3 | 53 | Illusionen
Meine Lieben, es geht weiter. Ich verspreche euch, es wird nicht weniger cringy, aber da müssen wir jetzt die nächsten ein, zwei Kapitel durch, denn ich hatte einfach keine Energie, die Geschichte umzuschreiben. Also, ich wünsche euch ganz viel Spaß beim Lesen :)
Cassie schaute sich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch um, als sie aus dem Bus stieg. Die Wohngegend, in der Malcolm mit seiner Freundin wohnte, wirkte im Vergleich zu ihrem eigenen Zuhause am Rand von Hamburg wie ein gesellschaftlicher Abstieg. Sie hatte das Gefühl, dass sie das triste, mit pastellfarbenen Plattenbauten gepflasterte Stadtgebiet jede Sekunde sumpfartig verschlingen würde. In einiger Entfernung lungerten ein paar seltsame Vögel herum, die in Jogginghose, weißen Socken und Lackschuhen auf dem Bürgersteig im Nieselregen hockten. Die Vorstellung hier in der Dunkelheit entlanglaufen zu müssen, beunruhigte sie, und sie war froh, dass sie nicht wirklich darauf angewiesen war, sich hier über einen längeren Zeitraum aufzuhalten. Sie hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren, da sich die Plattenbauten nur anhand ihrer Hausnummer voneinander unterscheiden ließen. Wie konnte jemand wie Malcolm, der sich einen schicken Mittelklassewagen und teure Designerklamotten leistete, hier wohnen?
Während sie das richtige Haus suchte, hielt sie ihre kleine Reisetasche in der einen und ihr Smartphone mit laufendem Navigationssystem in der anderen Hand. In der Hoffnung, dass ein Wochenende für ihr Vorhaben ausreichen würde, hatte sie lediglich das Nötigste eingepackt. Sie warf noch einmal einen Blick auf das Display ihres Handys, um zu sehen, wie weit sie noch von ihrem Ziel entfernt war. Er hatte angeboten, sie am Bahnhof abzuholen, doch da sie mit John und Marten im Auto gekommen war, hatte sie das abgelehnt und sich einfach ein paar Haltestellen vorher aus dem Auto werfen lassen.
Als sie endlich die richtige Hausnummer fand, schob sie das Handy in ihre Jackentasche und suchte auf dem Klingelschild nach seinem Namen. Ihre Finger kribbelten nervös, als sie klingelte. Sie hielt den Atem an, während sie auf das verräterische Knacken aus der rostigen Gegensprechanlage wartete.
„Hallo?", meldete sich endlich die erlösende Stimme einer Frau.
„Hi, hier ist... Also... Ist Malcolm da?", stammelte sie bemüht verunsichert.
„Bist du Cassie?", wollte die Frau am anderen Ende wissen. Immerhin hatte er ihren Besuch offenbar schonmal angekündigt.
„Ja. Genau."
„Ähm, ja, du bist ganz schön früh dran, oder? Einen Moment", erwiderte die Frau am anderen Ende, ehe der Summer ertönte. „Fünfter Stock, die vierte Wohnung auf der rechten Seite", sagte sie noch, bevor sie den Hörer einhängte.
Cassie drückte die Tür auf und stand unmittelbar im miefigen Treppenhaus. Während sie den schmalen Gang entlanglief, vorbei an Kinderwägen, Fahrrädern und vollgeschmierten Wänden, kehrten Erinnerungen an längst vergangene Tage in ihr Gedächtnis zurück. Sie sah den alten Plattenbau vor sich, in dem sie eine Zeit lang mit John gewohnt hatte; damals, als sie das erste Mal zusammengezogen waren.
Sie erreichte den Aufzug und drückte auf den Knopf. Das dumpfe Summen kündigte ihn an, ehe sich die Türen des Aufzugs typisch quietschend öffneten. Bei der Vorstellung, in dem maximal zwei Quadratmeter großen Stahlkäfig steckenzubleiben, lief es ihr eiskalt den Rücken herunter und sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass ihr genau das nicht passierte.
Sie drückte auf einen der großen, runden Knöpfe, zog ihr Handy nochmal aus der Tasche und tippte darauf herum, während der Aufzug sie in den fünften Stock brachte. Bevor sie ausstieg, atmete sie tief durch und setzte ihr traurigstes Gesicht auf. Ihr Herz schmerzte bei der Erkenntnis, was sie gerade im Begriff war zu tun. Dass sie es überhaupt in Betracht gezogen hatte, zeigte eigentlich bereits, dass das Vertrauensverhältnis zu ihrem Vater nach wie vor nicht gut war. Sie schloss die Augen und versuchte, das Gefühlschaos rund um ihre Beziehung mit John abzurufen; ihre nach wie vor ausbleibende Schwangerschaft, ihre ständigen Auseinandersetzungen mit John wegen seiner fehlenden Einfühlsamkeit und seiner Eifersucht auf Marten, den Verlust von Paola und ihren geplatzten Traum. Sie war nie ein Mensch gewesen, der auf Knopfdruck weinen konnte, doch jetzt wollte sie zumindest probieren, es irgendwie zu triggern. Als ihr Mund staubtrocken wurde und ihr Hals sich qualvoll zuzog, schien es ihr tatsächlich zu gelingen – zumindest ansatzweise.
Als sich die Türen öffneten, lief sie den langen Gang entlang, vorbei an den großen, blauen Türen. Malcolm erwartete sie bereits im Türrahmen. Aus dem Inneren der Wohnung fiel ein wenig Licht in den sonst dunklen Flur.
„Hattest du nicht gesagt, du kommst erst abends an?", fragte er überrascht, als Cassie ihn erreichte. Sie schluckte und setzte einen betroffenen Blick auf, bevor er sie in die Arme zog. Sie ließ es geschehen, doch das Gefühl der innerlichen Zerrissenheit war nahezu unerträglich. Konnte er dieses Mitgefühl tatsächlich spielen oder lag ihm wirklich etwas an ihr?
„Ich habe schon einen Zug früher genommen. Ich habe es nicht länger ausgehalten in Hamburg."
Kaum sprach sie die Worte aus, füllten sich ihre Augen tatsächlich mit heißen Tränen.
„Macht ja nichts. Ich habe nur später mit dir gerechnet. Schön, dass du da bist. Komm doch erstmal rein", sagte er hilflos und machte einen Schritt nach hinten. Mit einem mulmigen Bauchgefühl betrat sie die Wohnung. Sie war auf den ersten Blick winzig, aber liebevoll eingerichtet. Seine Freundin Alisha schien Geschmack zu haben und das Innere der Wohnung passte eigentlich überhaupt nicht zur äußeren Fassade des Plattenbaus.
„Ist alles okay, Babe?", fragte Malcolm in die Stille der Wohnung hinein.
„Ehrlich gesagt nicht. Kannst du mir mal kurz helfen?", drang Alishas Stimme dumpf durch eine der verschlossenen Türen.
„Ich komme sofort", antwortete er, ehe er sich wieder an Cassie wandte und auf die Tür zum Wohnzimmer deutete.
„Setz dich doch. Ich sehe kurz nach Alisha", lächelte er, bevor er sie kurz alleinließ. Cassie schaute sich unterdessen kurz um, betrachtete die Bilder der beiden, die zwischen Kerzen und Schmetterlings-Deko im Regal über dem Fernseher standen. Ratlos setzte sie sich aufs Sofa und zog ihr Handy aus der Tasche. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie Martens Nachricht sah. Sie hatte mit John ausgemacht, in der Zeit, in der sie hier war, ausschließlich mit seinem Cousin zu schreiben, nur für den Fall, dass Malcolm mal daneben saß. Neben Marten und Nika hatten sie schlussendlich auch Willow eingeweiht, damit sie Cassies verändertes Verhalten ihrem Vater gegenüber verstand. Die Idee, Andre auch zu informieren, hatten sie wieder verworfen. Cassie war sich noch nicht sicher, ob sie ihm vertrauen konnte. Das Risiko, dass er mit Malcolm gemeinsame Sache machte oder ihn warnte, war einfach zu groß. Sie warf einen flüchtigen Blick zur Tür, um zu prüfen, ob Malcolm bereits zurückkam. Als die Luft rein war, klickte sie Martens Nachricht an.
„Bist du da?", hatte er geschrieben.
„Gerade drin", tippte sie zurück.
Sie schob das Handy zurück in die Tasche und horchte in die Stille der Wohnung hinein. Sie hörte die beiden leise flüstern, dann plötzlich betraten sie gemeinsam das Wohnzimmer.
„Cassie, ich möchte dir Alisha vorstellen."
Sie stockte, als sie der Freundin ihres Vaters ins Gesicht sah. Sie war etwas größer als Cassie, hatte lange, dunkle Haare und große, braune Augen. Malcolm hatte ihr zwar schon ein Bild gezeigt, doch darauf hatte sie deutlich älter ausgesehen. Die junge Frau, die ihr jetzt mit einem strahlenden Lächeln gegenüberstand, hätte ebenso Cassies ältere Schwester sein können. Sie schätzte sie auf maximal vierzig. Ihr Vater ließ scheinbar nichts anbrennen.
„Hi, ich bin Alisha. Freut mich, dich endlich mal kennenzulernen", sagte sie und schenkte Cassie ein entwaffnendes Lächeln. Selbst, wenn sie gewollt hätte, hätte sie jetzt nicht abweisend reagieren können. Dafür gab sich Alisha einfach zu nett.
„Gleichfalls", sagte Cassie unbeholfen und drückte ihre Hand. Automatisch fiel ihr Blick dabei auf den kleinen Babybauch, den Alisha unter einem Top versteckte. Darüber trug sie ein offenes rotes Karo-Hemd.
„Hätte ich gewusst, dass du kommst, hätte ich mich hübsch gemacht", betonte sie lächelnd und verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse, als sie am Stoff ihrer weit geschnittenen Jogginghose herumzupfte.
„Macht nichts, ich habe mir schließlich auch keine besonders große Mühe gegeben", wiegelte Cassie sie ab und deutete an ihrem Hoodie und ihrer zerrissenen Jeans herunter, die sie überflüssigerweise auch noch in ein paar Tennissocken gesteckt hatte.
„Malcolm sagte, du hättest dich mit deinem Freund gestritten", hakte Alisha vorsichtig ein.
Cassie schluckte, senkte betont getroffen ihren Blick.
„So ähnlich", murmelte sie betreten. „Wir habe uns getrennt."
Sie schüttelte den Kopf, bevor sie erneut in Tränen ausbrach. Alisha lächelte unbeholfen.
„Vielleicht lasse ich euch erstmal allein", warf sie ein, bevor sie ihren Worten Taten folgen ließ.
Cassie sank traurig auf die Couch zurück und strich sich theatralisch übers Gesicht. Die paar Stunden Schauspielunterricht, die sie ursprünglich für einen anderen Job hatte nehmen müssen, schienen sich endlich auszuzahlen.
„Willst du mir vielleicht alles einmal in Ruhe erzählen?", fragte Malcolm. Sie seufzte schwer, strich sich hilflos durchs Haar und sah ihm traurig ins Gesicht.
„Marten und ich, wir... Es hat einfach gefunkt zwischen uns. Ich war einfach nur zu feige, es John zu sagen", log sie und sah ihm dabei fest in die Augen. Sie achtete auf irgendeine verräterische Form der Veränderung.
„Marten? Dieser volltätowierte Kampfsportler?", hakte er fassungslos nach. „Aber was findest du denn an dem?"
„Er war einfach für mich da, als ich jemanden gebraucht habe, der mich auffängt", antwortete sie schulterzuckend. „Ich meine, John und ich, wir versuchen schon so lang, ein Baby zu bekommen. Dass ich nie schwanger geworden bin, hat mich wirklich traurig gemacht. Aber er war unterwegs, hat sich kaum gemeldet, und wenn er zuhause war, wollte er keine traurigen Gespräche führen. Ich habe mich einfach von ihm distanziert."
Ihr Vater schüttelte ungläubig den Kopf.
„Aber ihr wart doch glücklich, hast du gesagt", erinnerte er sie an ihre eigenen Worte.
„Ich habe mich in diese Illusion geflüchtet, aber dann habe ich erkannt, dass ich Gefühle für Marten entwickelt habe", erwiderte sie. „Ich bin nicht stolz darauf, aber es hat sich eben so entwickelt."
„Und wieso bist du nicht bei ihm?", wollte Malcolm wissen.
„John und ich waren beinah unser gesamtes Leben zusammen. Auch, wenn meine Gefühle für ihn sich verändert haben, muss ich das erst einmal verdauen. Ich kann nicht von jetzt auf gleich mit der Beziehung abschließen. Und wenn ich ehrlich bin, ertrage ich es gerade auch nicht, Marten zu sehen", behauptete sie.
„Weiß er, dass du hier bist?", fragte Malcolm neugierig.
„John oder Marten?", hakte sie nach, um ihn noch ein wenig mehr zu verwirren.
„Beide", sagte er.
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich muss erst einmal zur Ruhe kommen. Mein Streit mit John war wirklich heftig", erzählte sie. „Wir haben uns gegenseitig wüst beschimpft und uns währenddessen die halbe Kücheneinrichtung um die Ohren geworfen."
Bei der Vorstellung unterdrückte sie ein amüsiertes Schmunzeln. Langsam begann diese Farce sogar noch, Spaß zu machen.
„Aber dieser Marten ist doch sein Cousin, oder nicht?", platzte es schockiert aus Malcolm heraus.
„Ja meinst du denn, ich habe mir ausgesucht, in wen ich mich verliebe?", fragte sie aufgebracht.
„Cassie, das kannst du doch nicht machen", ermahnte Malcolm sie.
„Ich bin auch nicht stolz darauf, aber... Zwischen Marten und mir hat immer diese besondere Bindung existiert. Er ist ganz anders als du glaubst", sagte sie.
„Es ist gut, dass du hergekommen bist. Ich denke, es ist wichtig, dass du etwas Abstand zu der Sache bekommst", räumte Malcolm ein. „Möchtest du einen Tee? Ich würde Alisha bitten, dir einen zu machen."
„Das wäre toll", erwiderte sie. „Tee wird mir sicher guttun."
Als ihr Vater sie kurz alleinließ, atmete sie innerlich erleichtert auf. Es kostete sie unglaublich viel Energie, ihm all diese Lügen aufzutischen und John in ein derart schlechtes Licht zu rücken. Es brach ihr beinah das Herz, so schlecht von ihm zu sprechen, obwohl er – wieder einmal – bedingungslos hinter ihr stand und versuchte, die Situation mit ihr zusammen durchzustehen.
„Hey..."
Sie schaute überrascht auf, als Alisha vorsichtig das Wohnzimmer betrat. Sie rang sich ein Lächeln ab.
„Malcolm meinte, du hättest gern einen Tee. Möchtest du dir vielleicht selbst eine Sorte aussuchen?"
Cassie lächelte, dann stand sie auf und folgte der Freundin ihres Vaters in die winzige Küche, in der gerade mal eine Küchenzeile, ein kleiner Tisch und zwei Stühle Platz gefunden hatten. Alisha öffnete einen der Apothekerschränke und deutete auf die zugegeben recht große Auswahl an Teesorten.
„Ein Früchtetee wäre gut", sagte Cassie und nahm ungefragt die Packung heraus, so, als wäre sie hier zuhause.
„Gib her, ich mach das schon", sagte Alisha und nahm ihr die Packung aus der Hand. Malcolm lehnte mit dem Rücken an der Anrichte und beobachtete seine Freundin dabei, wie sie Wasser in den Wasserkocher füllte, eine Teetasse bereitstellte und den Beutel hineinwarf.
„Und wo willst du jetzt hin?", fragte er beiläufig, während das Wasser zu kochen begann. Cassie hatte eigentlich geglaubt, es sei für ihn selbstverständlich, dass sie erst einmal bei ihm bleiben würde. Schließlich war er ihr Vater.
„Jetzt bin ich ja erstmal ein paar Tage bei dir. Danke übrigens nochmal, dass ihr mir angeboten habt, bei euch zu übernachten", räumte Cassie bemüht freundlich ein.
„Das ist doch selbstverständlich", lächelte Alisha ermutigend.
„Ich denke wirklich, dass mir die Auszeit ganz guttut. Um den Rest kann ich mich kümmern, wenn ich zurück in Hamburg bin. John hat alle Karten sperren lassen, also habe ich keinen Zugriff mehr auf unser gemeinsames Konto. Ich kann also nicht einmal ein Hotelzimmer bezahlen oder Geld abheben. Ich bin von meinem letzten Bargeld hergekommen", erzählte sie.
„Verstehe", sagte ihr Vater knapp, während seine eben noch so vollen Lippen sich zu einem schmalen Strich verzogen.
Ich weiß, niemand, aber wirklich niemand, kann Malcolm gerade leiden, oder? Ich kanns es auch niemandem verübeln, ehrlich gesagt. Wie findet ihr denn Alisha? Ist sie euch wenigstens sympathisch? Und was glaubt ihr, wie es jetzt weitergeht? Welchen Cringe habe ich mir noch einfallen lassen? Haha. Sorry, aber ich kann selbst nicht anders als mit Humor mit dem Teil der Geschichte umgehen :D Ich küsse eure Herzen trotzdem.
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