Der Name der Flüchtenden war Latika. Sie hatte langes gewelltes Haar und wachsame Augen. Die etwa fünfundzwanzig jährige war in einer Schwimmhalle gewesen, als die Quarantänen geöffnet wurden. So war sie vollkommen überrascht worden, was auch die riesige blutende Wunde an ihrem Bein erklärte. Eine der Versuchspersonen hatte ihr da ein ganzes Stück Fleisch rausgerissen.
"Ich habe ne Menge Blut verloren.". murmelte sie, als wir ihr über die Straßen hinweg folgten. Das sogenannte Bein zog sie mit schmerzerfülltem Blick hinter sich her. Sie hatte instinktiv gehandelt und es mit dem Stoff ihrer Hose verbunden, aber das Blut quellte immer noch in unglaublichen Mengen hervor. Verbittert dachte ich an Androsch. Wenn man ihn einmal gebrauchen hätte können, war er natürlich nicht da. Und Doktor Reinhardt befand sich auf der erhöhten Mauer und knallte Zombies ab. Keine Hilfe zu erwarten also.
"Denkst du, du schaffst es bis zu den Bunkern?", fragte Yuuki. Sie selbst hielt schon seit einiger Zeit ihre Schulter und ich befürchtete, dass dort bald wieder etwas lahmgelegt werden würde. Danach zu laufen würde schwer werden. Latika nickte. "So weit ist es gar nicht mehr. Außerdem haben wir unter uns einen Doktor, der wird mir schon helfen."
Tommy blickte sie mit großen Augen an und klammerte sich an mein T-shirt. "So viel Blut...", flüsterte er entsetzt. Ich schwieg. Dann holte ich zu Latika auf. "Wie kommt es, dass du unsere Sprache sprichst?" Sie blickte mir ins misstrauische Gesicht und seufzte. "Mein Dad. Bin zweisprachig aufgewachsen." Das erklärte natürlich einiges.
Sie fluchte und sah ihr Bein an. "Diese verdammten Biester."
"Wir könnten dich tragen.", schlug ich vor. "Du sagst uns, wohin wir gehen müssen."
"Und was, wenn plötzlich ein Zombie auftaucht?", hielt Yuuki dagegen. "Sollen wir sie dann einfach abwerfen oder was?"
"Vielleicht taucht ja kein Zombie auf." Ich bückte mich und nahm Latika auf den Arm. Sie war schwerer als erwartet, doch nicht so schwer, als dass ich nicht mit ihrem Gewicht auf den Armen laufen könnte. "Und wenn wir in wenigen Minuten im Bunker sind, taucht definitiv kein Zombie auf."
"Träum weiter.", schnaubte meine Freundin. Sie blickte zu Latika. "Wir sollten vielleicht mal auch sie fragen. Vielleicht möchte sie ja lieber selbst gehen."
Latika winkte ab. "Siles... so hießt du doch, oder? hat recht. So sind wir schneller und ich kann mein Bein schonen."
Yuuki rollte mit den Augen und humpelte zu Tommy, der mittlerweile stehen geblieben und ein Comic im Schaufenster eines Buchladens betrachtete. Ich hörte sie irgendwas murmeln, etwas, das wie: "Man könnte es ihr auch gleich abschneiden, so wie es aussieht." klang und dem Gesichtsausdruck Latikas hatte sie es auch gehört. Ich seufzte innerlich und sagte an Latika gewandt: "Mach dir nichts draus. Yuuki ist meistens so." Sie hob die Augenbrauen, nickte aber dann und begann, mir den Weg zum Bunker zu erklären. Ich befolgte ihre Anweisungen und versuchte es mir gleichzeitig zu merken. Es war nicht allzu schwer. Ein paar Mal nach links und rechts und wir sahen eine Art Gebilde aus dem Felsengestein eines Felsens auftauchen. Es war an ein paar Stellen schon ziemlich verrostet.
"Das ist es.", meinte Latika erleichtert. "Lasst euch nicht vom Rad abschrecken, es wurde schon seit langem nicht mehr benutzt und klemmt ein bisschen." Ich ließ sie runter und rannte zum Eingang. Dann stemmte ich mich mit aller Kraft gegen das Rad in der Mitte der Tür. Es bewegte sich kein Stück.
"Los, Siles, lass mal deine Muskeln spielen.", spottete Yuuki. "Ach ich vergaß: Du hast ja keine."
Ich blickte sie genervt an. "Kannst ja vielleicht auch mal mithelfen, statt da nur rumzustehen. Tommy, hilf Latika." Tommy nickte und rannte zu der Frau zurück, welche sich das letzte Stück hochquälte.
"Latika, Latika, Latika." Wütend kam Yuuki zu mir, stemmte sich gegen das Rad und drückte zu. "Immer nur Latika. Wir haben sie gerade mal vor ein paar Minuten getroffen und du kümmerst dich um sie, als würdest du sie Jahre kennen."
Das Rad begann zu qietschen und bewegte sich ein kleines bisschen. "Ist da etwa jemand eifersüchtig?" Ich konnte nicht mehr an mich halten und musste grinsen. "Eifersüchtig?" Yuuki sah mich verächtlich an. "Warum sollte ich?"
"Sag du es mir." Damit mobilisierte ich meine Kräfte und drückte noch fester zu. Yuuki blitzte mich nur schweigend an und drückte nun auch mit voller Kraft. Das Rad lockerte sich und wir konnten es langsam ohne Schwierigkeiten drehen. Die Tür schwenkte auf und wir traten gespannt zurück, nur um gleich in Deckung zu springen, als Schüsse ertönten. Eine Kugel streifte meinem Oberarm und ließ einen blutigen Kratzer zurück, welcher gleich wegen dem Druck der abgeschossen Kugel aufplatzte und stark zu bluten begann. Schmerzerfüllt biss ich meine Zähne zusammen und versuchte das Blut irgendwie aufzuhalten. "Was zum Teufel..." Yuuki sprang auf und rannte zu mir. "Du Idiot, kannst nicht mal einer Kugel ausweichen." Ich wollte etwas bissiges antworten, doch dann riss sie ein Stück ihres T-shirts ab und wickelte es um meine Wunde. "Das könnte jetzt ein bisschen wehtun.."
Eine Stimme rief irgendwas aus dem Bunker. Die Person sprach kasachisch, weshalb wir null verstanden.
"Dad?" Latika war nun vollends angekommen und blickte uns erschrocken an, insbesondere meine Wunde. "Oh, was für ein Zufall. Ihr Dad.", knurrte Yuuki neben mir. Sie war mittlerweile fertig und stand auf. Ich versuchte mich ebenfalls aufzurichten, doch der Schmerz war unerträglich. So musste ich mich wohl oder über auf den Asphalt zurücksetzen. Yuuki rollte mit den Augen und hielt mir die Hand hin. "Komm schon, Weichei."
Latika fing an, schnell auf die Person im Bunker einzureden, wobei sie oft auf ihre Wunde deutete. Und auf die meine. Ihre Augen waren vor Zorn tiefschwarz. Wahrscheinlich machte sie gerade ihren Dad zur Schnecke, weil er auf uns geschossen hatte.
Langsam humpelten Yuuki und ich auf die beiden zu. Tommy hatte mittlerweile auch bemerkt, dass ich angeschossen wurde und machte ein weinerliches Gesicht. Ich lächelte ihm zittrig zu, um ihm zu sagen, dass alles okay war. "Nur ein kleiner Kratzer, Tommy. Nichts schlimmes."
Der Dad schien anderer Meinung zu sein. Er winkte uns schuldbewusst rein und schloss dann die Tür mit einem lauten Krachen hinter uns. "Es tut mir unglaublich Leid.", begann er sich bei uns zu entschuldigen. "Wir mussten vorsichtig sein. Diese Wesen da draußen, sie haben auch Hände und könnten locker die Bunker aufschließen. Wir haben deswegen Wachen aufgestellt und...." Er ratterte ungefähr noch zehn weitere Argumente runter, weshalb es richtig gewesen war, auf uns geschossen zu haben und nach der Hälfte nickte ich dann einfach nur und hörte ihm nicht mehr zu. Der Gang endete und ein riesiger Raum öffnete sich. Mehrere Menschen saßen in Gruppen zusammen und blickten uns angsterfüllt und insbesondere entsetzt an. Die blutende Wunde von Latika schien die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu ziehen. Sie hob grüßend ihre Hand, doch dann schien sich der Blutverlust deutlich zu machen und sie kippte einfach um. Ihr Vater rief erschrocken ihren Namen und ein paar der Menschen machten einen Satz auf sie zu. Sie wurde auf den Boden gelegt und der Dad machte sich daran,seine Tochter eilig zu versorgen, ihr Bein hochzulegen, die Wunde zu reinigen usw.
"Sieh nur, wie die anderen uns angucken.", flüsterte ich Yuuki zu. "Als wären wir für all das verantwortlich.
"Vielleicht sind wir das auch.", gab Yuuki leise zurück. "Immerhin wurde ParaSyc durch uns unter Druck gesetzt. Wahrscheinlich haben sie wegen uns ihren Plan komplett umgekrempelt und die Quarantänen viel früher geöffnet als vorgesehen." Ich legte meinen unverletzten Arm um sie und zog sie zu mir. Sie lehnte sich an mich und sah den anderen zu, wie sie in Panik mit dem Armen wedelten und in ihrer Sprache riefen. "Wir sind niemals für all das verantwortlich, Yuuki. ParaSyc hätte sowas sowieso früher oder später gemacht."
Wir schwiegen eine Weile. Dann schien Yuuki eine Idee zu kommen und sie löste sich von mir. "Ich weiß, wie wir all das schnell und effizient beenden können." Ihre Augen wanderten zu meinen. "Aber du musst mir helfen."
"Kommt drauf an, was es ist. Erkläre mal deinen Plan."
"Du gehst zu Reinhardt und dem Präsidenten. Überrede sie, alle Zombies mit einem bestimmtem Lockduft zu den Quarantänen zu locken und nebenbei alles live zu filmen. Damit die anderen Städte in Kasachstan wissen, was zu tun ist, wenn alle Zombies auf einem kleinen Raum zusammengepfercht sind."
"Und das wäre?" Yuuki wurde unruhig und strich sich eine Strähne hinters Ohr. "Das wirst du dann sehen." Ich blickte sie still an und dachte nach. Ihr Plan machte zu einem gewissen Grad Sinn und es war wirklich zu machen. Aber es behagte mir nicht, dass sie etwas vorzuhaben schien, dass sie mir nicht erzählen konnte. "Yuuki...."
"Siles. Hilfst du mir jetzt oder nicht? Ja oder Nein?" Sie blitzte mich an und verschränkte die Arme. Ich wusste, wenn sie nichts erzählen wollte, dann wollte sie nicht. Und je mehr man sie drängte, desto mehr schottete sie sich von einem ab. Ich blickte zu Tommy. "Was ist mit ihm?"
"Er bleibt hier, bei den anderen."
"Würde er es wollen?"
"Er hätte keine andere Wahl."
Ich blickte sie abermals an. Dann schloss ich die Augen. "Okay, meinetwegen Yuuki. Stell aber nichts dummes an."
"Das würde ich doch nie tun."
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