2 | 29 | Geplatzte Träume
Der Titel sagt es schon; dennoch viel Spaß mit dem Kapitel. Ich verrate zwei Dinge: es wird emotional - und der Weihnachtskalender mit Saelamju hat schon über 12 Kapitel. Habt einen schönen Sonntag :D
Frustriert ließ Cassie ihren Blick an ihrem geschienten Bein herabgleiten. Sie saß auf dem Krankenbett und strich sich eine Träne aus dem Augenwinkel. John, der auf dem Stuhl vor ihr saß, streckte seine Hand nach ihr aus. Cassie seufzte. Sie war bereits zwei Tage hier und wartete auf ihre Entlassung. John war ihr nicht von der Seite gewichen, hatte sogar mit ihr hier übernachtet. Es machte sie stolz, wie sehr er hinter ihr stand und ihr den Rücken stärkte.
„Quäl dich selbst nicht so, okay?", sagte John. „Wir bringen dich nach Hamburg zu diesem Spezialisten, den Aaron uns empfohlen hat, und dann sehen wir weiter."
„Du hast gehört, was der Arzt gesagt hat", erwiderte Cassie schluchzend. „Wahrscheinlich war es das mit der Show und vielleicht kann ich sogar nie wieder tanzen. Ich würde lieber sterben, als nie mehr zu tanzen. Ich meine, das ist mein Leben. Ich kann meine ganzen Emotionen, meinen Alltag, meine Probleme, mein Glück – einfach mein gesamtes Leben darin verarbeiten, mich ausdrücken, mich fallenlassen. Nicht mehr tanzen zu können ist, als würde ein Teil von mir sterben. Ich gehe ein, wenn ich das aufgeben muss."
Ihre verzweifelten Worte berührten sein Herz. Die Angst, nie wieder tanzen zu können, musste grausam sein.
„Das ist doch noch gar nicht raus. Er hat nur gesagt, dass, wenn du es nicht vollständig ausheilst, die Gefahr besteht, dass du den Fuß nie mehr richtig belasten kannst. Aber du wirst dich so gut auskurieren, dass kein Restrisiko besteht. Okay?", redete er beruhigend auf sie ein.
„So viel Zeit habe ich aber nicht. Ich muss so schnell es geht wieder auf die Beine kommen, damit ich die Show machen kann", erwiderte sie niedergeschlagen.
„Du musst jetzt erstmal mit einem Spezialisten sprechen, der das tausend Mal im Jahr sieht. Er kann viel besser einschätzen, wie schlimm die Verletzung tatsächlich ist. Vielleicht besteht ja doch noch eine Chance, dass du die Show machen kannst", entgegnete er und schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln.
„Mach mir bitte vorerst keine Hoffnungen", bat sie ihn leise und senkte ihren Blick.
„Also willst du aufgeben", stellte er hart fest.
„Natürlich nicht", platzte es aus ihr heraus. Er schmunzelte innerlich angesichts ihres Kampfgeistes. So gefiel sie ihm schon sehr viel besser.
„Also... Wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass du bei der Show dabei sein kannst, wirst du dafür kämpfen", erwiderte er.
„Selbst, wenn es doch noch eine kleine Chance gibt, dass ich sie mittanzen kann, werde ich kürzertreten müssen und verpasse erstmal die kommenden Trainingseinheiten. Das werde ich nie alles einfach so aufholen."
„Ich glaube dir, dass sich das beschissen anfühlt und du Angst davor hast, dass du die Show absagen musst. Aber warte erstmal ab, was der andere Arzt sagt. Der ist auf solche Frakturen spezialisiert. Coach hat gesagt, dass er normalerweise Fußballspieler und Basketballer behandelt. Der hat Ahnung von dem, was er sagt", probierte er, sie zu beruhigen.
Sie seufzte, dann beugte sie sich zu ihm und küsste ihn sanft.
„Danke, dass du da bist", sagte sie. Er lächelte.
„Sieh es positiv. So kommst du immerhin doch dazu, dich von Marten zu verabschieden", machte er einen weiteren Versuch, sie aufzuheitern. Als sie kurz darauf entlassen worden war und gemeinsam mit John und Rome auf Krücken den Gang hinunter in Richtung Ausgang lief, versuchte sie, sich die körperlichen und seelischen Schmerzen nicht anmerken zu lassen.
„Ich habe vorerst deine Klamotten im Hotel zusammenpacken lassen", sagte Rome, als sie den Wagen erreichten.
„Danke", sagte sie niedergeschlagen und ließ sich von John in den Wagen helfen. Er hatte den Beifahrersitz ganz nach hinten geschoben, sodass sie möglichst viel Beinfreiheit hatte. Er selbst setzte sich auf den Rücksitz. Cassie fühlte sich nicht nur körperlich schlecht, vor allem ihre Psyche hatte an der Situation zu knabbern. In erster Linie jedoch war sie dankbar dafür, dass nichts Schlimmeres passiert war. Sie wusste, dass der Sturz auch hätte ganz anders ausgehen können – mit einem Koma zum Beispiel. Bei der Erinnerung daran, dass Martens Exfreundin Samira unglücklich mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen und im Anschluss verstorben war, drehte sich beinah ihr Magen um. Im Gegensatz zu ihr hatte Cassie wirklich großes Glück gehabt.
Während der Fahrt dämmerte Cassie immer wieder weg. Sie war viel zu erschöpft von den nervenaufreibenden Tagen im Krankenhaus und ihren Gedanken rund um die Show und ihre Rolle. Erst, als Rome den Wagen Stunden später vor der Haustür abstellte, schlug sie endgültig die Augen wieder auf. John stieg aus und half ihr aus dem Wagen, während Rome sich um das Gepäck kümmerte. Es war ein seltsames Gefühl, unplanmäßig wieder zuhause zu sein. John half ihr bis zur Haustür, kramte dort den Schlüssel hervor und öffnete, bevor er ihr den Vortritt ließ.
„Willst du auf die Couch oder lieber ins Bett?", fragte John, während sie auf Krücken an ihm vorbei humpelte. Sie wusste es nicht. Ihr Schädel dröhnte und ihre Knochen schmerzten.
„Ins Bett, denke ich", antwortete sie und deutete mit einem Kopfnicken auf die Treppe zum Schlafzimmer.
„Okay, ich trage dich gleich hoch", sagte er und nahm Rome die Tasche ab. „Danke, dass du das alles organisiert hast, Diggi."
„Gerne", lächelte Rome, ehe er sich von Cassie verabschiedete. „Ruft mich an, sobald es etwas Neues von diesem Super-Arzt gibt."
„Machen wir. Wir fahren direkt morgen früh hin, nachdem wir Marten verabschiedet haben", versicherte John und verabschiedete ihn mit einem Handschlag. Als Rome verschwunden war, brachte er seine Freundin ins Schlafzimmer. Dort fiel sie erschöpft aufs Bett und probierte mühsam, den Hoodie auszuziehen. John beobachtete sie einen Moment dabei, bevor er zu ihr ans Bett herantrat und sich zwischen ihre Beine sinken ließ. Sie musterte ihn fragend, doch er griff nur schweigend nach dem Saum des Pullovers und zog ihn ihr über den Kopf. Sie lächelte. Er erwiderte es.
„Danke, dass du bei mir bist", sagte sie. Er strich durch ihr Haar.
„Hör auf damit", lächelte er. „Ich hole dir was zu trinken. Überleg du dir schonmal, was du heute Abend essen möchtest."
Nach dem Abendessen, das er ihr ans Bett brachte, blieb er bei ihr, legte sich zu ihr ins Bett und versuchte, ihr die immer wiederkehrenden Sorgen rund um ihre Zukunft zu nehmen, bis sie irgendwann einschlief. Er ließ sie schlafen, organisierte in der Zeit die kommenden Tage um und telefonierte noch einmal mit Rome, bevor auch er sich etwas Schlaf gönnte.
Am nächsten Morgen blieb Cassie noch etwas liegen, während er aufstand und ihr Frühstück machte. Anschließend half er ihr dabei, sich anzuziehen. Als Joe vor der Tür stand, half er ihr die Treppe hinunter und machte ihm auf. Er hatte seinen Freund bereits über die aktuellen Geschehnisse ins Bild gesetzt, damit sie keine nervigen Fragen beantworten musste.
Kurz darauf saß er zusammen mit Joe in dessen Wagen. Da Cassies unerwartete Anwesenheit eine Überraschung werden sollte, begleitete sie die beiden nicht zu Marten. Stattdessen hatte John organisiert, dass Martens Freund Arthur sie abholte und direkt mit ihr zur JVA fuhr, um dort auf ihn zu warten, so wie ein paar weitere seiner Jungs. Es war ein seltsames Gefühl, Marten wegzubringen, doch natürlich würde er ihn bis dorthin begleiten. Die Gewissheit, die kommenden achtzehn Monate von seinem Cousin getrennt zu sein, setzte ihm zu. Sie waren miteinander aufgewachsen und es hatte nur wenige Zeiten gegeben, in denen sie sich nicht gesehen hatten. Er würde ihn besuchen, so häufig es ging, doch es war einfach nicht dasselbe. Marten war während der Fahrt ebenfalls ruhig, geradezu in sich gekehrt, schien nachdenklich und sprach kaum.
Als Joe schließlich den Parkplatz vor der JVA erreichte und er seine ganzen Freunde dort stehen sah, hellte sich Martens Gesicht augenblicklich auf. Es war offensichtlich, dass er sich darüber freute, dass sie ihn alle in diesem Moment zur Seite standen. Als sein Blick auf Cassie fiel, der Arthur gerade aus dem Wagen half, runzelte er die Stirn.
„Ich hab doch gesagt, sie soll nicht kommen", sagte er und beobachtete, wie Arthur ihr die Krücken reichte. Er seufzte. „Sie kann doch nicht mal richtig stehen."
„Sie wird die zwei Minuten schon durchhalten", versicherte John grinsend bevor sie aus dem Auto stiegen. Die Stimmung war trotz der Situation entspannt. Martens Jungs machten sogar ein paar Scherze, brachten sich gegenseitig zum Lachen und wechselten ein paar letzte Worte, bevor es ernst wurde und sie sich von Marten verabschiedeten. Als er John erreichte, der stützend einen Arm um Cassie geschlungen hatte, schüttelte er seufzend den Kopf.
„Ich liebe euch", sagte er, bevor er Cassie einen Kuss auf die Stirn drückte und sie vorsichtig in seine Arme zog. „Danke", flüsterte er leise in ihr Ohr, ehe er sich von ihr löste und sich an John wandte. Der lächelte. „Wir lieben dich auch, Diggi", versicherte er und umarmte ihn ebenfalls.
Sie warteten noch, bis sich das eiserne Tor hinter Marten geschlossen hatte, bevor John seiner Freundin in Joes Wagen half. Je näher sie der Klinik kamen, desto unruhiger wurde Cassie. Sie spielte ununterbrochen mit ihrem Handy herum, ihr gesunder Fuß wippte hin und wieder nervös und ihr Gesichtsausdruck war angespannt. Nach einer kurzen Wartezeit fanden sie sich schließlich im Behandlungszimmer wieder und warteten auf den Arzt.
„Es wird alles gut", versicherte John, als sie sich auf die Liege setzte.
„Vorhin, während wir auf Marten gewartet haben, hat Colette mich angerufen."
Er runzelte die Stirn.
„Was hat sie gesagt?", wollte er wissen.
„Es hat offenbar gestern eine Lagebesprechung mit der Produktion gegeben. Sie haben Paola meinen Platz zugeteilt."
Sie strich sich verletzt durch die Locken und ließ ihren Blick durch das freundlich eingerichtete Behandlungszimmer gleiten. John trat zwischen ihre Beine und schaute auf sie herab. Als er ihren traurigen Blick bemerkte, nahm er ihre Hand.
„Die wollen sichergehen, falls du jetzt wirklich ausfällst. Aber das ist ja noch gar nicht sicher. Erstmal schaut sich jetzt ein super Sportmediziner deinen Fuß an. Dass wird schon", versicherte er.
Sie wollte gerade etwas erwidern, als der Arzt – ein athletischer Mittvierziger mit dunklen Haaren und stechend blauen Augen – den Raum betrat. Er stellte sich als Dr. Sommer vor, ehe er einen Blick auf das moderne Röntgenbild warf. Cassie hielt währenddessen den Atem an. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als der Arzt zu ihr herumfuhr und sie mit seinen einnehmenden Augen durchbohrte.
„Wir tun, was wir können, aber ich würde empfehlen, mit einer solchen Verletzung nichts zu überstürzen. Fußballspieler brauchen ein Jahr, um sich von solchen Frakturen vollständig zu erholen", erzählte er, er vorsichtig nach ihrem Fuß griff und ihn sanft hin- und herdrehte, um ihn in der Schiene zu betrachten. „Ich weiß, Sie wollen so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen, aber sie müssen sich bewusst sein, was für eine langwierige Geschichte das ist. In der Regel wird es etwa ein halbes Jahr dauern, bis der Bruch nach einer Operation vollständig abheilt", fuhr er fort, ehe er ihr wieder ins Gesicht sah.
„Aber wenn es eine langwierige Geschichte ist, besteht die Chance auf vollständige Genesung, oder?", warf John ein.
„Der andere Arzt hat gesagt, dass ich vielleicht nie wieder tanzen kann", ergänzte Cassie besorgt.
„Das würde ich so nicht unterschreiben", entgegnete Dr. Sommer und Cassies Blick hellte sich augenblicklich etwas auf. „Sie werden sicher wieder tanzen. Die Frage ist viel mehr, wann genau sie ihren Fuß wieder voll belasten sollten. Wenn Sie meine Tochter wären, würde ich noch heute Abend operieren lassen und Sie würden sich die nächsten sechs Monate erholen."
Sie senkte betreten ihren Blick.
„Was wäre die Alternative?", wollte John wissen.
„Rehabilitation. Wenn der Knochen etwas Zeit zum Heilen hat, könnten Sie damit beginnen. Es wäre anstrengend, aber theoretisch bestünde die Möglichkeit, in den kommenden Monaten bereits wieder zu tanzen."
Cassies Blick hellte sich auf.
„Das klingt super."
„Das klingt, als wäre es nicht genug Zeit für eine Genesung", warf John skeptisch ein. Cassie strafte ihn mit einem mürrischen Seitenblick.
„Das Stimmt. Es gibt keine Garantie dafür, dass die Zeit ausreicht, um für die Show fit zu werden. Außerdem besteht ein hohes Rückfallrisiko, wenn die Verletzung nicht entsprechend auskuriert wird. Ich würde nach wie vor zur Operation raten – oder dazu, sich vollständig auszukurieren", entgegnete Dr. Sommer.
Cassie senkte ihren Blick betroffen zu Boden.
„Die Rehabilitation ist nicht meine Empfehlung, aber eine Option. Lassen Sie mich wissen, wie Sie sich entschieden haben, Frau Rosado."
„Auf jeden Fall. Vielen Dank", sagte Cassie und reichte dem Arzt die Hand, bevor er die beiden allein im Behandlungszimmer zurückließ. John ließ sich auf einen Stuhl sinken, rückte zu ihr heran und nahm ihre Hand.
„Okay. Was willst du machen? Ich stehe auf jeden Fall hinter deiner Entscheidung."
Sie lächelte.
„Rehabilitation", antwortete sie.
„Ganz sicher, ja? Er sagte ja, dass das riskant ist und ich denke, du solltest es nicht überstürzen", warf er ein.
„Ich weiß, du meinst es nur gut, aber ich will es zumindest versuchen. Wenn es dann nicht klappt, kann ich mir nichts vorwerfen und werde mich nicht fragen, was gewesen wäre, hätte ich mich anders entschieden", erwiderte sie.
Er schwieg einen Moment. Er wusste, es hatte keinen Sinn, ihr das auszureden. Am Ende würde sie es noch so deuten, als würde er sich gegen sie stellen. Vielleicht würde sie ihm sogar vorwerfen, ihre Teilnahme an der Show schlussendlich doch zu sabotieren. Also entschied er sich dazu, nicht zu widersprechen und seine Einwände zunächst für sich zu behalten.
„Gut, dann machen wir das", bestätigte er. Sie fand es schön, dass er in der wir-Form sprach.
„Ich bin einfach nervös, ich meine, ich kann nicht mal auf meinem Fuß stehen, geschweige denn tanzen", gestand sie.
„Ich werde dich jeden Schritt begleiten, so, wie du für mich da warst, als mein Dad gestorben ist", versprach er. „Wir machen dich wieder fit wie Rocky."
Sie grinste irritiert.
"Was redest du denn da?"
„Hast du nie Rocky gesehen?"
Sie lachte.
„Nein."
„Echt nicht?"
Er wischte sich theatralisch über das Gesicht.
„Okay, das Training beginnt jetzt und wir starten damit, dass wir kurz bei Nika vorbeifahren und uns danach heute Abend Rocky reinziehen. Wir kriegen dich schon wieder hin."
Wie hat euch das Kapitel gefallen? Könnt ihr verstehen, dass Cassie sich dafür entscheidet, das Risiko einzugehen, nur, um schnell wieder fit zu werden für die Show? Was würdet ihr tun? Euren Traum schweren Herzens begraben oder alles versuchen, damit ihr ihn doch noch leben könnt?
Und hat euch der Abschied von Marten genauso bewegt wie mich beim Schreiben? Ich halte es nicht aus, Nika und Marten zu trennen. Aber auch dazu habe ich eine gute Nachricht. Es könnte sein, dass es neben dem zweiten auch noch einen dritten Teil geben wird :p
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