Chapter 51

(Bild: Selena Black)

Selena Black P.o.V.:

Ein letztes Mal fahre ich mir mit den Fingern durch meine nun viel kürzeren Haare. Obwohl ich sie mir schon vor fast einer Woche schneiden hab lassen, ist es immer noch ungewohnt. Mein Blick fällt auf das Bild, das Lily, Grace und mich zusammen am Ufer des Großen Sees auf dem Hogwarts-Gelände zeigt, und meine Gedanken schweifen ab.

Der erste Jahrestag von Grace' Tod steckt mir noch immer in den Knochen. Lily und ich haben ihn zusammen an ihrem Grab verbracht, haben stundenlang geredet und gehofft, dass damit der Schmerz, der mit den Gedanken an Grace einhergeht, etwas nachlässt. Dass wir uns von nun an die glücklichen Zeiten in Erinnerung rufen können. Ich weiß nicht, ob es geklappt hat, noch nicht jedenfalls.

Nachdenklich betrachte ich noch einmal das Bild, dann mich selbst im Spiegel vor mir, auf dem das Foto klebt. Die Hogwarts-Schuluniform mit der Bluse und dem Rock und schließlich liegt mein Blick wieder auf meinem Haar. Ich mag die neue Länge, vor allem, weil die neue Frisur in gewisser Weise für einen Neuanfang steht. Für die Dinge, die ich in meinem sechsten Hogwartsjahr machen will. 

Da wäre einmal der erste Punkt auf meiner Liste, der besagt, dass ich mich verlieben werde. Und dieses mal nicht in einen herzlosen Arsch. 

Dann habe ich noch vor, wieder mehr mit meinen Freunden zu machen, dann letztes Jahr habe ich sie - wenn ich ehrlich zu mir selbst bin - schon sehr vernachlässigt. 

Und zum Schluss, als wichtigsten Punkt: In Alexander Malfoys Gegenwart kein Herzrasen mehr, kein Zittern und schon gar kein prickelndes Gefühl in der Magengegend. Ab jetzt steht Verachtung auf der Tagesordnung - und, wenn es mir möglich ist, auch ein wenig weibliche Rache.

Ich presse mir ärgerlich die Hand auf die Brust, weil mir allein bei dem Gedanken an ihn warm wird und mein Herz zu flattern beginnt. Ich habe noch einen langen Weg vor mir! 

Wütend auf mich selbst wirble ich um meine eigene Achse und schnappe mir mit einer fahrigen Bewegung meinen Reisekoffer. Der Zug wartet nicht.

Vor dem Kamin wartet schon Fleamont.  Er hat eine Schale mit Flohpulver in der Hand und linst immer wieder auf die Uhr über der Tür zur Küche. Als es nur noch zehn Minuten vor elf Uhr ist, geht er raschen Schrittes an mir vorbei und ruft nach James und Sirius. 

Ich bugsiere meinen Koffer so, dass ich ihn innerhalb kürzester Zeit in den Kamin ziehen kann und drehe mich dann zur Tür zum Flur um, durch die zwei Sekunden später James gerannt kommt. Er hat seinen Koffer vor sich in der Luft schwebend und reflexartig weiche ich aus. Keinen Augenblick zu früh. Ich spüre den Luftzug, den der schwere Koffer neben mir verursacht. 

"Tschuldige", murmelt James, währenddessen er sich damit abmüht den Koffer rückwärts schweben und dann neben meinem landen zu lassen. Sobald er es geschafft hat, atmet er erleichtert aus und lässt sich in den nächsten Sessel fallen. Es ist der Ohrensessel, in dem Euphemia immer sitzt, wenn sie strickt, dunkelrot und unheimlich bequem. Es gibt regelmäßig Kämpfe darum. 

Als Fleamont mit Sirius' Koffer vor sich zur Tür hereinspaziert, sieht es um einiges professioneller aus. "Siehst du, so geht das!", raune ich James vorwurfsvoll zu. Er verdreht die Augen und hüpft wieder auf die Beine. "Ich will als erstes!" 

Sofort springt Sirius darauf an. "Ich hab gestern schon gesagt, dass ich zuerst will!" Fleamont zwinkert mir zu und überreicht mir unauffällig die Schale mit dem Flohpulver. Wenn jemand behauptet, wir Rumtreiber hätten Flausen im Kopf, dann hat derjenige noch nie Fleamont getroffen. 

Er mag zwar unschuldig und erwachsen aussehen, aber er hat mehr rekordverdächtige Ideen, als wir Rumtreiber zusammen. Zum Glück verrät er uns manchmal seine Gedankenansätze für wirklich geniale Schulstreiche.

Mit zuckenden Mundwinkeln werfe ich eine Priese davon in die Flammen, welche sich augenblicklich mit einem lauten Knall grün färben, und steige ich in den Kamin. 

"Selena!", ertönt es zweistimmig hinter mir, aber ich zucke nur grinsend mit den Schultern. Mit einem deutlichen "Gleis Neun-Dreiviertel" beginnt alles um mich herum zu wirbeln. Mir bietet sich die Sicht in die verschiedensten Wohnzimmer und Salons, aber ich löse erst meine starre, zusammengekauerte Haltung, als ich den Bahnsteig erkennt. 

Ich stolpere aus dem Kamin und laufe ein paar Meter, um den Schwung loszuwerden. Wenige Augenblicke später folgt mir James, der die Diskussion gewonnen zu haben scheint. Oder das Wettrennen, wer als erster im Kamin steht, wie ich eher vermute. Er landet nicht so sanft und muss sich auf dem Boden abrollen, was er aber aufgrund seiner Erfahrung im Quiddicht einwandfrei beherrscht. 

Sich den Ruß von den Kleidern klopfend rappelt er sich auf. "Puh, fast wäre ich einen Kamin zu spät rausgekommen!" Als er aufsieht, bildet sich ein belustigtes Grinsen auf seinen Lippen. "Hübsche Kriegsbemalung!" 

Hastig wische ich mir über die Wangen, ich komme allerdings nicht dazu zu antworten, denn in dem Moment höre ich eine vertraute Stimme meinen Namen rufen. Lily ist noch mehrere Meter entfernt, als ich mich umdrehe, und weil ich es nicht erwarten kann, beginne ich augenblicklich wie sie zu rennen. 

Ihr Lachen klingt mir in den Ohren, als wir uns in die Arme fallen und uns einige Male im Kreis drehen. "Ich habe dich so vermisst, beste Freundin aller Zeiten!", kichert Lils und ich drücke sie noch fester an mich. "Und ich dich erst, Lils!" 

Zu spät bemerken wir, dass sich unsere kleine Szene direkt vor der Familie Malfoy abgespielt hat. Als ein Räuspern neben uns ertönt, lösen wir uns aus unserer hin uns her schaukelnden Umklammerung und blicken hinauf in das ernste und verärgerte Gesicht von Abraxas Malfoy. Neben ihm seine ebenfalls nicht gerade erfreut aussehende Frau Elinor. Und hinter ihm seine Söhne. Lucius und Alexander.

Ich lasse mir die gute Laune nicht vermiesen und verneige mich spöttisch vor dem Grießgram mit den hellgrauen Haaren. "Was fällt mir nur ein! Einfach so zu lachen! An einem öffentlichen Ort!" Ich halte mir gespielt entsetzt die Hand vor den Mund. 

Ich weiß, dass ich mein Grinsen nicht mehr lange zurückhalten kann, besonders, als Elinor angewidert die Nase rümpft. Abraxas kommt bedrohlich einen Schritt auf mich zu, hält dann aber inne, als ihm die vielen Leute um uns herum bewusst werden. Ich sehe seine Augen über die Anwesenden Frauen und Männer mit ihren Kindern gleiten. "Ja, hier kommts nicht so gut an, wenn man plötzlich anfängt ein Kind zu foltern. Selbst, wenn sie eine Blutsverräterin ist...", stelle ich leise fest.

Lucius hat nicht die nötige Selbstbeherrschung. Er stürmt nach vorne und bleibt dicht vor mir stehen. Ich spüre, wie sein Zauberstab gegen meine Rippen drückt. Mit den langen Roben und dem geringen Abstand bezweifle ich, dass irgendwer sieht, dass ich hier bedroht werde. "Du verabscheuungswürdige, kleine Sch-" 

"Lucius!", die bestimmte Stimme seines kleinen Bruders lässt Lucius kurz innehalten. "Die Potters kommen auf uns zu.", zischt Alexander durch zusammengepresste Zähne. Augenblicklich verschwindet der Zauberstab von meinem Bauch, doch Lucius macht keine Anstalt zurückzuweichen. "Du wirst schon sehen, was du von deinem Verrat hast! Du und dein Dreckskerl von Bruder!" 

"Entschuldige bitte, ich höre in letzter Zeit schlecht, du weißt schon, das Alter, aber habe ich da gerade eine Beleidigung gehört?", Sirius schneidende Stimme scheucht Lucius nun doch zwei Schritte zurück. Ich stoße die angehaltene Luft aus. "Das will ich hoffen.", sagt Abraxas Malfoy mit eisigem Blick auf meinen Bruder. 

"Das ist schade. Und ich hab noch überlegt, ob ich dir etwas zu Weihnachten schenken soll, Luci-Lu!" Lucius ballt bei diesem Namen die Hände zu Fäusten, wird aber von seinem Vater mit einer kräftigen Hand auf seiner Schulter zurückgehalten. "Lass dich nicht provozieren, mein Sohn. Leere Worte sind ihre einzige Waffe, und die sollten wir ihnen lassen. Sonst fühlen sie sich allzu klein und wertlos."

Ich spiele ein Gähnen vor und muss dabei tatsächlich gähnen. Wie praktisch! Amüsiert hake ich mich bei Lily unter, hinter der sich James aufgebaut hat. Hinter ihm stehen seine Eltern. Eupehemia und Fleamont tragen den Gleichen wachsamen Gesichtsausdruck zur Schau. 

Als ich sehe, wie Euphemias Blick einen Moment lang zu ihrem Mann flackert und ich ehrliche Beunruhigung und vielleicht sogar ein bisschen Angst darin sehen kann, bekomme ich Schuldgefühle. Diese Unterhaltung ist doch eigentlich vollkommen sinnlos. 

"Na dann", sage ich laut in die Runde, die sich reihum giftige Blicke zuwirft. "Ich habe heute noch was anderes vor... Also... Man sieht sich ja gezwungenermaßen." Ich hebe die Hand zu einer beiläufigen Verabschiedung und ziehe Lily mit mir aus der Schusslinie. Sirius folgt mir auf den Fuß und die Potters nach einem weiteren stillen Augenblick des Anstarrens auch. 

"Was habt ihr euch dabei gedacht?", murmelt Fleamont, sich den restlichen Ruß von den Schultern klopfend. "Es hat uns gerade noch gefehlt, dass ihr beide die Aufmerksamkeit der Malfoys auf euch zieht, so kurz, nachdem-" 

"Fleamont", sagt Euphemia beruhigend. Ihr Mann wirft ihr einen kurzen Blick zu, dann seufzt er tief und schaut auf seine goldene Taschenuhr. "Ihr müsst euch beeilen.", er schaut zwischen James, Sirius und mir hin und her und es ist klar, dass er noch etwas sagen will. Und tatsächlich:"Passt bitte auf euch auf, mit den Malfoys ist nicht zu spaßen. Und behaltet Alexander im Auge. Ich habe das Gefühl, dass mit ihm etwas nicht stimmt."

Ich verkrampfe mich leicht, doch ich zwinge mich meine Muskeln locker zu lassen und tief durchzuatmen. "Machen wir.", versichert James seinem Vater, was es mir erspart zu antworten. Fleamont nickt und bedeutet dann Sirius, dass er ihm helfen soll den letzten der inzwischen vier Koffer in den Zug zu hieven. 

Euphemia umarmt erst James, dann mich und zieht zum Schluss auch Lily kurz in ihre Arme, obwohl sie sich gar nicht kennen. Ich bemerke Lilys erstauntes Gesicht und muss mir das Lachen verkneifen. So klug und doch so hilflos.

Die Zugfahrt und das Festessen in der Großen Halle sind trotz dem holprigen Start am Morgen doch recht lustig geworden. Wir fallen abends pappsatt und total erledigt in die Betten und wachen am Morgen frisch und munter auf. Zumindest war das der Plan.

Als Lilys Muggelwecker zu klingeln beginnt, entfährt mir ein missmutiges Grummeln, das meine beste Freundin, der Morgenmensch schlecht hin, zum lachen bringt. "Hör auf damit!", verlange ich, mir das Kissen auf die Ohren drückend. Mia stimmt mir mit ebenso verschlafender Stimme zu. Megan dagegen rappelt sich schwerfällig auf und sichert sich als Erste das Badezimmer. 

Oh nein, sie braucht von uns vier immer am längsten. Nur Grace hat noch länger gebraucht - um nicht zu sagen Ewigkeiten. Als ich daran denke, wie oft ich schon vor der Badtür stand und dagegen gehämmert habe, muss ich unwillkürlich grinsen. Das Lächeln gefriert mir auf den Lippen, als mein Blick auf Grace' leeres Bett fällt. Die Last, die mein Herz zu erdrücken scheint, ist zurück.

Mit einem weiteren Grummeln ziehe ich mir die Decke über den Kopf. Lily stellt währenddessen ihren Wecker aus und hantiert an ihrer Schultasche herum. Mia zieht sich um. Obwohl ich sie nicht sehen kann, weiß ich genau, wo sich wer befindet und was er macht, wie man es sich eben angewöhnt, wenn man jemanden jeden Tag erlebt und seine Eigenheiten und Routinen kennt. 

Lils schaut gerade zum zweiten Mal an diesem Morgen, ob sie ihr Schulzeug auch wirklich zusammen hat, als sie mich abgelenkt fragt, ob ich nicht endlich aufstehen will, damit es später nicht stressig wird. 

"Kann ich am ersten Tag nicht einfach krank sein? Heute passiert eh nichts!" Schritte, die ich eindeutig Lily zuordnen kann, nähern sich und ich halte meine Bettdecke rasch fester, damit sie sie mir nicht wegnehmen kann. 

"Heute", beginnt sie, "verkünden die Lehrer, was wir in unserem sechsten Schuljahr alles lernen werden. Und das wirst du nicht sausen lassen, dafür werde ich sorgen!", Lilys Stimme ist ruhig, zu ruhig. Sie hat einen Plan. Verdammt.

Langsam strecke ich meinen Kopf unter der Bettdecke hervor. Lily hat die Arme vor der Brust verschränkt und ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. "Geht doch!", sagt sie, dann dreht sie sich auf dem Absatz um und wendet sich wieder ihrer Schultasche zu. 

Augenblicklich verschwinde ich wieder unter der Decke. Lilys Seufzer ist meine Antwort. Wieso habe ich das Gefühl, dass der Spaß jetzt vorbei ist?

Noch als ich das denke, wird die Bettdecke von mir weggezogen und mich trifft ein eiskalter Strahl Wasser. Ich halte mir die Hände vors Gesicht und kann, während ich mich weiter zusammenkauere und versuche auszuweichen, eine grinsende Lily mit ihrem Zauberstab in der Hand entdecken.

"Lils!", rufe ich vorwurfsvoll und der Wasserstrahl versiegt. Ich streiche mir die patschnassen Haare aus der Stirn und sehe auf. Lily zuckt nur mit den Schultern. "Das nächste Mal solltest du gleich aufstehen." Sie dreht sich um und schafft es mit einem kurzen Sprint noch vor Mia im Badezimmer zu sein, aus dem Megan gerade heraustritt. 

Mit geschlossenen Augen lasse ich mich wieder zurück auf mein weiches Himmelbett fallen. Ich schrecke allerdings gleich wieder auf, als ich die nasse, sich eklig anfühlende Matratze an meinem Rücken spüre. Wo bei Merlins karierter Unterhose ist mein Zauberstab?


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(Bildquelle: http://hairstyles.thehairstyler.com/hairstyle_views/left_view_images/11303/original/Lucy-Hale.jpg)

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