5. Kapitel

Nachdem mich Nate bei Adrian zu Hause abgesetzt hatte, saß ich mit Elli in der Küche und trank Kaffee. Ich berichtete ihr haarklein von meinem Besuch bei Adrian.

„Du bist also wirklich davon überzeugt, dass Adrian nichts mit der Sache zu tun hat?", fragte mich Elli zum dritten Mal, was ich nur mit einem Nicken quittierte. Ich war mir sicher, dass Adrian nicht trauerte, dass André tot war, doch er hatte nichts mit seinem Tod zu tun.

Gedankenverloren spielte ich mit der Kaffeetasse zwischen meinen Händen, bis ich plötzlich zu Elli hochsah. „Maxim."

„Was?", fragte sie verwirrt.

„Maxim, Andrés Bruder", sagte ich aufgeregt. „Vielleicht weiß er etwas, was uns weiterhelfen kann."

„Bist du verrückt geworden? Wieso um alles in der Welt sollte uns ausgerechnet der Bruder von so einem Monster helfen?" Entgeistert sah Elli mich an.

„Du kennst ihn nicht gut, Elli. Maxim ist nicht wie André, er hat immer gehasst, was sein Bruder getan hat", antwortete ich, doch meine beste Freundin schaute immer noch skeptisch aus der Wäsche.

„Und wie willst du ihn finden? Woher willst du wissen, ob er überhaupt in diesem Land ist? Er könnte sonst wo auf der Welt sein."

„Das glaube ich nicht. So sehr er André gehasst hat, war er doch immer dort, wo er war", widersprach ich vehement. „Er ist hier, wahrscheinlich sogar in der Stadt."

„Und was willst du tun? Von Haus zu Haus ziehen?", lachte Elli. Finster sah ich sie an.

„Wenn es sein muss", knurrte ich. „Wir könnten einen Privatdetektiv engagieren."

„Na klar. Was glaubst du denn, was die Polizei mit Adrian macht, wenn sie herausfinden, dass du in der Sache herumschnüffelst? Die werden denken, dass du auch was mit Andrés Tod zu tun hast und dich in eine Zelle mit Adrian sperren", rief Elli und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Zerknirscht sah ich sie an. Dass durch mein Handeln Adrian tiefer in das Schlamassel geraten konnte, hatte ich nicht bedacht.

„Ich weiß, dass du ihm helfen willst, Süße", sagte Elli und strich mir über den Rücken. „Aber vielleicht ist es wirklich das Beste, abzuwarten und die Anwälte arbeiten zu lassen."

In diesem Moment klingelte es an der Tür. Elli sah mich fragend an, woraufhin ich mit den Schultern zuckte. „Ist bestimmt Nate."

„Dann setz ich mal noch einen Kaffee auf", sagte Elli augenverdrehend, woraufhin ich kichern musste. Nate war wirklich koffeinsüchtig.

Ich machte mich auf den Weg zur Tür und öffnete sie. Bei dem Anblick der Person erstarrte ich. Es war eindeutig nicht Nate.

„Lange nicht gesehen, kleine Gianna."

„Maxim?", sagte ich fassungslos. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass genau die Person vor der Tür auftauchte, die ich unbedingt finden wollte?

„Wie ich höre, sorgst du immer noch für reichlich Ärger", grinste das Ebenbild meines verhassten Exfreundes. „Darf ich reinkommen?"

„Klar", sagte ich, immer noch neben mir stehend. „Elli ist in der Küche, sie macht gerade einen Kaffee."

„Hervorragend", grinste Maxim und spazierte in den Flur, als würde ihm das Haus gehören. „Wo lang muss ich?"

Ich schloss die Haustür und führte Maxim in die Küche. Elli stand mit dem Rücken zu uns.

„Hey Nate", sagte sie. „Kaffee ist gleich fertig, würdest du mir bitte eine Tasse geben?"

„Klar", sagte Maxim und nahm eine der Tassen von der Anrichte, um sie Elli entgegenzuhalten. Diese wirbelte herum und stieß einen spitzen Schrei aus.

„Lange nicht gesehen", sagte Maxim und drückte ihr die Tasse in die Hand. Das war eine der wenigen Momente im Leben, in denen ich Elli sprachlos erlebt hatte.

„Du - wie - ich meine, dein", stotterte sie, unfähig, die richtigen Worte zu finden. Schließlich begnügte sie sich damit, den Kaffee in die Tasse zu schütten und diese so heftig vor Maxim abzustellen, dass ein Teil des Inhalts überschwappte.

„Merci", flötete Maxim und nahm einen Schluck, woraufhin er das Gesicht verzog. „Igitt, wieso zum Teufel darfst du Kaffee machen? Das Zeug schmeckt wie Rattengift."

„Woher weißt du, wie Rattengift schmeckt?", fragte Elli. „Bist du zu oft verwechselt worden?"

„Wirklich witzig", sagte Maxim und drängte Elli von der Kaffeemaschine weg. „Das kann ja keiner trinken, gib mir mal die Kaffeebohnen."

Elli und ich sahen Maxim dabei zu, wie er mit Adrians Kaffeemaschine hantierte, als wäre es seine eigene.

Als er schließlich mit einer dampfenden Tasse Kaffee vor uns saß, schwieg er zunächst.

„Was willst du hier?", brach Elli schlussendlich das Schweigen. Sie starrte Maxim misstrauisch an.

„Ich wollte Gianna fragen, ob sie weiß, was mit meinem lieben Bruder passiert ist", sagte Maxim und lehnte sich entspannt zurück.

„Lieber Bruder? Dein Bruder war eine Ausgeburt der Hölle, der meine beste Freundin traumatisiert, missbraucht und gequält hat", zischte Elli wütend. „Er hat jede einzelne Sekunde Leid verdient, das er in seinem ganzen Leben erfahren hat. Und trotzdem wäre es nie genug!"

„Familie kann man sich nicht aussuchen, Schätzchen", antwortete Maxim. „Ich habe immer verabscheut, was er dir angetan hat, Gianna. Hätte ich ihn aufhalten können, dann wäre dir das nie zugestoßen."

„Ich weiß, Maxim", sagte ich und klammerte mich an meine Tasse. „Das ist nicht deine Schuld."

„Er ist seit Jahren nicht mehr mein Bruder gewesen", fuhr Maxim fort. „Trotzdem wüsste ich gern, was mit ihm geschehen ist. War es dein Freund?" Er sah mich ohne jeden Funken Wut an.

„Nein, Adrian war es nicht. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort", sagte ich. „Und ich kann dir nicht sagen, was mit deinem Bruder passiert ist, wir wüssten es auch zu gern. Um Adrian zu helfen."

Maxim nickte und trank einen weiteren Schluck seines Kaffees. „Wenn ich etwas herausfinde, werde ich es euch wissen lassen. Adrian war an dem Abend bei mir, musst du wissen."

Überrascht sah ich ihn an. „Was hat er von dir gewollt?"

„Oh, er dachte, er hätte meinen Bruder vor sich. Dein Freund wollte nichts von mir, sondern von ihm. Aber das habe ich der Polizei nicht erzählt. Das würde kein gutes Licht auf die Sache werfen, meinst du nicht?", erzählte Maxim.

Obwohl er es freundlich gesagt hatte, wurde mir bei seinen Worten plötzlich komisch. Wurde ich zu paranoid oder hatte der Mann mir gegenüber eine Art unterschwellige Drohung ausgesprochen?

„Du kennst Adrian nicht", warf Elli ein. „Wieso hast du diese Information der Polizei verschwiegen?" Scheinbar war ich nicht die Einzige, die die Situation mittlerweile mehr als merkwürdig fand.

„Wir haben uns an dem Abend eine Weile unterhalten und ich hatte den Eindruck, dass er dich wirklich liebt", sagte Maxim. „Das hast du nach all der Zeit verdient."

Elli und ich antworteten beide nicht darauf.

„Naja, ich müsste jetzt auch wieder los, wollte nur mal kurz vorbeischauen", sagte Maxim und holte ein kleines Kärtchen aus seiner Jacke. „Da steht meine Nummer drauf, falls ihr mich erreichen möchtet. Tut nichts unüberlegtes."

Ich begleitete Maxim mit einigem Abstand zur Tür. Gerade als er gehen wollte, drehte er sich ein letztes Mal um. „Bald wird alles besser, versprochen." Er legte mir zum Abschied eine Hand auf die Schulter und ich begann zu frösteln. Täuschte ich mich oder hatte Maxim mir kaum merklich zugezwinkert?

„Auf Wiedersehen", murmelte ich und schloss die Tür hinter ihm. Als ich mich umdrehte, stand Elli im Flur.

„Das war ... merkwürdig", sagte sie. „Woher weiß er überhaupt, wo Adrian wohnt?"

Ich antwortete ihr nicht. Immer noch war mir kalt. Mit einem flauen Magen räumte ich das Geschirr in der Küche weg und griff dann nach der Karte, die Maxim auf den Tisch gelegt hatte.

„Was machst du da?", fragte Elli schockiert, als ich die Karte hob und an ihr roch. Wie von der Tarantel gestochen ließ ich das weiße Papier fallen und starrte Elli angsterfüllt an. Diesen Geruch würde ich nie in meinem Leben vergessen.

„Das war nicht Maxim", hauchte ich zitternd. „Das war André."

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