Kapitel 7.4
Als Veidja an den Durchlass zur Arena trat, schlug ihr der bekannte Geruch entgegen: Heißer Sand, mit einer Prise Blut und Schweiß. Manchmal roch sie diese Mischung auch außerhalb der Arena, kurz nach dem Aufwachen, oder in den gleichförmigen Gängen der Festung, als seien ihr die Ausdünstungen gefolgt.
Sie seufzte, legte eine Hand auf das Gitter, und wartete darauf, dass sie hinaustreten konnte. Sie genoss und fürchtete diese Momente gleichermaßen.
Sicher, sie konnte ihrer Aufgabe nachgehen, konnte lernen. Wenn sie in den Sand trat, starben kurze Zeit später Dämonen. Aber jedes Mal konnte sie so schwer verwundet werden, dass sie als verkrüppelte Hülle endete, die für N'Arahn keinen Nutzen mehr hatte, so dass er sie anderen überließ.
Und das war, wovor sie Angst hatte. Dass der Gedanke, von einem Höllenfürsten abhängig zu sein, sich fast schon normal anfühlte. Zu seiner Belustigung und für seinen Profit zu kämpfen, zu bluten, wurde das tatsächlich zum Sinn ihres Lebens? Fügte sie sich in diese Rolle?
Oder hatte sie nur Angst vor einem Schicksal, das ihr unerträglich erschien? Was würde sie bereit sein zu tun, um diesem zu entgehen? Es war einfach sich einzureden, dass alles halb so schlimm war, solange sie nur weiter Dämonen tötete. Den Feind dezimierte, wie es ihre Bestimmung war. Doch sie hatte sich schließlich auch schon zu einem Ausstellungsstück degradieren lassen. Was bewahrte sie davor, anderes zu tun, das sie weiter von ihren Prinzipien abrücken lassen würde?
Bisher war das meiste schwarz oder weiß, so dass es leicht war, eine Entscheidung zu treffen. Sie fürchtete das Grau.
Mit einem leisen Rasseln setzte sich das Gitter in Bewegung. Veidjas Finger glitten über das glatte Metall.
Falscher Zeitpunkt für diese Überlegungen.
Die Schwertscheide schlug sanft gegen ihr Bein, als sie in das hell erleuchtete Arenarund hinaustrat. Für einen Moment ließ sie das übliche Raunen und Rauschen auf sich wirken, dann ging sie weiter. Sie wusste nicht genau, was sie heute erwartete, aber zum Einstieg sollte es wohl ein Kampf gegen einen Adjutanten sein. N'Arahn wollte, dass sie für diese Kämpfe frisch war; sie machte dann mehr Eindruck auf die anderen höheren Dämonen.
Ungefähr in der Mitte der Arena angekommen stellte sie ihren Schild vor sich im Sand ab, balancierte ihren Helm mit einer Hand auf dem Rand und strich sich mit der anderen ihren widerspenstigen halbseitigen Zopf glatt. Ihre Haare waren länger geworden, als sie sie normalerweise trug. Sie experimentierte noch, was für sie am praktischsten war, doch bisher bekam sie den Zopf nur auf einer Seite hin. Immerhin, etwas weniger Verwirbelungen unter ihrem Helm, wie wenn sie die Haare komplett offen lassen würde.
Durch das Gittertor auf der anderen Seite der Arena trat eine hünenhafte Gestalt. Auf die Entfernung konnte sie nur grobe Farben und eine riesige Waffe erkennen, die die Gestalt auf ihre Schulter gestützt trug. Sie beobachtete den wiegenden, aber sicheren Gang ihres Gegners, lokalisierte Schwachstellen. Kaum metallene Rüstung, vorrangig flexibles Leder, das sich über die muskelbepackten Arme und Beine spannte. Fellbesatz, ziemlich archaisch. Die freie Haut war dunkel, fast schwarz, jedoch von glühend grünen Mustern durchzogen.
Als die angehende Kriegstreiberin, einer anderen Kaste konnte sie einfach nicht angehören, sich einige Schritte von Veidja entfernt aufstellte, zog ein breites Grinsen über ihr Gesicht. Die braunen Haare fielen in mehreren geflochtenen Zöpfen über ihre Schultern, Hauer ragten zwischen den vollen Lippen hervor. Weitere Hörner oder Stacheln konnte Veidja nicht entdecken, doch einige Dämonen verbargen diese, um sie als versteckte Waffen einsetzen zu können.
Mit einem wuchtigen Ruck hebelte die Dämonin ihre Waffe von ihrer Schulter und ließ den gewaltigen Hammer neben sich im Sand aufkommen. Sie zwinkerte dem Engel zu und griff an ihre Hüfte, zog ein breites Band von dem fellgeschmückten Gürtel. In routinierten Bewegungen band sie die einzelnen Zöpfe zu einem kompakteren Bündel, bereit für den Kampf.
Ein eigentümlicher Schmerz zog durch Veidjas Brust, während sie wie erstarrt jedem Handgriff der Kriegerin folgte. Dieser Gang, wie sie stand, die Bewegungen ihrer Hände. Dieses Grinsen.
Das Atmen fiel ihr schwer, Erinnerungen an eine andere Zeit, an eine andere Kriegerin brandeten gegen den Panzer an, den sie um ihr Herz gebaut hatte. Ralal.
Die Adjutantin verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte den Engel.
„Was starrst du so? Bekommst du Angst?" Ihr Grinsen und ihren Tonfall hätte Veidja bei jedem anderen Dämon höhnisch genannt, doch bei dieser Kriegerin erschienen sie ihr mehr spielerisch neckend. Vertraut.
Langsam schüttelte sie den Kopf.
"Nein, nur eine Erinnerung."
Die Kriegerin hatte die Augen zu Schlitzen verengt.
"Ich hoffe doch an eine saftige Niederlage."
Veidja griff nach ihrem Helm, sah die Adjutantin dann mit einem wehmütigen Lächeln an.
"An eine Gefährtin. Eine Freundin."
Das hatte die Dämonin überrascht. Veidja wunderte es nicht; sie war selbst überrascht, wie offen sie ihrer Gegnerin gegenübertrat.
"Du glaubst doch nicht, dass ich dich jetzt schonen werde, Engel."
Mit wenigen Handgriffen hatte Veidja ihren Helm aufgesetzt und den Riemen festgezogen. Sie nahm ihre Waffen auf und ging in Position.
"Warum solltest du? Hat sie ja auch nie." Wie von selbst legte sich ein Grinsen über ihr Gesicht. Auf diesen Kampf freute sie sich mit einem Mal auf besondere Weise.
Die Dämonin brach in schallendes Gelächter aus und griff nach ihrem Hammer.
"Du gefällst mir." Ihre großen Hände umschlossen den Stiel der Waffe und brachten ihn trotz des sichtbaren Gewichts mühelos auf Brusthöhe. "Wer auch immer deine Freundin war, heute ist es Naghi, die dich weichklopft."
Sie nickten einander zu, dann gab es kein Zögern mehr.
Der Kampf mit der Dämonin war eine willkommene Ablenkung gewesen, auch wenn die Begegnung mit der Adjutantin ihr Sehnen nach dem Weißen Berg und ihren Gefährten verstärkt hatte.
Veidja hätte etwas Zuspruch und Gemeinschaft gerade gut gebrauchen können. Die Aufwartungen der Höllenfürsten waren kräftezehrender gewesen, als sie es vorher erwartet hatte. Und sie wirkten nach, in unruhigen Träumen, wenig erholsamem Schlaf und einer konstanten, glücklicherweise aber nur leichten Abwesenheit, die der Engel nicht abschütteln konnte. Doch es konnte kaum eine Verschnaufpause geben; das hatte der Höllenfürst schon angedeutet.
Daher hatte es sie nicht weiter verwundert, dass N'Arahn sie schon kurz nachdem sie sich aus den verschwitzen Laken gequält hatte, abholen ließ. Er hatte dem Übungskampf dieses Mal nicht selbst beigewohnt, obschon sie da nicht ganz sicher sein konnte. Immerhin, die Konzentration auf den Kampf, die Ablenkung, half ihr, sich wieder einigermaßen mit sich zurecht zu finden. Ihre Gefühle und überreizten Sinne wieder unter Kontrolle zu bringen, zumindest was die „diplomatischen" Begegnungen mit den höheren Dämonen anging.
Zwischenzeitlich hatte sie darüber nachgedacht, ob der Kriegstreiber vielleicht auch etwas Zeit für sich benötigte. Um seine Gedanken zu sortieren und die Eindrücke zu verarbeiten. Schließlich waren Besuche nicht gerade an der Tagesordnung in dieser Festung. Das konnte sie inzwischen einschätzen: Dieser Höllenfürst war kein allzu geselliger.
Das obligatorische Bad hatte eine doppelt reinigende Wirkung gehabt und sie fühlte sich danach etwas klarer und gefestigter. Trotzdem war sie erschöpft und freute sich nicht gerade auf das unvermeidliche Essen mit N'Arahn. Das dann zu ihrer nicht geringen Überraschung einfach ausfiel.
Einer der Hauptmänner brachte ihr einen Kelch, überwachte, dass sie austrank und verschwand wortlos wieder, um sie mit ihren ruhelosen Gedanken alleine zu lassen.
Einerseits erleichtert hatte sie sich in die frischen Stoffe des Bettes gekuschelt. Doch dann konnte sie lange keine Erholung finden, denn der Bruch in den gewohnten Abläufen besorgte sie. War etwas geschehen? Hatte Er seine Meinung geändert, so dass ihr jede Wahl genommen wurde?
War etwas mit N'Arahn?
Irgendwann musste sie doch eingeschlummert sein, denn erst ein Geräusch an der steinernen Tür ließ sie hochfahren. Schnell rieb sie sich ihr Gesicht und zog das Band, mit dem sie ihre länger gewordenen Haare zusammenhielt, fester. Inzwischen stolperte ihr Herzschlag nicht mehr nach jedem Aufwachen. Sie musste schlafen. Und es hatte reichlich Gelegenheiten gegeben, sie zu töten oder zu verletzen; es war nicht nötig, dass man sie dafür schlafend erwischte.
Ihre Eskorte war zahlreich, wie gewohnt. Entmutigend was ihre noch immer nicht völlig verworfenen Fluchtpläne anging, ja, aber Veidja wollte es als Kompliment nehmen, dass der Kriegstreiber sie als ausreichend gefährlich einschätzte.
Auch wenn sie sich dafür schämte, gerade war Flucht gar nicht ihr erster Gedanke. Wo war N'Arahn gewesen? Sie wollte ihn sehen, sich versichern, dass... Ja, was? Dass es ihm gut ging? Wohl kaum. Eher, dass es keine neuen katastrophalen Nachrichten gab. Genau.
Ihr Kopf fühlte sich heiß an und ihre Muskeln zogen schmerzhaft, als sie sich verkrampfte. Zorn stieg in ihr auf. Und auch wenn sie nicht benennen konnte, worauf er sich bezog, begrüßte sie ihn doch. Er brachte sie in die richtige Stimmung, um dem Herrn der Festung gegenüberzutreten.
Tatsächlich stoppte ihre kleine Parade vor einer recht unscheinbaren Felstür, die sich in den ihr nur allzu gut bekannten, überschaubaren Raum öffnete, in dem sie meistens ihr Mana bekam.
Der Kriegstreiber saß schon in seinem Lehnstuhl, bequem zurückgelehnt, und machte eine einladende Handbewegung in Richtung der zweiten Sitzgelegenheit. Dieses Mal trug er seine gewohnte Kleidung, so dass sie viel von seiner rostig-dunkelroten Haut sehen konnte, die sich deutlich vom schwarzen Eisenholz abhob. Sofort entspannte Veidja sich ein wenig.
Nun, das sollte dich eigentlich nicht so beruhigen...
Leicht zögerlich und noch immer von leise simmerndem Zorn erfüllt, setzte der Engel sich. Sie zog die Beine unter sich und beobachtete N'Arahn aufmerksam. Nichts wies darauf hin, dass etwas anders war als sonst.
Wie gewohnt bekam sie einen Kelch mit Mana hingestellt, auch wenn die Portion dieses Mal sehr überschaubar war. Trotzdem tat ihr die Routine gut.
Und das sollte dich unbedingt beunruhigen.
Doch sie brachte gerade nicht die Kraft auf, sich gegen das Einzige zu wehren, was so etwas wie eine Konstante in dieser Hölle war. Schweigend tranken sie, doch besonders geduldig war der Höllenfürst nicht.
„Heute machen wir einen Ausflug zu den Menschen." N'Arahn sah sie aus den Augenwinkeln an. Hm, wie sollte sie darauf reagieren? War es ein gutes Zeichen? Oder wollte er ihr nur das schreckliche Wirken seiner Artgenossen zeigen? Oder das der Menschen selbst, die ebenfalls sehr kreativ darin waren, Grausamkeiten zu begehen.
Was immer der Höllenfürst vorhatte, sie musste es eh hinnehmen. Veidja nickte knapp und nahm den letzten Schluck Mana. Normalerweise würde sie sich noch einen Umlauf ausruhen können. Die letzte Runde Kämpfe in der Arena war hart gewesen; der Arenameister schonte weder sie noch seine abgestellten Höllenkreaturen.
Mehrere ihrer frisch verschlossenen Wunden pochten noch. Sie heilte zwar schnell, aber etwas mehr Ruhe hätte ihr doch gut getan. Mit einer gewissen Genugtuung dachte die Kriegerin daran, dass es den Kriechern allerdings noch schlechter gehen musste, insofern sie sie nicht als Leichen im Sand zurückgelassen hatte.
„Wir werden uns amüsieren." N'Arahn sah sie nun direkt an, zeigte sein ihr inzwischen nur zu bekanntes schiefes Grinsen. „Aber du musst dich nicht sorgen. Wir gehen zu einer eher... konservativen Veranstaltung."
Als ob sie das beruhigen würde. Was verstand ein Höllenfürst wohl unter konservativ? Fragend zog sie eine Augenbraue hoch. N'Arahn hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass sie, entgegen seines Wunsches, nicht viele Worte machte.
„Ach komm, mein Engel, so wenig Vertrauen? Wir werden einfach nur mal ein wenig Spaß haben. Und, ich wiederhole es gerne, wir gehen in die Welt der Menschen. Ganz so ausgefallen kann es dort gar nicht sein." Er schüttelte leicht tadelnd seinen Kopf.
„Aber gut, ich will heute mal nicht so sein." Der Höllenfürst breitete die Arme aus und verkündete in getragenem Tonfall: „Wir besuchen ein Tanzcafé!" Veidja wusste, dass sie ihre Skepsis zu offen zeigte, als sich Enttäuschung auf N'Arahns Gesicht breit machte. „Wirklich? Gar keine Begeisterung? Das wird lustig!" Manchmal war dieser Dämon einfach nur seltsam.
N'Arahn erhob sich und wieder einmal wurde Veidja bewusst, wie groß er war. Die hohe Lehne des riesigen Eisenholzstuhls, in dem sie selbst versank, diente ihm als Stütze auf knapper Schulterhöhe. Er konnte bequem seinen Arm darauf ablegen, wenn er sie von oben betrachten wollte, wie er es gerade tat. Sofort fühlte sich die Kriegerin unwohl. Sicher, er war größer, aber diese Position betonte es übermäßig. Veidja erhob sich ebenfalls, unter dem musternden Blick des Höllenfürsten.
Immer wieder schaffte er es, sie zu verwirren. N'Arahn wechselte übergangslos im Tonfall von scherzend zu befehlend, im Blick von neckend zu durchdringend und im Tun von einfühlsam zu grausam. War das seine Natur? Oder reine Berechnung? Veidja gelang es nicht, ihn zu durchschauen. Aber sie hatte schon zu oft Schwäche in seiner Gegenwart gezeigt, als dass sie bereit gewesen wäre, ihm auch nur kleine Siege zu gönnen. Dumm nur, dass sie noch immer nicht einschätzen konnte, wann er etwas als Sieg verbuchte...
„Lass mich sehen, wie du dich vor den Menschen präsentierst." Veidja atmete tief durch, als sich ein Teil des immerwährenden Drucks von ihr löste. Sie hatte keine Ahnung, wie er es machte, aber keine ihrer Fähigkeiten war freigegeben worden, als genau diese: Ihr Aussehen anzupassen. Und das war denkbar einfach. Enttäuschung und Erleichterung gleichermaßen stiegen in dem Engel hoch. Ein Funken mehr Freiheit, doch nichts, was sie wirklich befreien könnte. Sei für die kleinen Dinge dankbar. Vielleicht ist es dir ja noch anderweitig nützlich.
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