Kapitel 19
Yuna, Sezunas kleine Schwester, strich sich durch die schneeweißen Haare, die ein wenig schimmerten, da Strähnen mit kleinen, gefrorenen Wassertropfen versehen waren. Überreste ihrer Übungen mit Lucien. Dem Mann, der auf ihre Familie aufpasste und irgendwie auch der neue Mann im Leben ihrer Mutter Shioni war. Sie waren nicht verheiratet, aber trotzdem war er irgendwie eine Art Vater und Lehrmeister für die Kinder. Zumindest für Yuna, Allan und Sam. Sezuna wurde immer außenvorgelassen. Was wohl auch der Grund war, warum niemand ihr Fehlen bemerkte.
Zumindest redete sich Yuna das gern ein. Dabei wusste sie, dass es an einem Zauber lag, den Sezuna sich beigebracht hatte. Allerdings war sie bisher noch nie so lange weggewesen. Dass Allan, der sie suchen gegangen war, nun auch nicht wieder zurückkehrte und es scheinbar niemanden störte, machte Yuna große Sorgen. So groß hatte sie Sezunas Macht nicht eingeschätzt. Sie hätte wenigstens kurz zurückkommen und den Zauber abändern müssen, doch das war nicht geschehen. Stattdessen war es so, als wäre jemand anderes dafür verantwortlich. Yuna hoffte, dass dieser Jemand nicht gefährlich war und Sezuna nichts tat. Es konnte immerhin viele Gründe geben, warum jemand Sezuna auf diese Art tarnte. Vielleicht wollte er ihre Schwester auch einfach nicht wieder gehen lassen und sorgte so dafür, dass niemand sie suchen ging.
»Das reicht für heute«, entschied Lucien. Seine langen, roten Haare waren zu einem festen Zopf gebunden und er blickte auf Yuna.
Diese nickte und ließ sich erschöpft auf dem Boden nieder. Sie richtete ihre kristallblauen Augen auf die Überreste der kleinen Feuer, die Lucien erschaffen hatte, damit Yuna diese mit ihrer Eismagie löschte. Es war eine gute Ausdauerübung, aber ansonsten war Yuna magisch schon weiter. Sie versteckte es, genau wie Sezuna, denn Shioni wollte die Dinge oft nicht so wahrnehmen, wie sie waren. Shioni wollte lieber zwei kleine, unbedarfte Mädchen. Um sie zu beschützen waren die beiden Jungen da, die Shioni aufgenommen hatte. Der Vampir Allan und der Werwolf Sam. Wobei einer von ihnen verschwunden war und niemand registrierte es.
Yuna war frustriert, versuchte aber, es nicht zu zeigen. Sie wollte nicht die Zauber brechen, die Sezuna beschützten. Ihr war klar, dass Shioni außer sich sein würde, wenn sie von Sezunas Verschwinden erfuhr.
Jetzt im Moment machte sie sich keine Gedanken darum. Genau wie die anderen. Yuna war in dieser Beziehung anders. Als Sezunas Zwilling wirkte dieser Zauber nicht bei ihr und sie musste ständig aufpassen, was sie sagte. Ein falsches Wort konnte den Zauber schwächen und dann brechen.
Lucien zog sich in das kleine Haus zurück. Es war ein Haus, das auf einen Baum gebaut war und wirkte, als wäre es selbst einer. Die Zimmer wirkten seltsam, da sie teilweise nur durch Treppen oder Gänge zu erreichen waren. Yuna liebte es, denn sie hatte mit Sezuna zusammen einen eigenen, kleinen Bereich, wo sie ihre Ruhe hatten. Das brauchte sie auch, denn eigentlich war sie nicht so gern unter anderen Leuten. Auch nicht bei ihrer Familie, obwohl sie diese sehr liebte. Vor allem ihre Mutter, die ihr aber irgendwie auch leidtat.
»Alles in Ordnung? «, erklang eine jungenhafte Stimme und Yuna schenkte Yuki, dem Sohn von Lucien, der nur wenig älter war als sie, ein Lächeln.
»Es geht«, sagte sie und wusste, dass er ihr Lächeln nicht richtig erkennen konnte. Nur die wenigsten konnten es sehen, da es mehr in ihren Augen lag als auf ihren eisblauen Lippen. Generell behaupteten viele, dass sie kalt und unnahbar wirkte. Dabei war es einfach ihr Körper, der ihre Gefühle nicht zeigen wollte. Sie selbst hatte eine Menge Gefühle zu vergeben.
»Kommst du gleich mit Essen?«, fragte Yuki, der ihr eine Hand hinhielt. Er hatte halblanges, fuchsbraunes Haar und dunkelbraune Augen, die Yuna sehr gern mochte, weil sie sehr liebevoll wirkten.
»Ja, natürlich«, antwortete Yuna. Es war egal, ob sie Hunger hatte oder nicht. Shioni würde wollen, dass sie beim Essen war, sonst würde sie sich wieder unnötig Sorgen machen. Ihre Mutter war, was das betraf, wirklich übervorsichtig. Dabei hatte es Sezuna noch schlimmer getroffen. Bei ihr war sie noch viel, viel vorsichtiger. Es war Sezuna nicht einmal erlaubt, längere Zeit draußen zu bleiben. Was daran lag, dass die Rothaarige öfters so etwas wie Anfälle hatte. Yuna verstand es nicht genau, denn manchmal krümmte sich Sezuna plötzlich. Für mehrere Sekunden, bis es ihr wieder besser ging. Bisher war nie etwas Schlimmes passiert und, obwohl ihre Tante Mikoto eine wundervolle Heilerin war, konnte diese nichts finden. Es war also nichts Gefährliches. Zumindest glaubte Yuna das. Daher verstand sie nicht, warum Shioni Sezuna immer alles, was Spaß machte, verbot.
Yuna griff nach Yukis Hand und ließ sich aufhelfen, um mit ihm hineinzugehen. Dort erwartete sie bereits Shioni, die Sezuna sehr ähnlichsah. Langes, rotes Haar, aber dunkelviolette Augen, die manchmal jedoch recht leer wirkten. Fast so, als wäre Shioni nicht ganz da.
Yuna liebte ihre Mutter, aber auch ihre Schwester und fand sich deshalb sehr oft in einer Zwickmühle wieder. Einerseits wollte sie es Shioni recht machen, andererseits wollte sie ihre Schwester schützen. Wobei schützen auch nicht immer richtig war, wenn es sich um Shioni handelte. Beide liebten sich, das war Yuna bewusst und trotzdem verstand sie, dass die Beziehung ihrer Mutter zu ihrer Schwester sehr schwierig war. Sie tat beiden nicht gut. Beide konnten nicht miteinander, aber auch nicht ohneeinander.
»Es gibt heute Umwara-Schnitzel«, verkündete Shioni, die gut gelaunt in der Küche stand.
Yuna schnupperte leicht in der Luft und ihr lief sofort das Wasser im Mund zusammen. Das war einer der Momente, wo sie es mochte, ein Itari und kein reinrassiger Vampir zu sein. Sie konnte Essen genießen.
Sie wusste, dass auch Sezuna Umwara gern aß, doch sie war nicht da. Genau wie Allan. Wobei dieser eher selten etwas aß. Was daran lag, dass er ein reinrassiger Vampir war und das Essen deshalb nicht richtig schmecken konnte. Mit Yuna hatte er nicht darüber gesprochen, weshalb diese davon ausging, dass er nur Blut trinken konnte.
Langsam machte sich die Weißhaarige wirklich Sorgen. Es war überhaupt nicht üblich, dass Sezuna so lange wegblieb. Gerade, wenn Allan nach ihr suchte, kamen sie normalerweise innerhalb von wenigen Tagen zurück. Dieses Mal war es nicht so und Yunas Angst, dass etwas geschehen war, wurde immer stärker.
Sollte sie vielleicht nach ihr suchen? Sie wusste, dass Sezuna das nicht wollte, aber Yuna hatte wirklich Angst um ihre Schwester. Was, wenn wirklich etwas passiert war?
Unruhig stocherte Yuna mit der Gabel im Fleisch herum. Shioni hatte es ihr geschnitten. Wie eigentlich immer. Dabei konnte Yuna durchaus mit einem Messer umgehen. Dennoch schwieg sie. Es brachte nichts, mit Shioni zu diskutieren. Für diese war Yuna ein kleines Kind. Sie sah noch immer aus wie ein Kind und war es auch, wenn man nach der Zeitrechnung ihrer Rasse ging. Mit über fünfzig war sie noch weit von ihrer Volljährigkeit mit einhundert Jahren entfernt. Itaris alterten sehr langsam und blieben lange sehr kindlich und teilweise auch unfähig, doch bei Yuna und Sezuna war das anders. Sie glaubte, dass es an ihrem Vater lag. Shioni sprach niemals über diesen, doch Yuna wusste, dass dieser kein Itari war. Was genau er war und warum er nicht hier war, wusste Yuna jedoch nicht. Bei diesem Thema war Shioni ein Buch mit sieben Siegeln. Es war einfach nichts aus ihr herauszubekommen.
»Stimmt etwas nicht, mein Schatz?«, fragte Shioni mit Sorge in der Stimme.
Sofort nahm Yuna einen Löffel in den Mund. »Nein, es ist alles gut«, versicherte sie und zwang sich zu einem Lächeln. Sie wusste, dass auch Shioni es nicht ganz sehen konnte, doch irgendwie schaffte sie es, ihre Mundwinkel so zu bewegen, dass es ihre Mutter zumindest ein wenig beruhigte. Sie war in letzter Zeit noch unruhiger als sonst und Yuna bekam Sorge, dass es mit Sezunas Zauber zusammenhing. Was, wenn dieser schwand und Shioni sich an Sezuna erinnerte? Das würde Ärger geben.
Yuna aß zu ende, half dann beim Tisch abräumen und zog sich in ihr Zimmer zurück. Dort blieb sie allerdings nicht lange.
Leise öffnete sie das Fenster und schlüpfte hinaus. Es war besser, wenn sie Sezuna fand, um sie zu informieren, dass mit dem Zauber etwas nicht stimmte.
Dazu würde sie jedoch zuerst Sezunas anfänglichen Zauber kopieren müssen, damit Shioni nicht bemerkte, dass Yuna weg war. Es würde schwierig werden, da Sezunas Zauber immer sehr wirr waren, doch sie war sich sicher, dass sie es schaffte. Sie musste nur denken wie ihre Schwester.
Danach würde sie sich um einen Suchzauber kümmern, dersie hoffentlich schnell zu ihrer Schwester brachte. Es war besser, keine Zeitzu verschwenden.
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