𝔚𝔞𝔰 𝔡𝔞𝔫𝔞𝔠𝔥 𝔤𝔢𝔰𝔠𝔥𝔞𝔥
Rosa Blütenblätter fielen auf Maleas Grab. Die Kirschbäume säumten die Wege von Jesingens Friedhof.
Drei Monate waren vergangen, seit die Freunde Theodor Wesp als den Förster enttarnt hatten. Drei Monaten, die sie damit verbracht hatten, ihr Trauma aufzuarbeiten und ihren Träumen näherzukommen.
Fria hatte gemeinsam mit Tilo beschlossen, eine Therapie zu beginnen. Ihr tat es besonders gut, mit Personen über das Erlebte zu reden und so zu versuchen, die Dinge aufzuarbeiten.
Lilia hatte geschrieben. Drei Monate – drei Bücher. Die Zeit am Schreibtisch, mit sich allein, hatte ihr gutgetan. Sie hatte ihren Eltern und ihren Freunden von der Beziehung von sich und Malea erzählt und sich dann getraut, öfter auf den Friedhof zu gehen. Auch wenn Malea nicht mehr da war, konnte sie ihr noch immer ihre Geschichten vorlesen und darüber sprechen.
Es war nicht das gleiche – es würde nie das gleiche sein, doch für den Moment war es so ok.
Benno hatte seine Zeit mit Suzanne verbracht. Sie hatten gemeinsam gelacht und geweint. Über die Vergangenheit und die Zukunft gesprochen. Aufgearbeitet und weitergearbeitet. Suzannes Eltern wussten nun von dem Unfall mit dem Supermarktraub und der Erpressung des Försters. Sie hatten versichert, alles in ihrer Machtstehende zu tun, um ihrer Tochter die Freiheit zu schenken. Noch arbeiteten alle daran, doch es sah danach aus, als würde Suzanne mit einigen Sozialstunden davonkommen.
Jasper hatte in den drei Monaten viel mit seinem Vater, aber auch mit Lilia gesprochen. Nach ihrem Gespräch im Schnee hatte sich eine Blockade zwischen den beiden gelöst. Es gab keine Geheimnisse mehr.
Manchmal kam Jasper mit auf den Friedhof und jätete Unkraut in ungepflegten Gräbern, weil er fand, dass auch diese Menschen eine schöne Ruhestädte verdient hatten.
Während Lilia ihr Buch vorlas, versank er in der befriedigenden Arbeit.
Die Polizei hatte in den letzten Monaten bei Theodor Wesp zuhause Untersuchungen angestellt. Tatsächlich hatten sie ein paar Gründe für dessen Verhalten gefunden.
In einem Tagebuch hatte der Förster jeden Tag, seit der Geburt seiner Idee, dokumentiert. Er hatte beschrieben, wie und warum er die Experimente vorgenommen hatte.
Tatsächlich war alles aus einem Hirngespinst während seines Studiums entstanden. In Philosophie hatte er sich die Frage gestellt, wie man einen Menschen am besten brechen konnte.
Als er durch Zufall den unbenutzten Bunker im Wald entdeckte, entstand die Idee, dort ein Labor für seine Versuche zu verstecken.
In der Schule zu arbeiten war außerdem der perfekte Weg gewesen, seine ersten Opfer zu bestimmen. Wann immer ein Kind erwähnte, dass Mutter oder eine Verwandte schwanger waren, untersuchte Wesp, ob es sich lohnen würde, dieses Kind zu entführen. Dabei untersuchte er, ob IQ, EQ und ähnliches bei der Familie ausgeprägt waren. In unzähligen Tabellen hatte er diese Ergebnisse ausgewertet und war letztendlich zu dem Schluss gekommen, Martha und Celine zu entführen. So hatte alles seinen Lauf genommen.
Von Kristina hatten die Freunde vor ein paar Tagen tatsächlich auch wieder gehört. Die Reiterin hatte ihnen einen Brief aus Polen geschickt. Sie befand sich auf der Durchreise, hatte aber erst einmal einen Job gefunden, mit dem sie sich eine Weile über Wasser halten konnte.
Da sie kein Geld hatte, hatte sie schweren Herzens ihr Pferd auf einem Bauernhof in Deutschland zurücklassen müssen und war allein als blinder Passagier in einem Zug mitgefahren.
Sie dankte den Freunden in ihrem Brief noch einmal für ihre Freiheit. Auch wenn sie eigentlich am liebsten zuerst ihre Familie kennengelernt hätte, wusste sie, dass das nicht ging. Sie hatte einen Menschen umgebracht und auch wenn dies ihr eigener Entführer gewesen war, müsste sie dafür in Deutschland wohl zuerst einmal ins Gefängnis.
Deshalb wollte sie ein paar Jahre im Ausland leben und erst dann den Schritt zurück nach Jesingen wagen. Vielleicht wäre bis dahin Ruhe eingekehrt.
Lilia legte einen Blumenstrauß auf Maleas Grab. Die pinken Rosen verschmolzen mühelos mit den rosa Kirschbaumblättern. Wäre Malea noch da, hätte sie sicher am liebsten ein Foto geschossen oder ein Bild in diesen Farben gemalt.
Heute waren alle Freunde auf den Friedhof gekommen, denn es war Maleas Geburtstag.
Sie nicht dazuhaben, tat heute besonders weh.
„Ich vermisse dich", hauchte Lilia, so wie sie es immer tat. Es war das letzte, was sie jemals zu ihrer Freundin gesagt hatte, als diese noch am Leben war. Damals, vor einem Sommer, an einem scheinbar unbedeutenden Tag im Krankenhaus.
Lilia stellte sich Maleas Gesicht mit den unzähligen Sommersprossen und den roten Locken vor, als eine Träne über ihre Wange kullerte. „Ich vermisse dich so sehr."
Niemals würde sie vergessen können, dass der Förster ihr Gegenstück genommen hatte.
Benno, Fria und Jasper erschienen an Lilias Seite und nahmen sie in die Arme. Alle waren den Tränen nahe.
„Happy Birthday Mal", flüsterte Fria. "Wir vermissen dich."
„Alles Gute Malea", sagte Benno und suchte auf seinem Handy das Lied, welches sie immer zusammen gespielt hatten. Benno am Klavier und Maleas Stimme hatten eine unfassbare Kraft.
Es war wunderschön, ihre Stimme mal wieder zu hören. Und so lauschten alle den lieblichen Tönen.
„Glückwunsch Malea", sagte Jasper, nachdem der Song zu Ende war. „Du bist jetzt volljährig. Dorothea meinte, sie hätte dir ein Auto geschenkt."
„Dann hättest du uns überall hinfahren können."
„Zum Beispiel zum Vergnügungspark."
„Und dort wieder alle Sorten Zuckerwatte probiert."
„Das wäre schön." Lilia lächelte schwach. „Ich liebe dich."
Die Freunde blieben noch eine Zeit, lauschten dem Lied von Malea und Benno weitere Male, schwelgten in Erinnerungen und Träumen.
Bald würden die Vorbereitungen für ihr Abitur beginnen und wer wusste, wohin es sie danach verschlagen würde.
Noch immer war Jasper überzeugt davon, den Klimawandel aufzuhalten. Benno und Suzanne wollten irgendwann das Hotel von Bennos Eltern übernehmen. Frias YouTube-Videos gewannen immer mehr an Reichweite und so hatte sie in ein paar Wochen ein Treffen mit ein paar anderen anstrebenden Creators. Lilia hatte den ersten Schritt gewagt, und sich bei einer Literaturagentur beworben.
Dies waren ihre Pläne, doch keiner wusste, wohin das Leben sie wirklich bringen würde.
Doch eins war sicher, Freunde würden sie immer bleiben.
Die letzte Zeit hatte die fünf noch enger zusammengeschweißt und keiner würde sie jemals trennen können. Der Förster hatte es auf jeden Fall nicht geschafft.
Die Geschichte der fünf – ihre Geschichte - Lilias, Bennos, Frias, Jaspers & Maleas Geschichte – wie sie die Geheimnisse der träumenden Wälder gelöst hatten, würden sie nie vergessen.
ENDE
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top