𝐰𝐚𝐬 𝐤𝐨𝐧𝐳𝐞𝐫𝐭𝐞 𝐟𝐮𝐞𝐫 𝐦𝐢𝐜𝐡 𝐬𝐢𝐧𝐝

• ɢᴇᴅᴀɴᴋᴇɴᴋᴀʀᴜssᴇʟʟ •
{𝙵𝚛𝚘𝚖 𝚝𝚑𝚎 𝚅𝚊𝚞𝚕𝚝}
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Es ist bereits dunkel, eine kalte Winternacht. Die großen Flügeltüren schwingen auf und eine Gruppe, elegant in Schwarz gekleidet, strömt ins Freie. Eben noch hatten unsere Stimmen das gotische Gemäuer und die Herzen des Publikums erfüllt. Mit Sicherheit hatte sich das ein oder andere Tränchen zwischen die feinsäuberlich getuschten Wimpern verirrt. Und dann, als hätten wir einmal zu oft geblinzelt, war die letzte Taste angeschlagen, die letzte Saite gezupft, die letzte Fermate ausgehalten worden.

Und nun stehen wir hier. Der Zauber des Abends liegt noch in der Luft, doch verirrt er sich langsam in Motorengeräuschen auf dem überfüllten Parkplatz. Ich sehe noch das Glitzern in den Augen, höre die ausgelassenen Stimmen, fühle die Endorphine in mir tanzen. Meine Gänsehaut kommt nicht nur von der Kälte.

Vielleicht hätte ich mir einen Moment nehmen sollen, um alles in mich aufzusaugen, bevor ich in das Auto meines Vaters stieg. Doch ich konnte ja nicht ahnen, dass es mein letztes Konzert in einer normalen Welt sein würde.
Nun sitze ich hier, lausche dem Prasseln von einsamen Regentropfen und wünsche mir, es wäre Applaus. Zwei Jahre lang habe ich keine Bühne mehr betreten. Eine viel zu lange Fermate. Doch ich erinnere mich an alles.

An uns, kleine Singvögel mit großen Träumen. Alle Ensembles, hineingepfercht in den Musiksaal, um sich einzusingen. Die Spannung, die mit jeder Minute stieg. Das Gefühl von Gemeinschaft. Damals, als wir die Neulinge waren und mit großen Augen zu den Routine-Talenten der höheren Klassen aufsahen, und später, als sich der Spieß umdrehte. Sicher fiel die ein oder andere spöttische Bemerkung, wenn man die Skateratte plötzlich im Anzug und Opernsängermodus sah.
Das Gemurmel, das aus dem Zuschauerraum laut wurde. Verstohlene Blicke durch den Vorhang. Geflüsterte Anweisungen unseres Lehrers. Nervöses Herumreichen von Programmzetteln, um ja nicht den eigenen Auftritt zu verpassen. Ein Gewusel von Menschen, die entweder lautlos ihre Notenblätter ein letztes Mal überflogen oder mit fahrigen Bewegungen ihre Frisuren ruinierten. Wie viele Male sind unsere Lehrer wohl bei dem Versuch verzweifelt, das allzu laute Geplapper aus dem Backstage-Bereich zu unterbinden. Doch letztendlich waren sie nie lange böse auf die Störenfriede. Denn Konzerte waren nicht wie all die anderen Abende.

Hinter den Kulissen wohnen Erinnerungen, für immer einkomponiert in unsere Lebenssymphonien. Man vertrieb sich die Zeit, verschönerte die Tafel im Musiksaal mit Kreidekunstwerken, quatschte über Mozart und die Welt, erdrückte sich gegenseitig in Gruppenumarmungen und lachte einen Ticken zu laut. Überall knipsten Handykameras und fingen unsere Glückseligkeit ein. Denn für diesen einen Abend gehörte uns die Welt.

Und dann, der große Moment. In unserer geballten Stärke schritten wir auf die Bühne. Die Scheinwerfer blendeten unsere freudetrunkenen Augen und wir strahlten mit ihnen um die Wette. Im Rampenlicht herrschte erdrückende Hitze, doch das spielte keine Rolle. Jeder hatte seinen Platz dort, in Reih und Glied mit all den anderen, eine Einheit in schwarz-weiß, doch der bunteste Ort auf Erden. Wie in Trance verharrten wir, bis auch die letzte Ecke der Aula mit verheißungsvoller Stille gefüllt war und eine nuancierte Bewegung des Dirigenten unsere Stimmen und alle Gemüter im Saal auf eine Reise schickte. Es waren diese Stunden, diese Harmonien, für die wir lebten. Doch die meisten von uns erkannten das erst spät.

Wenn wir unsere Auftritte gemeistert hatten, dann schlichen wir uns an lauen Sommerabenden in den naturwissenschaftlichen Trakt. Dort lagen wir auf dem kühlen Boden, über den sonst Schüler über Schüler trampelten. Gerade war es allerdings angenehm ruhig. So lauschten wir den Klängen von der Bühne, abseits von den geordneten Zuschauerreihen.

Wie im Flug hatte auch die Big Band den letzten Ton von sich gegeben und bald darauf wurden wir in die Nacht entlassen, an den Ausgängen die Musiker mit Geigenkoffern, die großzügig mit bunten Scheinen gefüllt werden wollten. Die Großen durften die Abende zusammen mit den Lehrern in einer nahegelegenen Pizzeria ausklingen lassen. Hier und da entfernte sich das Klacken von Stöckelschuhen. Manche grübelten über verpatzte Einsätze. Doch wenn man heute durch die gelben Programmheftchen blättert, sieht man nicht die gescheiterte Perfektion. Das, was immer in uns leben wird, sind perfekte Erinnerungen an goldene Zeiten. Ich könnte ein ganzes Lied davon singen.

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Wie könnte man besser in den Herbst und ein neues Lebensjahr starten als mit einer gehörigen Portion Nostalgie? Dieser Text ist für mich doppelt nostalgisch. Entstanden ist er im Rahmen der Deutschen SchülerAkademie 2021 – eine Zeit, aus der ich so viel mitnehmen konnte und für die ich immer noch unendlich dankbar bin. Andrina, falls du das mal lesen solltest, love ya, du Legende. <3
Außerdem vermisse ich jetzt schon das Chorleben. Die schönsten Erinnerungen aus der Schulzeit hängen fast alle damit zusammen. Habt ihr selbst ähnliche Konzerterfahrungen aus der Perspektive von Mitwirkenden? Oder gar als Teil einer euphorischen Masse in einer ausverkauften Arena?

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