Montag, 11.12.23
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Der Tag fängt viel zu früh und richtig beschissen an. Min-jun ist gegen 3 Uhr nachts zu mir ins Bett gekrabbelt, weil er Bauchschmerzen hatte. Tee, Wärmflasche und mit Papa zusammen im Bett liegen haben zwar geholfen, und er ist wieder eingeschlafen, aber dafür liege ich seitdem wach. Die Frage, ob ich ihn so überhaupt in den Kindergarten bringen kann, beschäftigt mich so sehr, dass ans Schlafen nicht mal zu denken ist. Ich versuche Notfallpläne aufzustellen, falls es nicht gleich besser ist. Aber eine richtige Lösung will mir nicht einfallen. Mein Chef hat kein Verständnis dafür, dass Kinder öfters mal krank werden.
Ich hoffe inständig, dass Min-juns Bauchschmerzen genauso plötzlich verschwinden, wie sie aufgetaucht sind, denn sonst hab ich echt ein Problem.
Gegen 6 Uhr quäle ich mich aus dem Bett, möglichst leise, damit ich Min-jun nicht wecke. Ich mache mich schon mal fertig, merke dabei jedoch, dass ich total neben mir stehe. Das ist echt kein guter Start in den Tag...
Später wecke ich meinen Sohn vorsichtig und frage, wie es ihm geht. Er sagt, dass es besser ist, aber ich glaube nicht, dass es wieder richtig gut ist. Minnie will mir sicherlich keine Schwierigkeiten machen und sagt deswegen, dass es schon geht und er in den Kindergarten möchte. Wieder habe ich ein gigantisches schlechtes Gewissen. Mir ist nicht wohl dabei, ihn so in die KiTa zu bringen, aber was bleibt mir anderes übrig? Ich kann nicht riskieren, den Job zu verlieren. Und da mein Chef noch nie Verständnis dafür gehabt hat, wird eine Krankmeldung sicher Konsequenzen haben.
Ich merke, dass Minnie noch nicht wieder richtig fit ist, auch wenn er versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Aber Fakt ist: sooo richtig krank ist er nicht. Zumindest nicht krank genug, um ihn Zuhause zu lassen. Aber auch nicht richtig gesund. Diese Bauchschmerzen, die oft einfach aus heiterem Himmel kommen ohne ersichtlichen Grund, sind einfach furchtbar. In solchen Momenten wünschte ich mir, dass mir jemand die Entscheidung abnimmt oder mir sagen könnte, was richtig und falsch ist. Kindergarten: Ja oder Nein.
Ich überlege die ganze Zeit hin und her, entscheide mich dann aber schweren Herzens dafür, ihn doch in den Kindergarten zu schicken und arbeiten zu gehen.
Vor dem Kindergarten angekommen, ist mir zum Heulen zumute. Jimin ist wie immer als erstes da und nimmt uns in Empfang. Ich ringe mit mir, ob ich ihm stecken soll, dass Min-jun heute Nacht Bauchweh hatte. Wenn er uns dann aber nach Hause schickt, muss ich mich doch krankmelden. Verdammt! Das Risiko kann ich nicht eingehen. Darum verschweige ich es dem freundlichen Erzieher auch.
Die Jugendmannschaft hat am Samstag ihr Punktspiel gewonnen. Wir Großen haben dafür am Sonntag haushoch verloren. Allerdings gegen die Favoriten, und wir haben es ihnen nicht leicht gemacht. Entsprechend platt bin ich heute Morgen, als ich zur Arbeit antrete.
Min-jun scheint es nicht viel besser zu gehen. Er hängt ziemlich in den Seilen. Erst nach einer ganzen Weile kann ich ihm den Grund entlocken. Er hat Bauchschmerzen. Er hat seinem Vater aber nichts gesagt, weil er dem keine Sorgen machen wollte.
Was mach ich denn jetzt? Wenn ich den Vater zurückpfeife, kriegt er bestimmt Ärger.
Ich wechsele mit der Kollegin im Ruhezimmer und lasse den Jungen unterm Sternenzelt liegen und sich ausruhen. Min-jun scheint mir für die Ruhe dankbar zu sein und schläft bald ein. Immer, wenn er wach ist, lasse ich ihn viel trinken von dem 'Zaubertee' aus Kamillentee mit Apfelsaft, den Youna uns bringt. Das scheint ihm zu reichen.
Aber wenn er nicht richtig krank ist, was ist es dann? Naja, vielleicht muss er einfach mal runterkommen.
Der Ruheraum ist nicht sehr groß, aber es gibt immer, vor allem nach einem Wochenende, Kinder, die sich hier am liebsten aufhalten. Am Tisch wird gepuzzelt, gewebt, gemalt. Auf Wunsch lese ich auch mal ein Bilderbuch vor. Ein Mädchen liebt es, stundenlang den Fischen im Aquarium zuzusehen. Ansonsten ist unterm Sternenzelt nur das Wasserplätschern zu hören.
Gegen Mittag kommt Min-jun endlich hervorgekrabbelt. Er sieht erholt aus und fängt an zu malen. Bevor wir zum Mittagessen gehen, zeigt und erklärt er mir sein Bild.
"Wir hatten ganz viel Besuch am Wochenende. Miryo war da und ein ganz schrecklicher Dinosaurier. Und Taetae lernt Achiteck. Er hat in meinem Zimmer eine ganz große Höhle gebaut. Da haben wir alle reingepasst.
Alles klar. Min-jun musste die vielen Eindrücke vom Wochenende verarbeiten.
Mit viel Liebe erkenne ich eine aufgespannte Decke, unter der zwei Männer, eine Frau, ein Kind und ein Tyrannosaurus sitzen.
"Das sieht ja wirklich gemütlich aus. Das hat euer Architekt richtig gut gemacht. Wollen wir dann zum Mittagessen gehen? Gefährliche Dinos haben immer einen großen Dino-Hunger. Wenn er sich sattessen kann, dann frisst er vielleicht nicht uns auf."
Kichernd flitzt Min-jun voraus zur Küche und hilft beim Tischdecken.
Durch meine Unentschlossenheit heute morgen, bin ich ein paar Minuten später zur Arbeit losgefahren. Das bereue ich jetzt. Es sind zwar nur sechs Minuten, aber das reicht, um in der Hauptverkehrszeit im stockenden Verkehr und teilweise sogar richtigem Stau zu stehen. Was ein paar Minuten für Auswirkungen hat, ist wirklich erschreckend. Wenn das so weitergeht, werde ich nicht mehr pünktlich kommen. Und das gerade heute!
Es bringt aber alles nichts. Eine Zeit lang geht es weder vor noch zurück. Als ich endlich auf dem Parkplatz anhalte, bin ich schon fünf Minuten zu spät. Ich hetze in den Laden, um den Schaden möglichst gering zu halten. Mein Kollege begrüßt mich und teilt mir mit, dass der Chef mich sehen will. Mir wird plötzlich heiß und kalt. Hoffentlich gibt es keine Abmahnung.
Ich bringe noch meine Jacke weg, bevor ich mich auf den Weg ins Büro des Chefs mache. Er brüllt sofort los, was mir einfallen würde, ausgerechnet zur Weihnachtszeit zu spät zu kommen. Ich komme nicht zu Wort, schaffe es nicht mal, den Namen meines Sohnes auszusprechen, ehe er weiter brüllt. Ich solle mal überlegen, ob mir der Job wichtig ist, dass ich lernen sollte, mich an Regeln zu halten und so weiter. Das meiste kriege ich gar nicht mehr mit, weil ich so darauf konzentriert bin, ruhig zu bleiben. Dieses Arschloch hat nicht die geringste Vorstellung davon, was es heißt, 24 Stunden am Tag Verantwortung tragen zu müssen, einen Sohn alleine großzuziehen und neben der Arbeit noch hundert andere Dinge zu erledigen.
Ich hasse diesen Job. Wenn es nicht so schwierig wäre, einen neuen zu finden, würde ich lieber heute als morgen kündigen.
Und weil der Tag noch nicht beschissen genug ist, kommen heute andauernd irgendwelche gestressten Nörgler zu mir, die sich darüber beschweren, kein angemessenes Weihnachtsoutfit zu finden oder die mir sagen, dass es eine Frechheit ist, wie lange sie an der Kasse warten müssen.
Warum benehmen sich so viele Menschen so daneben?
Mein absolutes Highlight ist jedoch eine gestresste Mutter mittleren Alters, die mit ihrem pubertären Sohn auf mich zukommt und von mir verlangt, ein passendes Outfit für ihren Sohn zu finden.
"Mamaaaaa. Ich hab doch ein Jackett mit Hose. Warum n..."
Wie immer hört MaMaAaAa mir überhaupt nicht zu sondern quatscht einfach los.
"Pass auf, mein Sohn. Noch ein Mux, und du hast Ausgangssperre und Besuchsverbot für den Rest des Jahres. Wir sind zur offiziellen Weihnachtsfeier im Ministerium deines Vaters eingeladen, und du wirst einen Smoking tragen. Du wirst lächeln. Du wirst deine Rolex zeigen. Du wirst erzählen, auf welcher tollen Schule du bist. In welchem Wagen DEIN Chauffeur dich täglich dort hinfährt. Dass wir in der Schweiz Urlaub machen. Du wirst funktionieren. Haben wir uns verstanden?"
Ich liiieeebe Zwickmühlen. Erst darf ich keinen Mux mehr sagen, dann soll ich antworten. Guess what? That doesn't work, Muuuuum.
Ich nicke ergeben und übe schon mal zu lächeln.
"Gut. Wenn wir diese Diskussion jetzt endlich beendet haben, können wir uns ja der Suche nach deinem Smoking widmen. Ach, ich gäbe was drum, wenn wir in Seoul einkaufen könnten. Aber dein Vater besteht ja darauf, dass wir den örtlichen Einzelhandel seines Wahlkreises unterstützen."
Ich halte unter Aufbietung aller meiner Kräfte den Mund. Es steht zu viel auf dem Spiel.
Mama! Gehts noch lauter? Du bist peinlich!!!
Endgame abgeturned latsche ich hinter meiner Mutter her, die wie eine Furie durch die Reihen von Anzügen hetzt, um einen Verkäufer zu finden. Den beneide ich jetzt schon. Nicht. Und schon geht ihr einer in die Falle.
Poor guy. Zieh dich warm an und schnall dein Nervenkostüm um, das wirst du gleich brauchen.
Ich lächele den Mann an.
Ich soll ja üben.
"Guten Tag, der Herr. Mein Sohn braucht einen exquisiten Smoking für die Christmas-Gala im Innenministerium. Was können Sie uns dafür empfehlen?"
Uuuuuund da ist sie wieder - die Grand Dame. Der Typ ist nicht sehr groß, meine Mutter ist trotz Absätzen noch kleiner. Aber ihre Haltung und ihr Tonfall verfehlen wie immer ihre Wirkung nicht. Sie scheint über ihm zu schweben. Er schrumpft zusammen auf Hobbitgröße vor lauter 'Vorfreude auf ein schnelles, unkompliziertes Verkaufsgespräch'.
Ich lächele.
Ich soll ja üben.
Christmas-Gala im Innenministerium? Das wird ja immer besser. Ich glaube kaum, dass dieser Laden etwas hergibt, das ihren Vorstellungen entspricht. Sowieso frage ich mich, wieso sie mit ihrem Sohn nicht in eines der überteuerten Luxuskaufhäuser geht. Da würde sie mit Sicherheit etwas finden, das ihrem Geschmack entspricht.
Ich will sie schon wegschicken, als ich über die möglichen Konsequenzen nachdenke. Nochmal beim Chef antanzen, und das, wo er mich heute eh auf dem Kieker hat, kann ich mir nicht erlauben. Also setze ich ein Lächeln auf, das mir wahrscheinlich niemand abkauft. Passt aber, denn das Lächeln des pubertären Jungen scheint genauso künstlich zu sein wie die Fingernägel seiner Mutter.
"Haben Sie denn schon eine Vorstellung davon, welche Farbe oder Schnitt es werden soll?", frage ich die Dame, die daraufhin nur schnauft, als hätte ich sie gerade persönlich beleidigt. Wieso bekomme ich immer diese ekelhaften Kunden ab? Miryo würde ihr wahrscheinlich irgendwas andrehen, ohne auch nur einmal zu zögern.
Mein Blick fällt auf den Sohn. Er ist nicht so schmal gebaut, wie es in seinem Alter üblich ist. Wahrscheinlich darf er drei Mal die Woche zum Krafttraining. Aber das macht es etwas leichter. In der Größe gibt es etwas mehr Auswahl.
Das Problem ist die Mutter. Irgendwie muss ich die loswerden.
"Wenn Sie gestatten, würde ich ihrem Sohn ein paar Anzüge vorstellen. Sie können sich gerne in der Zeit ein bisschen umschauen."
Der Junge zeigt eine Regung. Sein künstliches Lächeln weicht einem ehrlichen. Der Arme wird genauso die Nase voll haben von ihr wie ich.
Autsch! Ganz falsche Frage. Ein Smoking ist ein Smoking und schwarz. Punkt.
Ich muss meine Mutter nicht ansehen, um zu wissen, was jetzt gleich kommt. Today we fight.
'Wenn Sie gestatten ...' Okay, so schlecht stellt er sich gar nicht an. Aber um diese Karen loszuwerden, muss er schon mehr auffahren. Los, Junge. Lass deine innere Bitch von der Leine! Kann ich noch was für ihn tun - außer, brav mitzuspielen?
Ich schaue mich kurz um. Hinter der Herrenabteilung kommen die Damen. Und dann gleich der Schmuck.
Hatte sie vorhin nicht gesagt, ich bräuchte dann auch noch eine neue Krawattennadel?
Meine herzallerliebste Frau Mutter holt tief Luft, um dem Mann sein 'welcher Schnitt soll es denn sein?' zurück in den Hals zu stopfen. Da zuppele ich am Ärmel von ihrem Pelzmantel. Genervt dreht sie sich zu mir um.
"Was ist denn?? Du könntest auch etwas mehr Energie aufbringen, damit wir heute noch hier rauskommen. Wir brauchen neben dem Anzug noch Schuhe und die Kraw..."
Ich lächele.
Ich soll ja üben.
Und setze alles auf eine Karte. Mit einer höflichen Geste deute ich auf die Schmuckabteilung. Mama stutzt - und macht uns einen fetten Strich durch die Rechnung.
"Nicht so eilig, mein Freundchen. Schön eins nach dem anderen."
Der Verkäufer hat really ein gut sitzendes Pokerface. Nice - und zu beneiden. Aber I guess, er scheint eine Idee zu haben.
Ein verdammt harter Brocken, diese Frau. Aber ich hab schon eine Idee. Ich tue einfach so, als besäße ich Miryos überzeugendes Verkaufstalent. "Was halten Sie davon, wenn ich mit ihrem Sohn schon mal eine Vorauswahl treffe. Sie könnten die Zeit nutzen, um die eine schöne Krawatte und Nadel herauszusuchen. Sie hätten dadurch viel Zeit gespart, denn die meisten Smokings werden eh nicht auf Anhieb passen und damit sollten Sie ihre wertvolle Zeit wirklich nicht verschwenden."
Ein Glück. Die Dame ist zwar skeptisch, stimmt aber meinem Vorschlag mit einem theatralischen Seufzen schließlich zu. Ihr Sohn sieht mindestens genauso erleichtert aus, wie ich mich fühle.
"Also", sage ich zu ihm, als seine Mutter außer Sichtweite ist, "du hast darauf keinen Bock und ich auch nicht. Lass es uns schnell hinter uns bringen bitte."
Yes yes yes! Der Typ ist korrekt.
Ich grinse ihn breit an und folge ihm in eine ziemlich schwarze Ecke. Also - die Waren natürlich. Nicht die Ecke. Er wirft mir irgendein Jackett zu.
"Steig rein, dann wissen wir deine Größe."
Dubble-Yes. Er hat sich total verschätzt. Ich brauche zwei Nummern größer, als er dachte.
Jetzt wirds ernst, denn ich sehe auf einen Blick, dass Mama das ALLES als billig bezeichnen wird. Aber der Verkäufer zieht wirklich nur die ganz teuren Teile von den Ständern. Er drückt mir drei Smokings in die Hand, zwei ganz ordentliche Hosen dazu, eilt zu einem Schränkchen und holt eine Fusselbürste.
So beladen begeben wir uns zur Umkleide.
"Probier bitte schon die Hosen an und denk über die Smokings nach. Ich bin kurz im Lager."
Weg isser. LOL. Shopping war noch nie so funny.
Gehorsam ziehe ich meine Chunky Sneaker aus - und erstarre.
Mist! Ein fettes Loch in der Socke.
Ich steige in beide Hosen. Die eine passt besser, die andere sieht schicker aus. Sofort ziehe ich die Chunkys wieder an. Dann die Smokings. Nach reiflicher Analyse weiß ich, welches mir am besten gefällt, weil es meinen Gym-Body gut zur Geltung bringt. Ich ziehe es an ohne Weste. Mit Weste.
It fit's!
Ich lächele.
Ganz von alleine.
Sadly I know my mothers choice too. Aber dieses ... DING ziehe ich nur über meine Leiche an. Und wenn sie ausflippt.
Der Verkäufer kommt zurück mit zwei Kleiderhüllen über dem Arm. Er macht sie auf - und ich weiß, ich bin gerettet.
Keine Ahnung, warum so ein Opa-Schuppen so ein fetziges Teil im Lager versteckt. Wahrscheinlich, um die Opas nicht zu erschrecken.
Ich breche mein Selbstversprechen, heute keinen Mux mehr zu sagen.
"Endg... Oh. Entschuldigen Sie bitte. Das ..."
"Ist so ziemlich genau das, was ich denken werde, wenn deine Mutter erstmal da zur Tür raus ist. Ziehs an."
"Logo. Äh ... ich bräuchte noch diese Hose in der Größe. Gibts das?"
Er eilt wieder davon, während ich Weste und Smoking wechsele. Mein Verbündeter reicht mir die richtige Hose durch den Vorhang an. Schnell wieder in die Schuhe.
Da höre ich draußen meine Mutter.
"Wo ist mein Sohn? Ist er da drin? Hoffentlich haben Sie die richtige Wahl getroffen. Der Junge hat absolut keinen Geschmack."
Hmmm. Du mich auch. Wehe, du kaufst mir dieses nice Teil nicht!
"Hier. Geben Sie ihm dieses Hemd, diese Krawatte, die Socken. Dann kann ich ausprobieren, welche Nadel besser passt."
Socken! Mütterlein, that's magic. Blamage erspart.
"Sehr gerne, meine Dame."
Wieder erscheint die Hand des Verkäufers, so dass ich mein Outfit vervollständigen kann. Diesmal natürlich ohne die Chunkys. Dafür kommt jetzt höchst professionell die Fusselbürste zum Einsatz.
Und jetzt, Mutter. Wenn du nicht willst, dass du eiskalt gecancled wirst, dann sagst du sofort ohne weiteres Nörgeln ja.
Ich zupfe die Krawatte zurecht, streiche meine Haare glatt, mache einen Schritt vor die Umkleidekabine und bewege mich elegant zum Spiegel, wie sie es gerne hätte. Würde ich beten, dann würde ich jetzt beten.
Ich bin extrem angespannt, als der Teenie aus der Umkleide kommt. Seine Mutter beäugt ihn, zupft hier und da mal an ihm herum und wirkt nicht sehr begeistert.
"Naja. Nicht unbedingt das, was ich mir vorgestellt habe, aber ich befürchte, etwas besseres werden wir hier nicht finden."
Das ist ein Ja, oder? Kein begeistertes Ja, aber das könnte mir egaler nicht sein. Der junge Mann wirft mir einen dankbaren Blick zu, ehe er wieder in der Umkleide verschwindet. Für mich das Zeichen, dass ich endlich gehen kann. Job erledigt.
Dieses furchtbare Weib lässt mich gehen, sodass ich mich wieder meiner Arbeit widmen kann und zu meinem Glück kommt danach niemand mehr, der meine Nerven so stark strapaziert.
Mir bleibt sogar erspart, nochmal beim Chef antanzen zu müssen. Er muss zu irgendeinem Online- Meeting, teilt mir einer meiner Kollegen mit.
Dadurch kann ich sogar halbwegs pünktlich den Laden verlassen und meinen Sohn abholen.
Wie es ihm wohl geht?
Kaum sitze ich im Auto, schalte ich wieder auf 'Vater-Modus' um. Die Gedanken kreisen, meine Sorge wird mit jedem gefahrenen Kilometer größer. Als ich auf die Hauptstraße abbiege, muss ich direkt eine Vollbremsung machen, um meinem Vordermann nicht aufzufahren. Mein Herz schlägt mir jetzt erst recht bis zum Hals.
Ich atme durch, sage mir, dass alles gut gegangen ist und ich mich jetzt wieder auf den Verkehr konzentrieren sollte. Nur leider gibt es ein paar hundert Meter weiter nicht mehr viel, auf das ich mich konzentrieren könnte, denn die Autos vor mir bewegen sich keinen Millimeter weiter.
Was ist los?
Nach fünf Minuten habe ich die Befürchtung, dass es hier so schnell nicht weitergehen wird. Die ersten Autos drehen mitten auf der Straße, um einen anderen Weg zu nehmen. Für mich ist das allerdings keine Option, denn alle Strecken, die ich sonst nehmen könnte, sind ein riesiger Umweg von mindestens einer halben Stunde. Dann warte ich lieber hier, bis es weitergeht.
Es muss ein ziemlich heftiger Unfall gewesen sein, denn auch zwanzig Minuten später habe ich mich höchstens zwei Autolängen nach vorne bewegt. So ein Mist! Wenn die da gerade eine Vollsperrung aufgestellt haben, sollten sie das den Autofahrern irgendwie mitteilen. Denn gerade weiß niemand so wirklich, wie und wann es weitergeht.
Min-jun. Ich muss zu meinem Sohn. Was soll ich denn jetzt machen? Der Kindergarten hat schon seit einigen Minuten offiziell geschlossen und es sieht noch nicht so aus, als würde sich der Stau hier bald auflösen.
Scheiße, Scheiße, Scheiße.
Schnell greife ich nach meinem Handy und rufe im Kindergarten an. Ich habe panische Angst, dass sie Min-jun irgendwann einfach raus schicken, auch wenn sie das bis jetzt nie gemacht haben. Ich hoffe so sehr, dass Jimin noch da ist und er nicht sauer sein wird.
Es tutet nur ein Mal, dann meldet sich sofort der Anrufbeantworter. Fuck! Ich lege auf, denn was bringt es mir, wenn ich auf den AB spreche? Gar nichts.
Es vergehen weitere drei Minuten. Die Zeit arbeitet gegen mich. Und diese Vollsperrung auch. Langsam werde ich wirklich nervös. Und ich überlege sogar, ob ich das Auto nicht einfach stehen lasse und den Rest zu Fuß gehe. Aber das kann ich nicht bringen. Es würde nur weitere Unfälle provozieren. Wenn ich allerdings drehe und auf den nächstbesten Parkplatz fahre, könnte ich es da stehen lassen. Wenn ich mich beeile, bin ich in zwanzig Minuten...
Ein Klingeln reißt mich aus meinem panischen Gedankenkarussel. Mein Handy. Unbekannte Nummer. Ich gehe ran und höre, dass es Jimin ist. Im ersten Moment fällt mir ein Stein vom Herzen. Dann meldet sich die Panik zurück.
"Entschuldigen Sie bitte vielmals. Ich stehe im Stau. Hier ist irgendwo ein Unfall. Ich komme nicht weg. Ich weiß, dass ich zu spät bin. Es tut mir so Leid. Ich tue was ich kann. Bitte... Es tut mir wirklich Leid."
Der Nachmittag vergeht schnell, denn es regnet nicht. Also gehen wir natürlich raus. Die verbliebenen Kinder flitzen und klettern und spielen Fangen. Inhyuk und Min-jun sitzen auf ihrem Lieblingsplatz, ganz oben auf dem Kletterturm. Sie reden und erzählen miteinander. Da freue ich mich richtig drüber. Gegen 15.30 Uhr scheuchen wir alle Kinder wieder rein, weil die meisten bald abgeholt werden.
Am Schluss sitzen wie immer Min-jun und ich im Bauzimmer auf dem Teppich. Er sortiert Autos, ich denke nach, mache mir ein paar Notizen. Die Zeit scheint sich zu verlangsamen, und das tut uns beiden gut.
Irgendwann sehe ich dann doch zur Uhr und wundere mich. So spät ist Herr Min noch nie gekommen. Er ist svhon eine Viertelstunde fällig.
Hoffentlich ist da nichts passiert.
"Min-jun? Hast du Durst? Dann hole ich uns noch ein bisschen Zaubertee."
Der Junge nickt geistesabwesend, und ich mache mich auf die Socken. Auf dem Weg zur Küche höre ich im Büro den AB klicken. Aber es spricht niemand drauf. Ich schaue trotzdem mal nach der Nummer.
Mein Verdacht bestätigt sich. Diese Nummer ist in der Notfallakte für Herrn Min hinterlegt. Schnell rufe ich zurück. Er steht in einem fetten Stau hinter einem Unfall auf der Landstraße und deshalb entsprechend unter Strom. Er entschuldigt sich tausend mal, bis ich schließlich zu Wort komme.
"Bitte, Herr Min. Beruhigen Sie sich. Ich habe Zeit, und ich habe Freude daran. Fahren Sie bitte vorsichtig, damit Sie nicht auch noch im Graben landen. Damit wäre niemand gedient. ... Ja, ich meine das so. Es ist egal, wie lange das noch dauert. Ihrem Sohn geht es gut. ... Ja. ... Bis nachher."
Ich hole den Rest vom Zaubertee aus der Küche und gehe zurück ins Bauzimmer.
"Minnie? Dein Vater steht im Stau und weiß nicht, wie lange es noch dauert. Du musst dir aber keine Gedanken machen. Gibt es etwas, was du jetzt gerne spielen würdest?"
Ein bisschen zittert der Junge, sagt aber nichts. Er steht wortlos auf und holt sein Lieblingsbilderbuch. Das über Autos. Damit krabbelt er auf meinen Schoß und hält es mir hin. So sind wir dann eine Weile beschäftigt. Und Min-jun kommt nicht zum Nachdenken.
Ich bin fix und fertig, als ich endlich am Parkplatz des Kindergartens ankomme. Ich bin fast eine ganze Stunde zu spät wegen diesem Stau. Ich will einfach nur noch nach Hause. Der gestrige Tag war so schön und heute? Ich habe das Gefühl, dass irgendjemand nicht will, dass ich diese wenigen guten Tage einfach mal genießen kann, weil die nächsten Katastrophen schon startklar sind.
"Minnie!", rufe ich laut nach meinem Sohn, als ich das Gebäude betrete. Hoffentlich geht es ihm gut. Hoffentlich hat er sich keine Sorgen gemacht oder ist jetzt enttäuscht, weil ich so spät komme.
Min-jun kommt aus der Gruppe gerannt, als ich im Flur ankomme. Dicht gefolgt von Jimin. Dem schenke ich zunächst aber keine Beachtung, weil ich meinen Sohn fest an mich drücke, mich bei ihm entschuldige und danach erkundige, wie es ihm geht.
"Alles gut, Papa. Jetzt bist du ja da."
Ich liebe diesen Knirps. Er verzeiht mir wirklich alles.
"Es war wirklich nicht meine Absicht, dich so spät erst abzuholen, Minnie. Aber es ging nicht anders."
"Wegen dem Stau", sagt er, "Jimin hat mir das gesagt. Er hat gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Ich hatte trotzdem Angst, dass dir was passiert."
Erst jetzt fällt mir auf, dass Min-jun mich genauso feste drückt wie ich ihn. Er muss sich wirklich Sorgen gemacht haben. Zum Glück war Jimin die ganze Zeit bei ihm. Ich glaube, jemand anderes hätte ihm in dieser Situation nicht so viel Halt geben können. Dieser junge Erzieher ist wirklich ein Geschenk für uns beide.
"Jimin? Ich möchte mich nochmal bei Ihnen entschuldigen", sage ich zu ihm, nachdem ich Minnie zur Garderobe geschickt habe, damit er sich schon mal anziehen kann.
"Und noch viel mehr möchte ich mich bei Ihnen bedanken. Sie wissen gar nicht, wie froh ich bin, dass sie hier arbeiten. Dass Sie sich so gut um meinen Sohn kümmern. Sie sind wirklich das Beste, was Min-jun hier passieren konnte. Vielen Dank."
An Min-juns Tempo, mit dem er zu seinem Vater rast, kann ich sehen, dass er doch ein bisschen Angst hatte. Ich bin unglaublich froh, dass er mir trotzdem so vertraut, stelle das Buch zurück ins Regal und folge dem Kind auf den Flur. Es ist ein ungewohnter, aber sehr schöner Anblick, wie fest die beiden sich in die Arme nehmen. Sensibel geht der Vater auf seinen Sohn ein.
Eine vernünftige Erklärung hilft bei Min-jun noch immer am besten.
Dann schickt er den Jungen schon mal zur Garderobe und kommt auf mich zu. Er fängt wieder an, sich zu entschuldigen, und ich will schon einhaken. Aber da schwenkt er auf ungewohnt offene Weise um und bedankt sich mit rührenden Worten bei mir. Mir wird ganz anders. Und was er sagt, wiegt alles desinteressierte Genörgel mancher Kolleginnen wieder auf.
"Danke! Es tut mir gut, das zu hören. Es macht mich froh, dass ich so für Sie und Ihren Sohn da sein kann. Bitte machen Sie sich keine Sorgen. Niemand hier würde ein Kind einfach auf die Straße schieben und gehen. Und ich schon ganz bestimmt nicht. Wie ich am Freitag gesagt habe. Sie beide liegen mir am Herzen."
Min-jun kommt fertig angezogen um die Ecke und greift nach der Hand seines Vaters.
"Gehn wir jetzt nach Hause, Papa?"
"Ja, Minnie. Jetzt gehen wir nach Hause. Der Tag war lang genug."
Wir verabschieden uns. Kurz nach den beiden verlasse auch ich den Kindergarten und radele nachdenklich nach Hause.
Das ist wirklich kein Zustand, dass der arme Mann immer so unter Druck steht. Hoffentlich finde ich bald eine Gelegenheit, mit ihm über meinen Verdacht zu reden. Eigentlich wollte ich noch die Bauchschmerzen ansprechen, aber das wäre jetzt auch zu viel gewesen.
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