[4] 𝑅𝑒𝑖𝑡𝑎
Natürlich hatte das Band Wiedererkennungswert. Nicht grundlos war es zu seinem Markenzeichen geworden. Bevor er Goldlöckchen jedoch darüber aufklären konnte, unterbrach sie dieser Schmierlappen. Die Stimmung sank augenblicklich in den Keller. Dorthin, wo eigentlich dieser Typ und seine Wichsgriffel gehörten. Reita bezweifelte, dass die beiden etwas am Laufen hatten, so sichtlich unwohl wie sich der Kleinere zu fühlen schien. Außerdem konnte Reita es auf den Tod nicht ausstehen, unterbrochen zu werden. Dafür hätte dieser Affe eigentlich einen Schlag in seine hässliche Visage verdient.
»Dein Getränk«, riss ihn der Barkeeper aus seinen Gedanken.
»Danke«, murmelte Reita und nahm einen Schluck, schon allein, um den Anblick von dem Schauspiel neben ihm zu verdrängen.
»Mit seiner Aussage ›Koks und Nutten‹ hatte er vermutlich gar nicht so weit daneben gelegen. Wer wusste schon, was hier hinter verschlossenen Türen abging. Nicht, dass Reita das wirklich wissen wollte. Unwissenheit war in diesem Fall sicherlich ein Segen.
Da war er mehr als froh, dass Goldlöckchen ihn als Ausrede auserkoren hatte, um von dem Typen wegzukommen. Reita schnappte sich sein Getränk und ließ sich unter dem angepissten Gesichtsausdruck dieses Kerls wegzerren. Reita grinste ihn nur überheblich an.
Angelangt auf der Dachterrasse sah er sich interessiert um. Im Gegensatz zu dem Puff da drin roch es hier nach angenehm frischer Luft und war hübsch dekoriert mit schicken Möbeln und einigen Lichterketten.
Reita ließ sich neben Goldlöckchen nieder und während er sich dessen Geplapper anhörte, sah er neidisch zu den Zigaretten. Seine eigenen hatte er dummerweise an der Garderobe mitsamt seiner Jacke abgegeben.
»Hast du eine für mich?«, fragte er letztlich und war erfreut, als er wortlos einen Glimmstängel gereicht bekam. Als das Nikotin seine Lungen flutete und er sich entspannt gegen das Polster lehnte, antwortete er auch auf die erste Frage seines Gönners, ob er Lust verspürte, hier zu sein.
»Ich fürchte, ich bin nicht so subtil, wie ich es gerne wäre«, grinste er ertappt.
»Wenn man sich die ganze Zeit wie ein Holzhammer verhält, dann ist das in diesem Bereich nicht sonderlich zuträglich für Geschäftsbeziehungen«, erklärte Reita umständlich, nachdem er einen Schluck aus seinem Glas genommen hatte. Außerdem gab es in dieser Branche zu viele zarte Blumen, die direkt geknickt waren, wenn man ihnen die Wahrheit geigte. Kai hingegen war wesentlich besser darin, Leute für sich zu gewinnen. Aber er beherrschte im Gegensatz zu ihm auch die Kunst des Smalltalks. Und er hatte ein echtes Pokerface, wenn es darauf ankam. Reita sah man bereits zehn Meilen gegen den Wind an, wenn ihm etwas nicht passte.
»Ehrlicherweise sind mir solche Partys zuwider, aber mein Kumpel hat mich hierher geschleift und nun sitze ich fest. Was treibt dich hierher?«
Reita nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und schaute nach oben in den Nachthimmel. Sterne gab es kaum zu sehen, aber die Temperaturen waren heute sehr angenehm, weswegen er es auch ohne Jacke gut aushalten konnte. Seinen Kopf drehte er zu Goldlöckchen, welches ihn neugierig musterte. Reita konnte es nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf seine Lippen schob. Der Kerl war tatsächlich einer der wenigen Gäste, der nicht aussah, als wäre er direkt aus dem Müllcontainer gekrochen. Sein Klamottenstil gefiel ihm und er schmeichelte seiner zierlichen Statur. Der Kleine hatte Geschmack.
»Ich verstehe dich. So viel Künstlichkeit auf einem Haufen ist kaum zu ertragen. Man könnte sagen, dass ich wegen beruflicher Verpflichtungen hier bin. Der Kerl vorhin war...mein Boss«, gab der Blonde seufzend von sich.
»Der Schmierlappen, der seine Finger nicht im Griff hat, ist dein Boss?«, echote Reita ungläubig und verzog dann angewidert das Gesicht. Auf den Schock hin musste er einen weiteren Zug von seiner Kippe nehmen und dann noch einen Schluck von seinem Drink.
»Wie kommt man denn zu so einem?« Konnte man Typen wie den nicht auf sexuelle Belästigung verklagen? Reita verstand nicht, wieso sich jemand wie das Goldlöckchen mit solch einem Klientel umgab, aber was wusste er schon? Er kannte Blondie seit geschätzten fünf Minuten.
»Ja. Und es ist eine...lange Geschichte«, schmunzelte dieser. Mit anderen Worten wollte er nicht darüber reden, was Reita irgendwie verstehen konnte. Seine Antwort auf die Frage nach dem Boss klang alles andere als angenehm und er beschloss, nicht weiter nachzuhaken. Manche Dinge musste man nicht bis ins letzte Detail klären.
»Ich bin übrigens Reita und mit wem habe ich das Vergnügen?«, wechselte er daher das Thema. Auch wenn Goldlöckchen zu ihm passte, wollte Reita ihm gerne einen richtigen Namen geben.
»Du kannst mich Ruki nennen«, folgte die schlichte Antwort.
Ruki also. Das war mit Sicherheit einfach nur ein Künstlername.
»Was genau machst du beruflich?«, stellte Reita interessiert die Frage, die ihm dadurch in den Sinn kam. Bei der Art, wie er gekleidet war, musste er direkt mit Mode zu tun haben. Einen Fotografen mit gutem Geschmack konnte sich Reita nicht wirklich vorstellen. Dafür war das Outfit zu sehr aufeinander abgestimmt.
Bevor der andere antwortete, griff dieser in die Innentasche seines Jacketts und reichte ihm eine Visitenkarte. ›Black Moral‹ stand darauf und irgendetwas klingelte in seinem Gedächtnis. Er war der Meinung, dieses Label schon mal irgendwo gesehen oder gehört zu haben. Aber dahingehend hatte Kai eher den Überblick.
»Danke«, meinte Reita ehrlich und schaute dem Designer aufmerksam in die Augen, die schon leicht glasig wirkten.
»Falls du oder dein Freund einen Job braucht, sind fähige Models immer willkommen«, fügte Ruki zusätzlich an. »In welcher Richtung bist du überhaupt unterwegs? Ich bin deinem Gesicht noch nicht begegnet, obwohl wir viele Kooperationen mit anderen Labels haben«, kam es weiterhin vom Designer.
»Ich bin tatsächlich Model«, beantwortete Reita Rukis Frage und schmunzelte leicht bei seiner offensichtlichen Verwirrung. »Ich war längere Zeit in Amerika unterwegs, bis ich nach Japan gekommen bin, um hier Fuß zu fassen.«
Es war äußerst unwahrscheinlich, dass Ruki ihn schon mal gesehen hatte, da dieser Markt hier gänzliches Neuland für ihn war seit wenigen Monaten. Auch wenn Kai fleißig dabei war, Kontakte zu knüpfen und sie somit die nächsten Wochen restlos ausgebucht waren. Reita hatte inzwischen gänzlich den Überblick verloren über alle Aufträge, Labels und Namen, die ihm sein Kumpel gnadenlos um die Ohren gehauen hatte.
Reita entging es keinesfalls, dass der andere ihn unentwegt musterte. Daher kam die folgende Aussage wenig überraschend, selbst wenn sie aus dem Kontext gerissen war. Doch dies schob er auf die offensichtliche Trunkenheit des Kurzen.
»Ganz ehrlich? Es würde keinem auffallen, wenn wir verschwinden würden. Zumindest nicht so schnell«, lachte Ruki auf. »Eigentlich bin ich auch nicht allein hier. Aber meine Begleitung vergnügt sich gerade anderweitig. Mich würde also niemand vermissen.« Der Blonde drückte seinen Stummel aus und erhob sich. Goldlöckchen hatte definitiv schon zu viel gebechert, denn nachdem er den ersten Schritt gemacht hatte, verlor er das Gleichgewicht und der leichte Körper landete plötzlich auf Reitas Schoß..
»Hi«, grinste der Kleine aber nur, als er seinem Gesicht plötzlich so nah war. Doch davon ließ sich das Model nicht aus der Fassung bringen. Schmunzelnd tätschelte Ruki darauf seine Schulter, bevor er sich erneut erhob, ohne nochmals zu stolpern.
»Wohin willst du denn gehen?«, fragte Reita, der ebenfalls den Stummel seiner Zigarette auf dem Boden ausdrückte. Dass er den Kleinen kennengelernt hatte, war wohl das beste Ergebnis, was er sich von dieser völlig unnötigen Party versprechen konnte. Sollte Kai doch noch mehr überflüssige Geschäftsbeziehungen knüpfen. Das schaffte er auch ganz hervorragend ohne Reitas Anwesenheit.
»Irgendwohin. Hauptsache weg von hier.«
»In Ordnung, aber das ›wo‹ musst du übernehmen. Ich kenne mich hier nicht aus«, sagte Reita und stand ebenfalls auf.
»Und ich muss Kai noch Bescheid geben, dass ich mich verziehe, sonst ist er wieder beleidigt.«
Reita zog die Schiebetür auf und sofort schlug ihm der Musiklärm und der widerliche Geruch sämtlicher Parfüm-Mischungen entgegen, der ihn fast würgen ließ. Nachdem Ruki an ihm vorbei ins Innere gewackelt war, folgte ihm Reita und suchte den überfüllten Raum nach seinem Kumpel ab.
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