass er gerade in dem Moment zu Besuch kam. Auch wenn ich mich seit dem unentwegt frage, weshalb die beiden Freunde sind, denn auch mit Jungkook, so der Name von Yoongis Freund, ist er aneinander geraten. Ich bin ziemlich schockiert gewesen, als ich vorgestern ins Zimmer gegangen bin und gesehen habe, wie die beiden sich fast geprügelt hätten. Und das nur, weil Yoongi neue Zigaretten haben wollte. Ich kann es immer noch nicht begreifen, wie man wegen sowas eine Freundschaft auf's Spiel setzen kann.
Jungkook scheint solche Ausraster aber schon gewohnt zu sein, denn so locker, wie er damit umgegangen ist, ist echt bewundernswert. Aber vielleicht steht Yoongi grade selbst nur ziemlich neben sich, so wie ich auch. Ich bin grade auch nicht der, der ich sonst bin. Vielleicht sollte ich meinem angsteinflößendem Zimmernachbarn einfach etwas Zeit geben und ihn nicht von Anfang an verurteilen, sondern abwarten.
Heute habe ich das erste Mal Therapie und ich habe mich echt gefreut, als ich gesehen habe, dass ich unter Anderem Musik- und Bewegungstherapie habe. Ich kann mir darunter noch nicht wirklich viel vorstellen, vor allem weil es eine Gruppentherapie ist, aber ich denke, ich hätte es wirklich schlechter treffen können.
Sie haben mir erklärt, dass neben Einzelgesprächen eben auch immer wieder Gruppentherapien auf dem Plan stehen, weil sie sehr gute Erfolge erzielt haben mit dieser Kombination.
Die Medikamente, die ich jetzt zu Anfang täglich nehmen muss, dämpfen mich ziemlich, aber ich bin froh, dass ich auch auf diese Art Unterstützung bekomme. Wie gesagt, ich bin ziemlich am Ende gewesen und um jede Hilfe dankbar. Vor allem, weil dadurch der ganze Schmerz nicht mehr so mächtig auf mir lastet. Leider hab ich das Gefühl, dass dadurch auch alles andere gedämpft wird.
Aber etwas Freude empfinde ich schon, als ich den abseits gelegenen Musikraum betrete und in der Ecke ein wunderschönes, schwarzes Klavier entdecken kann. Sie üben, schon seit ich denken kann, eine wahnsinnige Faszination auf mich aus, auch wenn ich selbst nie wirklich gespielt habe.
Ich schrecke auf, als der Therapeut, ein junger, zugewandter Mann, meinen Namen sagt. Beinahe hätte ich vergessen, weshalb ich hier bin, doch nun ruhen alle Blicke auf mir. Ich setze mich schleunigst auf einen der freien Stühle und nuschel ein leises "Hallo", bevor die anderen ihre Blicke zum Glück wieder abwenden.
Als ich den Therapeuten ein weiteres Mal etwas sagen höre, richte ich meine Aufmerksamkeit auf ihn, jedoch nicht bevor ich mich nochmal im Raum umsehe.
Ich wundere mich etwas, weil ich dachte, dass Yoongi auch hier sein würde, zumindest stand die Musiktherapie jetzt auch auf seinem Plan, aber erkennen kann ich ihn hier nicht. Es sitzen fünf weitere junge Menschen hier, aber von meinem Zimmergenossen ist keine Spur.
Der Therapeut stellt mich kurz vor, ehe er den Ablauf kurz schildert. Er sagt, dass es wichtig ist, auf ein Ziel hinzuarbeiten, daher hat er etwas ausgearbeitet, von dem er hofft, dass wir uns mit dem Ziel identifizieren können.
Allerdings scheinen die Wenigsten sich so darüber zu freuen, wie ich, da fast alle genervt stöhnen.
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Der Abend ist bereits schon lange angebrochen und ich liege immer noch im Bett und kann nicht schlafen. So wie die letzten Nächte auch schon. Tagsüber geht es mittlerweile ganz gut, doch sobald es abends ruhig ist, fangen meine Gedanken wieder an zu kreisen, deswegen beschließe ich, einen der Pfleger zu fragen, ob sie mir etwas zum einschlafen geben können.
Dr. Kim, nebenbei bemerkt ein wirklich sehr netter und kompetent wirkender, älterer Mann, hat mir direkt in unserer ersten Sitzung gesagt, dass es normal ist, wenn man am Anfang Schlafprobleme hat und ich mich dann melden soll.
Natürlich probiere ich es erst ohne Medikamente, doch wie auch schon die beiden Abende zuvor, klappt es nicht. Also mache ich mich notgedrungen auf den Weg zum Stütztpunkt. Beim Verlassen des Zimmers fällt mir auf, dass Yoongi mal wieder nicht da ist. Er liegt tagsüber die meiste Zeit im Bett und ich habe recht schnell bemerkt, dass er nicht besonders kooperativ ist, was seine Behandlung angeht. Ich habe ihn bei keiner der Gruppentherapien angetroffen, obwohl sich unser Plan nicht so stark voneinander unterscheidet. Vielleicht ist auch einfach das der Grund, weshalb er hier so bekannt ist.
Dafür ist er meistens abends weg, keine Ahnung, wo er dann ist, aber ich denke mal, dass er dann draußen ist, um eine zu rauchen. Das ist, bis auf ein paar wenige Ausnahmen, der einzige Grund, weshalb er das Zimmer mal verlässt. Und ich frage mich, was genau er hat, dass die Therapie bei ihm so gar nicht anzuschlagen scheint. Immerhin haben die es bei mir auch relativ schnell geschafft, dass es mir besser geht.
Schleichend mache ich also auf den Weg, meine medikamentöse Einschlafhilfe abzuholen, doch erst mal treffe ich niemanden in dem Stützpunkt an. Daher warte ich einen Moment und schaue mich um. Was bleibt mir sonst auch übrig?
Die Station ist abends übrigens muksmäuschenstill, weil die meisten von dem straffen Tagesprogramm müde sind oder sich, so wie in meinem Fall, Hilfe holen können, wenn sie nicht einschlafen können. Oder dauerhaft so sediert werden, dass sie eh mehr schlafen, als alles andere. Außerdem gibt es hier ziemlich strenge Regeln, was die Nachtruhe betrifft.
Umso verwunderter bin ich, als ich auf einmal ein leises Klimpern in der Ferne hören kann.
Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich sagen, dass jemand gerade etwas auf dem Klavier im Musikraum spielt. Aber der ist abends abgeschlossen und der Zutritt ist außerhalb der Therapiezeiten verboten.
Ich hoffe nur, dass ich grade nicht anfange irgendwelche akustischen Halluzinationen zu entwickeln.
Weil der Stützpunkt gerade sowieso nicht besetzt ist und mich die Neugier über die Herkunft der Geräusche packt,
gehe ich den langen Flur weiter entlang, um zum Musikzimmer zu gelangen.
Und es stimmt, je näher ich komme, desto lauter kann ich die klimpernde Töne hören. Ich schließe die Augen und lausche einen Moment den sanften Klängen. Wer auch immer da spielt, er scheint wirklich ein gewisses Talent dafür zu haben, denn es ist wirklich atemberaubend schön, was er spielt.
Sanfte Klänge, langsam aufbauend, bis sie immer lauter werden und mit einem Male wieder verstummen. Ich kann nur noch einzelne, leiseste Töne vernehmen und denke gerade, dass das Lied nun vorbei ist, doch da erklingt das Piano ein weiteres Mal, jedoch lauter als zuvor.
Ich weiß nicht, was es ist, doch diese Melodie hat etwas fesselndes, sie klingt sanft und verzweifelt zugleich. Ich merke gar nicht, wie mit die Tränen kommen und spüre es erst, als ich den salzigen Geschmack auf meinen Lippen schmecke.
Als die Musik schließlich komplett verstummt, fasse ich den Entschluss, endlich nachzusehen, wer eine solche atemberaubende Melodie spielt.
Ich öffne die Tür, die bis jetzt nur leicht angelent war, und stocke im selben Moment. Am Piano sitzt mein Zimmernachbar Yoongi. Ich kann nicht glauben, dass er wirklich dazu in der Lage ist, sowas zu spielen, aber bislang habe ich auch noch nicht wirklich viel mit ihm zu tun gehabt.
"Das war unglaublich schön", sage ich leise, als ich das Musikzimmer betrete und hinter mir die Tür zuziehe.
Ich wundere mich, wie er es geschafft hat, hier rein zu kommen, doch lange kann ich mich mit der Frage nicht auseinander setzen, da Yoongis Stimme erklingt. Er dreht sich nicht zu mir um, aber trotzdem scheint ihn meine Anwesenheit zu stören. "Verpiss dich hier", raunt er mit bedrohlich entgegen und kurz überlege ich, ob es vielleicht wirklich gesünder für mich ist, direkt wieder umzudrehen.
Aber die Melodie geht mir nicht mehr aus dem Kopf und zu gerne würde ich sie ein weiteres Mal hören.
"Ich störe dich auch nicht, aber bitte Spiel das Lied nochmal", traue ich mich schließlich zu sagen und hoffe einfach, dass ich ihn damit nicht herausfordere, nun auf mich los zu gehen.
Ich habe die letzten Tage bereits mit dem ein oder anderen hier auf Station gesprochen und schnell erfahren, dass sie alle Angst vor Yoongi haben und ihm, so gut es geht, aus dem Weg gehen.
Was soll ich sagen? Ich habe immer schon die dumme Angewohnheit gehabt, mich für die kaputtesten Leute zu interessieren. Keine Ahnung, ob das der Nervenkitzel ist, der mich dann reizt, aber irgendwas lässt mich immer wieder denselben Fehler machen. Ich spüre, dass mein Herz schneller schlägt, meine Hände schwitzig werden und meine Sinne sich verschärfen. Meine Kehle füglt sich mit einem Male staubtrocken an, als Yoongi aufsteht.
"Na schön. Setz dich", sagt er entgegen meiner Erwartung ruhig und ich traue meinen Ohren zunächst nicht. Er hat seit der ersten Begegnung kein einziges Wort mehr zu mir gesagt und jetzt wirkt er beinahe freundlich.
Und irgendwie macht mir das noch mehr Angst, als wenn er rumschreien würde.
"Dann halt nicht", fügt er hinzu, als von mir keine Reaktion kommt, weil ich immer noch nicht sicher bin, was ich davon halten soll. "W-warte", sage ich eilig, ehe ich die letzten Meter zwischen uns überwinde und mich auf der, in dunklem Holz gehaltene und schwarzem Bezug bestückten, Klavierbank niederlasse.
Yoongi lässt sich ebenfalls wieder darauf nieder, würdigt mich jedoch keines Blickes, sondern starrt ununterbrochen auf die Klaviertasten, auf denen seine dünnen Finger liegen.
"Ich brings dir bei", sagt er noch, bevor seine Finger auch schon gekonnt über die Tasten gleiten und die Melodie ein weiteres Mal im abgelegenen Musikzimmer erklingt.
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Neue Sicht auf die Dinge :D
1830 W
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