»𝐂𝐡𝐚𝐩𝐭𝐞𝐫 𝟐«

Jack Raeken

Seit 316 Jahren lebe ich schon auf dieser Erde.
316 Jahre voller Leid. Ich habe so vieles miterlebt und gesehen. Weltkriege, Entdeckungen, Krankheiten und vieles mehr.
Aber das Wichtigste was mir in diesen Jahren aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass ohne den Tod das Leben sinnlos ist.

Die Menschen wissen gar nicht wie wertvoll der Tod ist. Durch sie schätzen wir erst das Leben, aber das habe ich schon lange nicht mehr. Schon lange verstecke ich mich in der Dunkelheit, die sich meiner bemächtigt.

Manchmal wünsche ich mir, dass es eine Möglichkeit für mich gibt, um zu sterben, um zu verschwinden, um meinem Leben wieder ein Sinn zu geben. Aber ich kann nicht, nicht jetzt.

New River. Eine Stadt voller Erinnerungen, eine Stadt voller Schmerzen. Ich bin nur hier, um sie zu sehen, um ihr nah sein zu können und sie zu schützen.

Ich steige aus dem Auto aus und streife dabei die Tür zu. Die besonders kühle Luft am Rande des Waldes ist für mich angenehm. Denn mein Körper ist am Brennen, durch den Hunger. Wenn ich es zulassen würde, hätte der Hunger schon die Macht über mich ergriffen, aber mit aller Kraft kämpfe ich dagegen an.

14 Stunden ohne Blut habe ich es bisher ausgehalten, nur 14 Stunden bevor ich völlig die Fassung verliere.

Ich möchte wie die Menschen leben, frei sein wie die Menschen, aber das bin ich nicht. Ich bin verpflichtet Blut zu trinken, Menschen umzubringen und zu belügen. Um zu überleben. Der Hunger und der Schmerz ist ein Teil von mir geworden, so muss ich nun schon seit Jahren leben. Ich bin ein Monster, der es nicht verdient hat zu leben, der es nicht verdient geliebt zu werden.

Ich beneide Menschen ungemein, sie leben das bedeutsame Leben was ich mir jede Nacht wieder herbeisehne.

Nur in der Dunkelheit fühle ich mich wieder geborgen und gebraucht.

Ich fokussiere mich wieder auf die Suche nach einem Tier um mein Hunger zu stillen. Nach mehreren Stunden ohne Blut fühle ich mich schlapp, aber auf dem Weg von New York nach New River wollte ich kein Stopp machen.

Mit meinem scharfsinnigen Hörsinn höre ich das Knistern von Blättern und Ästen. Als würde jemand oder besser gesagt etwas sich unvorsichtig bewegen.

Ich schau mich mit einer raschen Bewegung um und bemerke ein Reh mit gräulichem Fell, das sich in meiner unmittelbarer Nähe befindet.

Durch seine Instinkte bemerkt das Tier schleunigst die Gefahr, die es jetzt umgibt. In dieser Sekunde ist seine ganze Konzentration auf seine Umgebung gerichtet. Die großen Augen suchen nach der Gefahr, die es im Inneren verspürt.

Mein Hunger macht sich Augenblicklich bemerkbar, ich verschaffe mir diesen Moment zum Vorteil, und greife ihn an.

Leise aber dafür unnatürlich schnell packe ich das Reh, bevor es überhaupt die Chance hat zu fliehen und steche mit meinen spitzen Eckzähnen in das Fell. Ich sauge das ganze Blut aus ihm heraus.

Für eine Sekunde ist mein Hunger befriedigt, doch mein Verlangen ist nicht gestillt. Ich brauche menschliches Blut, um bei voller Kraft zu sein, aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Ich kann das nicht machen, nicht nach dem was in New York geschah.

Als ich die letzten Tropfen Blut aus ihm sauge, merke ich wie die Lebenskraft des Rehs immer weniger wird, bis er schlussendlich in den ewigen Schlaf verfällt.
Ich lege ihn behutsam auf die Erde, und streiche über die Biss Spur.
»Es tut mir leid«, sage ich zu ihm.
Ich wische das Blut von meinem Mund ab und ziehe dabei meine Jacke enger an mich heran. Ich will mich auf den Weg zu meinem Auto machen, um endlich in die Stadt reinzufahren, bis ich ein Herzschlag zu hören bekomme.

Das hasse ich an meinem da sein. Ich kann jeden Klang wahrnehmen, was Menschen nicht mehr wahrnehmen können, und das wird mich noch irgendwann zum Wahnsinn treiben.

Ich laufe entschlossen dem Klang hinterher, der Klang von einer zärtlichen weiblichen Stimme.

Ich bin nur hier, weil ich Blut brauche, aber warum kommt ein Mensch mitten in der Nacht alleine in den Wald? Was könnte nur ihr Ziel sein?

Ein Mädchen mit langem braunem Haar hält sich am Geländer fest, aber sie ist bereit jeder Zeit loszulassen, ich spüre es. Sie schaut in das tiefe Wasser, das weiße Kleid ist nicht für das Wetter gedacht. Ihr ist unglaublich kalt, die Gänsehaut erkennen ich von hier aus.

Sie ist wunderschön, ihre Haut ist zart und hell, ihre Haare fliegen in dem Wind. Ich bin fasziniert von ihr, sie ist zutiefst verletzt und traurig, genau wie ich. Der einzige Unterschied ist, dass sie wirklich am Leben ist und ich nicht.

»Goodbye Leben«, höre ich ihre zarte Stimme leise unerwartet sagen.
Dabei schließt sie die Augen, hält sich nicht mehr am Geländer fest und lässt sich in das tiefe Wasser hinunterfallen.
»Stopp mach das nicht!«, schreie ich ihr plötzlich hinterher, aber es ist zu spät.
Ich renne auf die Brücke und springe ihr hinterher, ohne lang darüber nachzudenken...
(820 Wörter)

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