Kapitel 39 - Milano

4 Jahre zuvor

Skàdi vernahm ein leises Piepen. Ihr Gehirn lag in einem dichten Nebel und es fiel ihr schwer, zuzuordnen, was gerade passiert war. Aber etwas in ihr schrie, dass sie den Nebel durchbrechen und aufwachen musste. Sie kämpfte gegen die Schwere in ihrem Körper an. Sie suchte nach ihren Erinnerungen.

Ihr kam die Zelle in den Sinn, die Schmerzen. Was war nur geschehen? Stück für Stück schob sie die Watte in ihrem Hirn bei Seite und suchte nach Antworten. Das Piepen um sie wurde lauter und sie nahm mehr von ihrer Umgebung wahr. Stechender Geruch wanderte durch ihre Nase. Desinfektionsmittel. So stark, dass es in ihren Schleimhäuten brannte. Es schien sich überall abzulegen, denn als sie leicht schluckte, hatte sie dasselbe Brennen plötzlich auch in ihrem Rachen. Das Brennen führte dazu, dass ihr Geist endlich etwas klarer wurde. Die Zelle. Nobody. Travis. Ein Stich, als würde man ihr eine Klinge durch die Brust jagen, schoss durch ihr Herz, was sie die Augen aufreißen ließ. Dieses Arschloch war der Grund für alles.

Doch so schnell, wie sie die Augen aufgerissen hatte, kniff sie diese auch wieder zusammen. Denn reißendes, weißes Licht strahlte ihr entgegen und ließ ihre Augen brennen. Sie gab ein leises Stöhnen von sich, was eine Bewegung neben ihr hervorrief. Schlagartig spannte sie sich an, als sie die Anwesenheit von etwas neben sich spürte. Sie zwang sich, gleichmäßig zu atmen und keine Bewegung von sich zu geben. Selbst, als sie die kalten Finger an ihren Hals spürte, welche scheinbar nach ihren Puls suchten, zwang sie sich Ruhe zu bewahren.

Und scheinbar gelang es ihr, denn die Person entfernte sich wieder und nach wenigen Augenblicken, öffnete Skàdi erneut die Augen. Diesmal aber langsam und mit dem Wissen, dass ihr Licht entgegenschlagen würde. Dennoch dauerte es einige Sekunden, bis sie etwas erkennen konnte. Vorsichtig fing sie an, ihren Blick schweifen zu lassen, und achtete dabei darauf, keinen Mucks von sich zu geben.

Sie sah eine weiß geflieste Decke, welche an ebenso weiß gefliesten Wänden endete. Was war das hier? Ihre Ohren rauschten, aber nicht wie sonst, weil sie ihr Blut hörte, sondern weil sie alles hörte. Tausende Geräusche. Das Atmen einer weiteren Person, das Kratzen von Metall auf Metall, das Quietschen einer Pumpe. Irritiert ließ sie ihren Blick zu ihrem Körper schweifen und sofort schoss ihr Puls nach oben. Sie lag auf einer Liege. Gefesselt. Sie sah die Metallriemen über ihrer Brust. Dann die, die ihre Füße fixierten, bis hin zu denen, die ihre Handgelenke an die Liege fesselten.

Jetzt spürte sie die Kälte, welche von ihnen ausging und dann sah sie die Kanüle, die in ihrer Armbeuge steckte. Sie schluckte trocken und wieder war da dieser brennende Schmerz, des Desinfektionsmittels. Sie unterdrückte sich das Stöhnen und versuchte nicht dem Wahnsinn zu verfallen, der sich langsam in ihr nach oben kämpfte. Stattdessen fixierte sie sich auf die Kanüle und den kleinen Schlauch, der davon wegführte. Sie folgte ihm zu einem Behältnis, welches mit roter Flüssigkeit gefüllt war.

Was jagten sie ihr da in den Körper? Ihr Blick hing auf dem Behältnis, als sie mit Erschrecken feststellte, dass es sich nicht leerte, sondern sich langsam füllte. Sie pumpten nichts in ihren Körper, sondern sie saugten ihr förmlich das Blut heraus. Angst und Panik machte sich breit und vorbei war es mit der Vorsicht. Sie bäumte sich gegen die Fesseln, doch nichts passierte. Außer dass plötzlich ein breitgebauter Typ im weißen Kittel auftauchte und sie fassungslos ansah.

»Du solltest doch schlafen. Wie ist das möglich?«, murmelte er.

Skàdi sah, wie er auf die Kanüle sah und sich versicherte, dass sie noch arbeitete. Schnell verschwand er von ihrer Liege und Skàdi wusste, dass es ihre einzige Chance sein würde. Sie hielt für einen Moment inne, denn ihre Erinnerungen waren wieder da und so schien sie etwas in ihr anzuleiten. Sie ließ die Enttäuschung und den Hass, den Travis in ihr ausgelöst hatte, frei und sie spürte erst die Kälte sich sammeln. Der Hass in ihr ballte sich und mit ihm kroch die Dunkelheit in sie. Schwarze Fragmente begannen, um sie herum zu entstehen.

Sie spürte, wie eine unsagbare Kraft durch ihre Zellen gespült wurde und als sie sich jetzt gegen die Fesseln stemmte, brachen sie auf, als wären sie aus einfachen Gips. Sie griff sofort nach der Kanüle und riss sie sich aus dem Arm, bevor sie sich zu dm Typen drehte, der bereits mit einer Spitze in der Hand auf sie zustürmte. Doch Skàdi griff blitzschnell zu seiner Hand und drückte zu. Er schrie auf vor Schmerz und ließ die Spritze fallen, welche Skàdi aber problemlos mit ihrer anderen Hand auffing und postwendend in seinen Oberschenkel jagte. Sofort brach er unter ihren Händen zusammen und krachte zu Boden.

»Schlaf gut, Arschloch«, sagte sie leise.

Sie sah sich um. Sie steckte in einem beschissenen Labor fest. Mit wackeligen Beinen stand sie auf und lief durch den Raum. Die Wut in ihr schlummerte und schien nur auf einen erneuten Grund zu warten, auszubrechen. Ihr Blick schweifte durch den Raum, doch abgesehen von der Liege und ihrem Blut war hier nicht viel zu finden. Außer einem eigenartigen Symbol. Ein Zeichen, welches sich überall widerspiegelte. Ein Dreieck, in dessen Mitte ein Kreis lag. Gefolgt von einem Halbkreis, der kurzunterhalb der Dreieckspitze lag und mit der offenen Seite nach oben zeigte. Eine wilde Ansammlung von Linien durchbrach das Gebilde.

Sie vermochte sich keinen Reim darauf zu machen, aber irgendwas schien es zu bedeuten, denn es war auf jedem Blatt, auf jeder Spritze, an jeden Schrank zu finden. Unruhe brach in ihrem Inneren aus und als sie sich wieder zu der Liege drehte und sah, dass ihr Blut sich mittlerweile auf dem Boden verteilte, sah sie zu ihrem Arm. Er war voll mit ihrer roten Flüssigkeit und der Geruch von Kupfer, löste endlich den widerlichen Desinfektionsmittelgeruch ab. Sie begann die Schränke neben sich aufzureißen und fand schnell, was sie suchte. Verbandsmaterial.

Nachdem sie sich den Arm verbunden hatte, lief sie langsam auf die Tür zu. Sie musste hier weg und das verdammt schnell. Sie hatte wahrscheinlich schon viel zu viel Zeit verschwendet. Als sie an der Tür ankam, hatte sie einen kurzen Moment Angst, dass sie nicht zu öffnen war, doch sie sprang ohne Probleme auf und ein weiterer breiter Gang lag vor ihr. Mit ihren nackten Füßen trat sie aus dem Raum und drückte sich an die Wand. Sie sah die unzähligen Türen, welche von dem Gang abgingen, und ihr wurde schlecht. Eigentlich sollte sie rennen und sehen, dass sie hier rauskam. Aber was, wenn sich hinter diesen Türen noch mehr Menschen, wie sie befanden?

Nein, das würde sie sich niemals verzeihen können. Also schlich sie von Tür zur Tür und war dankbar, dass sich in jeder eine Glasscheibe befand. Doch die ersten Räume waren leer und Erleichterung machte sich breit, bis sie durch die nächste Tür starrte. Dort lag ein junger Mann auf der Liege. Ebenfalls gefesselt, bewusstlos und auch ihm wurde das Blut abgepumpt. Und das war es wieder.

Die Wut brach in ihr aus. Sie riss die Tür förmlich aus den Angeln und ehe der Labormitarbeiter sich richtig zu ihr gedreht hatte, griff sie bereits nach seiner Kehle. Sie spürte die eisige Kälte, die von ihr ausging und sich auf den, mittlerweile schreienden Typen übertrug.

Sie verstärkte den Griff um seine Kehle und sah in seine vor Angst geweiteten Augen. Ein Gefühl der Zufriedenheit schlich sich in ihre Gedanken. Sie drückte ein letztes Mal zu und schon herrschte wieder Ruhe. Die Augen des Typen wurden schlagartig trüb und Skàdi ließ ihn achtlos fallen. Schnell drehte sie sich zu dem jungen Mann auf der Liege, zog ihm die Kanüle, verband die Wunde und bog dann die Fesseln auf, doch er rührte sich nicht. Skàdi musterte ihn und konnte keinen Puls erkennen. Und wieder war da dieser Trieb, der ihr diesmal sagte, sie solle ihn berühren. Ihre Hände wanderten, wie automatisch zu seiner Brust und als ihre Fingerspitzen auf seine Haut trafen, hielt sie die Luft an.

Die Kälte, welche von ihm ausging, verschwand und ein goldenes Licht brach förmlich aus ihrem Finger hervor. Fasziniert und gleichzeitig verängstigt, starrte sie auf ihre Hände und sah, wie der Goldschleier immer größer wurde und diesen jungen Mann umschloss. Sie spürte die Wärme in sich, welche schlagartig, von einem alles vergessenden Schmerz in ihrer Mitte, unterbrochen wurde. Er trat nur kurz auf, aber noch nie hatte sie einen so intensiven Schmerz gespürt und das nach allem, was sie in dem letzten Jahr erlebte, hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte es sich an, als würde sie einfach innerlich zerreißen, doch der Schmerz war genau in dem Moment vergessen, als der junge Mann endlich die Augen öffnete und Skàdi voller Angst anstarrte. Sie lächelte ihn an und flüsterte ihm zu.

»Alles wird gut.«

Er sah sie irritiert an, aber nur so lange, bis er ihre Narben an ihren Armen erblickte und er erkannte, dass sie dasselbe Schicksal erlitten hatte wie er. Langsam versuchte er sich aufzurichten, schwankte aber. Sofort griff Skàdi nach ihm und sah ihn an.

»Wie heißt du?«

Er hob den Blick und stöhnte leicht.

»Milano. Ist mir eine Freude. Hoffe ich.«

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