2 | 28 | Angst
Ich wünsche euch viel Spaß mit dem neuen Kapitel. Sorry nochmal für den letzten Cliffhanger.
Cassies Augenlider flatterten nervös, als sie langsam ihre Augen aufschlug. Panisch rang sie nach Luft und kämpfte gegen diese lähmenden Schmerzen an. Sie versuchte, sich zu orientieren, doch ihre Sicht blieb unklar. Sie konnte lediglich verschwommene Schemen wahrnehmen und geriet unmittelbar in Panik.
„Bleib ruhig, Cas", hörte sie Romes Stimme leise sagen. Sie verstand nicht, was mit ihr passierte. Sie schloss ihre tränennassen Augen und konzentrierte sich auf sich selbst und ihr Körpergefühl. Die Unterlage unter ihrem Rücken war hart und die Schmerzen nahezu unerträglich.
„Du bist gestürzt", erklärte Rome ruhig, dann spürte sie seine warmen Finger an ihrer Hand. Langsam setzten sich die bruchstückhaften Erinnerungen zusammen, doch sie konnte sie nicht ordnen.
„Atme ganz ruhig, der Krankenwagen kommt gleich."
Langsam schlug sie ihre Augen wieder auf. Endlich gelang es ihr, einen kleinen Teil ihrer Umgebung wahrzunehmen. Als erstes erkannte sie die bunte Aufschrift auf Romes Hoodie. Er kniete neben ihr und strich über ihre Schulter. Sie versuchte, sich zu bewegen, doch vor lauter Schmerzen schossen ihr erneut Tränen in die Augen.
„Es wird alles wieder gut", versprach Rome.
Sie wollte sich aufsetzen, doch Rome drückte sie vorsichtig auf den Boden zurück.
„Bleib liegen, ja?"
Sie versuchte erneut, die Geschehnisse zu rekonstruieren, war jedoch zu verwirrt. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war die Hebefigur, zu der Rachid sie überredet hatte. Sie war das Herzstück und Highlight ihrer gemeinsamen Performance und hatte sie unglaublich viel Überwindung gekostet. Während des Trainings hatte sie stets während des Anlaufs abgebrochen, weil sie sich nicht getraut hatte, doch dann hatte sie sich überwunden und versucht, Rachid zu vertrauen.
Sie war auf ihn zugelaufen, hatte sich energisch abgedrückt und war in seine Arme gesprungen. Sie hatte seine starken Hände an ihren Hüften gespürt, als er sie in die Luft gehoben und sich dabei gedreht hatte. Dann riss der Film plötzlich ab. Alles, was zurückgeblieben war, war der Schmerz in ihrem gesamten Körper und die Angst, nicht zu wissen, was mit ihr passierte. Sie konnte sich nicht bewegen, lag regungslos auf dem kühlen Boden des Tanzraums und war umringt von besorgten Gesichtern.
„John", sagte sie hilflos und kämpfte mit den Tränen. „Bitte. Ich muss mit ihm reden."
Sie fühlte sich ziemlich benommen und kämpfte gegen eine Schwärze aus dem tiefsten Inneren ihres Körpers an.
„Ich rufe ihn an. Bleib ruhig liegen", versicherte Rome und zog sein Handy aus der Tasche. Während er auf dem iPhone herumtippte, schossen ihr unendlich viele Gedanken durch den Kopf. Was, wenn er nicht ans Telefon ging?
Als Rome aufstand und verschwand, hatte sie das Gefühl, ihr Kopf würde gleich explodieren. Ihr Herz begann zu rasen und sie geriet in Panik, als die nächste Schmerzwelle sie mit voller Wucht erfasste.
„Rome?"
„Ich bin hier", sagte er und sank wieder zu ihr auf den Boden.
„Hast du ihn erreicht?", schluchzte sie.
„Nein", antwortete er und nahm ihre Hand.
Sie fühlte sich warm an, im Gegensatz zu ihrem Körper.
„Mir ist kalt", sagte sie ängstlich und versuchte, sich aufzurichten, doch sofort schoss ein höllischer Schmerz durch ihre Beine und zwang sie wieder zu Boden.
„Bleib liegen, wir haben einen Krankenwagen gerufen", sagte Rome ruhig und zog seinen Hoodie aus.
„Mir tut alles weh", weinte sie hilflos, während er den warmen Hoodie über ihren Körper legte und sie damit zudeckte.
„Es wird alles wieder gut, okay? Ich verspreche es dir", versicherte Rome und nahm ihre Hand wieder vorsichtig in seine.
„Was ist passiert?"
„Was hat sie?"
„Hat sie Schmerzen?"
„Wird sie wieder gesund?"
Weit entfernt hörte sie leise Stimmen die verschiedensten Dinge murmeln, fühlte sich jedoch nicht in der Lage, darauf zu antworten.
„Ich will mit John reden. Kannst du ihn bitte nochmal anrufen?", flehte sie und schaute Rome verzweifelt in die Augen.
„Ich rufe ihn gleich wieder an", versprach er. „Bleib ganz ruhig."
„Der Krankenwagen ist da", rief irgendeine Stimme.
„Hier lang", sagte jemand anders. „Sie ist gestürzt."
Rachid, der gegenüber von Rome kniete, schaute betroffen in ihr Gesicht.
„Es tut mir leid, Cas", beteuerte er. „Das habe ich nicht gewollt."
Ihm standen der Schock und die Überraschung ins Gesicht geschrieben.
„Du fasst sie nicht mehr an. Geh weg von ihr."
Romes Gesichtszüge waren düster und seine Stimme duldete keinen Widerstand.
„Er hat sie hochgehoben, dann ist sie gefallen", hörte sie eine entfernte Stimme sagen.
„Das war keine Absicht. Das musst du mir glauben", schwor Rachid.
Rome stieß ihn unsanft zurück, dann tauchten auf einmal ein Notarzt und ein Sanitäter in Cassies Blickfeld auf. Das alles war so verwirrend, dass sie das Gefühl hatte, ihr Gehirn würde sich verknoten bei dem Versuch, zu verstehen, was gerade um sie herum passierte. Es gelang ihr nicht, all die Eindrücke zu verarbeiten. Sie fühlte sich völlig hilflos, als sie die vielen Fragen des Notarztes beantwortete, bevor zwei Sanitäter sie vorsichtig auf eine Trage hoben.
„Ich bleibe bei dir", versicherte Rome, hielt ihre Hand und begleitete sie in den Krankenwagen. Er gab ihr ein Gefühl von Sicherheit, auch, wenn sie ununterbrochen gegen das Gefühl der Übelkeit ankämpfte, und nach wie vor nicht genau wusste, was mit ihr geschehen war. Immer wieder drohte eine tiefe Dunkelheit, sie einzuhüllen, und sie weinte, weil sie Angst davor hatte, ihr nachzugeben, und sich in ihr zu verlieren. Je mehr sie dagegen ankämpfte, desto schlimmer wurde alles um sie herum; die Dunkelheit, die Schmerzen, die Hilflosigkeit und die Panik, die sie erfasste, bevor sie schließlich in die Bewusstlosigkeit abdriftete.
Als sie ihre Augen wieder aufschlug, wurde sie von einem grellen, künstlichen Licht geblendet. Ihr Körper lag angenehm weich, doch als sie ihren Kopf drehte, um sich umzuschauen, durchfuhr ein stechender Schmerz ihren gesamten Körper.
„Ganz ruhig, Kleines. Ich bin hier."
Plötzlich tauchte Romes Gesicht auf und sie spürte eine angenehme Wärme an seiner Hand. Sofort wurde sie ruhiger. Sie probierte erneut, sich umzusehen. Nur langsam erkannte sie den kahlen Raum und die kleinen Holzschränke, den Tisch und ihr Bett.
„Du bist im Krankenhaus", sagte Rome leise und strich ihr eine verirrte Locke aus dem Gesicht. „Du bist ziemlich mies gestürzt. Die ersten Untersuchungen haben ergeben, dass du dir böse den Kopf gestoßen hast, aber das wird wieder."
Sie atmete erleichtert auf. Es war gut, dass Rome bei ihr war. Er drückte sanft ihre Hand und sie erwiderte den leichten Druck.
„Ich erinnere mich nicht mehr an das, was passiert ist", seufzte sie.
„Woran erinnerst du dich denn?", wollte er wissen.
„An mein Training mit Rachid. Er wollte diese blöde Figur tanzen und mich hochheben. Dann ist alles weg", sagte sie.
„Er hat das Gleichgewicht verloren. Dabei bist du zu Boden gefallen", erzählte er.
„Aha", murmelte sie unbeholfen. Als sie realisierte, wie verloren sie sich trotz Romes Anwesenheit ohne John fühlte, traten erneut Tränen in ihre Augen.
„Kannst du mir mein Handy geben?", bat sie Rome.
„Ich habe ihn schon angerufen", sagte er. „Er kommt so schnell er kann."
Sie atmete erleichtert auf. Auch, wenn mehrere hundert Kilometer zwischen ihnen lagen, konnte sie sich auf ihn verlassen. Die Ärzte würden sie erst morgen weiter untersuchen, also gab sie ihrer quälenden Müdigkeit nach und schlief immer wieder ein. Hin und wieder besorgte Rome ihr etwas zu essen oder zu trinken, aber die meiste Zeit verbrachte sie tatsächlich damit, sich auszuruhen. Zwischenzeitlich wurden die Schmerzen so stark, dass sie nicht mehr schlafen konnte. Also gab Rome einer der Nachtschwestern Bescheid, damit sie ihr einen Venenzugang legte und sie an einen Tropf mit Schmerzmitteln hängte. Erst, als diese endlich wirkten, fand sie in den erlösenden Schlaf zurück.
„Hey, Shorty..."
Zunächst glaubte sie an einen Traum, doch als John seine warme Hand auf ihre Stirn legte, schlug sie verschlafen die Augen auf und sah in sein besorgtes Gesicht. Helles Tageslicht fiel bereits in das kleine Krankenzimmer. Als sie realisierte, dass er tatsächlich hier war, füllten sich ihre Augen mit Tränen der Erleichterung.
„Wie fühlst du dich?", fragte er leise und setzte sich auf den Stuhl, auf dem bis vor Kurzem noch Rome gesessen und über sie gewacht hatte. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden.
„Beschissen", antwortete sie bedrückt.
„Hmm", machte er und drückte ihr einen sanften Kuss auf. Es fühlte sich gut an, dass er bei ihr war.
„Hast du starke Schmerzen?", wollte er wissen.
„Es geht. Ich kann nicht auftreten und ich habe Kopfschmerzen", antwortete sie.
„Haben sie dir was gegeben?", hakte er nach.
Sie deutete auf den Tropf, an den sie nach wie vor angeschlossen war.
„Danke, dass du extra hergekommen bist. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machen musst", sagte sie.
„Alles okay", versicherte er ihr. „Weißt du, was passiert ist?"
„Rome sagt, ich bin bei einer Hebefigur mit Rachid gestürzt. Ich weiß davon nichts mehr", erzählte sie traurig. Seine Gesichtszüge wurden hart.
„Also ist Rachid schuld daran", schlussfolgerte er.
„Ich weiß es nicht", räumte sie ein. „Vielleicht habe ich auch das Gleichgewicht nicht halten können."
„Zerbrich dir jetzt nicht deinen Kopf darüber, sondern versuch, noch was zu schlafen. Ich bleibe bei dir und gehe mit dir zu den Untersuchungen, wenn sie dich abholen. Okay?"
Sie nickte.
„Danke."
„Schlaf jetzt", forderte er, beugte sich zu ihr herunter und küsste sie erneut. „Ich bin direkt neben dir, wenn du mich brauchst."
Den restlichen Tag verbrachte Cassie überwiegend damit, herumzuliegen und auf Untersuchungen zu warten. John wich ihr dabei keinen Augenblick von der Seite. Er begleitete sie zunächst für einige Checks in die Neurologie, besorgte ihr einen Kaffee und wartete anschließend mit ihr geduldig auf die Röntgenuntersuchungen, die Computertomografie und das MRT. Dabei sprach er ihr immer wieder Mut zu und versicherte ihr, dass alles wieder gut werden würde.
Der Arzt, der am späten Nachmittag das Krankenzimmer betrat, hatte dunkle kurze Haare, trug eine Brille mit runden Gläsern und strahlte eine beruhigende Kompetenz aus.
„Frau Rosado...", begrüßte er sie und drückte ihre Hand, während hinter ihm eine kleine, zierliche Krankenschwester den Raum betrat. Als sie John sah, schaute sie direkt zu Boden. Sie fiel genau in das Alter seiner Zielgruppe, also war offensichtlich, dass sie ihn erkannt hatte. Cassies Finger begannen vor Aufregung zu schwitzen. „Wie geht es Ihnen?"
„Den Umständen entsprechend. Ich habe höllische Kopfschmerzen, mir ist kotzübel und ich kann nicht auftreten", erzählte sie.
„Die Übelkeit und ihre Kopfschmerzen sind vollkommen normal. Sie haben durch den Sturz einen Schlag gegen den Kopf erlitten. Ihre Vitalfunktionen und ihre Motorik sind jedoch vollkommen in Ordnung. Wir haben Sie noch im Krankenwagen getestet, als sie ansprechbar waren."
Daran konnte Cassie sich nicht erinnern.
„Wir haben Sie jetzt eingehend untersucht. Im Rahmen der neurologischen Untersuchung haben wir geprüft, ob Sie ansprechbar und orientiert waren und ihre Pupillenreaktion auf Lichtreiz getestet. Außerdem haben wir mit Hilfe von Röntgenuntersuchungen und einer Computertomografie die Schädelknochen und die Schädelbasis auf Frakturen untersucht, die wir aber weitestehend ausschließen können. Sie haben auch keine schwerwiegenden Gehirnverletzungen wie Quetschungen oder Blutungen. In diesem Fall ist es sehr unwahrscheinlich, dass Spätfolgen wie Epilepsie, Lähmungen oder Atem- oder Kreislaufstörungen auftreten", sagte der Arzt.
„Also sind Spätfolgen ausgeschlossen?", hakte John noch mal nach, der einen kühlen Kopf bewahrte. „Ich sage es mal so, es ist ziemlich unwahrscheinlich. Natürlich kann man das nie zu hundert Prozent verlässlich versprechen, aber da müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn ausgerechnet bei Ihrer Freundin etwas passiert. Die Wahrscheinlichkeit ist wie gesagt schwindend gering."
„Und wie lange wird es dauern, bis sie wieder laufen kann? Sie probt gerade für eine Show", hinterfragte John. Der Arzt setzte ein ernstes Gesicht auf und musterte Cassie sorgenvoll.
„Mit der Fraktur am Fußgelenk sieht es leider nicht so gut aus. Es könnte sein, dass sie nie wieder tanzen können, Frau Rosado."
Okay, ich weiss, das Ende macht es jetzt nicht besser. Wie hat euch denn das Kapitel gefallen?
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